Bei der Wahl zum österreichischen Parlament, dem Nationalrat, wurde die rechtsextreme Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) erstmals in der Geschichte des Landes die stimmenstärkste Partei. Ein „Rechtsruck“ ist das allerdings nur bedingt.
Anders als die AfD in Deutschland gehört die FPÖ in Österreich seit Jahrzehnten zum festen Inventar der politischen Landschaft. Zwar stand sie meist etwas abseits bei der Aufteilung des Landes in „rote“ und „schwarze“ Institutionen, dennoch war sie an zahlreichen Landesregierungen beteiligt sowie mehrfach an der Bundesregierung. Derzeit regiert sie in drei Bundesländern mit. Spätestens seit ihrem Aufstieg unter Jörg Haider in den späten 1980er Jahren verfügt die Ultrarechte in Österreich über ein konstantes Wähler*innenpotenzial von knapp dreißig Prozent, das mal mehr und mal weniger ausgeschöpft wird. Bei der Direktwahl des Bundespräsidenten 2016 war der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer sogar in die Stichwahl gekommen und konnte gegen den jetzigen Präsidenten Alexander van der Bellen immerhin 46,2 Prozent der Wähler*innenstimmen auf sich vereinigen. Dennoch sieht sich die FPÖ als Protestpartei und es gelingt ihr auch, bei den Wähler*innen als solche wahrgenommen zu werden. Ihr Vorsitzender, Herbert Kickl, spricht von den anderen Parteien als „Einheitspartei – bestehend aus ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos“.
Schien die FPÖ nach der Abspaltung des Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) durch Haider 2005 kurzzeitig am Ende, ist sie nach Haiders Tod 2008 unter Heinz-Christian Strache wieder zur Regierungspartei in der Koalition mit der konservativen ÖVP geworden. Nach der sogenannten Ibiza-Affäre 2019, der Veröffentlichung eines Videos, in dem Strache seine Dienste einer vermeintlichen Oligarchin angeboten und sich als durch und durch korrupt erwiesen hatte, zerbrach die Koalition mit der ÖVP.
Nur fünf Jahre später ist das alles wieder vergessen – oder wird billigend in Kauf genommen. Nach Straches Niedergang erlebte der langjährige Redenschreiber und FPÖ-Werbetexter Herbert Kickl seinen großen Durchbruch. Dass Kickl bei der diesjährigen Wahl mit dem Anspruch angetreten war, „Volkskanzler“ zu werden und sich dabei eines Begriffs bediente, den zuletzt Adolf Hitler für sich in Anspruch genommen hatte, machte bei seinen Anhänger*innen keinen großen Eindruck, zumindest keinen negativen.
Wähler*innenstimmenanalysen zeigen, dass die mehr als zehn Prozent Zuwachs bei dieser Wahl vor allem von ehemaligen ÖVP-Wähler*innen stammen. Die Partei von Kanzler Karl Nehammer hat mehr als zehn Prozentpunkte verloren. Während die SPÖ in Wien mit zehn Prozentpunkten Abstand vor der FPÖ stärkste Kraft wurde, ist der Rest des Landes fest in rechter und rechtsextremer Hand: In den Bundesländern Kärnten, Steiermark, Oberösterreich und Burgenland kam die FPÖ auf Platz eins, in Vorarlberg, Salzburg, Tirol und Niederösterreich gewann die ÖVP, allerdings jeweils nur knapp vor der FPÖ. Während die FPÖ bis auf Klagenfurt (Kärnten) keine der neun Landeshauptstädte für sich gewinnen konnte (allerdings häufig nur knapp hinter ÖVP oder SPÖ lag), ist sie in den ländlichen Gemeinden dominanter denn je.
„Nein zum Verbot von Verbrennermotoren“, „Strenge Strafen für ‚Klimakleber‘“, „Befreiung vom wohlstandszersetzenden ‚Green Deal‘ der EU“ – das sind nur einige der umweltpolitischen Slogans aus dem FPÖ-Wahlprogramm, das letztlich also in dem Satz „Scheiß auf zukünftige Generationen!“ zusammengefasst werden könnte.
Dabei hätte sogar die Sozialdemokratie dieses Mal eine echte systemimmanente Alternative bieten können. Aber der seit rund einem Jahr amtierende SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler, der so etwas wie der erste Linke an der Parteispitze seit dem Austromarxismus der 1910er und 1920er Jahre ist, hat nicht den erhofften Aufschwung bringen können. Ehemals Bürgermeister von Traiskirchen, wo Österreichs größte Erstaufnahmestelle für Asylbewerber*innen ist, steht er auch migrationspolitisch für einen gemäßigten Kurs. Da kann einer die längst überfällige Erbschafts- und Vermögenssteuer fordern, solange er die „Fremden“ nicht draußen hält, bleibt er für viele unwählbar. Babler wird es weiterhin schwer haben, denn er hat auch große Teile des strukturkonservativen SPÖ-Parteiapparates gegen sich.
Dass Babler nicht mehr Stimmen auf sich ziehen konnte und die KPÖ, die gemeinsam mit der erst 2020 gegründeten Partei LINKS antrat, mit ihren zentralen Themen Wohnen und Care-Arbeit wieder nicht den erhofften Einzug ins Parlament schaffen konnte, liegt einfach auch an bestehenden, stockkonservativen und regressiven Einstellungsmustern: Viele Leute wollen eine „Festung Österreich“ (wie sie die FPÖ im Wahlprogramm und auf Plakaten propagiert). Viele hassen Migrant*innen gerade da, wo es kaum welche gibt (ähnlich wie in Ostdeutschland) und wollen von Geschlechtergerechtigkeit (im FPÖ-Programm „Woke- und Gender-Irrsinn“ genannt) und Tempolimits auf Autobahnen nichts hören. Trotz der verheerenden Überschwemmungen zwei Wochen vor der Wahl, war Ökologie im Wahlkampf (außer bei den Grünen) kein Thema. Der staatliche Fernsehsender ORF hatte den Klimawandel in all den Sondersendungen zum Hochwasser kaum erwähnt und damit der rechten Ignoranzpolitik zweifellos in die Hände gespielt.
„Nein zum Verbot von Verbrennermotoren“, „Strenge Strafen für ‚Klimakleber‘“, „Befreiung vom wohlstandszersetzenden ‚Green Deal‘ der EU“ – das sind nur einige der umweltpolitischen Slogans aus dem FPÖ-Wahlprogramm, das letztlich also in dem Satz „Scheiß auf zukünftige Generationen!“ zusammengefasst werden könnte.
Selbstverständlich vertritt die FPÖ auch andere Inhalte aus dem rechtsextremen Standardrepertoire: Förderung der heterosexuellen Kleinfamilie, „Null Toleranz gegenüber Drogen“, aber auch die „Förderung für Unternehmen, die attraktive Arbeitsplätze bieten“. Von ehemaligen Nazis gegründet und Jahrzehnte lang geführt, bleibt die FPÖ ihrer nie verleugneten Tradition treu: Die Waffen-SS möchte Kickl „nicht kollektiv schuldig sprechen“ und mit Vertreter*innen der Identitären Bewegung, die vom antifaschistischen Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) als „rechtsextreme Jugendorganisation mit vielfältigen faschistischen Anklängen in Theorie, Ästhetik, Rhetorik und Stil“ eingeschätzt wird, pflegt man inhaltliche und personelle Nähen.
Am Donnerstag, den 03.10.2024, demonstrierten in Wien rund 25.000 Menschen gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Sie knüpften dabei an die Donnerstagsdemonstrationen an, die im Jahr 2000 nach der ersten Regierungsbeteiligung unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) ins Leben gerufen und nach 2018 anlässlich der ÖVP-FPÖ-Koalition unter Sebastian Kurz (ÖVP) wieder reaktiviert worden waren. In der kommenden antifaschistischen Mobilisierung besteht auch für die – wie überall nach Corona, dem Krieg Russlands in der Ukraine und dem Nahostkonflikt heillos zerstrittene – Linke eine kleine Hoffnung auf Neuformierung. Schließlich geht es um eine menschlichere, gerechte, nicht von der Klimakatastrophe zerstörte Welt. Die großen Tageszeitungen Kurier und Kronenzeitung allerdings berichteten anlässlich der Demo erwartungsgemäß von „Chaos“ im Straßenverkehr. Das bildet vielleicht die Gemütslage vieler Österreicher*innen ganz gut ab. Faschismus? Wurscht! Hauptsache, man kommt mit dem Auto durch.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.