editorial

Mit Emma und Ursula für Anarchie und Glück

Gegen Militarisierung, Autokratien und tickende Zeitbomben

| Bernd Drücke

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Liebe Leser*innen,

die Palmölproduktion in Lateinamerika (S. 1, 19) wurde selten in der GWR thematisiert. Dabei ist das Thema ähnlich brisant wie die tickende Zeitbombe, über die Olga Karach auf Seite 22 berichtet: Das Atomkraftwerk Ostrovets in Belarus.
Einen wichtigen Beitrag zur Geschichtsschreibung von unten leistet die Historikerin Anne S. Respondek. Ihre GWR-Artikelserie über KZ-Bordelle endet in dieser Ausgabe mit ihrem Text über den Umgang mit den von der KZ-Zwangsprostitution betroffenen Frauen nach 1945 (S. 16).
Die Faschisten und ihre Ideologien waren nach dem Zweiten Weltkrieg nie ganz weg. Seit Januar 2025 können wir live die Verwandlung der US-amerikanischen Demokratie in eine faschistoide Autokratie beobachten. Siehe: „Ein Wegbereiter autokratischer Herrschaft: Peter Thiel“ (S. 17).
In Österreich ist zwar die Regierungsbildung unter Führung der rechtsnationalistischen FPÖ gescheitert. Aber die neue Koalition aus NEOS, SPÖ und ÖVP hat sich im Bereich Asyl und Migration auf Maßnahmen geeinigt, die die Handschrift der AfD-Schwesterpartei tragen. Das zeigt Rosalia Krenn auf Seite 18.
Wie krass der Rechtsruck auch in Deutschland ist, konnten wir am 25. März bei der ersten Sitzung des neu konstituierten Bundestags sehen. Im geschrumpften Parlament hat sich die Zahl der zum großen Teil neofaschistischen AfD-Abgeordneten auf 152 verdoppelt.
Wir dürfen uns nicht an die Rassisten im Bundestag und auf der Straße gewöhnen. Es gilt, die antifaschistischen Bewegungen zu stärken, Bündnisse zu organisieren, den Rechten auch im Alltag keinen Fußbreit zu überlassen. Eine Aufgabe der GWR ist es, freiheitlich-sozialistische Utopien für eine menschenfreundliche, gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft zu verbreiten – gegen den reaktionären Zeitgeist.
Mit einem Kanzler Merz droht ein verschärfter Rechtsruck, Sozialkahlschlag und eine rassistische Politik gegen Geflüchtete. Er will das Asylrecht weiter aushebeln und das Bürgergeld einstampfen.
Die neue Regierung steht für Remilitarisierung. CDU/CSU planen die Wiedereinführung von Zwangsdiensten, eine neue Kriegsdienstpflicht bzw. „Wehrpflicht“. 400 Milliarden Euro sollen für Bundeswehr und Krieg ausgegeben werden. Die Ausgaben fürs Militär sind ab sofort von der „Schuldenbremse“ ausgenommen.
Um die Aufrüstung zu rechtfertigen, braucht es Feindbilder. „Nicht der Despot Putin, seine Oligarchen und seine Armee sind die Schuldigen, sondern ‚der Russe‘. So wundert es nicht, dass russische Deserteure Probleme haben, in Deutschland Asyl zu bekommen“, schreibt Rolf Cantzen in seinem Artikel „Der brutale Russe“ (S. 6). Er macht klar, dass es im Sinne einer antimilitaristischen Herrschaftskritik wichtig ist, die Frontstellung West gegen Ost auch unter rassismuskritischen Aspekten zu reflektieren.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind nach neuesten Angaben über eine Million Menschen getötet oder verletzt worden. Um den Krieg weiterführen zu können, haben beide Kriegsparteien ausländische Söldner angeworben. Um diese „Krieger zweiter Klasse“ geht es in den Artikeln von Franz Nadler auf Seite 3ff.
Im Beitrag „Antimilitaristisch gegen Querfront und Staatsräson“ werden auch nicht-staatliche Utopien für ein entmilitarisiertes Israel-Palästina diskutiert (S. 8f.).
Der Artikel „Gewaltfreie Revolution auf den Philippinen“ (S. 9) zeigt, wie von 1984 bis 1986 auf den Philippinen die Marcos-Diktatur ohne Blutvergießen überwunden wurde. Großartig!
Hoffnung macht auch die basisdemokratische Bewegung, die seit November 2024 gegen das korrupte Regime in Serbien demonstriert (S. 11). Ebenso der größte Generalstreik in der Geschichte Griechenlands (S. 1, 10) und die feministische Bewegung gegen Femizide in Mexiko (S. 13).
Um den Feminismus Ursula K. Le Guins geht es auf Seite 14. An Emma Goldman erinnert Gisela Notz (S. 15). Die Anarchistin Goldman wandte sich übrigens vehement auch gegen das Militär, das sie als Instrument zur Unterdrückung sowohl anderer Nationen als auch der Soldaten sah. Kritisch betrachtete sie die schon in ihrer Zeit hochgerüstete USA. Bereits in der Schule würden „Kinder in militärischer Taktik geübt, der Ruhm militärischer Siege stundenplanmäßig besungen und das kindliche Bewusstsein pervertiert, um der Regierung zu gefallen“, schrieb sie 1911 in ihrer Zeitschrift „Mother Earth“. Heere und Marine seien Zeichen des Freiheitszerfalls, die Anarchist*innen dagegen die „einzige(n) wirkliche(n) Advokaten des Friedens“, die sich gegen den Militarismus wenden. Ihre Hoffnung war, dass sich auch die anderen Menschen eines Tages solidarisch verhalten, das Militär und den Krieg boykottieren und sich friedlich und frei zusammenschließen würden.
1925 war Emma auf der internationalen Konferenz der War Resisters’ International (WRI), der antimilitaristischen Internationale der Kriegs-dienstgegner*innen also, der seit 1973 auch die GWR angehört. Auf der WRI-Konferenz formulierte sie, dass der Krieg einen Höhepunkt in der dauernd vom Staate ausgeübten Unterdrückung darstelle. „Der Staat selbst ist die ausgesprochenste Form der Unterdrückung. Er greift in jede Lebenssphäre ein und wirkt daher als andauernder Zwang.“ Ihm stehe nicht das Recht zu, über das menschliche Leben zu verfügen. Es gelte vielmehr, gegen Krieg wirksamen Widerstand zu leisten.
Die Positionen Emma Goldmans bleiben aktuell. Sie inspiriert uns, um für eine nicht-kapitalistische Gesellschaft jenseits von Militarisierung, Herrschaft, Patriarchat und Gewalt einzutreten.

Viel Spaß beim Lesen, Anarchie und Glück,
Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)