anarchismus

Faulheit und Arbeitsglück

Libertäre Utopien gegen Schröders Hetze

| Frank Tiresias

"Es gibt kein Recht auf Faulheit!", sagte Schröder und hat damit wieder einmal die häßliche Fratze der Sozialdemokratie hervorgekehrt.

Wenn der konjunkturelle Motor der kapitalistischen Wirtschaft, von der die Sozialdemokratie auf Gedeih und Verderb abhängig bleibt, auch nur zu stottern beginnt, wird sozialdemokratische Politik zum Vollzug des konservativen Credos: an den Wirtschaftskrisen sind nicht etwa die Wirtschaftskapitäne und die herrschende Klasse schuld, sondern die ‚Sozialschmarotzer‘, die ‚Faulen‘ und die ‚AbzockerInnen‘ des Sozialstaats. In der wirtschaftlichen Flaute wird die Sozialdemokratie nur gebraucht, um glaubwürdiger die Notwendigkeit zu verkünden, die man/frau einem Helmut Kohl schon aufgrund seines Körperumfangs wohl nicht mehr abgenommen hat: nun heißt’s, den Gürtel wieder enger schnallen, die fetten Jahre sind vorbei, Schulden drücken und der Sozialstaat ächzt. Also, auf die Faulen mit Gebrüll!

Paul Lafargue’s „Recht auf Faulheit“

Einem Schröder muß man/frau einfach mit Paul Lafargue und seiner historischen, 1883 veröffentlichten, dabei ebenso aktuellen wie amüsant zu lesenden Schrift „Das Recht auf Faulheit“ antworten (1):

„Christus lehrt in der Bergpredigt die Faulheit: ‚Sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht, und doch sage ich Euch, daß Salomo in all seiner Pracht nicht herrlicher gekleidet war.‘ Jehovah, der bärtige und sauertöpfische Gott, gibt seinen Verehrern das erhabenste Beispiel idealer Faulheit: Nach sechs Tagen Arbeit ruht er auf alle Ewigkeit aus.“ (2)

Die Arbeitssucht, die Lafargue schon am Ende des 19. Jahrhunderts scharf und witzig geißelte, ist auch noch 100 Jahre später Kennzeichen der kapitalistischen Gesellschaft in den Metropolen. Die Sozialdemokratie bedachte in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts noch ganze Bundestagswahlkampagnen mit dem Slogan: „Arbeit, Arbeit, Arbeit!“ Ein Slogan übrigens, der bereits alles über die Sauertöpfigkeit und soziale Phantasie dieser Partei aussagt. Schröder will sein Amt am Rückgang der Arbeitslosenzahlen messen lassen und wird natürlich ärgerlich auf die Faulen, wenn sie jetzt keine Arbeit annehmen wollen und ihm die Statistik versauen. Es ist diese Arbeitssucht, deren Widersinn Lafargue so unnachahmlich veralberte:

„Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht. Diese Sucht, die Einzel- und Massenelend zur Folge hat, quält die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten (nun sind’s schon drei, d.A.). Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht.“ (3) Und: „Die Nationalökonomen werden nicht müde, den Arbeitern zuzurufen: Arbeitet, damit der Nationalreichtum wachse! (…) Dadurch, daß die Arbeiter den trügerischen Redensarten der Ökonomen Glauben schenken und Leib und Seele dem Laster Arbeit ausliefern, stürzen sie die ganze Gesellschaft in jene industriellen Krisen der Überproduktion, die den gesellschaftlichen Organismus in krankhafte Zuckungen versetzen. Betört von dem Dogma der Arbeit sehen die Proletarier nicht ein, daß die Mehrarbeit, der sie sich in der angeblich guten Geschäftszeit unterzogen haben, die Ursache ihres jetzigen Elends ist. (…) Statt in den Zeiten der Krisis eine Verteilung der Produkte und allgemeine Belustigung zu verlangen, rennen sich die Arbeiter vor den Türen der Fabriken die Köpfe ein. (…) Wie an Waren, so herrscht auch Überfluß an Kapitalien. Die Finanziers wissen nicht mehr, wo dieselben unterbringen; so machen sie sich denn auf, bei jenen glücklichen Völkern, die sich noch Zigaretten rauchend in der Sonne räkeln, Eisenbahnen zu bauen, Fabriken zu errichten und den Fluch der Arbeit zu importieren.“ (4)

Und ist es nicht heute noch genauso? Auch wenn wir nicht mehr ganz so sicher sein können, ob Zigaretten zu rauchen unbedingt zum Glückszustand des Faulseins hinzuzuzählen wäre (das Räkeln in der Sonne ist es aber allemal!), so verblüfft doch die richtige Beschreibung, dass das Arbeitsethos in den kapitalistischen Metropolen auch heute viel höher ist als in den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ und dass es dort erst sozusagen antrainiert werden muss. Wenn auch in einfacher Sprache, so ist in Lafargue’s Analyse doch schon der Zivilisierungs- und Disziplinierungsprozess der kapitalistischen Industrialisierung mitbedacht, den etwa Foucault und andere erst weit später beschrieben haben. Das ist insofern nicht zufällig, als Lafargue seine Kindheit auf Cuba verbrachte und von dort die volkstümliche Weisheit mit nach Europa nahm: „Wenn Arbeit etwas Schönes und Erfreuliches wäre, dann hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen.“ (5)

Lafargue berichtete, dass Arbeit in vorkapitalistischen Gesellschaften keineswegs eine auch nur annähernd mit kapitalistischen Gesellschaften vergleichbare Anerkennung erfahren habe. Von dieser Perspektive aus bekämpfte er den Arbeitsmythos und die Forderung nach einem ‚Recht auf Arbeit‘ innerhalb der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung Europas und innerhalb der ArbeiterInnenparteien. Lafargue wandte sich vehement dagegen, dass die ArbeiterInnen mehr produzierten, als sie selbst konsumieren könnten. So gesehen meinte er schon zu seiner Zeit, mit einem Dreistundentag müsse alles Notwendige für’s Überleben bei gleichmässiger Verteilung produziert werden können. Der Rest wäre Muße, Freizeit, Fest, Kreativität. Meist stieß er mit seiner Kritik des Arbeitsethos auf taube Ohren. So auch bei seinem Schwiegervater Karl Marx, dessen Tochter Laura er geheiratet hat.

Arbeitsglück als anarchistische Ergänzung zum Recht auf Faulheit

Warum also hat der Anarchismus Paul Lafargues Kritik der Arbeit und seine Propagierung des „Rechts auf Faulheit“ nicht freudestrahlend und zur Gänze als eigene Utopie übernommen? Nun, vor allem liegt das an der Biographie Lafargues: in jungen Jahren war er zwar von der anarchistischen proudhonistischen Bewegung beeinflußt, doch das änderte sich durch die verwandtschaftliche Nähe zu Marx. Er wurde zum Marxisten mit allen dabei normalerweise vorkommenden Negativerscheinungen, wozu auch die Bekämpfung des Anarchismus gehörte. Für Marx versuchte er die bakunistisch verseuchte spanische Sektion der I. Internationale wieder auf Kurs zu bringen und trat den spanischen „Autoritarios“ bei. Als Marx 1872 die anarchistische Fraktion auf dem Haager Kongress der Internationale rauswarf, maßte sich Lafargue an, die spanische und gleich auch noch die portugiesische ArbeiterInnenbewegung zu vertreten und stimmte gegen Bakunin. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Lafargue auf dem gleichen Kongress die Gründung internationaler Gewerkschaften durchzusetzen half. Die AnarchistInnen hatten rein ökonomistisch ausgerichtete ArbeiterInnenorganisationen bis dato immer abgelehnt. Und später waren es gerade die Gewerkschaften, die das von Lafargue so bekämpfte „Recht auf Arbeit“ fordern und zuweilen sogar zu ihrem wichtigsten Politikfeld erheben sollten. (6) Es gibt eben doch einen autoritären Zug in Lafargue’s Konzept der Faulheit. Er kann sich Arbeit eben nur als unbefriedigend, als öde, als nicht-kreative Tätigkeit vorstellen, allenfalls ist sie ihm „eine Würze der Vergnügungen der Faulheit“. (7) Und wie so oft bei allen NachfolgerInnen Lafargues entwirft er dann auf die Frage, wer denn in einer freien Gesellschaft die gesellschaftlich notwendige Arbeit verrichten soll, eine Maschinenutopie: die ArbeiterInnen, so schrieb Lafargue in „Das Recht auf Faulheit“ eben bezeichnenderweise auch, „begreifen noch nicht, daß die Maschine der Erlöser der Menschheit ist, der Gott, der den Menschen von der Lohnarbeit loskaufen, der Gott, der ihnen Muße und Freiheit bringen wird.“ (8)

Da sich die AnarchistInnen ja überhaupt mit dem Gottesglauben schwer taten, konnten sie schließlich auch an Lafargues Maschinengott nicht so recht glauben und witterten hinter den Maschinenutopien nicht ohne Grund eine autoritäre Gesellschaftsorganisation: eine herrschende Klasse, die dann wieder die Maschinen entwirft, kontrolliert, steuert – und damit die von ihr abhängigen Menschen. Noch weniger populär war die Automation als libertäre Gesellschaftsutopie schließlich bei den ÖkoanarchistInnen der letzten Jahrzehnte im 20. Jahrhundert und so wandte man/frau sich theoretischen Alternativen im Anarchismus zu.

Diese libertäre Alternative läßt sich unter dem Begriff „Arbeitsglück“ zusammen fassen: die Vorstellung, dass Arbeit nur freiwillig ausgeführt wird, wenn sie den Arbeitenden Spass macht, wenn sie kreativ und schöpferisch ist, wenn sie in einem gemeinschaftlichen Prozess ausgeführt und im Idealfall von Anfang bis Ende überblickt, also durchschaut, begriffen werden kann. In der Utopie einer freien Gesellschaft sollte Arbeit Glück verheißen. Die Leidenschaft und das Schöpfertum, das dabei frei gesetzt wird, so die Vermutung, würde locker reichen, um für die gesamte Gesellschaft genug zu produzieren. Öde, wiederholende, unbedingt notwendige Arbeit würde gegen Null tendieren oder so wenig anfallen, dass es immer genug Leute gäbe, die sie machen wollten, und sei es nur zur körperlichen Ertüchtigung. Mit dieser Arbeitsutopie waren fast immer antiindustrialistische (Tolstoi, Gandhi) oder zumindest industrialismuskritische (William Morris, Gustav Landauer) Modelle verbunden.

Gustav Landauer etwa propagierte in seinem „Sozialistischen Bund“ Siedlungen auf dem Lande und hoffte perspektivisch, den Zuzug von verarmten Bauern/Bäuerinnen in die industrialisierten Städte durch die Gemeinschaftssiedlungen wieder umkehren zu können. In unzähligen Artikeln propagierte Landauer für die ArbeiterInnen etwas, „was sie selber durch eigene Kraft erlangen, was sie sich erarbeiten können; etwas, was sie ihr ganzes kümmerliches, geplagtes und gehetztes Leben lang nicht gekannt haben: Glück; ein freudiges Leben mit Menschen ihres Schlages, die sie lieben und achten; Arbeit in Gemeinschaft um schönen, reinen Lebens willen.“ (9) Um die Herrschaft von Intellektuellen zu verhindern und geistige und körperliche Arbeit gleich zu bewerten, entwickelten zum Beispiel Tolstoi – und ihm folgend Gandhi – den ethischen Imperativ der „Brotarbeit“, d.h. dass basierend auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit jede/r geistige ArbeiterIn auch denjenigen Anteil körperlicher Arbeit erfüllen solle, der zur allgemein gegebenen Bedarfsdeckung durchschnittlich nötig ist. Obwohl das im konkreten Fall der tolstoijanischen und gandhianischen Siedlungskommunen, von denen es in Russland wie in Südafrika/Indien viele gab, in der Regel auch umgesetzt werden konnte, lassen sich aus diesem ethischen Imperativ auch autoritäre Gefahren ableiten. „Arbeitsglück“ kann eben sehr schnell auch nur behauptet werden, wenn der Grundsatz der Freiwilligkeit nicht mehr gegeben sein sollte. Dann könnte „Arbeitsglück“ von den Arbeitenden sehr schnell als Tugendterror, vielleicht sogar als Arbeitszwang erfahren werden. Um diese Gefahr abzuwenden, ist die Verbindung von Freiwilligkeit und Kunst innerhalb der Arbeit elementar. Albert Camus, der durchaus nicht zu vorindustriellen Verhältnissen zurück kehren wollte, beschreibt im folgenden anschaulich die Utopie des „Arbeitsglücks“ als Industrialismuskritik, die mit der Vorstellung einer erfüllenden schöpferischen Arbeit verbunden ist, in welcher Arbeit und Kunst ineinsgesetzt sind:

„Die industrielle Gesellschaft wird nur dann den Weg zu einer Kultur bahnen, wenn sie dem Arbeiter seine Würde als Schöpfer zurückgibt, d.h. wenn sie sein Interesse und seine Gedanken ebenso auf die Arbeit wie auf ihr Produkt lenkt. Die nunmehr notwendige Zivilisation wird in den Klassen wie im Individuum nicht mehr den Arbeiter vom Schöpfer trennen können. (…) Jedesmal wenn die Revolution in einem Menschen den Künstler tötet, der er hätte sein können, entkräftet sie sich selbst ein wenig.“ (10)

Arbeit muss also Kunst sein, oder sie ist zumindest nicht mehr libertär! Und Faulheit wiederum darf natürlich nicht auf einer autoritären Gesellschaftsorganisation basieren oder auf Ausbeutung. Der Müßiggang der reichen KapitalistInnen hat mit einem libertären Konzept der Faulheit nichts zu tun, das zu seiner eigenen Absicherung mit einem Konzept der schöpferischen Arbeit verbunden werden müsste, in welchem Freiwilligkeit, Arbeit und Kunst nicht getrennt sind.

(1) Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit, Trotzdem Verlag; oder ders: Das Recht auf Faulheit und andere Satiren, Stattbuch Verlag, aus letzterer Ausgabe alle Zitate im Text.

(2) Siehe Anm. 1, ebenda, S. 12.

(3) Ebenda, S. 10

(4) Ebenda, S. 21-25.

(5) Vgl. biographische Angaben in: "Über Paul Lafargue und seine Schrift 'Das Recht auf Faulheit'" in Graswurzelkalender 1997, S. 244-253, hier S. 246.

(6) Ebenda, S. 248f.

(7) Recht auf Faulheit, siehe Anm 1, S. 26.

(8) Ebenda, S. 53.

(9) Z.B. Gustav Landauer: Ferdinand Huber. Ein Nachruf, in: Der Sozialist, 5.12.1911.

(10) Albert Camus: Der Mensch in der Revolte, Reinbek 1969, S. 221f. u. S. 224.