In einem Büro im dritten Stock eines Wohnhauses in Berlin-Prenzlauer Berg, in dem auch der Berliner Landesverband der Grünen Liga residiert, sitzt die Redaktion vom Raben Ralf. Es hat den Flair der guten alten Zeit der Printmedien – an den Wänden reihen sich Aktenordner und auf den Schreibtischen stapeln sich Notizzettel. Dennoch, einiges hat sich schon im Laufe der Zeit geändert. Aus der anfänglich monatlichen Erscheinungsweise mit 16 Seiten ist mittlerweile eine zweimonatliche mit 32 Seiten geworden. Auch die Rätsel- und Kinderseite gibt es nicht mehr und das Format ist handlicher geworden. Ansonsten ist man sich und dem kritischen Anspruch treu geblieben. Der Name – Rabe Ralf – ist auch geblieben und gefällt der kleinen Tochter von Redakteur Johann sehr gut. Der Schwerpunkt der Zeitung liegt auch weiterhin auf klassischen ökologischen Themen aus dem Natur- und Umweltschutz Aber wie auch in der Umweltbewegung aus der ehemaligen DDR, in deren Tradition die Zeitung steht, geht es darüber hinaus auch immer wieder um andere gesellschaftliche Themen, z.B. um Rechtsextremismus im Umweltschutz, Wald-Darstellungen im Black Metal oder Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – häufig auch aus libertär-anarchistischer Sicht. Das ist nicht zuletzt damit zu erklären, dass sich unter den Autor_innen immer wieder Namen finden, die man auch als mehr oder weniger regelmäßige Beiträger_innen aus der Graswurzelrevolution kennt. Die gemeinsame Präferenz für Basisbewegungen spielt natürlich auch eine Rolle. Damit könnte leider bald Schluss sein…
„Berlins letzte Umweltzeitung steht vor dem Aus“, lautete der Untertitel eines Beitrages in der Dezemberausgabe vom Raben Ralf im vergangenen Jahr. Im Fließtext wird es dann noch konkreter: „Bis Mitte 2024 wird eine mittelfristige Finanzierung für den Raben Ralf benötigt, um die Schließung der Redaktion zum Jahresende 2024 zu verhindern. Wir brauchen etwa 20.000 Euro pro Jahr und der Rabe fliegt weiter!“ Es ist nicht die erste Krise, in der sich der Rabe Ralf in seiner über dreißigjährigen Geschichte (1) befunden hat, gesteht „Chefredakteur“ Matthias, ein studierter Mathematiker, ein. Diesmal scheint es aber ernster und existentieller als früher zu sein. Steigende Kosten – vor allem die Druck- und Portokosten – machen der von der Grünen Liga Berlin mitfinanzierten Zeitschrift (2) arg zu schaffen. Die generellen Preissteigerungen belasten auch die Grüne Liga Berlin, so dass sie Schwierigkeiten hat, im gewohnten Maße das Projekt zu unterstützen. Dabei sind die Kosten an sich für ein Projekt wie dieses nicht sonderlich hoch – Matthias hat nicht mal eine Vollzeitstelle, auch wenn die anfallende Arbeit dies sicherlich rechtfertigen würde.
Unterstützung erhält er u.a. von Menschen, die ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Redaktion machen, und vielen Ehrenamtlichen, die Artikel, Fotos und Zeichnungen beisteuern oder die Ausgaben alle zwei Monate in Bioläden, Bezirksämtern und Bibliotheken in Berlin auslegen. Der Rabe Ralf ist seit jeher eine „Mitmachzeitung“ im positiven Sinne. Jede_r kann hier mithelfen – sei es mit seiner/ihrer Arbeitskraft oder einfach „nur“ finanziell. Helfende Hände sind jederzeit willkommen – gerne auch FÖJler_innen.
Der Name der Zeitung – Rabe Ralf – ist einem Gedicht von Christian Morgenstern entliehen.
„Der Rabe Ralf
will will hu hu
dem niemand half
still still du du
half sich allein
am Rabenstein
will will still still
hu hu“
heißt es in der ersten Strophe jenes Gedichtes des deutschen Lyrikers. Morgensterns Galgenlieder stehen noch an prominenter Stelle im Regal – gleich neben dem vom Raben herausgegebenen Kochbuch. Früher wurde in jeder Ausgabe ein Gedicht aus der Sammlung abgedruckt. Mittlerweile ist abgedruckte Lyrik rar geworden, aber die Kochrezepte sind dafür ein integraler und wichtiger Bestandteil in jeder Ausgabe.
Der Untertitel – „Die Berliner Umweltzeitung“ – klingt etwas hochtrabend und trifft auch nicht genau den Kern der Sache. Einerseits gibt es natürlich noch andere Umweltmagazine, die in Berlin produziert werden, und andererseits ist die Bedeutung des Raben Ralf über die Stadtgrenzen hinaus gegeben. Dabei ist es Johann wichtig zu betonen, dass es nicht darum geht, dass „Städter_innen der Landbevölkerung ökologisches Handeln erklären“.
Im Dezember 1990 wurde der Rabe Ralf aus der Taufe gehoben. Damals wie heute ist die Grüne Liga Berlin (3) offiziell Herausgeberin der Zeitschrift – auch wenn der Rabe unabhängig ist. Heute kann die Zeitschrift als das längste und größte Projekt jenes ökologischen Netzwerkes gelten, das sich in der Wendezeit als Grüne Liga formierte. Damals spaltete sich die Umweltbewegung der DDR in zwei Strömungen – ähnlich wie es im Westen gut zehn Jahre zuvor geschah. Ein Flügel suchte in der Partei(en)-gründung sein Heil, der andere Flügel blieb dem Bewegungsgedanken treu und gründete u.a. die Grüne Liga als „Netzwerk Ökologischer Bewegungen“. Dieser Bewegungsgedanke ist immer noch erkennbar, auch wenn der Rabe mittlerweile als eine gesamtdeutsche Zeitschrift gesehen werden kann – im Gegensatz z.B. zum telegraph als Nachfolgeorgan der legendären Umweltblätter, die unter dem Dach der Umweltbibliothek erschienen. Der telegraph, bei dem heutzutage Umweltthemen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, sitzt aber auch nur eine Parallelstraße entfernt im Haus der Demokratie und Menschenrechte.
Ein Meilenstein des Zusammenwachsens der Umweltbewegungen im Raben war sicherlich die zweijährige Kooperation mit der Berliner Luft-Zeitung, einem Medium der Westberliner Umweltbewegung (4). Mitte / Ende der 1990er Jahre gab man gemeinsam mehrere Doppelausgaben heraus – bevor die Berliner Luft-Zeitung ganz eingestellt wurde. Matthias kann sich noch gut daran erinnern. Er war damals bereits Redakteur beim Raben. Nachdem dieser schon Anfang der 90er einen Leserbrief von ihm kurzerhand als Leitartikel abgedruckt hatte, war der Weg zum Raben für ihn schon vorgezeichnet gewesen. Mit einer mehrjährigen Unterbrechung, während der er bei einer anderen Umweltzeitung als Redakteur arbeitete, ist er seit 1993 dabei. Johann ist seit ca. drei Jahren an Bord und unterstützt Matthias tatkräftig bei der Arbeit.
Der Rabe hat auch schon mit seinen Artikeln einiges bewirkt und kann ein paar augenfällige „Erfolge“ verzeichnen. Der wichtigste Erfolg ist die Umbenennung des seit 1997 vergebenen Berliner Naturschutzpreises Victor-Wendland-Ehrenring, nachdem man über die braunen Verstrickungen des Namensgebers Victor Wendland, eines hohen NS-Beamten, aufgeklärt hatte. Er hatte nach dem Krieg die Rehabilitierung der bedeutenden jüdischen Naturschützer Max Hilzheimer und Benno Wolf verhindert. Auf die Berichterstattung hin wurde dieser Preis umbenannt. Auch die mediale Unterstützung einer Klage des Berliner Naturschutzbundes gegen den Ausbau des Friedhofs in Gatow auf Kosten geschützter Zauneidechsen trug zu deren Erfolg bei.
Der Redaktion ist es wichtig, dass man sich nicht nur in der klassischen Ökoblase bewegt und „preaching to the converted“ betreibt, sondern auch Leute, die nicht so viel mit Umwelt am Hut haben, zu erreichen und für solche Themen anzufixen versucht. Das zeigt sich in dem Konzept, eine kostenlose Mitnehm-Zeitung zu produzieren. Seit seiner Gründung erscheint der Rabe Ralf in einer Auflage von 10.000 Stück und wird kostenlos ausgelegt. Zwischen den vielen, werbefinanzierten Hochglanzmagazinen, die Lifestyle-Themen bringen oder Veranstaltungen bewerben, wirkt er etwas unscheinbar und aus der Zeit gefallen. Dennoch findet er immer wieder seinen Weg zu neuen Leuten. Zeitweilig hat man es sogar mal mit einer Kooperation mit einem Lesezirkel versucht, auch um an ein anderes Klientel in Arztpraxen oder Friseursalons heranzukommen, aber das hat damals nicht geklappt. Um aber auch in Zukunft die umfängliche Verbreitung leisten zu können, braucht der Rabe sowohl ein paar hundert zusätzliche Abos (25 Euro pro Jahr) – vorrangig Soliabos (ab 40 Euro im Jahr) – als auch bezahlte Werbung und (regelmäßige) Spenden. Die Preise sind so gehalten, dass es sich möglichst viele Menschen leisten können, einen Raben frei Haus zu erhalten – vielleicht auch als Zweitblatt zur Graswurzelrevolution. „Es ist ein solidarischer Akt, den Raben zu abonnieren“, erklärt Matthias. Eine Umstellung auf eine reine Onlineausgabe kommt weder für ihn noch für Johann in Frage. Es gibt zwar eine kostenlos downloadbare PDF und auch einzelne Artikel im Netz und an manchen Verteilstationen prangt auch ganz professionell ein QR-Code, der zur jeweiligen Ausgabe führt, aber das sind verglichen mit der Printausgabe kleine Spielereien. Dann würde man diesem Anspruch, auch andere Menschen jenseits der Filterblase zu erreichen, nicht mehr gerecht werden. In Zeiten, wo immer mehr Printpublikationen eingestellt werden – zuletzt etwa das Greenpeace Magazin – wäre es wünschenswert, wenn der Rabe als Printausgabe überleben würde. Es ist daher wichtig dafür zu sorgen, dass der lebensfrohe Rabe nicht dem Pleitegeier zum Opfer fällt – und noch weiter fliegt und berichtet. Johann bringt es mit den folgenden Worten auf den Punkt: „Es geht nur mit Solidarität!“
(1) Anlässlich des dreißigjährigen Bestehens erschien eine lesenswerte Schwerpunktausgabe des Raben. Sie kann hier kostenlos eingesehen werden: https://raberalf.grueneliga-berlin.de/archiv/jahrgang-2020https://raberalf.grueneliga-berlin.de/archiv/jahrgang-2020
(2) Bisher trägt die Grüne Liga Berlin noch mehr als 50 % der anfallenden Kosten. Es ist damit das größte und zudem das langlebigste Projekt des Vereins.
(3) Vgl.: www.grueneliga-berlin.de.
(4) Die Zeitschrift wurde damals von der Berliner Aktionsgemeinschaft gegen das Waldsterben herausgegeben.
Link zum Raben Ralf
(inkl. Download-, Abo- und Spendemöglichkeit):
www.der-rabe-ralf.de
Betterplace-Spendenseite:
betterplace.org/projects/86472