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Fast eine Rezension

Zu einer Neuerscheinung über Leonard Peltier

| Jochen Knoblauch

Martin Ludwig Hofmann: Indian War - Der Fall des indianischen Bürgerrechtlers Leonard Peltier, Atlantik Verlag Bremen 2000, 181 S., 19,80 DM

Da erzähle ich noch breit am Telefon, daß ich mich auf Rezensionen von Büchern, die mich nicht interessieren oder die ich ärgerlich finde nicht einlassen werde, sage aber blöderweise zu über das Buch „Indian War“ etwas zu schreiben.

Schließlich sollte der Titel ursprünglich im anarchistischen Trotzdem-Verlag erscheinen (was wohl wegen finanzieller Forderungen des Autors dann nicht geschah), und der Atlantik Verlag ist bekannt für seine engagierte Literatur zum vom Tode durch die US-Behörden bedrohten schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal. Spätestens ab Seite 15 merkte ich in eine Falle geraten zu sein. Und doch! M. L. Hofman’s Buch ist – ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll – durchaus bei der Sache, aber nicht unbedingt für die Sache (oder umgekehrt). Ein, zugegebener Maßen etwas hinkender Vergleich wäre: CSU-Stoiber schreibt über die Münchner Räterepublik. Oder so ähnlich.

Der Scherzerei ein Ende! Es gibt schließlich einen ernsten und schwerwiegenden Hintergrund für dieses Buch: Der Fall Leonard Peltier. Der indianische Bürgerrechtler und Aktivist des American Indian Movement (AIM) sitzt seit über 20 Jahren im Knast, aufgrund einer zweifachen Mordanklage bei der zwei FBI-Agenten am 26. Juni 1975 in der Pine- Ridge-Reservation (US-Bundesstaat South-Dakota) ums Leben kamen. Selbst aus der Justiz wurden inzwischen Stimmen laut, daß eigentlich niemand weiß was an jenem Tag passiert ist, daß es keine Beweise gibt, daß Leonard Peltier für den Tod der FBI-Agenten verantwortlich ist. Mit gefälschten Beweisen, erpreßten Zeugenaussagen führte das FBI seinerzeit Krieg gegen die indianische Bügerrechtsbewegung, und alle wissen es heute, aber nichts passiert. Das Leonard-Peltier-Defence-Comitee hat inzwischen über 20 Millionen Unterschriften gesammelt und zahlreiche Persönlichkeiten haben sich dem Aufruf, Peltier endlich freizulassen, angeschlossen. Selbst der ehemalige US- Generalstaatsanwalt Remsey Clark nennt das Urteil gegen Peltier „einen Schandfleckfür für das amerikanische Rechtssystem“ (1).

Hofmann allerdings weiß – auf jener berüchtigten Seite 15 seines Buches – in denunziatorischer Weise zu berichten: „Jack Coler [einer der FBI-Agenten] war anscheinend schwer getroffen … Innerhalb der nächsten Minuten gingen ein oder mehrere AIM-Aktivisten zu den Autos und töteten die beiden FBI-Beamten durch Schüsse aus einem Schnellfeuergewehr.“ Woher weiß er das? Seine Quellen sind vielfältig u.a. auch die Süddeutsche Zeitung und das Hamburger Abendblatt (2). Die waren aber wohl nicht dabei.

Leonard Peltier selbst schreibt dazu: „Ich habe ihre Agenten nicht sterben sehen…“ (3) An diesem Tag läßt auch der 21jährige AIM-Aktivist Joe Killsright Stuntz bei diesem Feuergefecht sein Leben.

Die Tatsache, daß der Fall Peltier eng mit dem AIM verknüpft ist und jene mit der Zeit seiner Gründung 1968, läßt Hofmann die Wiederholungen hervorsprudeln von „…in größeren Kontext stellen…“ (S. 20 und 32) und der „…sogenannten Studentenrevolte“ (S.27 und 32). Die Sprache ist distanzierend, ja fast gleichgültig, wenn von der „relativen Armut“ (S. 35) der US-amerikanischen Ureinwohner gesprochen wird, oder fast verständnisvoll von den „nationalen Interessen“ (S. 60 und 61) (4) des weißen Amerikas. Und obwohl der (auch militante) indianische Widerstand im 20.Jahrhundert schon vor 1968 vorhanden war, beginnt er bei Hofmann eben erst mit den „Knastbrüdern“ und AIM-Gründern Dennis Banks, Clyde Bellecourt und George Mitchel in Mineapolis. (5)

Bei den Darstellungen der AIM-Aktivitäten bekommt Hofmann immer wieder Schwierigkeiten, indem er gängige Termini übernimmt, wenn er von „gewaltsamer Besetzung (S.51) schreibt oder den „randalierenden Indianern“ (S.53). Ich werde das Gefühl auch nicht los, daß dieser Autor, obwohl er einen ‚Forschungsaufenthalt‘ bei den Lakota- Indianern absolvierte – wobei die Frage sich aufdrängt, für welches seiner Studien dieser Aufenthalt nützlich war, Soziologie, Betriebswirtschaft oder Politikwissenschaft? – anscheinend wenig von der Mentalität und den Vorstellungen militanter und/oder traditioneller IndianerInnen mitbekommen hat.

Dem weißen Mittelständler mit seinem christlich verbrämten Soziologenblick, kommt mit der Realität nur schwerlich klar: „Wer zum ersten Mal durch die kleinen Ortschaften der Reservation fährt, fühlt sich an Fernsehberichte über Slumgebiete der Dritten Welt erinnert“ Außerdem „türmen sich Mülltüten und Unrat… Daneben rosten alte Autowracks still vor sich hin.“ (S.55) Als Soziologe fällt ihm dazu natürlich auch eine Erklärung ein: „Über 75 % der Reservatsbevölkerung von Pine Ridge ist arbeitslos… Neben dieser unglaublich hohen Arbeitslosenquote ist der Alkoholismus eines der größten Probleme auf der Reservation.“ (S.55)

Überrascht kann eigentlich nur jemand sein, der zuvor sein Indianer-Bild aus Karl-May-Büchern bezog. Seit den 70er Jahren ist dieses Bild unverändert (6), und gerade deshalb entwickelte sich auch ein militanter Widerstand gegen die weiße Herrschaft und deren Programm Ethnozid durch Integration. Und wenn die Welt schon numerisch einfach aufgeteilt werden muß, so sahen sich die indianischen TraditionalistInnen eher in der ‚vierten Welt‘ angesiedelt, denn ihr Anspruch auf eine eigene Nation ist ja nicht nach weißem Vorbild einen eigenen Staat zu besitzen, sondern ein souveränes Recht auf Stammesbildung mit eigener Gerichtsbarkeit, eigenen sozialen Einrichtungen usw. (7)

Die Autowracks sind ein immer wieder kehrendes Moment in der Erschrockenheit weißer Helfersyndrome. Leonard Peltier schreibt von ‚heiligen Schrotthaufen‘, die als Ersatzteillager, Unterschlupf für Menschen und Tiere, oder eben Lagerraum sind. „Die Schrottplätze haben Poesie. In ihren rostigen Eingeweiden bergen diese Schrotthaufen manchmal heilige Dinge.“ (8)

Und dieses Nicht-Verstehen indianischer Lebensweise schlägt sich weiter nieder, wenn Hofmann versucht zu erklären, warum die AIM-Mitglieder militant sind (S.56), nämlich weil es alles ‚Krieger‘ sind (obwohl AIM-Mitglieder aus fast alle Stämmen kommen und es sogar weiße UnterstützerInnen gibt, als wären die militanten Black Panther seinerzeit alles Nachfahren afrikanischer Kriegerkasten. Oder etwa, wenn er den Sonnentanz als ein „martialisches [=barbarisches?] Ritual“ (S. 56) der Lakota-IndianerInnen bezeichnet, obwohl es eine religiöse Handlung ist, die von vielen Prärie-Stämmen in verschiedenen Variationen abgehalten wird, und als ob das Martern und Kreuzigen eines 32jährigen Judens namens Jesus Christus irgendwie ‚humaner‘ oder ‚friedlicher‘ gewesen wäre (abgesehen von Selbstgeißelungen, etc. etc.). Weitere Argumente gäbe es da noch einige. Im übrigen spiegelt sich hier auch ein Problem wider, weshalb sich die europäische Linke schwer tut mit der Solidarität. Menschen, die nichts mit weißen Heilslehren anfangen können, die noch eine Ahnung davon haben, wie sie ohne Staat, ohne nennenswerte Hierarchien mit der Natur leben könnten, wenn mensch sie nur ließe. Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, vielleicht mag ich da etwas hart in der Beurteilung von Hofmanns Indian War sein, aber das Buch hat mich einfach geärgert. Sorry.

(1) vgl. hierzu: Leonard Peltier; Mein Leben ist mein Sonnentanz - Gefängnisaufzeichnungen. Verlag Zweitausendeins Frankfurt/M. 1999. Hier enthalten: Remsey Cark; Der Fall Peltier (S. 13-23)

(2) aber natürlich auch ernsthafte Quellen. Wenn auf der Rückseite seines Buches von "detektivischem Spürsinn" Hofmann's die Rede ist, dann wird mir ehrlich gesagt nicht ganz klar worauf sich das beziehen soll, zumal der ganze Fall Leonard Pelltier wesentlich komplizierter und umfangreicher ist, als hier dargestellt wurde. Peter Matthiessen hat in seinem über sechshundertseitigen Buch "In the Spirit of Crazy Horse: The Story of Leonard Peltier and the FBI's War on the American Indian Movement dies sehr ausführlich getan.

(3) L. Peltier; Mein Leben ist mein Sonnentanz. aaO, S. 165

(4) Bei Seite 67 habe ich aufgehört zu lesen.

(5) "Die Zeit der Indianerkriege" (S.173/174) dauert bei Hofmann von 1675 - 1890 und mit der Verkündung, daß der Rest, der noch am Leben gebliebenen Ureinwohner per Gesetz 1924 zu US-BürgerInnen erklärt wurden. "Die indianische Widerstandsbewegung..." beginnt wie gesagt 1968.

(6) Vgl. hierzu Bücher wie: Claus Biegert; 200 Jahre ohne Verfassung. Reinbek 1976 oder: F. Hetmann/A. Keil; Indianer heute - Bericht über eine Minderheit. Weinheim/Basel 1977 oder: C.-L. Reichert; Red Power - Indianisches Sein und Bewußtsein heute. München 1974 usw. usw.

(7) Vgl. hierzu: Vine Deloria jr.; Nur Stämme werden überleben - Indianische Vorschläge für eine Radikalkur des wildgewordenen Westens. München 1976.

(8) L. Peltier; Mein Leben ist mein Sonnentanz. a.a.O. S. 101

Anmerkungen

Auf alle Fälle lesenswert ist: Leonard Peltier; Mein Leben ist mein Sonnentanz. Verlag Zweitausendeins Frankfurt/M. 1999 / 299 S. 25,-DM

Ferner gibt es aktuelle Tipps und Infos zu Leonard Peltier im Internet:
www.freepeltier.org (engl.)
www.gfbv.de/hilfe/leo.html (dtsch.)
www.humanrights.de (viele Sites mit neuesten Infos)
www.partisan.net (Sondersite Leonard Peltier, leider nicht auf Stand)