Einer der beeindruckendsten Anarchosyndikalisten, den ich kennenlernen durfte, war Helmut Kirschey (1903–2003). Ich hatte ihn das erste Mal im Oktober 2001 getroffen. Der Historiker Dieter Nelles machte zu dieser Zeit gemeinsam mit dem Spanienkämpfer eine Veranstaltungsrundrundreise, um die großartige Biographie „Helmut Kirschey: A las Barricadas. Erinnerungen und Einsichten eines Antifaschisten“ vorzustellen. Ich hatte die Lesung in Münster mitorganisiert. Dieter und Helmut übernachteten bei uns und so blieb Zeit für intensive Gespräche.
Für Helmut war die Begegnung mit der Anarchistin Emma Goldman im Spanischen Bürgerkrieg ein wichtiges Erlebnis. Er erzählte, dass seine warmherzige, linksradikale Mutter Auguste bei seiner Politisierung eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Zum 100. Todestag von Auguste Kirschey-Weber im August 2024 haben Dieter Nelles und Antonia Lammertz der 1884 geborenen Wuppertaler Antimilitaristin nun eine bewegende Publikation gewidmet. Der Titel „Eine wirkliche Kommunistin“ könnte Anarchist*innen vom Lesen abhalten. Aber hier geht es nicht um eine Vertreterin des Staatskapitalismus, sondern um eine radikale Kriegsgegnerin, antiklerikale Humanistin, Sozialrevolutionärin, Antifaschistin und alleinerziehende Mutter von sechs Kindern.
„Dass Frauen wie Auguste Kirschey (…) ‚nicht in den Ge-
schichtsbüchern genannt‘ werden, hängt zum einen damit zusammen, dass Arbeiterinnen meist keine Tagebücher und Briefe hinterließen und zum anderen, dass sie Kommunistin war“, schreiben Lammertz und Nelles (S. 6).
Im ersten Kapitel skizzieren sie die Situation im Wuppertal von 1917 bis 1924. Im zweiten Augustes Politisierung im Ersten Weltkrieg im Kontext der sich seit 1917 bildenden Antikriegsbewegung. In Kapitel 3 werden die Aktionsfelder von Auguste Kirschey in der Bewegung der Kriegsbeschädigten und Kriegerwitwen, im Kampf für die Freien Schulen und ihr KPD-Engagement analysiert. Abschließend gehen die Autor*innen auf ihren frühen Tod, ihr Nachleben und die Biographien ihrer sechs allesamt antifaschistisch aktiven Kinder ein. „Trotz ihrer großen Belastung hatte Auguste Kirschey ihren Kindern ein Bewusstsein vermitteln können, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht einfach hinzunehmen, sondern sich aktiv dagegen aufzulehnen.“ (S. 41) „Die ‚begründete Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben’ hatte sie ihren Kindern offensichtlich mitgegeben.“ (S. 42)
Lammertz und Nelles schließen mit diesem wichtigen Beitrag zur Geschichte von unten eine Forschungslücke. Lesenswert!
Antimilitaristin, Antifaschistin und Mutter
Antonia Lammertz, Dieter Nelles „Eine wirkliche Kommunistin“: Auguste Kirschey-Weber (1884-1924), Wuppertaler Stadtteilgeschichten Bd. 1, de Noantri Verlag, Bremen/Wuppertal 2024, 21x21 cm, 48 Seiten, 5 Euro, ISBN 978-3-943643-22-0