Die Bundestagswahl im Februar 2024 verheißt auch aus antimilitaristischer Sicht nichts Gutes. Mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz droht ein weiterer Rechtsruck und die verstärkte Remilitarisierung der Gesellschaft. CDU/CSU planen die Wiedereinführung von Zwangsdiensten, einer „richtigen“ Militärdienstpflicht bzw. eines „Gesellschaftsjahres“. (GWR-Red.)
Wenn es Krieg gibt, wissen die Leute, was sie zu tun haben, wenn sie nicht mitmachen wollen: Sie verstecken sich oder fliehen, wenn sie können. Im Ukraine-Krieg trifft das auf jeder Seite auf etwa eine Million Männer zu.
Andererseits ist Krieg auch attraktiv, allerdings für andere: Sie wollen für eine gerechte Sache kämpfen, erhoffen sich Geld oder wollen „was erleben“. Sowohl auf ukrainischer, wie auch auf russischer Seite sprachen die Offiziellen schon bald von jeweils 20.000 Männern, die aus aller Welt mitkämpfen würden.
Aus welchen Ländern kommen sie? Ihre Motive und Erfahrungen sollen im Folgenden anhand von Beispielen aus der Presseberichterstattung nachverfolgt werden.
Damit Russland zu keiner Gegenmacht würde, „stützten die Vereinigten Staaten die ehemaligen Sowjetrepubliken, die selbständig geworden waren, besonders die Ukraine“ (1), schrieb 2003 der Journalist Peter Bender vom International Institute for Strategic Studies (IISS) in London.
Bei dieser Aufgabe wollte auch Westeuropa nicht nachstehen, und so kam es, dass schon 2001 aus Deutschland der Oberstleutnant a. D. Wolfhart Saul ebenfalls in die Ukraine geschickt wurde. Vorher war er Pressechef beim Heeresführungskommando in Koblenz und dann Leiter der Grundsatzabteilung beim Zentrum Innere Führung. Seine Aufgabe bestand darin, ein auf drei Jahre angelegtes „Menschenrechtstraining“ für 1.000 Offiziere durchzuführen. Das Geld dafür, 500.000 Euro, kam von der EU. (2) Bei einem ist es sicherlich nicht geblieben. Einer seiner Nachfolger war Generalleutnant a. D. Volker Halbauer. Seine Aufgabe beschreibt er in der SZ vom 24. Februar 2024 so: „Das sah harmlos aus und das sollte auch harmlos aussehen.“ Und über die ukrainische Armee: „Die Generalität schert sich einen Dreck um ihre Soldaten.“
Es ist üblich, dass insbesondere in den Bundeswehrhochschulen Militärs aus anderen Ländern ausgebildet werden. Über sie erhofft man dann auch Rüstung exportieren zu können. Aber nicht immer entwickelt sich das vorgebliche Menschenrechtstraining wie erhofft. Beispiel: Der malische Putschistengeneral ist an der Bundeswehrhochschule in Hamburg ausgebildet worden – und sorgte dann dafür, dass die ausländischen Truppen, darunter die Bundeswehr, aus Mali abziehen mussten.
Ende Februar 2022 griff Russland die Ukraine an. Kurz darauf, Mitte März, landete eine Rakete in der Kaserne in Jaworiw, nördlich von Lwiw, im Nordwesten des Landes. In der Kaserne seien Blauhelm-Soldaten der UNO ausgebildet worden, hieß es. Das stimmte zwar, war aber trotzdem eine Falschmeldung. Tatsächlich hatte die Ukraine sie der UNO zur Verfügung gestellt, aber Blauhelme waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr dort, sondern: Die Kaserne war ein Ankunftszentrum für Freiwillige aus anderen Ländern. Das hatte Russland wohl mitbekommen und sie deswegen bevorzugt bombardiert. Die Presse sprach von 180 getöteten Söldnern. (3) Auf ausländische Kämpfer hat es der Kriegsgegner schon immer besonders abgesehen.
Nationale Minderheiten
Man möchte denken, dass im Krieg Russlands gegen die Ukraine Russen gegen Ukrainer kämpfen. Tatsächlich ist es aber bei genauer Betrachtung so, dass das Titularvolk an der Spitze der Armee gut vertreten ist, dass aber das Kanonenfutter sich überproportional aus nationalen Minderheiten zusammensetzt. Das trifft insbesondere auf Russland zu. Russen wollte man zumindest anfangs schonen. In Moskau und St. Petersburg wurde kaum rekrutiert, dafür umso intensiver im Kaukasus und im fernen Osten. So waren es herausragend viele Burjaten vom Baikalsee, Dagestaner und Tschetschenen, die in den Krieg geschickt wurden. Sie hatten ja auch nicht so viele verwandtschaftliche Beziehungen in die Ukraine. Die Burjaten hatten das bald durchschaut und sich dagegen gewehrt.
In der Ukraine flohen alle Minderheiten, die den Krieg ablehnten: Adventisten, Baptisten, Juden, Roma (4), Ungarn, Gagausen, Hutzulen, Russen…
Jene, die aus diesen Bevölkerungsgruppen blieben, sahen sich gezwungen, ihre patriotische Verpflichtung besonders unter Beweis zu stellen. Beispiel: Die ungarische Regierung verteilt an Ungarn in den Nachbarstaaten Pässe. Das ist besonders intensiv in Rumänien der Fall. Darüber holt sich die Regierungspartei bei Wahlen wichtige Stimmen. Für Kriegsdienstunwillige in der Ukraine waren die ungarischen Pässe allerdings von großem Nutzen. So konnten sie ohne Probleme das Land verlassen und sich in Ungarn aufhalten. Die Anzahl der in der Ukraine lebenden Ungarn verringerte sich von 2011, als es noch 150.000 gegeben hat, auf 100.000 im Jahr 2022. „Seitdem haben die Ukraine weitere Zehntausend verlassen.“ Die Verbliebenen dienen zumeist als Freiwillige in ungarischen Kampfeinheiten („Magyar Birds“, unter dem ungarischen Kommandanten Roman Brovdi) an vorderster Front. So nimmt es kein Wunder, dass unter den Toten viele Ungarn zu finden sind, die als Helden geehrt werden. (5) Es gibt auch Berichte, dass ungarische Dörfer umstellt werden, um die Männer zu rekrutieren. (6)
In Russland leben etwa drei Millionen Arbeitsmigrant*innen, zumeist aus zentralasiatischen Ländern. So z. B. aus Tadschikistan 630.000. (7) Oft arbeiten sie schwarz in Schlachthöfen, Gemüseverteilzentren, Baustellen usw. Mit dem Krieg hat man begonnen, dort Razzien durchzuführen und stellt sie vor die Wahl: Armee oder Ausweisung.
Neben den Freiwilligen, die z. B. aus Serbien, Bosnien (8) und Israel (9) in Russland ankamen, wurden auch gezielt Krieger, aber auch Sanitätsleute (Frauen) in anderen Ländern angeworben. Sie sollen aus folgenden Ländern kommen: Cuba, Jemen (10), Syrien (11), vielen afrikanischen Ländern und Nepal, Sri Lanka und Indien. Das arme Nepal ist schon seit langem ein Rekrutierungsreservoir. Man denke nur an das Bergvolk der Gurkhas, welche seit 1815 eine Eliteeinheit der britischen Armee bilden.
In Nepal und Indien werben Agenten über YouTube und Facebook Leute für russische Sicherheitsdienste an. Für manche ist das eine Verlockung. Sie kratzen ihr Erspartes zusammen und/oder leihen sich Geld, um die Reise finanzieren zu können. Sie soll 2.500 Euro kosten. In Russland angekommen, nimmt man ihnen die Pässe ab, verpflichtet sie für ein Jahr zur Armee, und stellt viel Geld sowie die russische Staatsangehörigkeit (12) in Aussicht. Bis November 2024 bekamen 3.344 Ausländer aufgrund ihres Kriegseinsatzes die russische Staatsangehörigkeit. (13)
Ein Nepalese glaubte an eine bessere Zukunft, als er auf Facebook eine Anzeige sah, dass man in Luxemburg Bauern suche. Er meldete sich, fand sich aber nach dem Flug nach Dubai in Moskau und schließlich in Rostow am Don wider. Er sollte ohne Ausbildung in den Krieg. Das lehnte er ab und stellte sich der russischen Polizei. Durch Druck seiner Familie und der nepalesischen Regierung konnte er nach 56 Tagen in der Arrestzelle schließlich wieder heimreisen. Er hatte zwar Geld auf ein russisches Konto bekommen, aber nicht das, was vereinbart war. Ein Transfer der Summe nach Nepal erwies sich als unmöglich. 272 nepalesische Familien suchen in Russland nach verschwundenen Angehörigen. (14)
Kleine Statistik
In der russischen Armee waren laut „The Insider“ (USA) vom 7.11.2024 im April 2024 (in Klammern, die Anzahl der im Krieg bis September 2024 Getöteten): Nepalesen 246 (40), Inder 91 (9), Sri Lanker 288 (16).
12.000 Nord-Koreaner
Viele arme Staaten verleihen ihre Bürger als Soldaten, um an Einnahmen zu kommen. Den Sold kassiert zum größten Teil der Staat. So ist das auch bei den viel gerühmten Blauhelm-Soldaten der UNO. Die Ärmsten sollen die von den reichen Staaten verursachten Konflikte befrieden. Fidschi, das keine Armee hatte, entsandte z. B. vor vielen Jahren Blauhelme nach Libanon, die nach ihrer Rückkehr putschten und eine Militärdiktatur errichteten.
Wenn die eigenen Soldaten zur Neige gehen oder zu wertvoll sind, kommen reiche Staaten gerne auf die Idee, solche aus anderen Staaten einzukaufen. So ist das vermutlich auch bei den 12.000 Nordkoreanern, die jetzt das von der Ukraine besetzte Gebiet um Kursk freikämpfen sollen und auch in der Rüstungsproduktion eingesetzt werden. Es wird berichtet, dass sie dafür nur kurz vorbereitet wurden und russische Uniformen sowie Falschidentitäten erhielten. Nordkorea erhofft sich dadurch Einnahmen, einen Verbündeten für die Zukunft und nicht zuletzt Kriegserfahrung. An dieser mangelt es offensichtlich, denn die Erfolge sind bescheiden und es sind schon viele in Kriegsgefangenschaft. (15)
Ukraine
Schon bald nach Kriegsbeginn behauptete die Ukraine die Ankunft von 20.000 Freiwilligen aus 52 Ländern, darunter 3.000 US-Amerikaner, aus Großbritannien 120 ehemalige Fallschirmspringer und vier Deserteure der königlichen Leibgarde. Japaner und Australier seien in der Internationalen Legion. (16) Es gibt eine „Belarussische Legion“(17) und die „Georgische Legion in der Ukraine“, unter dem Anführer Mamuka Mamulaschwili, die bekannt dafür ist, dass sie „niemals Gefangene macht“ (18).
Es gibt etwa tausend Russen, die in mehreren Einheiten, zumeist unter der Schirmherrschaft des Militärgeheimdienstes GRU, vor allem russisches Territorium angreifen, oft auch auf eigene Faust. Dazu gehört das Freiwilligenkorps RDK des russischen Rechtsextremisten Denis Nikitin (Kampfname „White Rex“). Er hat in Westeuropa Einreiseverbot, da er 2016 bei einem Fußballspiel in Marseille an Auseinandersetzungen mit britischen Fans beteiligt war. Weitere Einheiten sind: „Freiheit Russlands“ und das „Sibirische Bataillon“. (19)
Beispiel Kolumbianer:
Jahrzehntelang kämpften in Kolumbien Paramilitärs, verschiedene Guerillagruppen und die Armee mit- und gegeneinander. Nachdem das Kriegsgeschehen weitestgehend zum Erliegen kam, sollte es für die nun Arbeitslosen Unterstützung geben. Gab es auch, aber nur für wenige. Und so machte sich wohl eine nicht unbeträchtliche Anzahl auf in die Ukraine. Sie wurden in Ternopil vorbereitet und dann im Karpaten-Bataillon „Sitsch“ oder dem Internationalen Bataillon eingesetzt (20). Sie stellten bald fest, dass sie verheizt werden. Die Bezahlung kam nicht, und: Wer stirbt, bekommt nichts.
Söldnertruppen Asow und Wagner
Schon bei der Einnahme der Krim 2014 spielten Freiwillige und Söldner aus Russland eine herausragende Rolle. In der Folgezeit entstanden auf beiden Seiten immer mehr solcher Einheiten. Die bekanntesten sind das ukrainische Asow-Bataillon und die Wagner-Truppe in Russland.
Asow, ursprünglich finanziert von einem ukrainischen Oligarchen, war ein Ergebnis des Majdan. Asow rekrutierte in der Ukraine Nationalisten und Faschisten und versuchte das auch in anderen Ländern, wobei man in Großbritannien, Österreich, Deutschland und Israel erfolgreich war. (21) Die mehrere tausend Söldner umfassende Truppe hatte ihren Sitz im Stahlwerk in Mariupol. Bei der Eroberung durch russische Einheiten kamen laut SZ vom 4. Februar 2024 geschätzt 1.000 in Kriegsgefangenschaft. Einige davon kamen inzwischen wieder frei. Die Reste von Asow wurden in die ukrainische Armee integriert.
In Russland soll es etwa 30 Privatarmeen geben. Sie erhalten Geld und Waffen vom Staat, von Unternehmen oder Oligarchen. In der Ukraine kämpfen Achmat (Tschetschenen, geschickt vom Präsidenten Kadyrow), das Sparta-Bataillon, das Slawische Corps, die Kosaken-Einheit, der St. Andreas-Kreuz-Verband (gegründet von der russischen Orthodoxie), Convoy, Enot, Redut, Patriot (unter Verteidigungsminister Schoigu aus Sondereinheiten zusammengestellt). Fakel und Plamya, wurden eigentlich vom Gas- und Ölkonzern Gazprom für den Syrienkrieg eingerichtet. (22)
Die bekannteste ist Wagner unter ihrem Anführer Prigoschin, einem Vertrauten Putins. Wagner entstand 2014 und war sowohl bei der Krim-Besetzung und dann auch im Südosten der Ukraine aktiv. Laut FR vom 11. November 2023 rekrutierte Prigoschin 50.000 Männer aus Gefängnissen. Ihnen werden viele Kriegsverbrechen angelastet. Prigoschin forderte mehr Waffen und ein vehementeres Vorgehen. Als er dann eine Art Putsch versuchte, stürzte wenig später sein Flugzeug ab. Seine Söldner sollten zum Großteil nach Belarus, waren aber mit den Bedingungen dort nicht zufrieden und sind dann doch in die russische Armee integriert worden. Auch die von Wagner in Syrien und etlichen afrikanischen Ländern getätigten Unternehmungen sind von der russischen Armee übernommen worden. (23)
Kriegsgefangene
Vom Gegner gefangen genommen zu werden, als Ausweg aus dem Krieg, ist gar nicht so einfach. Die Behandlung der ukrainischen Kriegsgefangenen durch Russland ist nach allen Berichten katastrophal. Am 29. Juli 2022 landete im russischen Kriegsgefangenenlager Oleniwka eine ukrainische Rakete, dabei starben laut SZ-Magazin vom 24. März 2023 mindestens 53 ukrainische Kriegsgefangene aus Mariupol. Zudem behauptete Russland, dass in einem von der Ukraine abgeschossenen Flugzeug Kriegsgefangene gewesen seien, die zum Austausch vorgesehen waren.
In der Ukraine sollen dagegen die Kriegsgefangenen mustergültig behandelt werden. Aber, so der Spiegel vom 16 April 2022: „Auch ukrainische Soldaten haben offenbar Kriegsgefangene erschossen oder gefoltert.“
Es kommt immer wieder zum Austausch, zumeist 100 gegen 100. Was aber, wenn der Einzelne gar nicht zurück will? Offenbar gibt es da keine Hemmnisse. Man erinnere sich nur an den in die Ukraine desertierten Wagner-Söldner, der nach seiner Rückkehr mit einem Hammer erschlagen wurde. (24)
Afrikaner kommen auf vier Wegen ins russische Militär: Da sind diejenigen, die über Belarus in die EU kommen wollten, dann jene, die in Russland studieren, jene, die angeworben werden, und jene, die auf eigene Faust ihr Glück versuchen. Zu Letzteren gehört R aus Sierra Leone, einem Staat, der in 50 Jahren 13 Militärputsche und Versuche hinter sich hat. R hatte zehn Jahre gedient, wollte mit Militär und Krieg nichts mehr zu tun haben und stattdessen für seine Familie sorgen. Er sparte, sah, dass er keine Chance hat, nach Westeuropa zu kommen, beauftragte einen Agenten, der ihm in Guinea ein Visum für Russland besorgte. 7.000 Euro hat er dafür bezahlt. Im September 2023 kam er in St. Petersburg an, wollte arbeiten, aber ohne Sprachkenntnisse blieb ihm schließlich nichts anderes als einen Vertrag zu unterschreiben, von dem er bloß verstand: 2.000 Euro/Monat. Zwei Wochen Ausbildung. Handy und Dokumente wurden ihm abgenommen. Schon bald war er an der Front und wurde am Bein verletzt. Kaum genesen musste er erneut in den Einsatz, diesmal: schwere Verwundung. Ukrainische Soldaten fanden ihn – und jetzt ist er seit acht Monaten in ukrainischer Kriegsgefangenschaft. Ihm ergeht es wie zig Ausländern: Keiner von ihnen wurde von Russland je auf Austauschlisten aufgeführt. Ohne Geld und Papiere ist sein Schicksal ungewiss. Er kann nicht mal seine Familie informieren. Er sieht auch Schwierigkeiten, die eigene Regierung um Hilfe zu bitten, denn er könnte wegen Söldnertum angeklagt werden. (25)
Überläufer
Überläufer, also Soldaten, die aus zumeist politischen Gründen die Seiten wechseln, gibt es oft in Kriegen. Klar, dass die eigenen Geheimdienste sie besonders im Visier haben. Auf etliche Ukrainer in Russland wurden Attentate verübt. In der Ukraine gibt es eine aus mehreren Dutzend Personen bestehende Einheit, an der auch übergelaufene Russen mitwirken, die darauf spezialisiert ist, z. B. über soziale Medien mit Hotline zum Überlaufen bereite russische Soldaten ausfindig zu machen. Man entwickelt dann passende Fluchtpläne. Es soll bislang 220 Überläufer geben. (26) Sie kommen in „Schutzhaft für Kriegsgefangene“. Wem es gelingt, den Häschern zu entkommen und dann z. B. mit einer sogenannten Großwaffe ankommt, dem wird eine nicht unbeträchtliche Belohnung versprochen. Versprochen wird nach verschiedenen Meldungen eine neue Identität und Asyl in den Niederlanden oder Deutschland. (27) Wie und ob das überhaupt funktioniert, konnte ich bislang nicht herausfinden.
Soldaten werden nach dem Überlaufen geheimdienstlich vernommen und gefragt, ob sie jetzt für die Ukraine kämpfen wollen. Ein Fall ist durch die Medien gegangen: Nach sechs Monaten Vorbereitungszeit gelangte der russische Hubschrauberpilot Maxim Kuzminov im August 2023 in die Ukraine. Er wurde prominent in den Medien gezeigt und bekam für den Hubschrauber die versprochenen 500.000 Euro. Im Februar 2024 machte er im spanischen Küstenort Villajoyosa Urlaub. Dort wurde er Opfer eines Verkehrsunfalls mit sechs Kugeln im Kopf. (28) Er war aber nicht der Einzige im Hubschrauber. Die unbewaffnete restliche Besatzung wollte mit der Flucht nichts zu tun haben und wieder zurück. Der ukrainische Militärgeheimdienst GRU, gefragt, was mit ihnen geschehen sei, antwortete: „Die anderen Crew-Mitglieder wurden eliminiert.“ (29)
Auf russischer Seite kämpfen geschätzt über 10.000 Ukrainer. Es gibt darunter wohl auch Freiwillige, aber es sind doch vor allem jene, die aus den besetzten Gebieten zwangsrekrutiert wurden. (40.000 wurden laut Nowaya Gazeta vom 8. September 2024 per Dekret eingebürgert. Auf ukrainischer Seite kämpfen mehrere russische Einheiten, vermutlich mit über 1.000 Mann.
Es stellt sich die Frage, was mit den Überläufern wird, wenn der Krieg dann doch irgendwann zu Ende geht? Sie können wohl kaum zurückkehren.
Die Toten und Verletzten des Ukraine-Krieges sollen nach neuesten Angaben bei einer Million liegen. Um den Krieg weiterführen zu können, hat man begonnen, die Ausreise zu erschweren bzw. die Grenze zu schließen. Überall gibt es jetzt die eigentlich verbotene Zwangsrekrutierung. Auch die Ausschlusskriterien bei der Musterung wurden reduziert und man rekrutiert auch in Gefängnissen. Die Anzahl der Inhaftierten soll in Russland um 135.000 abgenommen haben (30), aus der Ukraine werden über 3.000 Häftlinge gemeldet, die man rekrutiert hat. Auch Frauen sind ein Reservoir, auf das gerne zurückgegriffen wird. In der ukrainischen Armee dienten schon seit Jahren über 20 Prozent Frauen, das ist der höchste Anteil in Europa. Nach einer aktuellen Meldung aus Russland bewerben sich immer mehr, gerade auch junge Frauen aus den Gefängnissen für einen Dienst in der Armee, und hoffen so, ihre Strafe auf ein halbes bzw. ein Jahr reduzieren zu können. (31)
Deutsche
Schon bald nach Kriegsbeginn konnte man vernehmen, dass die deutschen Rechtsaußen-Parteien für den Krieg werben. Die AfD für Russland und „Der Dritte Weg“ für die Ukraine. Wie viele tatsächlich den Weg in den Krieg gegangen sind, und wie es ihnen dort ergangen ist, weiß ich nicht.
Mitte Mai 2023 fand ein Soli-Konzert für Connection e.V. in der Au, einem besetzten Kommunikationszentrum in Frankfurt/M., statt. Ich sollte eine kleine Rede dazu halten. Mich wunderten die merkwürdigen Plakate und Transparente, die dort überall hingen: „Gegen alle imperialistischen Kriege“ usw. Es waren auch Aufkleber zu finden: „statt unterwerfungspazifismus – Let’s burn the Kremlin down!“ von einer U.L. Brigade Nestor Machno (siehe Abbildung auf dieser Seite). Diese Brigade kämpft mit anarchistischer Flagge im Donbass und arbeitet mit dem Netzwerk Solidarity Collectives zusammen, das die Kämpfer mit Ausrüstung versorgt. (32) Ich erkundigte mich bei den Einladenden, was das alles zu bedeuten habe und bekam zur Antwort, dass sich am vergangenen Wochenende einige Dutzend Anarchisten, auch aus anderen Ländern, in der Au getroffen hätten, um sich auf die Reise in die Ukraine vorzubereiten. Laut ABC Kyiw vom 8. Mai 2024 „haben antiautoritäre Aktivist:innen beschlossen, sich dem militärischen Kampf anzuschließen, auch wenn dies bedeutet, mit dem ukrainischen Staat zu kooperieren“.
Mit ihnen wollte man nichts zu tun haben, darum auch das Soli-Konzert für Connection e. V., den Offenbacher Verein, der Deserteure unterstützt.
Nach Angaben der Bundesregierung sind laut FR vom 15. November 2024 seit Beginn des Krieges zehn Deutsche in der Ukraine umgekommen, darunter welche in der Internationalen Legion.
Ben E., ein deutscher Deserteur im ukrainischen Schützengraben
Ben. E. aus Oberfranken hatte sich für zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet, dort aber zuletzt Schwierigkeiten, denn er bekam ein „Uniformtrage- und Dienstausübungsverbot“. Er ist aus der Bundeswehr desertiert und half zuerst bei der Flutkatastrophe im Ahrtal, wo es Anzeigen von Frauen gegen ihn wegen Vergewaltigung gab. Daraufhin setzte er sich in die Ukraine ab. Bei einer Wohnungsdurchsuchung fand man Waffen und Bundeswehr-Munition. Auch aus der Ukraine werden nun weitere Vergewaltigungen und Kinderpornografie gemeldet, die er postete. Aber er ist seit Sommer 2023 Teil der ukrainischen Armee und erhält dort das Übliche: 2-2.500 Euro/Monat. Die deutsche Staatsanwaltschaft stellte mehrere Auslieferungsanträge, darunter zwei europäische, aber die ukrainischen Behörden reagieren nicht. Die Gerichte wollen sich offensichtlich nicht mit der Armee anlegen. (33)
Unter anderem über Deutsche, die auf russischer Seite kämpfen, schreibt The Insider/USA vom 7. November 2024: „Grob geschätzt haben sich etwa 2.000 aus über 50 Ländern an den Kämpfen im Donbass beteiligt. Die größten Kontingente kommen aus Belarus (800), Deutschland (160), Georgien (150) und den Vereinigten Staaten (30). Viele davon dienten bei der Internationalen Brigade „Pyatnashka“ und bei Wagner.“ Ich gehe davon aus, dass sich darunter eine nicht unbeträchtliche Anzahl von AfD-Anhängern befindet. Diese Partei hat den höchsten Anteil von Militärs in seinen Reihen und wird zudem von vielen sogenannten Russlanddeutschen unterstützt, die schon gleich zu Kriegsbeginn z. B. mit Autocorsos und russischen Flaggen auffielen.
Resümee und rechtliche Wertung
Als Kriegsgegner kann ich nur davon abraten, in den Krieg zu ziehen. Egal, ob für Angriff oder Verteidigung. In der Praxis stellt sich das nicht so viel anders dar.
Es macht wohl schon einen Unterschied, ob sich jemand freiwillig meldete, ob er angeworben oder vom jeweiligen Staat entsandt wurde. Aber im Endeffekt haben alle Ausländer ähnlich schlechte Bedingungen: Sie sind Krieger zweiter Klasse. Das fängt bei der unzureichenden Ausbildung an. Sie sollen einen Großteil der Ausrüstung selbst kaufen, sie werden unzureichend ausgerüstet, sie bekommen die schlechtesten Waffen, rationierte Munition und werden grundsätzlich an den schwierigsten Stellen eingesetzt. Zumeist bekommen sie zwar Verträge, z. B. über ein halbes Jahr oder ein Jahr, aber wenn der Krieg dann noch nicht beendet ist, zwingt man sie, weiterzumachen. Der Kriegsdienst endet erst mit dem Krieg. Oder schon vorher mit Verletzung oder Tod. Verletzte Ausländer werden nicht bevorzugt behandelt, sie werden auch nicht, wie z. B. Ukrainer, in deutsche Krankenhäuser ausgeflogen. Und wer im Krieg getötet wird, da sparen sich die Kriegsparteien gerne das Geld. Ein beliebtes Mittel zu diesem Zweck ist, die Toten als Vermisste zu kategorisieren. Wer nicht spurt, ist oft brutalster Gewalt ausgesetzt. Wer seine Kriegsteilnahme beenden will, sieht sich vor größten Problemen. Zwar wird ihnen in der Regel ein durchaus verhältnismäßig hoher Sold versprochen, aber wieviel davon dann tatsächlich ausbezahlt wird, ist ungewiss.
Dazu kommt:
Die gravierendsten Kriegsverbrechen werden in der Regel von Söldnertruppen begangen. Brutalste Gewalt herrscht nicht nur in diesen Gruppen, sie üben sie auch aus. Darum stellt sich die rechtliche Frage. Während der Verteidigungskrieg der Ukraine allgemein als gerechtfertigt angesehen wird, ist jede Beteiligung auf russischer Seite an und für sich ein Verbrechen, für das jeder Soldat individuell verantwortlich gemacht werden kann. Gemäß dem Weltrechtsprinzip ist jeder Staat verpflichtet, das Mitwirken zu ahnden. Da vermutlich auch auf ukrainischer Seite Kriegsverbrechen begangen wurden (34), können diese ebenfalls verfolgt werden.
Auch wenn es einen großen Fortschritt darstellt, dass es den Internationalen Strafgerichtshof gibt, der Kriegsverbrechen ahndet, so muss man auch feststellen, dass die kriegführenden Mächte ihn nicht akzeptieren. USA, Russland und andere Krieg führende Staaten erkennen ihn nicht an, denn sie wollen sich bei ihrer eigenen Kriegführung nicht gängeln lassen. Die Ukraine erkennt ihn erst seit November 2024 an, mit der Einschränkung, dass die eigenen Soldaten über sieben Jahre nicht verfolgt werden. (35) Deutschland erkennt ihn zwar an, aber ob man geneigt ist, z. B. den Haftbefehl gegen den israelischen Präsidenten Netanjahu zu vollstrecken, ist aufgrund der bisherigen Stellungnahmen, z. B. auch vom voraussichtlich künftigen Bundeskanzler Merz, zu bezweifeln. Verstöße können nach dem Weltrechtsprinzip auch in Drittstaaten verfolgt werden.
Der Sinn des Krieges, so viele Feinde wie möglich zu töten, wird mit der Dauer immer mehr zur Schimäre. Er habe das Gefühl, „dass wir nur ein Werkzeug sind, das Russland schwächen soll“, so ein ukrainischer Soldat. (36)
(1) Peter Bender: Weltmacht Amerika – Das neue Rom. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2003, S. 233). Es kamen (Militär-)Berater und wohl auch noch anderes aus Litauen, Großbritannien, Kanada und den USA. (SZ, 24.2.23)
(2) Rheinzeitung, Koblenz, 4.4.2001
(3) HR2, 5.5.22
(4) Der Spiegel, 18.1.25
(5) Le Monde diplomatique (LMd), März 2024
(6) Pesti Srácok/HU, 23.1.24
(7) LMd, Februar 2024
(8) Der Spiegel, 9.4.22
(9) Anton Vydra diente in Israel, kehrte 2021 nach Russland zurück, schloss sich den Lugansker Paramilitärs an und wurde durch eine Drohne getötet. De Standaard/NL, 26.9.24. Weiterer Fall: SZ, 21.1.24
(10) „Hunderte Huthis“. FR, 26.11.24
(11) Man rekrutierte 4.000 von 22.000 Bewerbungen. Union pacifiste/F, Mai 2022
(12) Guardian, 7.3.24
(13) The Insider/USA, 7.11.24
(14) SZ, 23.3.24
(15) FR, 25.10.24 ; Der Spiegel, 28.12.24
(16) Spiegel, 16.4.22
(17) Spiegel, 9.4.22
(18) Freitag, 13.2.25
(19) Freitag, 5.10.24
(20) LMd, Feb. 24
(21) jW, 8.4.22, Spiegel, 9.4.22
(22) LMd, Aug. 23
(23) SZ, 26.8.23
(24) SZ, 26.8.23
(25) The Insider/USA, 7.11.24
(26) Financial Times, 3.1.24 ; FR, 5.10.24
(27) RT, 17.3.23
(28) Spiegel, 9.11.24
(29) FR, 6.9.23 ; FR, 3.1.24
(30) SZ, 26.1.24
(31) Spiegel, 25.2.25
(32) Jungle World, 5.2.24
(33) Spiegel, 7. und 21.12.24
(34) FriedensForum, Nov. 24
(35) vgl. Kai Ambos: Doppelmoral. Frankfurt 2022, S. 13
(36) Spiegel, 15.2.25
Franz Nadler ist aktiv bei Connection e.V. in Offenbach. Im Januar 2025 erschien in der GWR 495 u. a. sein Artikel „‘Neue’ Militärdienstpflicht und Kriegsdienstverweigerung“. Siehe: https://www.graswurzel.net/gwr/2024/12/neue-militaerdienstpflicht-und-kriegsdienstverweigerung/
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.