Die Geschwindigkeit einer Militarisierung mit all ihren Erscheinungsformen der Polarisierung und gewalttätiger Antworten, die „Frieden!“ brüllt und auf beiden Seiten Krieg meint, ist atemberaubend. Die militarisierten, nationalistischen Unterstützer*innen für ukrainische Soldaten, die sich selbst noch als Anarchist*innen betrachtet sehen wollen, bezeugen nur den Grad der Militarisierungswelle, die vor nichts und niemand Halt macht.
Die andere Variante dieser für Kriegslogik üblichen Polarisierung findet sich bei vielen kommunistischen Wiedergängern, die gerade Zulauf haben. Die Antworten sind auch dort einfach: Der russische Angriffskrieg wird relativiert, die NATO ist der Hauptgegner. Auch in Bezug auf den Nahost-Konflikt erleben wir stereotype Schubladen, welche die patriarchale Logik von Freund und Feind beständig zementieren. Die eine Seite feiert den 7.Oktober mit seinen Massakern und Vergewaltigungen durch die Hamas als Befreiungskampf. Die andere Seite massakriert – im staatlichen Auftrag als Akt der Selbstverteidigung – über 40.000 Menschen und wird von einer deutschen Staatsräson gedeckt, die Menschenleben ungleich wertet. Das Morden bleibt in der patriarchalen Logik eines Freund-Feind-Denkens gefangen.
Viele, die sich nicht in diese Kriegslogik hinein begeben wollen, stehen fassungslos am Rand und werden zu Zuschauer*innen degradiert. Im Getöse der Kriegspolarisierungen fühlt man sich bisweilen verloren und vereinzelt. Wir merken, der Versuch, so weiter zumachen wie bisher, funktioniert nicht. Entweder wir blenden die Ausweitung von Krieg, Militarisierung und patriarchaler Formierung in allen Teilen der Gesellschaft aus Gründen des Selbstschutzes aus, resignieren und ziehen uns zurück. Oder wir verfallen in einen Aktionismus, der den Ereignissen auch nur hinterher rennt. Müssten wir nicht stattdessen innehalten und überprüfen, worum es gehen könnte, um „vor die Kriege“ zu kommen? Einen anarchistischen, antimilitaristischen und queer-feministischen Kongress würden wir uns wünschen, der die Vereinzelung durchbricht und die Fundamentalist*innen beiderseitig entwaffnen will. Ein Austausch fehlt uns, in der Fragen einen Platz haben, die wir hier nur verkürzt aufwerfen können.
Anstatt uns in Analysen über spezielle Kriegsgründe zu verlieren, oder die besonderen geopolitischen Konfliktlinien zu studieren oder den weniger schlimmen Akteur ausfindig zu machen, wollen wir einige Ansatzpunkte skizzieren. „Vor die Kriege zu kommen“, das heißt für uns, jederzeit Militär, Militarismus und Patriarchat zusammen zu denken und ihre Entwaffnung in allen Ländern der Welt voranzutreiben. Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch von Patriarchat, Kolonialismus und allen Klassenunterschieden. Eine queere, feministische und antimilitaristische Analyse von Krieg und Militarisierung mit einer Prise Anarchismus zu würzen, um zur sozialen Revolution zu schreiten – darum geht es uns. Eine soziale Revolution ist alternativlos, wenn wir dem Militarismus auf allen Seiten die Waffe aus den Händen schlagen wollen. Dieser Beitrag wird sich nicht aufhalten mit den Fragen der Mittel, dies zu tun.
Die Soziale Revolution, auch gegen eine gewaltige, gewalttätige konterrevolutionäre Entwicklung innerhalb und außerhalb Europas, wieder denkbar zu machen, tritt aus der Zuschauer*innenrolle heraus. Das hieße, jene Komfortzonen zu verlassen, in denen wir uns eingerichtet haben, um sich den Fragen und Praxen zu stellen, die diese offensiven Schritte beinhalten. Füllen wir also den Begriff der „Sozialen Revolution“ praktisch.
Damit sind wir bei der zweiten These: Eine soziale Revolution, die nicht antipatriarchal ist, ist keine. Die Geschichte beweist uns diesen Fakt; in der Regel waren Revolutionen nur ein Sprungbrett zu neuen Machtformen. Beispielhaft drei Anregungen, die unser offensives Eingreifen bräuchte.
Geschlechterkonstruktion als Voraussetzung für permanenten Krieg
Die soziale Rollenzuweisung entlang zweier angenommener Geschlechter ist eine der Voraussetzungen von Kriegsfähigkeit. Ausgehend von Unterschieden zwischen den Geschlechtern wird entlang der Biologie ein soziales Geschlecht zu Angriff, Dominanz und Mord ausgebildet. Dem männlich gelesenen Körper werden kriegerische Eigenschaften zugesprochen. Die gesellschaftliche Formierung des Kindes zum Mann ist eine Voraussetzung, auf die sich eine patriarchale Mobilisierung zum Krieg jederzeit stützen kann. Dieser Zugriff auf den männlich gelesen Körper ist so alt wie unser Wissen um historische Kriege. Einhergehend mit den Rollenzuschreibungen „Frau“ und „Mann“ kommt es auch nicht darauf an, ob wir uns gerade in einem Krieg befinden und ob der Krieg anderswo gut oder schlecht läuft. Es braucht den Kriegszustand selbst, egal wo. Jeder Krieg anderswo berührt auch uns. Jede Militarisierung, wie wir sie derzeit erleben, begrenzt sich nicht nur in Kriegsdienstpflicht, Aufrüstung, Sozialkürzungen, Angriffe auf Arme und steigende Repression nach innen, sondern in einer mentalen Mobilmachung auf der Grundlage patriarchaler, z.T. gewalttätiger Konditionierungen, Disziplinierungen und Rollenzuweisungen entlang sozial konstruierter Geschlechter. Der permanente Kriegszustand im Patriarchat braucht eine angemessene Mentalität, die permanent abrufbar ist.
Schauen wir auf ein aktuell vermeintlich archaisches Schlachtfeld (trotz neuer hochtechnologischer Schlachten). Im Ukraine-Russlandkrieg morden und krepieren mehrheitlich zu Männern sozialisierte Menschen. Beide Staaten haben sich einen Zugriff auf die männlich gelesenen Körper organisiert und verfügen in Kriegszeiten über diese. Kriegsdienstverweigerung oder gar Desertion werden in Deutschland als Fluchtgrund noch nicht mal anerkannt. Hierzulande ist die Kriegsdienstpflicht für Männer nur ausgesetzt worden. Die „Wehrpflicht“ wird gerade wieder aktiviert.
Das ukrainische Militär hat den höchsten Frauenanteil (zwischen 15% und 20%) im Vergleich zu anderen europäischen Militärs (Bundeswehr z.B. 13%). Etwa 5.000 Frauen sind an der ukrainischen Front bei einer Truppenstärke von 500.000 Soldaten eingesetzt – entsprechend der patriarchalen Sozialisation als Kampfsanitäterinnen. Im modernisierten Patriarchat kann eine Frau auch Soldat werden. Dies findet zu den Bedingungen statt, in denen das Patriarchat den Übergang organisiert hat. Füllt die als Frau Gelesene die patriarchale Rolle des „männlichen“ Kriegers aus, ist der Grenzübertritt kein Problem. Sie steigt in die patriarchal vorgefertigte Rolle, die dem männlich gelesenen Körper vorbehalten war, wenn sie Befehl und Gehorsam akzeptiert, die Uniform trägt, die Nation, das „Vaterland“ verteidigt, mordet oder sich ermorden lässt, wenn dies den patriarchalen Kommandos sinnvoll erscheint. Soldatinnen stellen das patriarchale System nicht in Frage, sie stabilisieren es. Machen wir uns keine Illusionen: Ähnlich wird es auch für Transgender oder nonbinäre Persönlichkeiten funktionieren.
Geschlechtsmerkmal: deutsch, männlich, weiß
Die vermeintliche Auflösung der sozialen Geschlechternormierungen hat einen Backlash zur Folge. Auf Seiten der AfD wird das „Gendern“ als Zersetzung betrachtet. Zersetzen ist ein Begriff aus dem Militärischen und kennzeichnet die Schwächung der eigenen Kampfkraft. Im Sinne der AfD werden klare patriarchale Strukturen zersetzt (Familie, Mann als Oberhaupt, weiß, klare Rollenzuweisung). Die klare Polarität zwischen Mann und Frau mit den zugeschriebenen und zum Teil gewaltsam durchgesetzten Rollen werden für die Kriegs- und Mobilisierungsfähigkeit von männlich gelesenen Körpern gebraucht. Der AfD-Europaabgeordnete Krah auf tiktok: „Du bist kein nonbinäres Einhorn, sondern ein Mann.“ Er riet jungen Männern dazu, sich nicht einreden zu lassen, „dass du lieb, schwach und links zu sein hast“. Echte Männer seien rechts, „dann klappt es mit der Freundin.“
Eine queere, feministische und antimilitaristische Analyse von Krieg und Militarisierung mit einer Prise Anarchismus zu würzen, um zur sozialen Revolution zu schreiten – darum geht es uns.
1,3 Millionen Aufrufe. Junge Männer goutieren diese „kumpelhaften“ Tipps mit ihrem Kreuz auf dem Wahlzettel. Mann steht fast schon „Gewehr bei Fuß“.
In dieser Logik mobilisieren die AfD und faschistische Kreise gegen queere Menschen, weil sie im kulturellen Kampf einer deutschen, weißen und patriarchalen Identität im Wege stehen. Ihre Zuschreibung in Frau und Mann korrespondiert mit anderen patriarchalen Polarisierungen von gut-böse, Freund-Feind, Schwarz-weiß, Gesund-krank. Sie legitimiert die Abwertung bis hin zur Vernichtung der Abweichungen von der Norm. Ein Antifaschismus auf der Höhe der Zeit zielt auf die Entmachtung und Entwaffnung patriarchaler Strukturen und Akteure.
Krieg ist Frieden – über den bewaffneten Frieden
In Friedenszeiten findet täglich ein Krieg gegen Frauen* und queere Menschen statt, sowie gegen Männer*, die zu weich scheinen. Die Verfügungsgewalt über den Körper der Frau* muss nicht über alle „Männer“ durchgesetzt werden. Es reicht, als Teil der männlich gelesenen Körper und zu Männern formierter Menschen angesehen zu werden, die sexualisierte Gewalt bis hin zur Vergewaltigung gegenüber weiblich gelesener Körper im Alltag, in der Familie, auf der Arbeit, in der Beziehung praktizieren, um als Signal an alle als Frauen sozialisierte Menschen zu gelten. Dieser Zustand ist ein permanenter Krieg inmitten sogenannter Friedenszeit und korrespondiert mit „Vergewaltigung als Kriegswaffe“. Diese Gewalt garantiert die Geschlechterhierarchie und zwingt „Männer“ wie „Frauen“ in die zugeschriebenen Rollen. Die erzwungene Reproduktion dient einer patriarchalen Produktion bis hin zum Krieg als Mittel der Eroberung. In Friedens- wie in Kriegszeiten ist das Zerbrechen der Autonomie selbstbewusster Frauen und der zu erobernde Körper und deren Identitäten als freie Wesen ein wesentliches Kriegsziel. Eine starke Bewegung würde Gebär- und Sexstreik und die Entwaffnung toxischer Männlichkeit zur Diskussion stellen.
Das nonbinäre Einhorn?
Wir entkommen dem permanenten Kriegszustand nicht, indem wir „nonbinäre Einhörner“ werden und uns den Rollenzuweisungen individuell zu entziehen versuchen, sondern indem wir patriarchale Strukturen angreifen, sie zersetzen und anfangen, die Waffen des Patriarchats zu zerbrechen. Die materielle Zerstörung von Waffen ist niemals zu verachten. Doch die ideologische Entwaffnung greift auch die Träger (und Träger*innen) und ihre Kommandos fundamental an. Greifen wir den patriarchalen Normalzustand als permanenten Krieg an und konfrontieren wir männlich gelesene Menschen mit einer anderen Perspektive, braucht es den Mut und die Kraft zur Konfrontation, denn damit geht es ans Eingemachte patriarchaler Identität, an Privilegien und liebgewonnener Kriegslogik, in der sich „mann“ eingerichtet hat. Ein antipatriarchaler Kampf unterminiert die Kriegsfähigkeit schon vor Kriegseintritt. Auch die Klassenfrage definiert sich neu, indem der weiße Arbeiter als revolutionäres Subjekt ausgedient hat. Wie sähe eine militante soziale Kultur aus, die sich zu verteidigen und anzugreifen weiß und zugleich jenseits der Rollenzuweisungen und patriarchalen Normierungen soziale Räume schafft, die attraktiv sind, die gut tun, die es wert sind, verteidigt zu werden?
Die Herausbildung sozialer Zusammenhänge, die im Kampfverhältnis stehen zu dem Rollback des Patriarchats und seiner gleichzeitigen Modernisierung und der Vereinzelung der Menschen in den reichen Ländern, ist eines der wichtigen Ansatzpunkte, um überhaupt Ausgangsbasen für kollektive Kämpfe zu etablieren, die uns gerade schmerzlich fehlen.
Es geht um eine Entwaffnung fundamentalistischer und patriarchaler Strukturen über jede Landesgrenze hinweg. Das Patriarchat ist international organisiert. Dass sich verschiedene patriarchale Kommandos bekämpfen, ist für uns kein Widerspruch, sondern Sinn der kriegerischen Logik.
Die Perspektive eines sozialrevolutionären Ansatzes gegen Militarisierung ist es, hier einen Fuß zwischen die Tür zu bekommen und die Formierung männlich gelesener Menschen schon vom Kindesalter an zu unterbrechen und umzukehren. Die männlich gelesenen Körper aus den Schützengräben rauszuholen, damit sie diese Waffen gegen ihre Herren drehen oder die Waffen zerbrechen und desertieren, das entspricht einer Idee der Entwaffnung, die eine antimilitaristisch zu entwickelnde Bewegung diskutieren und offensiv kommunizieren müsste. Im Vietnamkrieg brach die Front der USA auch am starken Widerstand innerhalb des Militärs und an der „Heimatfront“ zusammen.
Vor die Kriege zu kommen heißt, die gesellschaftliche Formierung zu Männern und Frauen zu durchbrechen und beide Seiten aus den Schützengräben auch im Alltag rauszuholen. Das schließt uns ein. Konsequentes Eingreifen bei patriarchaler Alltagsgewalt ist eine Antikriegshandlung. Die Entwaffnung jener, die mit misogynen und queerfeindlichen Worten die Taten vorbereiten, schwächt die Kriegstüchtigkeit.
Erkennen wir nicht den patriarchalen Rollback, der in der aktuellen Entwicklung von Konflikten und Brandherden hin zu sich immer vermeintlich unübersichtlicheren Kriegen ausweitet, kommen wir nicht vor die Kriege. Wenn wir nicht erneut zuschauen wollen, wie die vielen kleinen Kriege zu einem großen, noch verheerenderen Krieg werden, dann brauchen wir neue Analysen, die den eingeschliffenen, traditionellen Blick verändern. Dazu braucht es eine Erprobung von Praxen, sei es eine Internationale zum Schutz aller Deserteure, sei es die Solidarität mit Kämpfen, denen ein antipatriarchales Moment innewohnt, um neue Bezüge herzustellen. Sei es eine Antifa, die sich und ihre Ziele neu definiert, sei es eine sozialrevolutionäre, anarchistische Bewegung, die mit anderen Gleichgesinnten losgeht, um diesen und alle zukünftigen Kriege jeder Mobilisierungsmöglichkeit und jedes Fundaments zu berauben.
Was es definitiv nicht braucht, sind Menschen, die jeden Konflikt militarisieren und sich auf eine Seite von Kriegsparteien schlagen.
Wir lassen uns auch für Diskussionen einladen: antikriegsgruppe@so36.net
Die Broschüre und Plakate zum Thema „Gegen jeden Krieg – das patriarchale Kommando entwaffnen“ sind bestellbar im Buchladen Schwarze Risse: schwarze_risse@posteo.de
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.