Am 26. Februar 2024 legten wir den Schalter um und spannten gleichzeitig ein Banner vor der Zentrale des Schweineschlachtkonzerns Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, NRW, und vor dessen zweitgrößten Schlachthof in Weißenfels in Sachsen-Anhalt auf. Unsere Kritik am Greenwashing war online.
Wer war nochmal Tönnies?
Die Unternehmensgruppe Tönnies ist der größte Fleischverarbeiter in Deutschland. 112 inländische und 45 ausländische Unternehmen gehören nach Angabe des Konzerns dazu, wobei der letzte Zukauf, die Übernahme von zwei VION-Schlachthöfen in 2024 noch nicht berücksichtigt ist. 2021 schlachtete Tönnies in Deutschland fast 16 Millionen Schweine (aber auch nicht wenige Rinder) und erzielte einen Jahresumsatz von 6,2 Milliarden Euro.
Was ist die Agenda t30 und was macht der ehemalige Chef des Bioland-Verbandes beim Schweineriesen?
Während der Pandemie blies dem Konzern der Wind kräftig entgegen: die eigentlich bekannten, unzumutbaren Zustände für Arbeitnehmer:innen in den Tönnies Schlachthöfen kamen aufgrund der massenhaften Covid-Infektionen dort bundesweit in die Medien (1).
Langjährige Unterstützer:innen des Konzernchefs wandten sich mit Grauen von Clemens Tönnies ab, die GroKo in Berlin verabschiedete eilig das Arbeitsschutzkontrollgesetz, das Werk- und Leiharbeitsverträge in der Schlachtbranche künftig untersagte.
In einer solchen Situation ist die Flucht nach vorne oft die einzige Option. Der Tönnies-Konzern gewann als neuen Leiter der Unternehmenskommunikation Thomas Dosch. Dosch leitete zwölf Jahre die Geschicke des größten Bio-Anbauverbandes Deutschlands, Bioland. Er arbeitete während der Amtszeit des grünen Agrarministers Christian Meyer im Ministerium in Hannover. Als Kommunikator ist er erfahren darin, sein Tun in das beste Licht zu stellen.
2023 legte der Tönnies-Konzern seine Agenda t30 vor. Die Nachhaltigkeitsagenda listet Ziele auf, die das Unternehmen bis 2030 in Sachen Umwelt, Tierschutz und Soziales besser machen will.
Uns begann zu interessieren, was davon zu halten ist. Und besonders spannend wurde es, als wir hörten, welches „Kontrastprogramm“ Tönnies gleichzeitig in Spanien an den Start brachte.
Aktion Agrar 2023 in Spanien – Bericht von Lucia Müller
Zu Dritt reisten wir im Frühjahr 2023 nach Spanien, in die Region Aragonien. Zuvor hatten wir uns in vielen Telefonaten und Online-Treffen ein Bild der Lage gemacht: 2021 löste Spanien Deutschland als europäischen Spitzenreiter in der Produktion von Schweinefleisch ab. Schon seit den 1990er Jahren wurden die Produktionskapazitäten für Rind- und Schweinefleisch in Spanien massiv ausgebaut.
Investments großer Fleisch-Konzerne in den Regionen wurden politisch begrüßt und unterstützt. Der Hafen Tarragona in Katalonien liefert billiges Soja aus Übersee, das die Versorgung der Tiermassen erst ermöglicht. Das Fleisch kann von hier aus in alle Welt verschifft werden.
Der besonders penetrante Geruch, der einem aus den Schweinemastanlagen der Region Aragonien entgegen schlägt, trifft im weitgehend entvölkerten Land nur wenige Menschen direkt, und deren Widerstand dringt nicht durch. Zu viel Gülle belastet Äcker und Gewässer des Bundeslandes. Der eklatante Wassermangel in der ganzen Region spitzt sich dramatisch zu.
Doch bis jetzt fanden europäische Fleischmultis in Aragonien perfekte Bedingungen vor: Wenig Kontrollen auf die Einhaltung von Umweltschutzauflagen; wenig Widerstand aus der Zivilgesellschaft; viele Arbeiter:innen aus Subsahara – und Nordafrika, die als Migrant:innen kaum Möglichkeiten haben ihre Arbeitnehmer:innenrechte geltend zu machen. Hinzu kommt ein Mindestlohn von nur rund sechs Euro/Stunde. Spanien ist eine der letzten europäischen Bastionen ohne Fälle Afrikanischer Schweinepest (ASP). Immer wieder platzten Exporte nach China und Russland wegen Importbeschränkungen aus Angst vor der Tierseuche.
Kein Wunder also, dass auch der deutsche Multi Tönnies 2020 ankündigte, in Aragonien investieren zur wollen. 2,4 Mio. Tiere sollten entsprechend der Pläne in einer neuen, in Teilbereichen vollautomatisierten Mega-Schlachthofanlage pro Jahr geschlachtet werden. Die Lokal-Politik ließ sich zum Teil über das Versprechen von Gewerbeeinnahmen und Arbeitsplätzen ködern.
Vor Ort konnten wir im letzten April mit lokalen Aktivist:innen und Vertreter:innen von BIs und Umweltschutzorganisationen sprechen. Sie berichteten von Repressionen – die von persönlichen Drohungen bis hin zu strategischen Klagen gegen sie reichen. Denn viele verdienen am System mit: Die, die ihre Ackerflächen für die Gülle-Abfälle zur Verfügung stellen; die, die Mastanlagen für die Schweine der Konzerne vermieten sowie Pharma- und Futtermittelkonzerne.
Faire Bedingungen fehlen bei Tönnies an vielen Stellen, Beschäftigte berichten weiterhin von Gewalterfahrungen, von hohem Druck und schwer durchzuhaltender Belastung
Wir demonstrierten vor Ort in Calamocha mit Viehhirt:innen, die noch weitere Verknappung ihres Landes und ihrer Einkommensmöglichkeiten befürchteten, Tierrechtler:innen und Umweltschützer:innen gegen den geplanten Bau. Auf unserer weiteren Tour machten wir auf die Pläne des deutschen Großkonzerns, sich in der Region niederzulassen, aufmerksam. Die Menschen waren froh über eine Gegenöffentlichkeit in Deutschland, die sich mit ihnen gegen die weitere Ansiedelung von Fleischindustrie in ihrem Land solidarisch zeigt und stark macht.
Recherchen zum Greenwashing
Im Rahmen unserer Vorrecherchen kontaktierten wir mehrere international arbeitende Umweltorganisationen. Ein Netzwerk hatte gerade eine Internetseite herausgebracht, die Einblicke in die Trickkiste des Greenwashing gewährt. Wir durften diese „Anleitung“ übersetzen und arbeiteten damit an der Tönnies-Agenda t30: Wie großartig ist das versprochene Ende von Soja von frisch entwaldeten Flächen in Südamerika, wenn die EU gerade (endlich) eine Richtlinie verabschiedet hat, die solches Soja sehr bald sowieso verbietet? Ja, Tönnies war etwas schneller als die EU-Vorgabe. Aber der Konflikt um die Zerstörungen von Regenwäldern und Savannen samt massiver Menschenrechtsverletzungen in Brasilien und Nachbarländern ist seit über 30 Jahren massiv in der Öffentlichkeit.
Wie sehr kann uns beruhigen, dass Tönnies an Futtermischungen für Schweine arbeitet, die weniger Treibhausgase durch die Ausscheidungen der Tiere freisetzen? Müssten wir nicht endlich darüber reden, wie es gelingt, mit viel weniger Fleisch auszukommen statt auf Techno-Fixes zu setzen?
Und wie laut kann man Tönnies loben für die beschriebenen neuen sozialen Standards? Seit die Werk- und Leiharbeitsverträge der Vergangenheit angehören, hat sich nach unseren Recherchen in den Schlachthöfen viel zu wenig verändert.
Die Arbeitslosenselbsthilfe ALSO in Oldenburg berät seit Jahren Beschäftigte in der Branche. Sie berichtet, dass faire Bedingungen bei Tönnies an vielen Stellen fehlen. Beschäftigte berichten weiterhin von Gewalterfahrungen, von hohem Druck und schwer durchzuhaltender Belastung.
Und was verspricht Tönnies? Es gibt neuen Wohnraum, aber ein Schlafzimmer müssen sich zwei Menschen teilen, pro Badezimmer sieht der Standard sechs Menschen vor. Ganz schräg wird es, wenn man bedenkt, dass genau dieser Konzern seine Spitze zu Milliardären gemacht hat und sich im Netz einige Schnappschüsse von Tönnies-Villen finden: Dort gilt eher sechs Badezimmer pro Person als der Tönnies-Standard.
Kontakt mit Tönnies
Nachdem wir in einem Newsletter unsere Pläne andeuteten, klingelte das Telefon. Es meldete sich die Tönnies-Unternehmenskommunikation. Man hatte von unserer angekündigten „Überraschung“ gehört und wollte das Gespräch suchen. So trafen wir Ende Januar 2024 drei Herren von Tönnies online. Unter ihnen Thomas Dosch. Der Austausch brachte einige interessante Erkenntnisse und Kontraste. Zum einen erläuterten unsere Gesprächspartner mit schönen Worten das große Interesse ihrer Firma an mehr Nachhaltigkeit und am Dialog mit Umwelt- und Tierschutzorganisationen. Zum anderen erklärten sie uns, dass sie eine starke Rechtsabteilung hätten, für den Fall, dass man ihnen Falsches unterstelle oder angreifbare Aktionsformen wähle. Wir bohrten bezüglich der Pläne für den Schlachthof in Spanien immer wieder nach und hörten u.a., dass „es jemand anderes macht, wenn wir es nicht tun“. Und dass Tönnies schließlich auch Geld verdienen müsse.
Wie vereinbart schickten wir nach dem Call unsere Kritik an der Agenda t30 nach Rheda Wiedenbrück und bekamen kurz vor Ende Februar eine umfangreiche Antwort. Sie zeigt noch einmal, wie detailgenau die Ziele der Firma Tönnies ausgearbeitet sind und kann bei Aktion Agrar eingesehen werden. Sie veränderte unsere Kritik allerdings nicht.
Aktion und Ausblick
Am 29. Februar schalteten wir unsere Greenwashing-Website frei und packten unsere Banner an den beiden Tönnies-Standorten aus. Wir freuten uns über lokale Aktive aus unserem Verteiler, über eine Gruppe Tierrechtler:innen, Vertre-ter:innen der Naturfreunde, mehrere Parents for future und Anwohner:innen, die unsere Aktionen vor Ort unterstützten.
Ein Journalist konnte am Aktionstag mit der Unternehmenskommunikation in Rheda-Wiedenbrück sprechen und erfuhr, dass der Spanien-Plan beerdigt worden sei. Am nächsten Tag stand es in den spanischen Zeitungen und wir bekamen jubelnde Nachrichten von unseren Gastgeber*innen der Reise im letzten Jahr. Jetzt sind wir gespannt, wie es weitergeht. Einen Offenen Brief an die Firma Tönnies, dass sie zuvorderst den Schlachthofbau in Spanien aufgeben soll, haben wir nicht für Unterschriften freigeschaltet. Wir haben stattdessen gefeiert.
Und wir hoffen, dass uns weitere Menschen im Netz und über unseren etwa wöchentlichen kostenlosen Newsletter begleiten. Wir haben noch viel vor (2).
(1) Siehe auch: https://www.graswurzel.net/gwr/2020/12/schweinesystem-a-la-toennies/
(2) https://www.aktion-agrar.de/newsletter
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.