Das ganze letzte Trimester über standen die Mitglieder der Summerhill-Gemeinschaft unter Strom – wir sollten eindeutig geschlossen werden. Die Regierung Blair wollte sich mit ihrem Bildungskurs durchsetzen und an unserer Schule ein Exempel statuieren.
Die Besuche von „wichtigen Leuten“ wurden immer mehr. Wöchentlich kamen JournalistInnen, deren Einfluss zu der Zeit besonders wichtig für uns war, unser Anwaltsteam Mark Stephens (ein bekannter Menschenrechtsanwalt) und Geoffrey Robertson, die Anwälte der Gegenseite, die drei Richter…
Am Samstag, bevor die Verhandlung begann, hatten wir eine Schulparty, die Zoe (Zoe Readhead ist Leiterin der Summerhill School) vorgeschlagen hatte, um ihre ganze „Familie“ noch einmal beisammen zu haben. Wir wussten, dass wir ein gutes Team hatten, die Stimmung war eine Mischung aus Vorfreude, Kampfeslust (ein paar Kinder legten indianische Kriegsbemalung auf) und Angst (wann können wir wieder alle so beisammen sein?).
Bis auf wenige Kinder ist die ganze Schule zum ersten Verhandlungstag gefahren. Wir wussten, dass unsere Anwälte gut waren, aber die Regierung konnte natürlich soviel Geld in diesen Prozess stecken, wie sie wollte.
Vor dem Gerichtsgebäude empfing uns Zoe mit Tränen der Anspannung in den Augen.
Beim Eröffnungsstatement kam mir die Anwältin des DfEE (Bildungsministerium) ein bisschen unorganisiert vor. Das Gericht annulierte nach einigen von unserem Anwalt Geoffrey Robertson aufgedeckten Widersprüchen des DfEE, repräsentiert durch Mr. Phipps, die Beschwerde Nr. 2, die besagte, dass Mädchen, Jungen und LehrerInnen verschiedene und gekennzeichnete Toiletten benutzen sollten (s. GWR 247).
Mr. Phipps wurde vom Richter an diesem Tag mit „Hausaufgaben“ nach Hause geschickt, er solle mit A.S. Neills Literatur seine Behauptung bestätigen, dass dort stünde, dass Kinder zum Unterricht „ermutigt“ werden sollten. Er solle außerdem bis zum nächsten Tag einen Beweis erbringen, dass der Bildungsminister Blunkett die Schließungsdrohung überhaupt angeordnet hatte.
Am Dienstag konnte Mr. Phipps erst mit einer Stunde Verspätung zum Gericht kommen, da er Migräne hatte.
Dienstag und Mittwoch konnte ich nicht nach London fahren, die Schule musste ja trotz aller Aufregung weitergehen, obwohl es schwer war, immer erst nachmittags herauszufinden, was am Tag passiert war.
Jedenfalls lief es gut, die Anwältin des Bildungsministeriums hat sich wohl eine halbe Stunde über Lehrmethoden in Summerhill ausgelassen und kam zu dem Schluss, wie nutzlos diese doch seien. Der Richter sagte dazu, dass er daran gar nichts schlechtes finden könne, dass er unsere Methoden sogar vorbildlich fände.
Es kam heraus, dass außer Summerhill noch 210 andere Schulen auf einer geheimen Beobachtungsliste (tbw – to be watched) standen, und keine der Schulen davon weiß. Diese Schulen werden jährlich (alle 5 Jahre ist normal) inspiziert.
Am Mittwoch wurde die Verhandlung vorzeitig abgebrochen, da sich die Anwälte unterhalten wollten.
Nachts um 12 Uhr rief Michael (ein Lehrer aus Summerhill) bei uns an, und sagte uns, dass wir am nächsten Tag so viele Kinder wie möglich mitbringen sollten, da wir „wahrscheinlich gewonnen“ hätten.
Als wir morgens ankamen, war der Deal schon so gut wie perfekt, wir warteten nur noch auf Blunketts o.k., und dann stellte uns der Richter den Gerichtssaal zur Verfügung, um darin ein Special Meeting der Schule abzuhalten – denn auf unserer Seite reicht es ja nicht, wenn die Anwälte und Zoe damit einverstanden sind. Es hat jeder eine Stimme. Wir hatten ein basisdemokratisches Schulmeeting in den Royal Courts of Justice!
Die Vereinbarung wurde nach kurzer Diskussion einstimmig angenommen. Wir hatten viel mehr gewonnen als es durch einen Richterspruch möglich gewesen wäre. In dem Deal wurde festgelegt, dass
- Complaints 4 und 6 annuliert werden.
- Die Schule von nun an auf der Basis von Neills Büchern inspiziert wird,
- Wir von der illegalen „tbw“-Liste gestrichen werden,
- Wir nicht vor 2004 inspiziert werden,
- Summerhill bei den nächsten Inspektionen einen unabhängigen Report präsentieren kann, der in die Bewertung mit einfließen muss,
- Die Stimme der SchülerInnen gehört werden muss,
- Lernen nicht nur im Unterricht stattfindet,
- Die Schulbehörde einen Beitrag zu unseren Kosten trägt.
Meines Wissens nach bezahlt der Staat ein Drittel der sich auf ca. 100.000 Pfund belaufenden Prozesskosten.
Mark Stephens hatte die Kinder Plakate zum Posieren vor den vielen Kameras machen lassen. Er hatte einen Spruch von Neills Freund George Bernard Shaw („Those who can, do. Those who can’t, teach. – Die, die können, tun. Die, die nicht können, lehren.“) auf uns zugeschnitten und in seinem Eröffnungsstatement benutzt: „Those who can, teach. Those who can’t, inspect“.
Mark und Geoffrey, unsere Anwälte, mussten allerdings noch den nächsten Tag damit verbringen, den JournalistInnen die Lügen in der Presseerklärung des DfEE richtigzustellen.
Mark und seine zwei Töchter kamen zu unserer „End of Term Party“, wo unser ganzes Anwaltsteam zu Ehren- Summerhillians erklärt wurde.
Während der Party fand dann noch ein Elterntreffen statt, denn die Eltern wollten erwirken, dass die 61 anderen Privatschulen der 210 Schulen auf der Beobachtungsliste benachrichtigt werden und sich dann mit diesen zur gegenseitigen Unterstützung treffen.
Lest doch mal die Summerhill Website (www.s-hill.demon.co.uk), dort gibt es den unabhängigen Report, die Presseerklärung des DfEE, ein Prozesstagebuch von einem anderen Summerhill Lehrer und viele Fotos.