bücher

hoch die kampf dem

20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen

| Uwe Kurzbein

HKS13 (Hrsg.), hoch die kampf dem, 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen, Verlag Libertäre Assoziation, Verlag der Buchläden Schwarze Risse, Rote Straße, Hamburg, Berlin, Göttingen 1999, 39.- DM

Was haben sie sich dabei gedacht, die politischen Plakate, die scharfe Waffen sein sollen, Agitation von einsamen Kleberinnen an regennassen Häuserecken in Eile schief hingepappt, unter ständiger Angst, entdeckt zu werden, mit flatterndem Herzen diese Konspiration durchlitten, diese Plakate, von Wind und Regen gegerbt, vergilbt, verdreckt, die Plakate, die allesamt Ausdruck tatkräftiger Aktionen sind, diese Plakate reinzuwaschen und als Kunstwerk in einen Katalog zu packen, sie als schöne Bilder, als Wandschmuck zu mißbrauchen, legalisiert, gezähmt, die scharfen Zähne gezogen. Was haben sich die Verfasserinnen dabei gedacht?

Mit einem Aufruf angefangen

Die Verfasserinnen sind eine Menge Frauen und Männer, die vor längerer Zeit einen Aufruf in der Republik zu diesem Projekt gestartet haben, um möglichst viele Plakate der letzten 20 Jahre zusammenzutragen. Eines liegt bei solchen Büchern klar auf der Hand: Die Macherinnen haben mit viel Engagement die Plakate zusammengetragen und mit finanziellem Risiko dieses Buch produziert. Um es vorweg zu nehmen, das Engagement hat sich gelohnt. Als ich es in die Hand nahm, war ich sehr angenehm überrascht. Es ist handwerklich vorzüglich gemacht, sehr ansprechend, das Outfit mit Witz, die Plakate sehr fachgerecht und grafisch sehr überlegt zusammengestellt. Es sollte, schon so der erste Eindruck, in keinem eichernen Bücherschrank fehlen.

Dennoch, es ist ein typisches Szenebuch, bei dem ich allerdings den heimlichen Verdacht habe, daß es sich in den offiziellen Büchermarkt am Bahnhofskiosk hineinschlängeln soll. Es wird nicht gelingen.

Ein Buch für Kämpferinnen, für Oldies und Träumerinnen, für Polizei und Verfassungsschutz

Das Buch ist nichts für Leute, die von linker Politik keine Ahnung haben, oder die mit linker politischer Geschichte nichts zu tun haben wollen, und auch nichts für Leute, vor denen ich meinen Filius immer gewarnt habe. Es ist ein Buch für Kämpferinnen, für Oldies und Träumerinnen, die sich bei den Demos die Ohren abgefroren haben, für Leute, die Plakate machen, denn sie können hier vieles lernen.

Es ist auch ein Buch für die Polizei und den Verfassungsschutz, weil sie hier eine gute Übersicht über linke politische Propaganda bekommen, ein Nachschlagewerk gewissermaßen. (Wenn sie nicht ohnehin besser informiert sind.)

Es ist ein Buch für die Ossis, damit sie sehen können, wie der politische Widerstand im Westen den Kapitalismus und andere Sachen bekämpft hat. Gab es denn eigentlich keine Ost-Plakate während der Revolution? Egal, es ist ein Westbuch.

Hoch die Tassen, Kampf der Arbeit

Jetzt aber näheres zu dem Buch! Die äußere Aufmachung ist gewichtig, und deutet auf einen wichtigen Inhalt. Nun 20 Jahre Plakate auf einem Haufen wiegen einiges. Im doppelten Sinn. Der Einband ist fest und hart. Mit seinem ungewöhnlichen Format steht es weit aus meiner Bücherreihe heraus, womit ich meine, daß die Verfasserinnen schon möchten, daß ihr Werk an einem zentralen Platz steht, auf einem Altar gewissermaßen, meinem politischen, auf dem sich bereits einige Granit-Pflastersteine, rote Fahnen, mein schwarzer Helm und anders Zeug angesammelt hat. Mein Museum. Das ist dieses Buch in erster Linie, bevor anderes zum Vorschein kommt. Der Titel deutet auf längst Vergangenes hin und soll eigene Erinnerungen assoziieren: „Hoch die, Kampf dem“. Bei mir ist gleich ganz unpcmäßig gekommen: hoch die Tassen, Kampf der Arbeit, womit ich mich in die Schlange der auf vielen Plakaten inhaltlich wirklich blöden und nicht zu Ende gedachten Parolen einreihe.

Der Titel ist die erste Prüfung der Käuferin, denn sie entlarvt sich mit der ihr kommenden Assoziation und darf sich auf die Schulter klopfen: „Ja wir damals, weiß Du noch“, oder sich schämen, so wie ich, der ersteinmal ans Feiern und Faulenzen denkt. Die Verfasserinnen haben sicherlich mehr die Assoziation im Sinn: Hoch die Fahne, Kampf dem Kapitalismus, oder Hoch die internationale Solidarität, Kampf dem Imperialismus.

Der eine so. Die andere so, mit dieser ersten politischen Selbstbestimmung darf das Buch getrost, beruhigt aufgeschlagen werden.

Die Plakate sind nach Themen gegliedert, die jeweils mit einem kommentierenden, kritischen oder auch weiterführenden Text versehen sind. Diese Aufteilung entspricht etwa dem „Teilbewußtsein“, des sogenannten teilpolitischen Widerstandes: Antifaschismus, AKW-Widerstand, Freiheit für alle politischen Gefangenen. Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in der Welt, Frauenkampf und Häuserkampf, Antirassismus, Landebahn West und was es sonst noch alles gibt. Damit wird meines Erachtens auf ein Problem der politischen Szene hingewiesen, nämlich sich nicht als Ganzes zu begreifen, als autonomer, freiheitlich denkender Mensch, der ganzheitlich Widerstand leistet. Um diesen Gedanken weiterzuführen, muß er nicht den Widerstand als das erkennen, was er ist, nämlich Reaktion auf bestehende Verhältnisse.

So kommt er nicht in Versuchung, eigene, weiterreichende Visionen zu entwickeln und leben zu müssen. Ich hätte von dieser Sortierung abgeraten, und eher versucht, chronologisch die Bilder den Ereignissen zuzuordnen und nicht umgekehrt, wie die Verfasserinnen es gemacht haben. Wer sich die Mühe macht, die Autorinnen durchzusehen, wird erfreut feststellen, daß entsprechend dem pc- Mainstream wesentlich mehr Frauen zum Zuge kommen als Männer.

Es ist ein Stadtbuch

Es ist ein Stadtbuch. Ich lebe seit 198o auf dem Lande. Mir sind deshalb allerhöchstens eine Handvoll der Plakate zu Gesicht gekommen und die, die wir auf dem Lande verklebt und gemacht haben, fehlen, auch deshalb, weil für mich das Plakat nach der Aktion in den Archivordner kam, und der mittlerweile verstaubt irgendwo im Keller liegt.

Die Landplakate hatten stets auch nur eine einfache Bedeutung, nämlich zu einer Aktion aufzurufen, und nicht, wie es doch auch in dem Buch beschrieben ist, eine Grenzziehung, eine Markierung des eigenen Kiezterrains zu sein, gewissermaßen so, wie ein Hund überall hinpinkelt. Wer wissen will, was politisch auf dem Lande abgeht, sollte sich das Kommunebuch kaufen, was ich übrigens sehr empfehlen möchte.

Aufgrund dieser Entscheidung, die Plakate zu Themen zusammen zuordnen, ist eine Chronologie schwer zu erkennen. Aber das wäre sicherlich auch nur für die analytischen Kunstkritikerinnen interessant, nämlich herauszufinden, wie sich die Plakatekultur, die Bedeutung im Laufe der Zeit verändert hat. Im ersten Artikel wird dem nachgegangen, ein wichtiger und interessanter Einschub, Es ist ein Bilderbuch, und beim ersten Durchblättern scheinen die Bilder, nämlich die Plakate kein Ende zu nehmen. Es regt daher an, das Buch vor dem Schlafengehen aufzuschlagen, sich ein Plakat zu nehmen, das wegen der hier gezeigten „Verortung“ gar kein Plakat mehr ist, und in seinen Erinnerungen träumend zu schwelgen. Das werden sicherlich auch viele tun, anders ist das Buch auch gar nicht zu bewältigen.

Geschichten, Berichte, Aufsätze

Allerdings sind in dem Buch ja nicht nur Plakate abgebildet, sondern auch Geschichten, Berichte, Aufsätze zu den Inhalten, zu der Herstellung, zu den Diskussionen. Und diese Aufsätze sind meines Erachtens das Wichtige an dem Buch. Sie vermitteln einen Einblick in die Stadtszenerie, der das Buch auch für mich auf dem platten Lande interessant macht. Schade, daß der Text kleingedruckt ist, denn durch den sehr untergewichtig dargestellten Text, braucht es wirklich erst einmal Neugier, sich hier hineinzulesen. Fast alle Texte gehen auf die Geschichte der Teilbewegung ein und beschreiben die gezeigten Plakate.

Das geschieht in der üblichen, politischen verklärten Insidersprache, die mich oft in schieres Stauen versetzt. Sie haben auch nicht den Anspruch, von allen verstanden werden zu müssen. Sie sind sehr nüchtern. Ich hatte fast den Eindruck, als wären es notwendige Anhängsel, Schulaufsätze gewissermaßen, denen anzusehen ist, daß sie nicht mit Freude geschrieben wurden. Einige ragen jedoch heraus.

Das eine ist das Gespräch von Conni und Ela, das ich sehr unterhaltsam, spannend und anregend finde. Später habe ich gemerkt, daß das Gespräch gestellt war und „Conni und Ela“ der Name einer Autorin ist. Dieser literarische Gag sei erlaubt, hat er mich doch erfolgreich hinters Licht geführt. Gefreut hat mich, daß einige sich darangemacht haben, die Plakate und die Slogans kritisch zu hinterfragen. Klaus Viehmann hat das in seinem Aufsatz: „Fäuste, Fahnen Blumentöpfe“ sehr anschaulich getan, und mir oft aus dem Herzen gesprochen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn die Verfasserinnen in ihren Aufsätzen nicht die Plakate beschrieben hätten, denn Bildbeschreibungen bringen keine Spannung in das Buch. sondern die den Plakaten anhaftenden persönliche Geschichten, Erlebnisse, Ängste und Freuden, Nöte, Ärger beigebracht hätten. Solche Bücher müssen, sollen sie denn mehr sein als Kataloge oder Altar-Ikonen, lebendig werden.

Das abgebildete Plakat ist nicht mehr als plakative Kunst, mit wissenschaftlicher Phantasie der Betrachterin kann es analysiert und mit Tiefe ausgestattet werden, aber die Geschichten, die sich um jedes Plakat winden, hauchen ihm Leben ein. Wenn ich an meine Plakatsaison in meinem Leben denke, dann rankt sich eine Story an die andere. Schade, daß es in dieser Hinsicht, wie gesagt bis auf wenige, zu denen ich auch die Geschichte um die Rote Flora zähle, geblieben ist.

Das Entscheidende waren für die Sammlerinnen die Plakate, zweifellos, dazu hatten sie vorher aufgerufen, und ich meine, es ist ihnen auch gelungen haufenweise zusammenzutragen.

Die, die nicht im Buch abgedruckt wurden, lassen sich von der beigelegten CD betrachten und macht das ganze Unternehmen auch so zu einem Lexikon, zu einem Fundus, auf den zurückzugreifen zu vielen Gelegenheiten sinnvoll ist. Was auch immer meine Kolleginnen Rezensentinnen sagen mögen:

Das Buch ist der Beweis für eine lebendige alternative Stadtkultur. Das wichtigste, was mir dieses Buch deutlich gemacht hat, ist, daß Plakate mit ihrer Agitationsabsicht und mit den verwendeten Symbolen und Farben eher die Gefühle ansprechen sollen als den Intellekt, den Grips, den Verstand. Symbole sind Botschaften an das Unterbewußte. Und das Unterbewußte ist in politischen Strömungen und Bewegungen stets eine gefährliche Angelegenheit. Natürlich muß in der Politik auch Platz für Gefühle sein, andererseits ist für die politische Analyse und für den Widerstand auf den Verstand nicht zu verzichten. Wenn ich mir politische Plakate wünsche, dann müßten sie in erster Linie ausführlich informieren und auch von Frauen und Männern zu verstehen sein, die in dem pc- Mainstream nicht zu Hause sind. Wenn ich noch einen Wunsch frei hätte: Sie sollten der intelligente Ausdruck einer Szene sein, die von sich sagt, sie sei links politisch. Ich kann mich noch an einen Ausdruck meiner Freundin erinnern, die vorwurfsvoll auf einen riesigen Schriftzug der Antifa in Göttingen hinwies: „Krieg dem Krieg“ und sie kopfschüttelnd meinte, daß sei inhaltlich Unsinn. Mobilisierungsmethoden lassen sich über das Internet heutzutage wesentlich effektiver gestalten als mit dem Plakat.

Ende des Agitationsplakats?

So meine ich, wird das traditionelle politische Agitationsplakat wenn nicht abgelöst, so doch eine andere Bedeutung erlangen, wie zum Beispiel als politisches Bekenntnis in der WG-Küche, oder, wie erwähnt als Grenzziehung des Kiezterritoriums. Aber dennoch: Ein Schacht Konrad Plakat, oder ein Tag X Plakat an einem ICE oder an die Polizeiwache geklebt, wird immer Freude verbreiten: Es gibt sie doch noch, die illegal geklebten Plakate, auch außerhalb des Quartiers. (Und wie ich gerade höre, boomt es gerade gehörig!) In diesem Sinne, so lange der Vorrat reicht.