In der Türkei etabliert sich seit Jahrzehnten als Verbündeter der AKP-Regierung eine rechtsextreme Bewegung, die auch in Deutschland Verbreitung findet: die Grauen Wölfe.
Von Fußballstadien bis zu Moscheegemeinden, von Fanmeilen bis zu politischen Versammlungen – die extrem rechte „Ülkücü“-Bewegung zeigt ihre Präsenz auf vielfältige Weise. Ihr Einfluss reicht von der MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung), einer neo-faschistischen Massenpartei in der Türkei, bis hin zu neuen rechtsextremen Gruppierungen wie der BBP (Große Einheitspartei), der İYİ- (Gute Partei) und der Zafer-Partei (Partei des Sieges), die ihre ideologischen Wurzeln bis nach Deutschland tragen. Was bedeutet das in der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Rechtsextremismus in der Postmigrationsgesellschaft Deutschland? Ein Blick auf Strukturen, Ideologien und Strategien dieser Bewegung, die hierzulande immer mehr öffentlich auftreten.
Historische und aktuelle Wurzeln
des türkischen Rechtsextremismus
Die MHP entstand in den 1960er Jahren aus ihrer Vorgängerpartei, der Republikanischen Nationalen Bauernpartei (CKMP – Cumhuriyetçi Köylü Millet Partisi), und wurde zur faschistischen Massen- und Aktionspartei. Nach dem Militärputsch vom 27. Mai 1960, bei dem die national-konservative Regierung der Demokratischen Partei (DP) unter Adnan Menderes gestürzt wurde, gewann der Offizier Alparslan Türkeş innerhalb der politischen Szene an Bedeutung. Türkeş, der für seine turanistischen Ideen bekannt war, trat 1964 der CKMP bei und setzte 1969 deren Umbenennung in MHP durch.
Die Partei änderte ihre Fahne zu drei auf den Rücken gekehrten Halbmondsymbolen auf rotem Hintergrund, was die nationale und islamische Symbolik betonte. In den 1960er und 1970er Jahren radikalisierte sich die Bewegung stark. Türkeş formulierte eine Strategie der „drei Stufen“: Eroberung der Straßen, des Staates und des Parlaments. Unter dem Namen „Graue Wölfe“ wurden paramilitärische Jugendgruppen aufgebaut, die zahlreiche gewaltsame Anschläge auf sozialistische, kurdische, alevitische und andere progressive Gruppen verübten, darunter Pogrome in Kahramanmaraş (1978), Çorum (1980), Sivas (1993) und Gazi/Istanbul (1995).
Die MHP erzielte in den 1970er Jahren parlamentarische Erfolge und war Teil von Koalitionsregierungen der „Nationalistischen Front“. Nach dem Militärputsch von 1980, der alle Parteien verbot, reorganisierte sich die MHP unter dem Namen Partei der Nationalistischen Arbeit (MÇP) und nahm 1992 ihren ursprünglichen Namen wieder an. 1993 spaltete sich die Große Einheitspartei (BBP) von der MHP ab. Die BBP, eine extrem nationalistische und islamisch orientierte Partei, wird für Anschläge wie die Ermordung Hrant Dinks (2007) und christlicher Geistlicher verantwortlich gemacht. Ihr langjähriger Führer, Muhsin Yazıcıoğlu, verstarb 2009 bei einem mysteriösen Hubschrauberabsturz.
Die Kurdenfrage und der Konflikt mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verschärften in den 1990er Jahren die nationalistische Wende in der türkischen Politik, was der MHP unter ihrem neuen Vorsitzenden Devlet Bahçeli eine Schlüsselrolle einbrachte. Unter Bahçelis Führung moderierte die Partei ihr Auftreten, was ihr breitere Wählerunterstützung brachte. Seit 2015 ist sie ein enger Verbündeter der AKP-Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan.
Die „Gute Partei“ (İYİ) entstand 2017 aus einer Abspaltung von der MHP. Gegründet von Meral Akşener, vertritt sie konservativ-nationalistische Positionen. 2021 spaltete sich wiederum die Partei des Sieges (Zafer Partisi) unter Führung von Ümit Özdağ von der İYİ ab. Özdağ ist bekannt für seine nationalistische Rhetorik, insbesondere gegen Geflüchtete. Nach den Kommunalwahlen 2024, bei denen die İYİ Partei deutliche Verluste hinnehmen musste, trat Akşener am 27. April 2024 nach einem außerordentlichen Parteitag als Vorsitzende zurück.
Ideologische Ziele des türkischen Rechtsextremismus
Das ideologische Ziel der „Ülkücü“-Bewegung ist die großmachtpolitische Vorstellung des Turanismus, die auf die Einheit aller Turkvölker im Staat Turan innerhalb der Grenzen des ehemaligen Osmanischen Reichs abzielt. Dieses Vorhaben geht mit einem radikalen und übersteigerten Rechtsnationalismus einher, der das sogenannte Türkentum als politisch, territorial, kulturell und völkisch überlegen darstellt. Daraus resultiert die Abwertung und Bekämpfung ethnisch-religiöser Minoritäten wie Armenier:in-nen, Kurd:innen, Alevit:innen, Ezid:innen, Assyrer:innen, Jü-dinnen und Juden sowie politischer Gegnerinnen wie Linke, Gewerkschafter:innen und So-zialist:innen.
Auch wenn innerhalb der Grauen Wölfe aus taktischen Gründen eine offene rassistische Position ausgeblendet oder häufig geleugnet wird, bildet der Rassismus einen zentralen Pfeiler der MHP-Ideologie. Er richtet sich vor allem gegen ethnisch-religiöse Minoritäten im Lande. Nihal Atsız, ein Vordenker der Grauen Wölfe, hat die wichtigsten Elemente des Turkismus vor mehr als 60 Jahren wie folgt formuliert: „Ein Türke glaubt an die Überlegenheit der türkischen Rasse, schätzt deren nationale Vergangenheit und ist bereit, sich für die Ideale des Türkentums zu opfern, besonders gegen Moskau [also die damalige, kommunistische Sowjetunion], den erbitterten Feind.“
Nicht zuletzt zeigt sich der Rassismus von MHP und Grauen Wölfen auch in der kurdenfeindlichen Positionierung, etwa der drohenden Aussage von Alparslan Türkeş: „Wenn ihr Kurden weiterhin eure primitive Sprache sprecht (…), werdet ihr von den Türken auf die gleiche Weise ausgerottet, wie man schon Georgier, die Armenier und die Griechen [auf türkischem Boden] bis auf die Wurzeln ausgerottet hat.“
Die Zusammenarbeit zwischen AKP und MHP führte zu neuen, extrem rechten Netzwerken und Narrativen, die sich nicht nur gegen Minderheiten, sondern auch gegen den Einfluss pluralistischer Werte richten
Der Antisemitismus spielt ebenso eine zentrale Rolle in der Ülkücü-Bewegung. Die Verbreitung von Verschwörungsfantasien und antisemitischer Propaganda dient dazu, neue Zielgruppen anzusprechen. Die enge Verbindung von türkischem Nationalismus und Islam wird dabei gezielt genutzt, um eine nationalistische türkische Identität zu propagieren, die häufig antisemitische Inhalte beinhaltet. Im Zuge des Konflikts zwischen Palästina und Israel kommt es bundesweit zu antisemitischen Mobilisierungen im Umfeld der Grauen Wölfe. Auf Demonstrationen werden Parolen wie „Scheiß-Juden“ skandiert und entsprechende Fahnen mit dem Symbol des heulenden Wolfs getragen. Antisemitische Verschwörungstheorien gehören in diesem Sinne fest zum ideologischen Fundament der Ülkücü-Bewegung, die politische Gegner oft als „heimliche Juden“ diffamiert.
Ein Vergleich der extrem rechten Bewegungen in Deutschland und der Türkei offenbart zahlreiche Ähnlichkeiten und Parallelen. Während sich die Feindbilder und Ausprägungen teilweise unterscheiden, bleibt die ideologische Grundausrichtung ähnlich. Dies zeigt sich beispielsweise in übersteigertem Nationalismus, der Abwertung und Aggression gegenüber Minderheiten, Antisemitismus, der Betonung angeblich naturgegebener Ungleichheit von Menschen (Sozialdarwinismus), kulturellem und rassistischem Nationalismus, autoritärem Denken, Heroisierung des Führerkults, der Akzeptanz von Hass und Gewalt sowie Verschwörungsfantasien. Diese Elemente bilden zentrale Schnittmengen der deutschen und türkischen extrem rechten Bewegungen.
Symbiose zwischen Nationalismus und Islamismus
Im Verlauf der Geschichte der MHP wurde der Islam je nach Phase unterschiedlich gewichtet. Zwar steht der „idealistische“ türkische Nationalismus im Zentrum ihrer Ideologie, doch nimmt der Islam eine bedeutende Rolle ein. Seine Bezugnahme diente und dient als ideologischer Gegenpol zu säkularen, liberalen und pluralistischen Konzepten wie Minderheitenrechten und Gleichstellung. Die MHP hat entscheidend dazu beigetragen, die von nationalistischen und konservativ-islamischen Kreisen (Aydınlar Ocağı – Heim der Intellektuellen) entwickelte „Türkisch-Islamische Synthese“ zu einem zentralen Element des türkischen Rechtsnationalismus zu machen.
Kern dieser Synthese ist die Idee einer untrennbaren Verbindung zwischen türkisch-nationalen und islamischen Elementen in der türkischen Geschichte. Gleichzeitig nutzt die MHP die Betonung des Islam, um größere islamisch geprägte Bevölkerungsgruppen zu erreichen und für sich zu gewinnen. Dieses Prinzip gilt jedoch nicht nur für die MHP, sondern prägt auch andere konservativ-nationalistische Parteien und islamische Bewegungen in der Türkei.
Besonders sichtbar wird diese Symbiose zwischen türkischem Nationalismus und Islamismus in der aktuellen Koalition zwischen AKP und MHP. Während die AKP zunehmend eine stark nationalistische Rhetorik verfolgt, tritt die MHP verstärkt mit islamistischen Positionen auf. Dieses Bündnis verdeutlicht, wie sich die Narrative beider Parteien gegenseitig durchdringen und verstärken.
Gründung und Wirken des türkischen Rechtsextremismus in Deutschland
Die Entstehung der MHP und ihrer Strukturen in Deutschland ist eng mit den frühen 1970er Jahren verknüpft, als erste Vereine und Publikationen mit rassistisch-nationalistischen Inhalten in der Bundesrepublik auftauchten. Bereits 1969 hielt die MHP ihren ersten „kleinen Parteitag“ in Deutschland ab und gründete den Europarat der MHP, der die Basis für ihre transnationale Ausbreitung legte. Trotz eines türkischen Verbots von Parteiorganisationen im Ausland 1977 blieb die MHP hier aktiv und gründete Vereine wie „Türk Ocağı“ oder „Ülkücü Derneği“, die als Anlaufstellen für ihre Ideologie dienten.
1978 erfolgte mit der Gründung der „Türkischen Föderation“ (ADÜTDF) der institutionelle Ausbau ihrer Strukturen. Zeitgleich wurde Gewalt zu einem wesentlichen Mittel der politischen Auseinandersetzung. Besonders in den 1970er und 1980er Jahren verübten Anhänger der „Grauen Wölfe“ zahlreiche Gewalttaten gegen politische Gegnerinnen und Minderheiten, darunter Mordanschläge und Übergriffe. Der DGB warnte 1976 vor der Bedrohung durch Schlägertrupps der MHP für die Integration türkischer Arbeitnehmerinnen. Auch Verstrickungen in internationale Terrorakte wie das Papstattentat 1981 lenkten die Aufmerksamkeit auf die MHP.
Nach dem Militärputsch in der Türkei 1980 verlagerte die MHP ihre Aktivitäten zunehmend auf neue Strukturen wie Sportvereine, Cafés, Moscheen und vermeintliche Freundschaftsvereine. In den späten 1980er Jahren führte die Abspaltung islamisch-nationalistischer Kräfte unter Musa Serdar Çelebi zur Gründung der ATIB (Union der türkisch-islamischen Kulturvereine), die sich stärker islamistisch orientierte. Die 1990er Jahre waren von einer erneuten Radikalisierung geprägt, insbesondere in Konflikten mit Kurdinnen, Armenierinnen und Ale-vit*innen.
Mit dem politischen Aufstieg der AKP und ihrer späteren Koalition mit der MHP gewann die Mobilisierung ultranationalistischer Bewegungen auch in Deutschland an Dynamik. Die Zusammenarbeit zwischen AKP und MHP führte zu neuen, extrem rechten Netzwerken und Narrativen, die sich nicht nur gegen Minderheiten, sondern auch gegen den Einfluss pluralistischer Werte richten. In den 2000er Jahren entstanden in diesem Umfeld neue Gruppierungen, wie rockerähnliche „Turkos MC“ oder „Turan e. V.“, die eine neue Radikalisierungsform innerhalb der ultranationalistischen Szene repräsentieren.
In den letzten zwei Jahrzehnten sind in Deutschland zahlreiche Organisationen und Vereine entstanden, die im Umfeld der „Ülkücü“-Bewegung agieren. Gleichzeitig haben sich in den 1990er und 2000er Jahren diverse türkische Lobbyorganisationen entwickelt, die in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen aktiv sind. Während „Graue Wölfe“ Kampagnen und Aktivitäten organisieren, mobilisieren dem Erdoğan-Regime nahestehende Organisationen, wie UID und DITIB, zu Massendemonstrationen zu türkischen Innenpolitikthemen.
Die Gründung türkischzentrierter Parteien, wie der DAVA („Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“), zeigt eine neue Verbindung zwischen türkisch-islamischen und extrem rechten Bewegungen. DAVA tritt als Sammelbecken für religiöse, konservativ-nationalistische und extrem rechte Türkeistämmige auf. Bei den Europawahlen 2024 erzielte die Partei in Hochburgen wie Duisburg-Marxloh zwar hohe Stimmenanteile, konnte jedoch nicht erfolgreich werden.
Der Einfluss extrem rechter türkischer Verbände zeigt sich auch in der Existenz von über 300 Vereinen in Deutschland. Diese agieren als Selbsthilfeorganisationen, Moscheegemeinden, Kultur- oder Jugendvereine und prägen das soziale Leben vieler Menschen mit Türkeibezug. Besonders junge Menschen, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, arbeitslos sind oder nach Identität suchen, finden in diesen Strukturen häufig einen Anziehungspunkt.
Symbolische Verbotsdebatte um die „Ülkücü“-Bewegung
Im November 2020 verabschiedete der Bundestag einen parteiübergreifenden Antrag mit dem Titel „Nationalismus und Rassismus die Stirn bieten – Einfluss der Ülkücü-Bewegung zurückdrängen“. Dieser betont die Notwendigkeit, extrem rechte und menschenverachtende Tendenzen, insbesondere die militanten Aktivitäten der „Ülkücü“-Bewegung in Deutschland, zu bekämpfen. Ein zentrales Element des Antrags war die Überprüfung eines möglichen Vereinsverbots für Organisationen wie die ATK/ADÜTDF, ATIB und den ATB.
Die Forderung nach einem Verbot der „Grauen Wölfe“ ist nicht neu: Bereits in den 1980er Jahren erhoben Gewerkschaften und antifaschistische Gruppen entsprechende Forderungen. In jüngerer Zeit griffen Jugendorganisationen wie die Jusos dieses Anliegen wieder auf. Im europäischen Kontext hat die französische Regierung die Grauen Wölfe offiziell verboten und Österreich hat die Symbole der Grauen Wölfe verboten.
Einen öffentlich-politischen Höhepunkt erreichte die Verbotsdebatte während der Fußball-EM 2024, als der türkische Spieler Merih Demiral mit dem Wolfsgruß im Spiel Türkei gegen Österreich für Empörung sorgte. Der Vorfall verdeutlicht, wie politische Symbole rechtsextremistischer Gruppen Spannungen und Provokationen auslösen. Trotz des Bundestagsantrags und der verstärkten Diskussion wurde bislang kein Verbot dieser Bewegung in Deutschland umgesetzt, und selbst die Symbolik der Bewegung bleibt weiterhin erlaubt.
Die Debatte hat somit bisher überwiegend symbolischen Charakter und zeigt wenig konkrete
Auswirkungen und Handlungsmöglichkeiten. Wichtiger ist eine konsequente Auseinandersetzung mit den strukturellen Verflechtungen zwischen türkisch-nationalistischen Lobbystrukturen und rassistischen Kontinuitäten hierzulande, sowie die Förderung von Partizipations- und Anerkennungspolitik, um den Einfluss türkisch-nationalistischer sowie rechtsextremer Netzwerke konsequent zurückzudrängen.
Kemal Bozay ist promovierter Politik-, Erziehungs- und Sozialwissenschaftler. Als Professor lehrt er Soziale Arbeit an der IU Internationale Hochschule in Köln und Düsseldorf. Mit Fikret Aslan ist er Autor u. a. des bei Unrast erschienenen Standardwerks „Graue Wölfe heulen wieder: Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland“.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.