graswurzelrevolution

Welche ihre Füße unter unseren Tisch stellt…

Der gewalttätige Umgang mit dem "Anderen" in der Graswurzelrevolution

| Die feministische Redaktion

Nachdem wir in GWR 250 das 2. Streikpapier, eine Stellungnahme des GWR-HerausgeberInnenkreises und eine Analyse von Ilka veröffentlicht haben, dokumentieren wir hier, wie angekündigt, das dritte Streikpapier der ehemals hauptamtlichen Redakteurin aus München (GWR-Red.):

Der Streik der Redakteurin und der sich solidarisierenden FrauenLesbenRedaktion, sowie der schon vorhergehende Schreibstreik des Ex-Redakteurs, der damit eine Entscheidung über die Moderation herbeiführen wollte, und aller Streiksolidarischen in der Zeitung ist das Ergebnis eines langanhaltenden Versuches, seit November 99 Formen von Auseinandersetzung in der GWR zu bewirken. Seit über einem halben Jahr werden Forderungen der FrauenLesbenRedaktion und des Ex-Redakteurs Andreas nicht gewürdigt, sondern ignoriert und die Gemeinsamkeiten dieser Kritiken abgewehrt, um diese zu entschärfen. Generell ist die GWR von verschiedenen Problemen betroffen, die sich ineinander verzahnen und ein schwieriges Konglomerat von Konflikten hervorrufen: Allgemeine Erstarrung, Strukturprobleme und feministische Defizite in der GWR.

Erstarrung

Der Kern des Herausgeberkreises (es sind defacto nur noch Männer, deshalb verzichte ich auf das große I) – 4 Männer, die schon 10, 15, gar 20 Jahren dabei sind – droht zu erstarren und eine Kommunikation ist aus unserer Perspektive sehr zäh.

Der Herausgeberkreis sieht nicht die zunehmende Dynamik, daß in der Zeitung durch alte Strukturen die nötige Flexibilität verloren geht. Sondern hält im Gegenteil jetzt starr am bisherigen fest, aus Angst, daß die Zeitung den Bach hinunter geht. Dabei wird Kritik als Angriff wahrgenommen und verabsolutiert, anstatt im Geben und Nehmen neue Flexibilität zu erarbeiten.

Die Reaktion auf den Streik entsprach dieser Erstarrung:

In klassischer Weise wurde der Streik mit Abbruch der Kommunikation bestraft, die Regeln eines kapitalistischen Arbeitgebers entsprechen (Arbeitsmoral: arbeiten bis nix mehr geht, Lächerlichmachen des Gegenübers, Streik bedeutet „Vertrauensverlust“, Rauswurf als Antwort auf den Streik, der andere Redakteur wird zum Streikbruch aufgefordert, materielle Abfindung bei Stillschweigen).

Die Redakteurin wurde in einem halböffentlichen Brief eines Mannes aus dem Herausgeberkreis an alle, die auf der HerausgeberInnenliste standen, in ihrem Engagement und ihrer Arbeit mit Unterstellungen und Falschbezichtigungen verunglimpft, sodaß es schwer ist, adäquat darauf zu reagieren. Ohne die Redakteurin und die FrauenLesbenRedaktion je wieder gesprochen noch gesehen zu haben, stellte sich das obengenannte Team hinter die Inhalte und Tendenz des Schmähbrief, der subjektive Einschätzungen mit einem formalen Antrag vermischte, und enthob die Redakteurin glattwegs von ihren Aufgaben. Zur Begründung wurden auch noch unwahre Beschuldigungen angeführt.

Die informelle Hierarchie machte deutlich, daß vor allem ein bis zwei Männer das Sagen haben und deren autoritäre Art auch die Billigung fast aller Beteiligten erfährt. Auf dieser Basis sollen nun noch Gespräche mit der FrauenLesbenRedaktion geführt werden.

Strukturprobleme

Die Struktur der GWR sieht derzeit folgendermaßen aus: Es gibt einen Herausgeberkreis, und zwei hautamtliche Redaktionen.

a) Der Herausgeberkreis trifft sich alle 8 Wochen einen Tag lang. Seine Funktion, die Zeitungsverantwortung zu tragen, schaut seit längerem so aus, daß auf diesem Treffen etwas über die letzten Nummern geplaudert und ein paar technische Regelungen getroffen, sowie die Finanzlage abgeklärt wird.

Alle politischen, inhaltlichen und technischen Entscheidungen treffen die Redaktionen für die Zeitung in ihrem Redaktionsalltag mit ihrer Graswurzelgruppe selbst. Die eigentliche redaktionelle Arbeit, die Artikel auszuwerten und zu besprechen, bleibt meist dem Zufall und der alleinigen Entscheidung der RedakteurInnen überlassen. Es gibt keinen größeren Kreis, der sich mit inhaltlichen Kriterien bezüglich der Veröffentlichungen, mit einer tiefergehenden politischen Auseinandersetzung beschäftigt.

Die Entscheidungen bleiben letztendlich an Einzelpersonen hängen, die nach ihrem Empfinden urteilen.

Der Herausgeberkreis übernimmt derzeit wenig Verantwortung, weitere inhaltliche Rahmenbedingungen der Zeitung real zu tragen. Kritik und Gespräche mit neuen Ideen, die die Zeitung zu ihrem Vorteil umstrukturieren (z.B. Redaktionsarbeit und Organisation zu trennen), finden wenig Raum. Es wird mehr übereinander geredet als miteinander.

Unter den Aktiven gibt es defacto einen Block: die alte Gruppe, die mit dem Graswurzel-Verlag identisch ist, mit dem sich der Münsteraner Redakteur und der Finanzmensch solidarisieren.

Und eine andere Strömung: die Münchner Redakteurin, der Ex-Redakteur, die einzige Frau des Herausgeberkreises und zwei weitere Männer, die ihren Austritt aus dem HerausgeberInnenkreis bekundet haben, um ein Zeichen zu setzen und/oder den Streik zu unterstützen, sowie in Gänze die ganze FrauenLesbenRedaktion. Es handelt sich um insgesamt ungefähr 15 Personen und noch weitere solidarische Autorinnen aus dem Umfeld der FL-Redaktion. Also, durchaus nicht wenige.

b) Weitere Probleme gab es in der Zusammenarbeit der zwei Redaktionen in Münster und München, da diese nie intensiver bearbeitet, problematisiert und diskutiert wurde.

c) Dann gab es Probleme zwischen der sich entwickelnden FrauenLesbenRedaktion und dem Herausgeberkreis:

Durch die überregionale Vernetzung hat jede Redaktion Spielraum, regional die Dinge selbst zu gestalten. Durch die Entwicklung einer eigenständigen Gruppe, wie der FrauenLesbenRedaktion, die einen eigenen mail und Postverteiler entwickelte, den die meisten Männer der Zeitung nicht einsehen konnten, war es für sie nicht möglich, die interne Entwicklung der FL-Redaktion nachzuvollziehen. Dies hinterließ Mißtrauen und den Eindruck, was die Redakteurin denn überhaupt tue, bzw. daß sie nichts tue. Aufgrund dessen, daß die FL-Redaktion wenig thematisiert wurde, obwohl sie eine Menge Diskussionsbedarf aufwarf, wurde es der Redakteurin schwer gemacht, diese Prozesse zu vermitteln.

Feministische Defizite

Vor einem Jahr hat eine seit 10 Jahren männlich geprägte GWR eine feministische Redakteurin angeworben. Sie leistete zusätzlich zu der Bearbeitung der Gesamtzeitung konsequent feministische Aufbauarbeit in der GWR.

Ihre Problematik bestand darin, einer männlich beprägten Antikriegsarbeit, Gewaltfreienbewegung, Anarchismus ect. Feminismus angedeihen zu lassen. Die Redakteurin fing fast bei Null an: Zwei Welten, eine Heteromänner geprägte Zeitungswelt mit der frauenlesbischen Zeitungs- und Lebenswelt zu verknüpfen. Dies hatte aber sogar schon nach einem Jahr Erfolg. Die feministische ”Szene” machte auf. Es entstand eine Gruppe von 15 bis 20 FrauenLesben überregional und vor Ort in Bayern, die in Kontakt gekommen sind und sich immer mehr vernetzen. Sie sind zum Teil Redakteurinnen und Autorinnen der feministischen Presse, Aktivistinnen aus den FrauenLesbenZentren, zu Themen wie Antimilitarismus und Rüstungsindustrie feministische wissenschaftlich Arbeitende. Dezidiert wendeten sich Menschen (um mal alle zu Kategorisieren: es waren in der Tat Frauen, Lesben, Transen und Männer) über die FrauenLesbenRedaktion und deren Redakteurin an die GWR, um ihre Artikel und feministischen Anliegen in die GWR einzubringen.

Leider blies den FrauenLesben schon auf dem HerausgeberInnen-Treffen in Dezember 99 ein herber Wind ins Gesicht.

Dem Dezember-Eklat war schon ein November-Eklat vorausgegangen, als der Redakteurin vom Redakteur verwehrt wurde, eine lesbische Aktion aufs Titelblatt der GWR zu setzen, und dies erst hart erkämpft werden mußte.

Großen Teilen der GWR-Männer ist der Umgang mit FrauenLesbeninteressen einfach ein Fremdwort. Die meisten Heteromänner begegneten FrauenLesben interesse- und erfahrungslos und traten von einem Fettnäpfen ins andere. Sie hätten eine Einsicht in die Unterdrückungsproblematik von Lesben, Schwulen und Frauen in ihrer Alltäglichkeit erwerben müssen, anstatt die feministische Redakteurin einfach hinauszuwerfen.

Die Redakteurin erfuhr wenig Solidarität im praktischen Alltag außer paternalistische Gesten, im Grunde abschätzige oder überhöhte Einschätzungen gegenüber Frauen und insbesondere Lesben.

Die Zuwendungen blieben materiell, abstrakt und kognitiv. Nur mühsam lernte der an Feminismus wenig interessierte anarchistische Redakteur die feministische Welt in ihrer Alltagspraxis schätzen. Für die Redakteurin (und für ihn auch) waren diese Streitigkeiten Knochenarbeit und aus ihrer Perspektive überflüssig, hätte es mehr Erfahrung und Einsichten gegeben. MAN hatte keine praktische Vorstellung, was es bedeutet, in Kontakt mit einer FrauenLesbenSzene tätig zu sein. Zum Beispiel stellte sich da ein Mann vor, einfach den Versand für die feministische Beilage übernehmen zu können, obwohl dies Absprachen unter sich kennenden Frauen in verschiedenen Städten beinhaltete.

Dann regten sich Männer darüber auf, von der FL-Redaktion bevor- und benachteiligt zu werden (z.B. in den internen FrauenLesben-mail-Verteiler aufgenommen zu sein oder nicht). Dabei ist es selbst für institutionalisierte FrauenLesbenReferatsPolitik in Uni-Asten die Regel, ihre Soli-PartnerInnen nach belieben und in ihrer eigenen moralischen Verantwortung hinzuzunehmen und zu verabschieden.

Brachte die Redakteurin Kritik an, war diese oft nebensächlich oder schon zu viel.

In dieser Weise ist feministische Arbeit nur mit Hemmnissen möglich gewesen und macht wenig Spaß. FrauenLesben haben sich einen feministischen Standard von Zusammenarbeit untereinander erarbeitet, von dem gemischte Gruppen lernen könnten.

Die FrauenLesbenRedaktion war jedoch nicht ganz alleine auf sich gestellt, sondern hatten von Anfang an die sofortige Solidarität und Zusammenarbeit mit der einzigen Herausgeberin des alten Kreises auf ihrer Seite und die Unterstützung der schwulen Herausgeber.

Eine Gesamtverantwortung des Herausgeberkreises für die FrauenLesbenRedaktion, ein Sicheindenken und solidarisches Handeln, und trotzdem die eigenen Grenzen kennen, war allerdings nur vereinzelt und nur in Ansätzen vorhanden. Die feministische Redakteurin drohte, stückweise aufgerieben und ihre feministische Funktion ad absurdum geführen zu werden.

In selbstzufriedener Unwissenheit behauptet dann diese Männergruppe, daß sie nichts dafür könne, daß keine Frauen kämen. Frauen wären aus individuellen Gründen gegangen und irgendwie selbst schuld, so wie jetzt die Redakteurin an allem schuld wäre. In dem Schmähbrief des Herausgebers wird sogar FrauenLesben generell das Interesse und die Verantwortlichkeit für die GWR abgesprochen. Eine wirklich sexistische These, Menschen aufgrund ihres Geschlecht generell die politische Arbeit abzusprechen.

Homophobie

In Zeitungsbesprechungen auf dem letzten Kölner Treffen kamen versteckte homophobe Anspielungen zum Tragen. Als FrauenLesbenRedaktion hatten wir gesamtheitlich den Eindruck, das wir im Grunde nur in Maßen erwünscht sind, und das es sehr fraglich ist, wieviel autonome Schwulen-, Lesben-, Behinderten- und Multikultibewegung die Graswurzelrevolution überhaupt verträgt. Eine Öffnung könnte noch Jahre dauern, wenn sowas überhaupt in Erwägung gezogen wurde. Erheben wir Kritik und geben diesem Verhalten einen Namen, nämlich Homophobie, gilt dies als Todschlagargument, anstatt sich mit dem Vorwurf in allen Einzelheiten wirklich zu befassen.

Artikel über „diese“ Menschen mit ihren „Andersartigkeiten“ wären wohl noch zu verkraften gewesen, aber die Idee der FrauenLesbenRedaktion, die Zeitung und den HerausgeberInnenkreis neu zu strukturieren, Menschen aus verschiedenen Bewegungen mit ihren Unterschieden zeitungsorganisatorisch teilhaben und Verantwortung übernehmen zu lassen, rückte immer mehr in weite Ferne.

Streik ist ein Mittel der Auseinandersetzung

Aus diesen Gründen haben wir den Vorwurf der Homophobie, des Sexismus und des A-Label-Anarchismus – ein Anarchismus, der nur auf Vordergründigkeiten und Etikettenpolitik abzielt – formuliert.

Der Rauswurf der Redakteurin und der FrauenLesbenRedaktion zeugt von mangelnder Konfliktfähigkeit, ist selbstherrlich und autoritär. So mancher kapitalistische Betrieb hat mehr Schutzfunktion für seine für ihn Arbeitenden als solch ein Graswurzel-Projekt. Wir fragen uns, auf welcher historischen Tradition dieses Verhalten eigentlich fußt, etwa auf der anarchistischen?

Strukturelle Probleme werden indivualisiert:

der Charakter der Redakteurin sei an allem schuld, sonst würde der Laden schon laufen (Vorwurf, daß die Redakteurin den Austausch unterbinde und zu empfindlich auf Kritik sei, sie intrigiere – es fehlte nur noch das „typisch Frau“ -, Alibi-Frauen werden herangezogen und der Versuch gemacht, Frauen gegeneinander mißtrauisch zu machen).

Das Verhalten, bei der Streikankündigung ein einziges Mal zu telefonieren, einen häßlichen Brief zu schreiben, und dann gesamtheitlich als Männergruppe auch noch die Redakteurin einfach rauszuwerfen, ist uns nicht mehr erklärlich.

Wir distanzieren uns von solch einem Verhalten und wollen in der GWR endlich ehrliche, offene Diskussionen. Streik ist für uns das allerletzte Mittel, zu zeigen, daß es brennt und das wir versuchen, etwas zu ändern. Wir wollen nicht, daß die Redakteurin verheizt und aufgerieben wird.

Wir fordern auf, faire, sachliche Gespräche zu führen, und aufzuhören, unterhalb der Gürtellinie auf Schwächere loszugehen, Mißverständisse auszuräumen und sich tiefergehend auf unsere Kritik einzulassen.

Wir fordern, die persönlichen Beleidigungen, Diffamierungen und Unterstellungen gegenüber der Redakteurin zurückzunehmen und sich zu entschuldigen.

Die Redakteurin hat nichts falsch gemacht, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung gesucht, die durch diesen Schmähbrief erschwert wird.

Der Herausgeberkreis soll die Wiedereinstellung vornehmen und auf einer reflektierteren antisexistischen, homophilen Basis die Redakteurin weiterarbeiten lassen.

Sie hat in einem Jahr viel erreicht und neue Wege in Fragen Antimilitarismus und Gewaltfreiheit beschritten. Behauptungen über ihre mangelnde Arbeitsweise und Desinteresse sind aus der Luft gegriffen.

Falls der Herausgeberkreis, nicht bereit ist, sich bei der Redakteurin und der FrauenLesbenRedaktion zu entschuldigen und den Rauswurf zurückzunehmen, suchen wir neue Wege außerhalb der GWR mit faireren Mitteln, angenehmerem Umgang, weniger Machtinteressen, weniger Gewalt und einem differenzierterem Verhalten gegenüber Menschen und ihren Bedürfnissen. Ruft an, faxt und mailt: FrauenLesbenRedaktion Tel: 089/48954302 -Fax: -3, email: gwr-muenchen@link-m.de. Wir brauchen weiterhin Solidarität! Unsere neue homepage mit mehr Informationen und Ausblick: http://buerger.metropolis.de/graswurzelfem.