Ein Hoch auf die Vielfalt

Wer dieses Buch besitzt, wird es behalten wollen: „Hier kommt Pia!“

| Harald Gewehr

Sofie Želesnik, Helene Weber: Hier kommt Pia! Ein Huhn geht seinen Weg, BUCHER Verlag, Hohenems/Vaduz/München/Zürich 2024, 104 Seiten, Hardcover, 24,50 Euro, ISBN 978-3-99018-700-5

Das erste was auffällt: Das Buch ist schön. Die Henne Pia schaut einem mit leicht schräg gelegtem Kopf von der Frontseite an. Sie sitzt auf einer bunten Blumenwiese, die sich über den gesamten äußeren Umschlag ausdehnt.
In der vorderen und hinteren Umschlagseite befindet sich ein Memory-Spiel zum Ausstanzen mit 24 Bildpaaren. Wer die Bilder in dem Buch bewundert hat und den Inhalt kennt, sieht viel Bekanntes und wird sich beim Spiel gerne an Szenen im Buch erinnern.
Am Ende des Buchs befindet sich ein Umgebungsplan, der gerade, weil dort Orte gezeigt werden, die im Buch keine oder keine große Rolle spielen, für Kinder und Erwachsene sehr anregend sein kann.
Die farbigen Zeichnungen im Inneren des Buches sind detailreich, aufwendig und fantasievoll. Das erste Bild illustriert nicht nur die Handlung, sondern erweitert sie. Der Tageszeit angepasst, ist es vollständig in dunklen Grautönen ausgeführt. Es ist angemessen, dass die Grafikerin Helene Weber gleichberechtigt zur Autorin Sofie Želesnik auf dem Buchtitel erscheint.
Das Buch ist in erster Linie als Schau- und Vorlesebuch für Kinder zwischen fünf und acht Jahren geeignet. Kinder sollten auf jeden Fall bei der Erstlektüre von Erwachsenen unterstützt werden, denn es ergeben sich Fragen, die Kinder überfordern könnten. Wo liegt denn Kogoudou? Was ist Jause? Zudem wird das Buch an einigen Stellen philosophisch oder politisch. Auch der Humor wendet sich oft eher an Erwachsene, kann aber sicherlich auch gut Kindern vermittelt werden.
Die Handlung dreht sich um Andersartigkeit, Vielfalt und streift Themen wie LGBTQIA+, Fremdenfeindlichkeit und Mobbing.
Die Geschichte ist geradlinig. Das Buch erzählt vom ersten Schultag einer Henne aus einer Patchworkfamilie. Pia heißt die Henne, Ihr kleiner, fast andauernd müder Bruder ist ein Maulwurf und ihr Vater eine Ente. So was haben die Mitschüler:innen aus eher konventionellen Familien noch nicht gesehen. Die Fremdheit führt zu Mobbing.
Die Charaktere des Buches sind Tiere. Sie sprechen, verstehen sich gegenseitig und verhalten sich wie Menschen. Dies ist in Ordnung und wirkt nicht vermenschlichend, denn es ist eine Fabel. Kindern wird dies schnell klar sein: Sie wissen, dass Hühner kein Brot backen. Lediglich bei den Fähigkeiten und Vorlieben der Tiere wurden Anleihen aus dem Tierreich gemacht: Der Kater mag nicht schwimmen. Ein Huhn kann nicht tauchen – außer Pia. Sie hat es von ihrem Entenvater gelernt. Erwachsene und Kinder können sich gemeinsam überlegen, wie unterschiedlich Hühner, Katzen, Maulwürfe und vor allem Menschen in Wirklichkeit sind.
Das Buch eignet sich hervorragend zum mehrmaligen Lesen. Viele Zusammenhänge erschließen sich erst später im Buch. Diese gehen beim ersten Lesen schnell verloren.

Ein schönes Buch mit
liebevollen, detailreichen
Farbzeichnungen

Die durchgängige Benutzung des Präsens ist bei diesem Buch die beste Wahl, denn die vielen Bilder sind ja und waren nicht.
Mit 24,50 Euro ist „Hier kommt Pia!“ nicht teuer, wenn man zum einen die liebevolle Aufmachung berücksichtigt und zudem bedenkt, wie viel Spaß man mit dem Hardcover-Buch haben kann. Viele Kinder werden dieses Buch einfach behalten wollen, und sie werden es auch Jahre später hin und wieder in die Hand nehmen.
Die Art der positiven Auflösung des Buches kann man kritisieren. Pia das Huhn und ihr Bruder der Maulwurf retten die Situation und erlangen damit die Anerkennung ihrer Mitschüler:innen, die sie zuerst aufgrund ihrer Andersartigkeit ablehnten. Aber müssen Andersartige erst Heldentaten erbringen, um akzeptiert zu werden? Ist Toleranz und Anerkennung nicht vor allem vorhanden, wenn von der Norm Abweichende keine besonderen Fähigkeiten besitzen und keine besonderen Taten vollbringen? Aber auch darüber lässt sich prima anhand des Buches mit Kindern reden. Außerdem: Pia kann die Schulklasse nur retten, weil sie aus einer Patchworkfamilie kommt. Das ist wiederum charmant.