Dieter Schmidt: Liebe Leute, wenn auch ich als einfacher Leser der Graswurzelrevolution mit internen Streitigkeiten konfrontiert werde, möchte ich dann doch gerne die vollständige Information. Beim Lesen der Artikel darüber in der Nr. 250 stellen sich mir einige Fragen: – Wenn ein Papier „bundesweit“ verschickt wird, wer bekommt es dann?
Bernd Drücke (GWR-MS): Lieber Dieter Schmidt,
vielen Dank für Deine Fragen, die ich hier versuche zu beantworten, soweit sie nicht schon durch das obige Papier der Arbeitsgruppe des GWR-HerausgeberInnenkreises beantwortet werden.
Wer alles das Papier der ehemals hauptamtlichen Redakteurin bzw. FrauenLesbenRedaktion bekommen hat, ist uns nicht klar. Wir haben aufgrund der Rückfragen und (z.T. Protest-) E-Mails, die uns erreicht haben, mitbekommen, dass es vor der Veröffentlichung in der GWR bereits an diverse FrauenLesbenprojekte, Graswurzelgruppen, AntimilitaristInnen und Zeitschriften geschickt/gemailt und ins Internet gestellt worden war.
Wer gehört zum HerausgeberInnenkreis, wie wird eine Person oder Gruppe in ihn aufgenommen bzw. aus ihm entfernt und welche Aufgaben hat er? Welche dieser Aufgaben wurde verschleppt?
Der HerausgeberInnenkreis versteht sich als offenes, basisdemokratisches Entscheidungsgremium der Zeitung Graswurzelrevolution. In ihm können prinzipiell alle Menschen mitmachen, die etwas mit den Zielen der Grasurzelrevolution anfangen können, die sich auf die Formen der Zusammenarbeit einlassen möchten und das den Redaktionen mitgeteilt haben. Zur Zeit erhalten ca. 30 Männer und Frauen aus dem ganzen Bundesgebiet die Einladungen zu den etwa alle sechs bis zehn Wochen stattfindenden HerausgeberInnentreffen. An den ein- bis zweitägigen Treffen beteiligen sich in der Regel etwa 10 bis 20 Leute und es werden u.a. die zwischen den Treffen herausgekommenen und zukünftige GWR-Ausgaben besprochen. Es werden alle für das Projekt wichtigen Entscheidungen getroffen. So entscheidet der GWR-HerausgeberInnenkreis auch über die Einstellung, Suspendierung oder Kündigung von hauptamtlichen MitarbeiterInnen. Entscheidungen des HerausgeberInnenkreises werden nach Möglichkeit im Konsens getroffen.
Da die Ex-Redakteurin den Vorwurf, der HerausgeberInnenkreis habe „seine Aufgaben verschleppt“ nicht konkretisiert hat, bleiben Vermutungen. Sicher wäre es toll, wenn sich mehr HerausgeberInnen an der Planung und dem GWR-Produktionsprozess beteiligen würden. De facto bleibt bisher ein großer Teil der Arbeit (inhaltliche Planung, Koordination, Lektorat, Layout,…) bei den hauptamtlichen KoordinationsredakteurInnen.
Die monatlich wechselnde Verantwortlichkeit für Inhalt und Layout der GWR war in diesem Zusammenhang m.E. für beide KoordinationsredakteurInnen eine Arbeitserleichterung. Leider hat sich aber die Münchner Redakteurin an den von mir verantworteten und layouteten Ausgaben Nr. 247, 249 ff. nicht mehr beteiligt, während ich einen nicht kleinen Teil der Artikel in den von ihr verantworteten Ausgaben 246 und 248 organisiert und ihr auch die Aufgabe des Lektorats soweit wie möglich abgenommen habe. Dies wurde, wie ich nun über Dritte erfahren habe, von ihr als „Paternalismus und Kontrolle“ gesehen.
Die hauptamtlichen RedakteurInnen sind einerseits Angestellte des GWR-Verlags/HerausgeberInnenkreises, andererseits haben sie „Macht“, da sie den Inhalt der GWR wesentlich mitverantworten/prägen.
Liegt die beklagte Männerdominanz im HerausgeberInnenkreis an einer zahlenmässigen Überlegenheit der Männer oder daran, dass diese nicht in der Lage sind, Frauen als menschliche Wesen und damit gleichberechtigt zu erkennen? Was behindert die Änderung dieses Zustandes?
Die Männerdominanz im HerausgeberInnenkreis liegt sicher an einer zahlenmässigen Überlegenheit der Männer (s.S. 15-17).
Es ist schwierig, auf diese Vorwürfe („Männerbündelei, Sexismus, Homophobie“…) einzugehen, da sie von der Redakteurin nicht konkretisiert werden. Was den menschlichen Umgang miteinander angeht, so gab es tatsächlich große Probleme, auf die ich hier anhand des ebenfalls nicht konkretisierten „Homophobie“-Vorwurfs eingehen möchte.
Ich betrachte es als eine Stärke der GWR und des HerausgeberInnenkreises, dass sich hier Menschen mit unterschiedlichen politischen Schwerpunkten generationsübergreifend wiederfinden können. Da gab es mit meiner Ex- Kollegin einen Dissens. Sie hat hinter dem Rücken der Betroffenen u.a. gefordert, dass „die Alten“ nicht mehr kommen sollten. Einem „Alten“ hat sie hinter seinem Rücken vorgeworfen, er habe sich auf dem HerausgeberInnentreffen im März in der Kölner Graswurzelwerkstatt „homophob“ geäußert. Das sehe ich als falsch an und ich habe ihr das auch direkt gesagt. Konkret: Bei der Besprechung der GWR 244 äußerte ein „Alter“ die Kritik, dass der Autor des „Schwuler Militarismus“-Textes (S. 3) offenbar davon ausgehe, dass Schwule automatisch Antimilitaristen seien müssten. Das sei aber falsch, da es bei Schwulen sicher ähnlich viele Militaristen gebe, wie bei Heteros. Diese (inhaltlich nicht falsche) Kritik des „Alten“ sehe ich nicht als „homophob“ an. Problematisch ist die Art, wie er die Kritik geübt hat, wenn also ein alter, erfahrener Autor einen jungen Autor kritisiert, kann das als „scharfe Kritik“ rüberkommen. Aber ist das homophob?
Die nach dem Berliner HerausgeberInnentreffen im Dezember 1999 erhobene Forderung der Redakteurin und des Oldenburger Ex-Koordinationsredakteurs nach Moderation der HerausgeberInnentreffen in Köln und Münster war richtig. Die sehr gute Arbeit der ModeratorInnen erwies sich als hilfreich um die Probleme im HerausgeberInnenkreis zu lösen. Leider hat der Ex-Redakteur bereits Anfang des Jahres seinen Austritt aus dem HerausgeberInnenkreis erklärt und seit Dezember 1999 nicht mehr an den Treffen teilgenommen. Die Münchner Redakteurin hat leider an dem moderierten Treffen in Münster nicht mehr teilgenommen.
Bestreitet die suspendierte Redakteurin die Vorwürfe, die in der Antwort des HerausgeberInnenkreises vom 7. Juni auf das zweite Streikpapier der Frauen-Lesben-Redaktion erhoben werden? (Zerstörtes Vertrauensverhältnis und Nichtanerkennung des HerausgeberInnenkreises als verantwortlichem Gremium der Zeitung)
Sie hat zu mir und den meisten Männern des HerausgeberInnenkreises jegliche Kommunikation einseitig abgebrochen.
Meine Neutralität ist verloren gegangen, nachdem ich mitbekommen habe, dass hinter meinem Rücken auch Lügen über mich verbreitet werden und die Ex-Kollegin z.B. in ihrem 1. Streikpapier auch mich diffamiert hat (s.S.16). Das Vertrauensverhältnis ist zerstört.
Problematisch finde ich, dass die Ex-Redakteurin Kritik nicht direkt (z.B. während des Treffens in Köln), sondern nur hinter dem Rücken der Personen übt. Das wirkt dann schnell als Mobbing und zerstört, wenn es oft vorkommt, die Vertrauensbasis. Problematisch ist auch, wenn sie wiederum auf jegliche Kritik (z.B. am „Bleiwüstenlayout“ der GWR 246 und 248) mit Sexismusvorwürfen reagiert. Ebenso haben Sprüche wie z.B. „Die (Totalen) Kriegsdienstverweigerer interessieren mich nicht. Das sind doch nur Männerbiographien. Am liebsten würde ich diese Texte nicht mehr in der Zeitung haben“ oder „Ich werde als Tippse für den Anarchismus missbraucht“ (sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert) sicher bei vielen GWR-MitherausgeberInnen die Kinnladen herunterklappen lassen. Schließlich kamen sie von einer Frau, die Mitverantwortung für eine Zeitung trägt, die immer schon Sprachrohr auch Totaler Kriegsdienstverweigerer und AnarchistInnen war und das m. E. auch bleiben sollte. Problematisch ist, wenn eine hauptamtliche Redakteurin eines gemischten Graswurzelprojekts Menschen gegeneinander ausspielt und gegenüber Dritten diffamiert.
Die Redakteurin hat sich auf diese Arbeitsstelle hin beworben, die Aufgaben und die Tatsache, dass seit einigen Jahren mehr Männer als Frauen im HerausgeberInnenkreis aktiv sind, war ihr beim Bewerbungsgespräch bekannt.
Die Gründe, warum sie anscheinend Probleme hat mit so vielen Heteros im GWR-HRSG zusammenzuarbeiten, lassen sich vielleicht nachvollziehen, aber es lässt sich m. E. nur schwer nachvollziehen, warum sie sich dann auf den Job in einem gemischten Projekt beworben hat.
Ich bin bestimmt nicht der einzige, der das alles nicht weiss. Zu diesen Fragen sollte in der GWR mal Stellung genommen werden. Auch das 1. Streikpapier sowie – wenn vorhanden – die Reaktion des HerausgeberInnenkreises sollten mal abgedruckt werden.
Das 1. Streikpapier aus München enthält Falschaussagen und persönliche Diffamierungen gegen mehrere Mitglieder des HerausgeberInnenkreises, die namentlich genannt werden. Das spricht gegen eine Veröffentlichung in der GWR.
Das Papier eines Mitherausgebers enthält sehr schwere Vorwürfe gegen die Redakteurin, so dass eine Veröffentlichung in der GWR ohne ihre Zustimmung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht in Frage kommt.
Der Abdruck aller kursierenden Papiere würde den Rahmen der GWR sprengen.
Die FrauenLesbenRedaktion sollte weiterbestehen, solange eine der beteiligten Frauen dies für nötig hält. Dass diese Notwendigkeit besteht, halte ich allerdings für ein Armutszeugnis für den HerausgeberInnenkreis. Das Fernziel der FrauenLesbenRedaktion sollte die eigene Auflösung sein, und zwar dann, wenn die beteiligten FrauenLesben ihre Arbeit innerhalb der regulären Redaktionen leisten können. (Es ist für mich schon überraschend, dass das bei einer Zeitung wie der GWR ein Problem darstellt.)
Es ist nicht klar, wer die FrauenLesbenRedaktion ist (s. S. 15-17). Auch im neuen Papier aus München (s.S. 14) schreibt die Ex-Redakteurin zwar wieder in der „ich“-Form, unterschreibt ihr offensichtliches Ein-Frau-Papier dann aber mit „die feministische Redaktion“. Diese Instrumentalisierung von angeblich so vielen Feministinnen, die angeblich in der FrauenLesbenRedaktion mitmachen, die das Papier aber offensichtlich gar nicht geschrieben haben, riecht nach „Ich bin das ganze chinesische Volk und alles was ich sage ist richtig“ und soll wohl auch den falschen Eindruck erwecken, als gebe es in den anderen GWR-Gruppen/-Redaktionen/-Zusammenhängen und im GWR- HerausgeberInnenkreis keine Feministinnen.
Was heisst es aber, dass „MAN sich eine FL-Redaktion hereingeholt hat“? (Zitat aus dem ersten Streikpapier laut Artikel S. 13.) Klingt für mich ein bisschen nach Feigenblatt – wenn es eine FrauenLesbenRedaktion gibt, dann ist die für die „Frauensachen“ zuständig und die anderen („MAN“ selbst) müssen sich nicht mehr drum kümmern. Dann ist die FrauenLesbenRedaktion natürlich eher ein Hindernis im Kampf um die Gleichberechtigung.
Auf die Stellenanzeige in der GWR 231 haben sich zehn Männer und eine Frau beworben. Während des HRSG- Treffens im November 1998 in FfM wurde nach einem mehrstündigen Klärungsprozess über die Einstellung entschieden. Nach den Vorstellungsgesprächen und einer langen Diskussion, bei der wir BewerberInnen nicht anwesend waren, erhielten die anderen Bewerber eine Absage, die Bewerberin und ich wurden von den ca. 20 anwesenden Herausgeberinnen und Herausgebern gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, die Arbeit gemeinsam zu machen und die Stelle zu teilen. Sie wollten uns gerne beideals hauptamtliche KoordinationsredakteurInnen einstellen. Wir haben zugestimmt und nach einer zu kurzen Einarbeitungsphase in Oldenburg und der Schließung des dortigen Büros, im Februar 1999 die Redaktionsbüros in Münster und München geöffnet. Zu diesem Zeitpunkt war von einer FrauenLesbenRedaktion noch keine Rede und in den ersten gemeinsam produzierten GWR 237 und GWR 238 taucht dieser oft auch als Selbstbezeichnung von der Koordinationsredakteurin verwendete Begriff noch nicht auf. Es wurde keine „FL-Redaktion hereingeholt“, sondern eine hauptamtliche Koordinationsredakteurin eingestellt.
Ebenfalls aus dem Streikpapier zitiert wird der Satz: „Deshalb fehlt ihnen die entsprechende Sensibilität im Umgang mit der FrauenLesbenRedaktion sowie mit schwulen Männern.“ Die Nennung der FL-Red. und der schwulen Männer in einem Atemzug ist Unsinn, denn: Ich kann mir durchaus vorstellen, sensibel mit Frauen, Lesben und schwulen Männern oder auch nicht näher bezeichneten, ganz normalen Menschen (als Einzelpersonen) umzugehen, andererseits aber mit einer bestimmten Gruppe von Menschen erhebliche Schwierigkeiten zu haben, und zwar aufgrund ihres Verhaltens. Anders ausgedrückt: Ob ich ein Problem im Umgang mit bestimmten Personen habe ist völlig unabhängig davon, ob ich ein Problem im Umgang mit Menschen habe. Damit sich Aussenstehende ein Bild machen können, wäre es auch wichtig zu erfahren, was nun eigentlich zuerst geschehen ist: Streik, Suspendierung oder was? Wenn sich die FrauenLesbenRedaktion und der HerausgeberInnenkreis nicht mal auf den zeitlichen Ablauf, Ursache und Wirkung einigen können, sind weitere Diskussionen wohl zum Scheitern verurteilt. Leider hat es diesen Anschein, wenn man das zweite Streikpapier und die Antwort darauf vergleicht.
Durch das Verhalten der Redakteurin, war das Vertrauen in sie bereits vor dem „Streik“ zerstört. Angesichts der schwelenden Konflikte hat ihr „Streik“ das Faß zum Überlaufen gebracht. Nachdem sie sich mit einem anderen Mitherausgeber am Telefon gestritten hatte, teilte sie mir und einem Heidelberger Redakteur telefonisch mit, dass sie die Produktion der GWR 250 bestreikt. Daraufhin hat er einen langen Brief an den HerausgeberInnenkreis (inklusive Redakteurin) geschrieben, in dem er u.a. ihre Kündigung gefordert hat. Als Reaktion darauf, aber ohne auf die Vorwürfe gegen sie einzugehen, erreichte u.a. das 1. Streik-Papier aus München den HRSG-Kreis.
Die Redakteurin hat sich der Kritik an ihrem Verhalten – trotz anwesender ModeratorInnen – nicht gestellt und nahm nicht am HRSG-Treffen teil.
Nach zweitägigem Konsensprozess hat der HerausgeberInnenkreis sie von ihren hauptamtlichen Aufgaben entbunden. Ein Mitherausgeber erklärte zuvor seinen Austritt aus dem Kreis und verließ das Treffen frühzeitig.
Leider kam ein m.E. sinnvolles Mediationsverfahren bisher nicht zustande und es ist noch nicht gelungen die Konflikte durch eine gewaltfreie Kommunikation beizulegen.
Vielen Dank an Ilka für ihren Mut, das erste Streikpapier kritisch zu beleuchten und ihre Fähigkeit, dies zu tun, ohne dabei Einzelpersonen oder Gruppen sinnlos zu beleidigen, wie es bei solchen Streitigkeiten leider sehr häufig ist. Bis denn, Dieter (Hetero-Mann, weiss. Kann ich auch nix für. Ich hoffe, ich darf trotzdem meinen Senf dazu geben.)
Vielen Dank für Deinen Brief. Mit li(e)bertären Grüßen,