Im Schatten des Ukraine-Krieges erlebte ausgerechnet die Gas-Industrie ein neues Konjunkturhoch. Im Zentrum: aus den USA importiertes Flüssiggas (LNG). Doch dessen Förderung sowie der Aufbau der zu Transport und Verarbeitung notwendigen Infrastruktur sind sowohl sozial wie ökologisch verheerend. Die Journalistin Kathrin Hartmann hat in ihrem neuen Buch „Öl ins Feuer“ die Förderstätten dieser vermeintlich grünen Energiequelle besucht und nachgezeichnet, welche katastrophalen Auswirkungen diese auf Mensch, Natur und demokratische Gesellschaften haben.
GWR: Im Sommer 2024 hast du dein neues Buch „Öl ins Feuer“ veröffentlicht. Wie lange hast du daran gearbeitet und gab es, etwa mit Blick auf die Corona-Pandemie, besondere Schwierigkeiten, mit denen du zu kämpfen hattest?
Kathrin Hartmann: Ich habe daran etwa eineinhalb Jahre gearbeitet. Im Juli 2023 bin ich in die USA gereist, im November nach Sambia. Einschränkungen wegen Corona gab es dann für mich nicht mehr, aber ich habe lange darauf gewartet, wieder reisen zu können. In den Gesprächen vor Ort habe ich erfahren, wie dramatisch sich die Pandemie auf die Menschen ausgewirkt hat, die in den von Umweltgiften belasteten Gegenden leben. An der so genannten Cancer Alley in Louisiana, wo zwischen Batton Rouge und New Orleans am Mississippi fast 200 petrochemische Fabriken und Raffinerien stehen und die Menschen schwer krank machen, sind mehr Menschen an Covid gestorben als sonst wo in den USA.
Du beschäftigst dich seit vielen Jahren mit den Schnittstellen von Kapitalismus, Ökologie und Menschenrechten. Warst du überrascht, dass dich deine Recherchereisen für „Öl ins Feuer“ von den Rändern der kapitalistischen Welt mitten in deren Herz, sprich die USA, geführt haben?
Ja, tatsächlich. Als ich die Idee hatte, ein Buch über Grünen Kapitalismus und Scheinlösungen zu schreiben, dachte ich zuerst an eine Recherche zu problematischen Rohstoffen wie Lithium in Chile, das ja für E-Auto-Batterien verwendet wird und riesige Schäden dort anrichtet, sozial wie ökologisch. Aber nach Vorrecherchen und Gesprächen mit NGOs und Aktivist:innen kam ich auf die USA. Dort gibt es mit dem Export von Flüssigerdgas nach Europa und dem umstrittenen Ausbau der LNG-Terminals eine direkte Verbindung nach Deutschland. Außerdem ist es die Heimat des fossilen Kapitalismus, der dort unverändert Menschen, Natur und Umwelt zerstört und für ein riesiges Ausmaß an Umweltrassismus sorgt.
Wie haben die von dir untersuchten Fälle von Umweltrassismus ausgesehen – welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Die petrochemischen Fabriken und Raffinerien an der Golfküste stehen in unmittelbarer Nähe der Wohnviertel, in denen People of Color und Arme leben. Sie leiden am meisten unter deren Emissionen, die Krebsraten in solchen so genannten Opferzonen sind viel höher als im US-Durchschnitt, genauso Atemwegs-, Herz-, Nieren- und Stoffwechselkrankheiten. Die Asthma-Rate bei Kindern ist hoch, schon Dreijährige brauchen Medikamente und Atemgeräte, auch die Fehl- und Frühgeburten sind überdurchschnittlich hoch, genauso die Kinder- und Müttersterblichkeit, ganz besonders bei Schwarzen. Es ist nachgewiesen, dass diese Industrieanlagen nahe schwarzen Communities die offizielle Erlaubnis haben, mehr Schadstoffe auszustoßen als in überwiegend weißen Vierteln. Das ist strukturelle Gewalt. In der Cancer Alley stehen diese fossilen Anlagen auf ehemaligen Zuckerrohrplantagen, wo vorher Versklavte ausgebeutet und gefoltert wurden. Es sind ihre Nachkommen, die jetzt vergiftet werden. Das Verbrechen der Sklaverei geht im Umweltrassismus von heute auf.
In deinem Buch spielt die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ eine besondere Rolle – nämlich als Triebkraft für den Ausbau der LNG-Infrastruktur. Warum begeistern sich die Grünen für diese Technologie, die ihr doch eigentlich zutiefst suspekt sein sollte?
Der Fairness halber muss man sagen, dass es zu diesem fossilen Lock In auch entschiedene Gegner*innen bei den Grünen gibt. Es waren vor allem Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz, die das vorangetrieben haben. Aber schon weit vor Baubeginn gab es Studien, die davor warnten, dass Deutschland fossile Überkapazitäten baut. Die Kritik kam vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, vom New Climate Institute und vom US-amerikanischen Institut for Energy Economics and Financial Analysis und sogar aus dem Wirtschaftsministerium selbst. Vorgeschoben war die befürchtete Gasmangellage, die es nie gegeben hat und die auch nie wahrscheinlich war.
Selbst wenn die Grünen alles umgesetzt hätten, was sie in ihrem letzten Wahlprogramm versprochen haben, hätte das nicht gereicht, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Aber sie haben noch vor den Koalitionsverhandlungen die Forderung nach einem Tempolimit zurückgezogen, sie haben mitgetragen, dass die Sektorziele abgeschafft werden, sie haben keinerlei Verkehrspolitik gemacht, sie haben die EU-Sanierungspflicht torpediert.
Aber die Gas-Lobby hat sich wieder einmal durchgesetzt. Großen Druck gemacht hat auch die Chemie-Industrie, die ja in hohem Maße von Gas abhängt, als Energieträger und Grundstoff.
Die Bundesregierung hat Flüssiggas als eine „Übergangstechnologie“ auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energiewirtschaft klassifiziert. Du hältst das für grundverkehrt. Warum?
Es ist Quatsch. Es ist belegt, dass die schwimmenden LNG-Terminals technisch überhaupt nicht für Wasserstoff umgerüstet werden können und die festen Terminals so, wie sie geplant sind, auch nicht. Beziehungsweise wäre das teurer, als sie neu zu bauen. Im LNG-Beschleunigungsgesetz gibt es dazu auch gar keine ausreichenden Vorgaben. Abgesehen davon, dass es diese gigantischen Mengen von grünem Wasserstoff, die erwünscht sind, nicht gibt und vermutlich auch nicht geben wird.
Verliert die Umwelt- und Klimaschutzbewegung jetzt mit den Grünen nicht einen ‚natürlichen‘ Verbündeten? Oder sind das nur vorübergehende Turbulenzen?
Waren sie das wirklich oder nur ihr grüner Schein? Selbst wenn die Grünen alles umgesetzt hätten, was sie in ihrem letzten Wahlprogramm versprochen haben, hätte das nicht gereicht, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Aber sie haben noch vor den Koalitionsverhandlungen die Forderung nach einem Tempolimit zurückgezogen, sie haben mitgetragen, dass die Sektorziele abgeschafft werden, sie haben keinerlei Verkehrspolitik gemacht, sie haben die EU-Sanierungspflicht torpediert. Das aktuelle Wahlprogramm ist in Sachen Klimaschutz windelweich. Man will zwar umweltschädliche Subventionen, aber nicht mal das Dienstwagenprivileg abschaffen, sondern nur in Richtung Elektromobilität „reformieren“. Die EU-Strafzahlungen für Autokonzerne sollen mit Rechentricks umgangen werden. Es geht primär um grünes Wachstum, auch die hoch gefährliche Speicherung von CO2 steht im Programm.
Der Lobbyverband „Zukunft Gas“ tut alles, um Erdgas als zukunftsfähige Energiequelle zu präsentieren, durchaus mit Erfolg. Was spricht deiner Meinung nach v.a. gegen Gas als Energielieferant?
Gas ist sogar noch schlimmer für das Klima als Kohle, weil Methan in einer kürzeren Zeit eine viel größere Klimawirkung hat. Es wirkt 25-mal stärker als CO2. Jede Tonne davon heizt die Erde über 20 Jahre betrachtet 84-mal so stark auf wie die gleiche Menge Kohlendioxid. Flüssigerdgas wird in den USA durch Fracking gewonnen, was wiederum noch klimaschädlicher ist, als Methan direkt zu verbrennen.
Welcher der Fälle, die du recherchiert hast, ist dir besonders nahe gegangen – und warum?
Die Brutalität, mit der die fossile Industrie gegen Menschen agiert, hat mich erschüttert. Zu sehen, wie sich etwa im texanischen Port Arthur die Wohnviertel der Schwarzen in der Segregation von rassistischen Stadtoberen direkt zwischen zwei der größten Ölraffinerien der USA gezwängt wurden. In Freeport, ebenfalls in Texas, liegt ein solches Viertel zwischen Chemiefabriken, aber auf diesem Grundstück soll der Hafen erweitert werden. Die Schwarzen Bewohner:innen wurden vertrieben. Die Toxic-Tour in der Cancer Alley hat mich sprachlos gemacht, aber auch die Hurricane-Ruinen der Menschen, die sich keine Versicherung mehr leisten können, oder aber die Versicherung zahlt nicht. Vergessen werde ich auch nicht die menschenleere Isle de Jean Charles, von wo die offiziell ersten Klimaflüchtlinge der USA umgesiedelt wurden – fast alle Native Americans. Aber: Es gibt vor Ort auch einen wachsenden Widerstand gegen die fossile Industrie und ihre Projekte. Das hat mich ermutigt.
Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes feiert aktuell auch die Atomenergie ihr Wiedergängertum – als vermeintlich saubere Alternative zu Kohle und Gas. Ist das nur eine diskursive Nebelkerze oder malen sich die Energie-Multis wirklich eine Chance aus auf ein nukleares Comeback?
Es ist eine Nebelkerze, zumindest in Deutschland. Hier will kein Energie-Konzern dahin zurück. Sie haben sich den Ausstieg ja vergolden lassen: knapp 2,5 Milliarden Euro Entschädigung haben die Betreiber RWE, EnBW, Vattenfall und Eon erhalten. Der World Nuclear Industry Report zeigt auch 2024: Der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromerzeugung ist schon wieder gesunken, er beträgt nur noch 9,1 Prozent. Es gehen weltweit mehr AKW vom als ans Netz. Für nicht ungefährlich halte ich aber, dass die Tech-Konzerne Milliarden in diese Technologie investieren wollen, insbesondere Mini-AKW. Aber erst kürzlich ist das wichtigste Projekt in den USA dazu eingestellt worden. Ein Atomkraftwerk zu bauen ist exorbitant teuer und dauert im Schnitt 15 Jahre.
Ist das Konzept des CO2-Ausgleichs etwa durch Kompensationshandel oder Zertifikathandel gescheitert oder war nie vorgesehen, dass dieses funktioniert?
Der freiwillige Zertifikathandel ist gescheitert. Der Großteil der weltweiten gehandelten Zertifikate aus Waldschutz- und Aufforstungsprojekten wird von der US-Organisation Verra zertifiziert. Einer aktuellen Untersuchung zufolge sind 90 Prozent daraus wertlos und sparen kein CO2 ein. Ich weiß nicht, ob das explizit vorgesehen war. Auf jeden Fall aber stehen Profite mehr im Vordergrund als Klimaschutz und es gibt viel Betrug. Allein schon die Idee ist perfide: Wohlhabende im globalen Norden sollen sich freikaufen können auf dem Rücken der Menschen im Globalen Süden, die dann ihren Wald nicht mehr nutzen dürfen. Katastrophal ist, obwohl weithin bekannt ist, dass der Zertifikathandel dem Klima nicht hilft, dass auf der Klimakonferenz in Baku beschlossen wurde, dass nun auch Staaten am freiwilligen Zertifikathandel teilnehmen können. Das ist Grüner Kolonialismus.
Die politischen Aussichten sind aktuell alles andere als rosig. Mit Blick auf das Erstarken rechter Parteien sowie die potentielle Kanzlerschaft des ehemaligen Black-Rockers Friedrich Merz: Was macht dir trotz allem Mut?
Die globale Solidarität, die ich immer besser kennen lerne mit meiner Arbeit. Die Aktivist:innen, die nicht nur Missstände abschaffen wollen, sondern für eine gerechte Welt kämpfen, die ökologische und soziale Fragen verbinden oder bereits Alternativen entwickeln und leben, die zeigen, dass diese andere Welt möglich ist. Und dass so viele Menschen auch hier nicht aufgeben, für diese Welt zu kämpfen. Wir müssen damit weitermachen, je aussichtsloser die Lage erscheint, umso mehr.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.