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Linke Geschichte plakativ

| Peter Nowak

Projektgruppe Druckmachen (Hg.) Druck machen. Linke Plakate in Thüringen seit 1990 Assoziation A, Berlin/Hamburg 2024, 240 Seiten, 30 Euro, ISBN 978-3-86241-504-5

Am 25. Januar 2003 wollte der 48jährige Hartmut Balke mit seinem Sohn eine Punk-Party in Erfurt besuchen. Er geriet in Auseinandersetzungen mit zwei Neonazis, die in die Party einzudringen versuchten, aber abgewiesen wurden. Die Rechten holten Verstärkung und trafen auf den ahnungslosen Balke. Sie schlugen ihn so heftig, dass er stürzte und an einer Gehirnverletzung verstarb. Als Opfer rechter Gewalt ist er bis heute nicht offiziell anerkannt. Dass sein Name noch bekannt ist, liegt an einem Plakat, das die antifaschistische Gruppe dissens aus Erfurt zum 18. Todestag unter der Überschrift „Im Gedenken an Hartmut Balke“ herausgegeben hat. Es gibt den von den Rechten Ermordeten Namen und Gesicht und verhindert so, dass sie vergessen werden.
Dass Hartmut Balke als Opfer rechter Gewalt jetzt auch über Erfurt hinaus bekannt wird, liegt daran, dass das Gedenkplakat in den kürzlich erschienenen Band „Druckmachen. Linke Plakate seit 1990 in Thüringen“ aufgenommen worden ist.
164 Plakate der außerparlamentarischen Linken Thüringens aus den letzten 35 Jahren haben die Herausgeber*innen dokumentiert. Vorangestellt sind drei Texte, die erfreulich selbstkritische Anregungen zur Rolle der Plakatkunst in der linken Szene geben. Ein Großteil der Poster dreht sich um den Kampf gegen Nazis in sehr verschiedenen Formen. Vor allem in den frühen 1990er Jahren gab es noch in Handarbeit hergestellte Poster, wie den Aufruf zu einer Demo „gegen Rassenhass und Faschismus und für eine multikulturelle Gesellschaft“ am 4. April 1992 in Ilmenau. Auffallend häufig finden sich Plakate aus Erfurt und Jena in der Sammlung. Beide Städte hatten in den letzten drei Jahrzehnten eine aktive außerparlamentarische Linke, die ihre Plakate dokumentierte und somit für die Nachwelt erhalten hat. In Erfurt bildete sich seit 1998 um das besetze Topf- und Söhne-Gelände eine linke Szene, die auch nach der Räumung des Gebäudes weiter aktiv blieb. In Jena war die Junge Gemeinde (JG) um den kürzlich verstorbenen Pfarrer Lothar König ein wichtiger Bezugspunkt für linke oppositionelle Gruppen schon in der DDR (vgl. GWR 495). In den 1990er Jahren wurde die JG auch ein Ort für antifaschistische und antirassistische Arbeit in der Stadt. Wir können uns anhand der Plakate heute schon vergessener linker Aktivitäten erinnern. Auch die migrantische Selbstorganisation The Voice hatte in Jena einen wichtigen Fokus. Davon zeugt ein dokumentiertes Plakat, das zu einem bundesweiten antirassistischen Camp unter dem Motto „Gemeinsam gegen Abschiebungen“ aufruft, das vom 27. April bis 1. Mai 2000 im Zentrum von Jena stattfand. 19 Jahre später wurde unter dem Motto „Alle zusammen gegen den Faschismus“ ein Plakat von Nika-Jena veröffentlicht. Hinter dem Kürzel verbirgt sich das bundesweite antirassistische Bündnis „Nationalismus ist keine Alternative“.
Es sind auch immer wieder Plakate aus kleineren Orten in dem Band zu finden. Besonders rätselhaft ist ein buntes Poster, für das laut Impressum neben feministischen Gruppen auch die Stadtverwaltung und die Frauen-Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gotha verantwortlich zeichnen. Die Überschrift lautet „Gothaer Männer“ und richtet sich gegen Gewalt gegen Frauen. Auffällig ist, dass zu den Unterzeichnenden auch das Panzeraufklärungsbataillon 13 Gotha gehören. Handelt es sich um eine Satire? Diese Frage konnten auch die Herausgeber*innen des Bandes nicht klären. Sie haben aber recherchiert, dass das Plakat in den 1990er Jahren entstanden sein muss. Vielleicht gibt es durch das Buch weitere Hinweise auf die Entstehung des Posters.
Es ist dem Herausgeber*innen-kreis zu danken, dass sie mit der Dokumentation der Plakate und ihrer sparsamen, informativen Kommentierung die linke Basisarbeit vieler Menschen wieder in Erinnerung gerufen haben. Das hat nicht nur historischen Wert. Wir sehen beim Stöbern im Buch, dass sich die Gruppen und politischen Akteur*innen ebenso verändern wie die Drucktechnik. Die Themen, der Kampf gegen alle Arten von Kapitalismus, Faschismus, Patriarchat aber bleiben gleich.
Zugleich ist das Projekt Druckmachen auch multimedial. Die Plakate und noch einige Zusatztexte können auf der Homepage https://druckmachen.arranca.de/gallery/index.php?/category/16 betrachtet werden. Mittlerweile sind dort sind über 500 Poster dokumentiert. Weitere können noch eingefügt werden.