transnationales / antimilitarismus

Israelische Friedensbewegung auf neuen Wegen

| Übersetzung: Ulrike Laubenthal

23. März 2001: In der Westbank machen über 200 Israelis eine blockierte Straße wieder passierbar, auf der eine Barrikade des Militärs das Dorf Rantis seit Monaten von der Außenwelt abschneidet. Als Militär und Polizei ihre Schaufeln beschlagnahmen und vier der FriedensaktivistInnen festnehmen, schütten die anderen mit ihren bloßen Händen die Gräben zu.

In Bussen und Privatautos waren die AktivistInnen an diesem Freitag morgen aus allen Teilen des Landes angereist. Sie folgten einem Aufruf von Gush Shalom, Rabbis for Human Rights (Rabbiner für Menschenrechte), ICAHD (Israelisches Komitee gegen die Zerstörung von Häusern), der neuen Women’s Coalition for a Just Peace (Frauen-Koalition für einen gerechten Frieden) und vielen kleineren Gruppen.

Präsent waren auch das Christian Peace Maker Team – Nordamerikanische PazifistInnen, die in Hebron arbeiten – und eine Gruppe junger deutscher Peaceniks.

Die örtliche Tankstelle, zu der den PalästinenserInnen durch die Sperrung der Zugang verweigert wird, war der Treffpunkt der Gruppen. Von dort gingen sie auf die Barrikade zu – mit Schaufeln und mit Transparenten, auf denen in hebräischer und arabischer Sprache stand: „Gemeinsam werden wir die Sperren überwinden“. Die Aktion war öffentlich angekündigt worden, und so war es keine Überraschung, dass Polizei und Militär die AktivistInnen bereits erwarteten. Aber es kam zu weniger Schwierigkeiten als erwartet: nur ein einzelner Jeep war auf der Straße quer gestellt und konnte leicht umgangen werden.

Mit dem Veteranen Uri Averny von Gush Shalom und Knesset-Mitglied Tamar Gozanski im Begleitfahrzeug erreichten die ca. 200 AktivistInnen nach einem kurzen Marsch den Gegenstand ihres Protestes: Zwei Erdhügel auf der Zufahrtsstraße nach Rantis, etwas hundert Meter voneinander entfernt, und neben jedem Hügel ein Graben in der Asphaltstraße.

Seit Monaten schon ist es unmöglich gewesen, mit Autos diese Straße zu passieren, die bis dahin die wichtigste Verkehrsverbindung für die 3000 EinwohnerInnen von Rantis war. Irgendwo in der Nähe starb Taysir Isma’il Aldhabi – ein 37 Jahre alter Dorfbewohner, der in einem Notfall nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht werden konnte.

Sobald sie die Erdhügel erreichten, stießen die AktivistInnen ihre Schaufeln in die Erde und begannen mit der Arbeit. Während die irdenen Barrieren kleiner wurden, erschienen von der anderen Seite her DorfbewohnerInnen. Sie hießen die AktivistInnen willkommen, boten ihnen kalte Getränke an, und einige übernahmen die Transparente von Gush Shalom, die die israelische und palästinensische Flagge zeigen.

Polizei und Armee waren dem Marsch zunächst nur gefolgt, ohne sich einzumischen. Aber nachdem die Arbeit an den Barrikaden etwa 10 Minuten fortgeschritten war, verlangte der Einsatzleiter der Polizei: „Sie müssen damit aufhören. Diese Barriere ist von der Armee errichtet worden und durch die Regierung autorisiert.“ – „Das ist genau der Grund, warum wir diese Barriere zerstören werden. Sie repräsentiert eine brutale und inhumane Regierungspolitik, eine Politik, die einem Kriegsverbrechen sehr Nahe kommt,“ antwortete Uri Averny.

Die Polizei begann daraufhin, die Schaufeln zu beschlagnahmen. Die AktivistInnen leisteten passiven Widerstand, indem sie nicht losließen und sich mit den Schaufeln zusammen in den wartenden Polizeibus schleifen ließen. Vier von ihnen wurden festgenommen. Sprechchöre wurden laut: „Dies ist ein Polizeistaat“, „Nieder mit der Besetzung“, und „Sperrung ist ein Kriegsverbrechen“. Dann setzten die AktivistInnen ihre Arbeit fort – mit bloßen Händen.

Es zeigte sich, dass 200 Paar Hände in wenigen Stunden eine ganze Menge Erde bewegen können. Die Hügel wurden abgetragen, und die Gräben mit Erde und Steinen gefüllt. Polizei und Armee hätten das nur aufhalten können, wenn sie alle TeilnehmerInnen festgenommen hätten. Da sie das dann wohl doch nicht tun wollten, standen sie einfach herum – und einige von ihnen, besonders die Wehrpflichtigen in ihren blauen Mützen, waren nicht unfreundlich.

Die BewohnerInnen von Rantis berichteten von den verzweifelten Bedingungen, in denen sie seit Beginn der Belagerung leben. Von denen, die sonst den Lebensunterhalt für ihre Familien verdienten, haben 90 % in Israel gearbeitet. Sie alle können ihre Arbeitsplätze jetzt nicht mehr erreichen und sind dadurch arbeitslos geworden. Die Olivenhaine, die zweite wichtige Einkommensquelle, können nicht mehr gepflegt und beerntet werden, da die Armee den Zugang zu ihnen verweigert.

Die Dorfklinik ist geschlossen, da der Arzt nicht mehr kommen kann. Da auch die meisten Lehrer nicht mehr ins Dorf kommen können, gibt es in der örtlichen Schule nur an einigen Tagen der Woche Unterricht für einige Klassen. So tauchten dann auch ein paar der solchermaßen vom Schulunterricht ausgeschlossenen Kinder am Ort des Geschehens auf. Begeistert halfen sie, den Graben mit Steinen zu füllen. Im Vorfeld war vereinbart worden, dass Erwachsene PalästinenserInnen sich nicht an der Arbeit beteiligen sollten. Das Risiko wäre für sie immens gewesen – in einigen Dörfern der Westbank sind Menschen zu Tode gekommen, weil sie sich an Barrieren dieser Art zu schaffen gemacht haben.

Mittlerweile waren israelische SiedlerInnen aus dem nahen Ofarim aufgetaucht, die die „linken Araberfreunde“ beschimpften und denen in ähnlicher Weise geantwortet wurde. „Sie kommen jeden Tag und machen uns Ärger. Sie errichten eigene Straßensperren, zusätzlich zu denen der Armee“, berichtete ein Bewohner von Rantis.

Schließlich war die Straße offen – die Straßendecke war nicht besonders eben, aber definitiv für Autos passierbar. Nach einer kurzen Kundgebung stiegen die Israelis wieder in ihre Busse und Autos. Die vier Festgenommenen kehrten von der Polizeistation zurück, und überraschenderweise gab die Polizei sogar die beschlagnahmten Schaufeln zurück. Die AktivistInnen verließen den Ort in guter Stimmung – wenn sie auch Sorge hatten, wie sich die Armee nach ihrer Abreise verhalten würde.

Für wenige Stunden war das Dorf tatsächlich vom Belagerungszustand befreit. Aber am späten Nachmittag verbarrikadierte die Armee die Straße aufs neue, diesmal mit Betonblöcken. Der Lastwagen, der die Betonblöcke brachte, richtete in einem nahen Feld großen Schaden an – es gehörte PalästinenserInnen. Ein Dorfbewohner, der verwegen genug war, die zeitweise Öffnung der Straße zu nutzen, um mit seinem Auto den kurzen Weg zur Tankstelle zu fahren, wurde von Soldaten verprügelt; die Scheiben seines Autos wurden eingeschlagen.

Natürlich wussten wir, dass die Armee zurückkommen würde – aber auch wir werden zurück kommen. Nach Rantis und in andere belagerte Dörfer und Städte. Die israelische Friedensbewegung hat sich auf einen neuen Weg begeben. Wir beschränken uns nicht mehr darauf, unseren Protest und unsere Opposition mit Demonstrationen zum Ausdruck zu bringen. Wir widerstehen der Ungerechtigkeit aktiv vor Ort und bekämpfen das Besatzungsrecht, das einen klaren Verstoß gegen internationales Recht darstellt.

Unser neuer Premierminister Ariel Sharon und sein Außenminister, der berühmte Friedensnobelpreisträger Shimon Perez, rufen nach einem „Ende der Gewalt“. Wir schließen uns diesem einseitigen Ruf nicht an. Es ist ein Ruf, der sich einzig und allein an die schwächere Seite richtet. Die PalästinenserInnen werden aufgefordert, ihren Widerstand gegen die Besetzung aufzugeben, während die Gewalt der Besetzung und Belagerung jeden Tag fortgesetzt wird.

Ganz sicher sollte es ein Ende der Gewalt geben – aber ein Ende aller Gewalt. Die Besetzung, die Belagerung und Sperrung, die Errichtung und Ausweitung von Siedlungen in der Westbank sind die Quelle und Wurzel der Gewalt.

Quelle

E-Mail-Verteiler von Gush Shalom, eintragen bei info@gush-shalom.org

Weitere Informationen

www.gush-shalom.org

Bei www.btselem.org (The Israeli Information Centre for Human Rights in the Occupied Territories) gibt es einen Bericht über die israelische Politik der Sperrungen in den besetzten Gebieten: Civilians under siege, Restrictions on Freedom of Movement as Collective Punishment