Abtreibung ist beliebter als Kamala Harris. Das zeigen die Ergebnisse der US-Wahl vom November 2024. Sieben von elf US-Bundesstaaten, in denen Volksabstimmungen abgehalten wurden, stimmten dafür, reproduktive Rechte in ihre Verfassung aufzunehmen, darunter vier Bundesstaaten, in denen die Mehrheit der Stimmen in der Präsidentschaftswahl an Donald Trump ging.
In allen elf Bundesstaaten stimmten mehr Menschen für Abtreibungsrechte als für Harris, mit einem Abstand von 5,8 Prozentpunkten in South Dakota und bis zu 19,6 Prozentpunkten in Montana. Seit der Supreme Court 2022 das landesweite Recht auf Abtreibung bis zur 24. Schwangerschaftswoche aus der Roe-Entscheidung kippte, setzen Aktivist_innen auf Referenden in den Bundesstaaten und Abtreibungspillen per Post.
25 der 50 amerikanischen Bundesstaaten haben seit der Dobbs-Entscheidung ihre Abtreibungsgesetze verschärft. In 13 Bundesstaaten gibt es nahezu totale Verbote. Laut dem Forschungsinstitut Guttmacher leben mittlerweile knapp ein Drittel aller amerikanischen Frauen im gebärfähigen Alter in Regionen, in denen Abtreibungen nicht verfügbar oder stark eingeschränkt sind. Aktuell häufen sich Medienberichte von Schwangeren, denen lebensrettende Abtreibungen verweigert oder erschwert wurden. Mindestens vier Frauen starben aus diesem Grund. Und das sind nur die wenigen Fälle, von denen wir wissen. Der Tod von Josseli Barnica, Amber Nicole Thurman, Candi Miller und Nevaeh Crain war vermeidbar. Sie starben aufgrund der Abtreibunsverbote, die nach der Entscheidung des Supreme Courts in Georgia und Texas erlassen wurden. Trump brüstet sich damit, Wegbereiter dieses Urteils zu sein, da er in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident zwei extrem rechtskonservative Richter_innen ernannt hat. Erst kürzlich lobte er den Supreme Court im Fernsehduell mit Harris für ihre „Genialität und Herz“ bei der Entscheidung, Roe vs. Wade aufzuheben.
Es ist schwer einzuschätzen, was eine erneute Präsidentschaft von Trump für Abtreibungsrechte bedeuten wird. Er äußerte sich bisher nur kryptisch dazu, ob er als erneuter Präsident ein nationales Abtreibungsverbot verhängen würde – mal so, mal so. Die Forscherin und Aktivistin Lizzie Chadbourne schätzt das als Wahlkampf-Strategie ein: „Trump ist absichtlich verwirrend.“ Er und seine Verbündeten hielten ihre Aussagen zum Thema Abtreibung so vage wie möglich, so dass sie immer die Ansicht vertreten könnten, die politisch am günstigsten ist, so Chadbourne. Sowohl überzeugte Abtreibungsgegner_innen als auch moderatere Wechselwähler_innen könnten sich dadurch einreden, dass Trump mit ihnen einer Meinung sei. Im Wahlkampf versuchten Trump und sein Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance, ihre Positionen in Bezug auf Abtreibung zu verwässern. Vance nahm kürzlich die Forderung, Abtreibung zu „beenden“ von seiner Webseite. Denn das Thema drohte für Republikaner zum Problem zu werden.
Abtreibungsverbote sind unbeliebt. Laut Umfragen sind 63 % aller US-Amerikaner_innen dafür, dass Abtreibung in allen oder fast allen Fällen legal ist. Das weiß auch Kamala Harris. Sie gab dem Thema Abtreibung mehr Raum in ihrer Kampagne als alle Präsidentschaftkandidat_innen vor ihr. In ihren Wahlkampfreden machte Harris Trump als „Architekten der Krise“ für den Tod von Frauen aufgrund der Abtreibungsverbote verantwortlich. Harris’ Versprechen, das landesweite Recht auf Abtreibung bis zur 24. Schwangerschaftswoche wiederherzustellen, war eine zentrale Forderung ihres Wahlkampfes. Offen blieb allerdings, was Harris als Präsidentin überhaupt für Abtreibungsrechte hätte tun können. Um die Rechte aus Roe in ein bundesweit geltendes Gesetz zu verwandeln, bräuchten die Demokraten die Mehrheit im Kongress.
Mehr als zwei Jahre nach der Dobbs-Entscheidung hat sich die Anzahl der Abtreibungen in den USA trotz der Verbote etwas erhöht. Der Grund: In den Bundesstaaten, die Abtreibungen weiterhin erlauben, gibt es jetzt mehr davon.
Linken Aktivist_innen ging Harris nicht weit genug. Sie kritisierten an ihrem Wahlkampf, dass demokratische Regierungen es in der Vergangenheit nicht geschafft haben, Abtreibungsrechte wirksam zu sichern und, dass Roe ohnehin niemals genug war. „Die Demokraten benutzen das Thema Abtreibung, um Wählerstimmen zu gewinnen. Seit Jahrzehnten machen sie leere Versprechungen, was den Schutz von Abtreibungsrechten betrifft“, so Jex Blackmore. Die Aktivistin arbeitet bei der Organisation Shout Your Abortion und war Teil des linken Protests vor dem Parteitag der Demokraten im August. Lizzie Chadbourne stimmt zu: „Wir müssen mehr fordern als die Wiederherstellung der Rechte aus Roe. Ohne Frage: Die Dobbs-Entscheidung des Supreme Courts hat die Versorgungslage weiter verschlechtert, aber beim Zugang zu Abtreibung in den USA gab es schon Lücken und Hürden, bevor Roe gekippt wurde. Wir brauchen eine nationale Bewegung für kostenlose Abtreibung.“
Der Wahlkampf von beiden, Trump und Harris, ging an der Realität von Abtreibungsaktivist_innen vorbei. Mehr als zwei Jahre nach der Dobbs-Entscheidung hat sich die Anzahl der Abtreibungen in den USA trotz der Verbote etwas erhöht. Der Grund: In den Bundesstaaten, die Abtreibungen weiterhin erlauben, gibt es jetzt mehr davon. Ein Netzwerk aus „abortion funds“ hilft ungewollt Schwangeren, in andere Bundesstaaten zu reisen. Auch Abtreibungspillen per Post spielen eine Rolle. Es ist heute einfacher, die Medikamente Mifepriston und Misoprostol online zu bestellen, etwa durch telemedizinische Anbieter, Online-Apotheken und feministische Netzwerke – auch in Bundesstaaten, in denen Abtreibung verboten ist. Daran wird auch eine erneute Präsidentschaft von Trump so schnell nichts ändern.
Jex Blackmore kommentiert: „Die Zukunft von Abtreibung liegt in unserer Hand: Unser Zugang zu Abtreibung hängt von uns, unseren communities und unserem gemeinsamen Handeln ab, nicht von den Launen der Politiker_innen oder den Entscheidungen der Gerichte.“ In den letzten Jahren hat sich in den USA ein Netzwerk aus feministischen Gruppen gebildet, die kostenlos Abtreibungspillen per Post verschicken und Unterstützung während der Einnahme anbieten, unabhängig von der Rechtslage. Sogenannte „self-managed abortions“, Abtreibungen, die zu Hause ohne medizinische Überwachung durchgeführt werden, sind sicher und werden von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen. Eine Aktivistin, die anonym bleiben will, beschreibt ihre Rolle in einem feministischen Netzwerk: „Ich verschicke Abtreibungspillen an Menschen, für die der Zugang beschränkt ist, und biete auf Wunsch Begleitung durch den Prozess der selbst zuhause durchgeführten Abtreibung an.“ Die Präsidentschaftswahl habe keinen Einfluss auf ihre Arbeit. Zwar sei es möglich, dass unter einer demokratischen Regierung die Wahrscheinlichkeit für ihren Einsatz strafrechtlich verfolgt zu werden, geringer sei, aber das sei alles theoretisch. „Meine Sorge gilt nicht den Wahlen. Politiker_innen helfen Menschen nicht, Abtreibungen zu bekommen. Ich schon.“
Lara Islinger (sie/ihr) ist Autorin und Aktivistin mit Schwerpunkt auf reproduktive Gerechtigkeit und Abtreibung. Seit 2022 arbeitet sie eng mit feministischen Organisationen und Kollektiven in Mexiko und den USA zusammen und untersucht, wie sie den Fall des nationalen Abtreibungsrechts navigieren – insbesondere in Bezug auf sogenannte „self-managed abortions“. Dieser Artikel entstand mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung, Washington D.C. (Transatlantic Media Fellowship).
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.