concert for anarchy

Thomas Patscheider singt Erich Mühsam

Die GWR vernimmt aus Österreichs konservativen Alpengegenden anarchistische Verse

| Günther Hotter

Der Anarchisterich

War ‚mal ein Anarchisterich,
der hatt‘ den Attentatterich.
Er schmiß mit Bomben um sich ‚rum,
es knallte nur so: bum bum bum!

Einst kam der Anarchisterich
an einen Schloßhof fürstelich,
und unterm Rock verborgen fein,
trug er ein Bom-Bom-Bombelein.

Nach haus kam Serenissimus,
sprach: Omnia nos wissimus!-
Und sprach viel weise Worte noch,
daß alles rings nach Weisheit roch.

Jedoch der Anarchisterich
mit siner Bombe seitwärts schlich,
und schmiß sie Serenissimo
unter den Rockokopopo.

Und rings war alles baß entsetzt,
Durchlaucht hat sich vor Schreck gesetzt,
indes der Anarchisterich
durch eine Seitentür entwich.

Doch einer sprang beherzt herbei,
zu helfen, was zu helfen sei –
Doch sprach enttäuscht er: Höre nur,
’s war ein Bonb-onnière nur.

Rings aber lag man auf dem Knie
und heulte, jammerte und schrie,
und betete: Du lieber Gott
schlag doch den Anarchisten tot!

Drum merk dir, Anarchisterich!
heil dich vom Attentatterich!
Kommst du zum Hofe fürstelich,
geht’s fürder dir für-fürchterlich!

Erich Mühsam

Erich Mühsam war in seinem viel zu kurzen Leben immer unverwechselbar der eine geblieben, und doch zeigte sich der Charakter und das praktische Wirken dieses einen, im KZ Oranienburg in der Nacht vom 10. auf den 11. Juni 1934 von Nazis ermordeten Anarchisten, in mannigfaltigsten Formen: als Arbeiterrat, Volkskommissar, Verleger und Herausgeber, leidenschaftlicher Agitator, Syndikalist, marxistischer Bakuninist bzw. Anarchokommunist, als vielbeschäftigter Autor, Bürgerschreck, Bohemien, Querkopf, Extremindividualist und Kollektivist. Kenner und Kennerinnen seiner Schriften jedoch wissen, daß wer das Essentielle, Primäre, gewissermaßen Mühsams Seele sucht, besagte(s) zweifelsohne in seiner Lyrik findet. Ebenda drückte sich seine kreative, zuweilen musikalisch und tänzerisch verspielt wirkende Vielseitigkeit aus, die in ihrer Palette vom einfallsreich schlagfertigen Schüttelreim bis hin zur gesellschaftlich anklagenden Elegie reicht.

Es nimmt daher kaum Wunder, daß bereits mehrmals, sowohl im deutschsprachigen Raum (Gregor Hause: „Das Herz in der Hand. Lieder nach Texten von Erich Mühsam u.a.“, Bestelladresse: FAU, Thomas Beckmann, Dorfstr. 13, D-16775 Wolfsruh; Dieter Süverkrüp, Walter Andreas Schwarz: „Erich Mühsam: Ich lade Euch zum Requiem“, Verlag pläne, Dortmund 1986) wie weltweit, es für viele Liedermacher eine besondere Herausforderung darstellt(e) Mühsams Poeme zu vertonen. Nachdem auch GWR-Mitarbeiter Jan Dörner in der Januarausgabe dieses Jahres der Gruppe „Die Schnitter“ empfahl, ein Mühsam Gedicht zu Musik zu machen – offenbar also jederzeit Nachfrage nach gesungenem und gespielten Mühsam besteht – ist es wohl höchste Zeit, die bislang wenig bis gar nicht ins libertäre Blickfeld gerückte 35-minütige CD des Österreichers Thomas Patscheider und seines Umfeldes detaillierter vorzustellen.

Patscheider (Jg. 1961) stammt aus Tirols Hauptstadt Innsbruck. Zusammen mit dem in der Jazzszene verwurzelten Ausnahmebassisten Christian Smekal (Jg. 1948) sowie dem Drummer und Keyboarder Thomas Partl (Jg. 1979), hat sich der Sänger insgesamt 11 Texten von Mühsam angenommen.

Das Werk bezieht seine Energie aus Patscheiders starker und variabel eingesetzter Stimme. Die Musik dient eher einer – obgleich gekonnt gespielten – subtilen akustischen Ausfüllung des Backgrounds, denn der Erzeugung gänzlich unpassender lauter, rockiger Hardcore-Klänge. Die Absicht ist klar und eindeutig: Im Vordergrund stehen sollen die genialen Poeme und nicht ein alles dominierender Sound, vergnüglich servierte radikale Aufklärung, nicht Kunst um der reinen Kunst willen. Den Machern der CD gelingt das in jeglicher Hinsicht: Es geht nichts vom Charme und Zauber der Mühsam Texte verloren. Ein allgemeines Problem: Häufig sind ebenfalls nach literarischen Vorlagen arbeitende Songwriter und Barden nicht – wie in diesem Fall Thomas Patscheider – dazu imstande, ebenda Zurückhaltung walten zu lassen, mithin dem eigenen künstlerischen Beitrag die weniger gewichtige Rolle beizumessen als dem Original, dem die Hommage ja eigentlich gilt.

Die CD wird – absolutely NO-Budget – von FREEWHEELER RECORDS produziert. Wer sich dieses Kleinod musikalternativer Kunst nicht entgehen lassen möchte, überweise im voraus ÖS 210,- (DM 30,-) auf das PSK-Konto #77188144, BLZ 60000 (lautend auf Th. Patscheider). Den Vertrieb besorgt die „STATTzeitung – Zeitung für Politik, Kultur und Europa“, eine Publikation, die sich sowohl dem heutigen Trend eines Layouts, das sich gemeinhin auf vordergründige Effekte reduzierten läßt, mit textlichen Bleiwüsten standhaft verweigert, als auch Autorinnen und Autoren unterschiedlichster linker Bereiche und Ideologien unzensiert zu Worte kommen lässt. Womit sich der Kreis aufs Vorzüglichste mit Mühsams pluralistischen Denkweisen (s.o.) schließt.

Das österreichische Bundesland Tirol, speziell die Hauptstadt Innsbruck, hat in den letzten Jahren, allem rechtsklerikalen und haiderfreiheitlichen Alpenstadtmief zum Trotz, kleine, jedoch feine, engagiert im Hintergrund arbeitende Nischen des politisch wie kulturell praktizierten Widerstandes ertragen müssen. Und: Es wird nicht abbrechen, sondern intensiviert werden. Für Thomas Patscheider heißt das konkret: die musikalische Aufbereitung expressionistischer Texte Ernst Tollers. Wir sind gespannt!

Anmerkungen

CD: Patscheider singt Mühsam, Freewheeler Records Innsbruck 1999, Preis ÖS 210,- (DM 30).

Bezug über:
STATTzeitung
Höhenstraße 141 / 16B
A-6020 Innsbruck.