Seit 1993 ist in der BRD das Asylrecht defacto abgeschafft.
Besonders in den 90er Jahren, durchgehend bis heute, werden asylsuchende Menschen massenhaft abgeschoben. In eigens zu diesem Zwecke vom Staat eingerichteten Gefängnissen, den sogenannten Abschiebeknästen, ohnehin in eine rechtlose und entwürdigte Lage getrieben, müssen die Flüchtlinge zu jeder Tages- und Nachtzeit mit der Zwangsabschiebung in Drittländer oder ihre Herkunftsländer rechnen. Im Zielort sind sie in der Regel weiteren Verfolgungen, Verhaftungen ausgesetzt. Viele von ihnen erleiden Folter und Mißhandlungen.
Strukturell verfestigt wird dieser Kreislauf der Gewalt im „Einwanderungsland“ BRD, in dem Asylsuchende zunächst, sofern sie Papiere haben und aus einem gesetzlich anerkannten Herkunftsland kommen, zwangsweise in zentrale Sammellager verschiedener Bundesländer eingewiesen werden. Von dort werden sie in der Regel in die dezentralen Flüchtlingswohnheime, die Container und Asylheime an den Rändern der Metropolen, Städte und Dörfer, umgesiedelt. Die Aufenthalte in den Sammellagern gewähren jedoch keineswegs Schutz vor Abschiebung. Die gesetzlichen Regelfristen für die Antragstellung im Asylverfahren sind – seit 1993 – in erheblichem Maße eingeschränkt worden. Rechtsbeistand und -beratung sind für viele schon allein wegen der engen Zeiträume nicht angemessen gewährleistet. Die Asylsuchenden werden vom öffentlichen Leben „abgeschottet“, gewissermaßen „einsortiert“ in die für sie vorgesehenen Unterkünfte. Dort müssen sie oft über Monate hinaus auf die behördlichen Entscheidungen warten. Diese Wartezeit garantiert jedoch keineswegs ein geschütztes Aufnahme- oder Bleiberecht.
Einhergehend mit dieser staatlichen Ausgrenzungs- und Abschreckungspolitik entfaltete sich in den 90er Jahren ein Nährboden für rassistische Gewalttaten. Flüchtlinge und asylsuchende Menschen wurden und werden explizit Opfer rassistischer Übergriffe. Nur vereinzelte, „spektakuläre“ Fälle geraten an die Öffentlichkeit. Es haben nicht nur Brandanschläge und Angriffe auf Asylheime und Sammellager zugenommen, sondern auch Übergriffe und Morde an Flüchtlingen auf deutschen Straßen. Besondes in letzterem Bereich gibt es eine hohe Dunkelziffer.
Erschreckende Bilanz des staatlichen Rassismus
Die Abschiebungen spielen sich weitgehend im „Verborgenen“ ab, fernab und sauber getrennt von der öffentlichen Sphäre der Wohlstandsgesellschaft. Nach den Recherchen der „Antirassistischen Initiative“ Berlin ergibt sich für den Zeitraum 1993-2000 ein erschreckendes Bild (1):
„92 Menschen töteten sich selbst angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen. Allein 45 Flüchtlinge starben in Abschiebehaft. Mindestens 310 Flüchtlinge haben sich aus Verzweiflung oder Panik vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) selbst verletzt oder versuchten sich umzubringen und überlebten zum Teil schwer verletzt. Davon befanden sich 214 Menschen in Abschiebehaft.“ Die Todesspirale setzte sich im Verlauf der Abschiebetransporte fort: „159 Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während der Abschiebung verletzt.“ In den Herkunftsländern „kamen 13 Flüchtlinge zu Tode, mindestens 276 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und gefoltert. Mindestens 46 Menschen verschwanden nach der Abschiebung spurlos.“ (2)
Zum Beispiel wurden direkt nach Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes ca. 2500 VietnamesInnen abgeschoben. (3) Bis 2000 wurden speziell nach Vietnam ca. 40000 Menschen abgeschoben.
Im Jahr 1995 startete fast jeden Tag eine Maschine von Berlin-Schönefeld nach Bukarest, um Menschen nach Rumänien abzuschieben. Einer der Gründe für diese „Schlag-auf-Schlag“-Massenabschiebungen nach 1993 ist, dass vorher viele Abschiebestopps nicht verlängert wurden. Oder es handelte sich um „Stopps“, die schon lange abgelaufen waren, etwa für Menschen aus Kurdistan/Türkei oder aus Algerien. Besonders hart betroffen waren auch Menschen, deren Asylantrag vor 1993 abgelehnt war, die aber aufgrund von sogenannten „Abschiebehindernissen“ schon lange in Deutschland lebten.
Wie kam es zu den Verzerrungen und vehementen Beschneidungen des Asylrechts?
Asylpolitik vor 1993
Das bis 1993 geltende, im Grundgesetz verankerte „Recht auf politisches Asyl“ war 1948/49 entstanden, vor dem Hintergrund der Verfolgungen im Nationalsozialismus. Dabei hatten die GesetzgeberInnen, die Mitglieder des „Parlamentarischen Rates“ die Verfolgungen von Juden und Jüdinnen, der Sinti und Roma, der Homosexuellen und politisch Andersdenkenden im Bewußtsein. (4) Hinzu kam die Tatsache, dass Menschen, die vor den Nazis flohen, zumeist mit einer restriktiven Asylpraxis der Aufnahmeländer konfrontiert worden waren.
Die einfache Aussage von 1949 lautete gemäß Artikel 16, Abs. 2, Satz 2 des Grundgesetzes: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Diese Bestimmung war einmalig im internationalen Verfassungsvergleich und im Völkerrecht. (5)
Politisch Verfolgten wurde damit ohne Gesetzesvorbehalt ein subjektives Recht auf Asyl zugesprochen. Ein Aufnahmeanspruch asylsuchender Menschen war grundsätzlich gewährleistet.
Was jedoch als „politische Verfolgung“ angesehen wird, lag und liegt bis heute im Ermessensspielraum der Gerichte, deren Entscheidungsgrundlage der Flüchtlingsbegriff der „Genfer Flüchtlingskonvention“ ist. Eine gesetzliche Definition der „politischen Verfolgung“ existiert nicht.
Tatsächlich wurde in den Jahrzehnten nach 1949 der Inhalt des Artikels 16 Stück für Stück ausgehöhlt, wobei der Wortlaut bis zur offensiven Änderung 1993 erhalten blieb.
In den 50er und 60er Jahren wurde das deutsche Asylrecht kaum in Anspruch genommen. Die meisten AntragstellerInnen waren sogenannte „Ostblockflüchtlinge“. Als Arbeitskräfte und aufgrund der antikommunistischen Integrationsideologie in der Ära des Kalten Krieges wurden sie gern aufgenommen. Zudem besagte ein „Ostblockerlaß“ von 1966, dass niemand in die Staaten des „Warschauer Paktes“ abgeschoben werden durfte.
Anfang der 70er Jahre stieg im Zuge der Weltwirtschaftskrise und als Reaktion auf den Anwerbestopp ausländischer ArbeiterInnen, besonders seit 1973, die Zahl der Asylanträge sprunghaft an. Bei den AntragstellerInnen handelte es sich nun meist um Asylsuchende aus der sogenannten „Dritten Welt“, darunter auch viele Menschen aus der Türkei. Im Gegensatz zu den „Ostblockflüchtlingen“ stießen diese Asylsuchenden keineswegs auf ein offenes Klima der Aufnahme.
Bereits seit Ende der 70er Jahre, und besonders 1980, als das Asylrecht Wahlkampfthema rechtsextremer Parteien wurde, steigerte sich das gesellschaftliche Anti-Klima. Auch im Bundestagswahlkampf 1986 beförderte eine von der CDU/CSU demagogisch geführte Kampagne gegen eine vermeintliche „Asylantenflut“ den Nährboden für ein aufgepeitschtes Abwehr-Klima gegen Asylsuchende. In diesen Jahren bildete sich eine Wende von der Aufnahme- zur Abwehrgesellschaft heraus. Der Tatbestand der inzwischen stark gestiegenen Zahlen – 1980 waren es 100.000 AsylantragstellerInnen gegenüber nur 5000 im Jahr 1970 – diente im Prinzip nur als äußerer Auslösefaktor, der dem Kampf der Regierenden gegen sogenannte AusländerInnen zunutze kam.
Eindeutig ging es in der Asyldebatte nicht mehr um Asyl, geschweige denn um einen Ausbau des Asylrechts. Im asylpolitischen Diskurs der Herrschenden war vielmehr vom „Asylmißbrauch“ die Rede. Das daraus resultierende Ziel war, asylsuchende Menschen abzuwehren und das Aufnahmerecht schrittweise zu beschneiden. Verstärkt durch die Medien hielten nun Begriffe wie „Wirtschaftsasylant“ oder „Asylantenschwemme“ Einzug in die deutsche Sprache. Ferner war die Rede von „explosionsartigen Massenströmen“ oder von Asylsuchenden, die „wie Naturkatastrophen über das Land herfielen.“ (6) Diese Bilder provozierten die Vorstellung des „Asylbewerbers als Kostgänger deutscher Steuerzahler“, der sich mit seinem Asylantrag samt seiner Großfamilie „in unsere soziale Hängematte fallen läßt.“ (Welt am Sonntag, 13.6.80)
Unter Berufung auf steigende Arbeitslosenzahlen und zunehmende Wohnungsnot war nun der Kampf gegen das angeblich mißbrauchte Asylrecht angesagt. Der Staat ergriff restriktive Maßnahmen: Asylverfahrensbeschleunigungen, Einführung der Visapflicht, vermehrte Abschiebungen, Einrichtung von Sammellagern, Versorgung mittels Sachleistungen, Streichung des Kindergeldes usw. Diese mit dem Asylverfahrensgesetz von 1982 verbundenen Maßnahmen beschnitten die Bewegungsspielräume von Einzelnen sowie ganzen Gruppen von Asylsuchenden. Die Zwangseinweisung in Sammellager und Gemeinschaftsunterkünfte beinhaltete eine Steigerung an staatlicher Kontrolle und Überwachung. Zumal diese Überwachung gesetzlich an die Bürokratie der zuständigen Ausländerbehörde gebunden war. Damit wurde die Planung von Abschiebungen wesentlich leichter.
Bereits 1980 wurde Asylsuchenden ein einjähriges Arbeitsverbot auferlegt, welches bis 1985 auf fünf Jahre ausgeweitet wurde. Damit nicht genug. In Verhandlungen mit der DDR verhinderte die BRD 1985 und 1986 die Zuwanderung von Flüchtlingen über Ost-Berlin. Nur Menschen mit einem Anschlußvisum erhielten die Möglichkeit zur Einreise in die BRD. 1989 schließlich wurde der generelle Abschiebestopp für „Ostblockflüchtlinge“ aufgehoben.
1987 wurde das Asylverfahrensgesetz von 1982 novelliert und verschärft. Nun hiess es, dass „Flüchtlinge, die sich länger als drei Monate in einem als sicher definierten Drittstaat aufgehalten haben“, kein Asyl erhalten. Und weiter: „Asylanträge, in denen mit wirtschaftlicher Not, allgemeiner Notsituation oder kriegerischen Auseinandersetzungen argumentiert wird, werden nicht anerkannt.“ (7) Mit der nun eingeführten Hürde der Drittstaaten ignoriert und beschneidet der Staat grundsätzlich das Recht von Asylsuchenden auf die subjektive Auswahl eines Asyllandes. Außerdem ist ein sicherer Asylschutz in einem als sicher definierten Drittstaat nicht in jedem Fall gewährleistet. Kriege, Armut, extreme Notsituationen sind in der Regel schwerwiegende Ursachen von Flucht und Emigration. Die Nicht-Akzeptierung dieser Ursachen bedeutet zugleich: Aufhebung des Asylrechts. Außerdem ist diese Ignoranz ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Menschen.
Neues Asylrecht
Die Gesetzes- und Verfassungsänderungen von 1992/93 haben die Abschottung und Abschreckung gegenüber Flüchtlingen perfektioniert und die rechtliche Situation drastisch verschlechtert. Seit dem Inkrafttreten des neuen Asylrechts sind die Asylantragszahlen erzwungenermaßen stark gesunken. Gleichzeitig verstärkte sich der Druck auf diejenigen Flüchtlinge, deren Asylantrag bereits vor 1993 abgelaufen war. Sie mußten nun mit einer Abschiebung rechnen.
Im Jahre 1998 kamen dennoch 99.000 Flüchtlinge als Asylsuchende neu ins Land. Über ein Drittel davon waren Menschen aus Jugoslawien (u.a. Kosovo-AlbanerInnen), gefolgt von Menschen aus der Türkei, drittens schließlich von Asylsuchenden aus dem Irak.
Die Suche nach Asyl bedeutet seit 1993 ein Leben ohne Aufenthaltsstatus, ohne Sozialleistungen, ohne medizinische Versorgung. Das neue Asylbewerberleistungsgesetz, ein maßgeblicher Bestandteil des neuen Asylgesetzes, brachte die Streichung der Sozialleistungen für Flüchtlinge, die „nach Auffassung der Behörden eingereist sind, um Sozialleistungen zu erhalten.“ Seither „definiert die Sozialhilfe nur noch für deutsche (und diesen gleichgestellte) SozialhilfeempfängerInnen das Minimum zur Führung eines Lebens, das ‚der Würde des Menschen entspricht‘ (Paragraph 1 Abs. 1 BSHG).“ Mit diesem Asylbewerbergesetz, welches für Flüchtlinge an die Stelle des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) getreten ist, wird das Prinzip der „geteilten Menschenwürde“ endgültig festgeschrieben. Heute besteht für kein einziges Bundesland mehr ein genereller Abschiebestopp. Demgegenüber konnten z.B. „1984 noch rund zwei Drittel aller im Bundesgebiet asylsuchenden Flüchtlinge sicher sein, aufgrund der allgemeinen Situation im Herkunftsland geduldet zu werden.“ (8) Geduldet hieß: befristete Aufenthaltserlaubnis.
Der Artikel 16, Abs. 2, Satz 2 des Grundgesetzes, „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ ist seit dem 1.7.1993 in seiner uneingeschränkten Form gestrichen. Übrig geblieben ist eine Rechtsruine, der neue Artikel 16a im Grundgesetz. Demzufolge können Flüchtlinge sich nicht mehr darauf berufen, politisch Verfolgte zu sein, wenn sie aus einem Drittstaat einreisen. Die sogenannten „sicheren Drittstaaten“ sind neben allen EU-Mitgliedsstaaten Norwegen, Polen, Schweiz, Tschechien. Durch die strikt eingeführte Visapflicht, die verschärfte Überwachung der Fluchtwege durch Polizei und Militär, die Zurückweisung der Flüchtlinge an den Außengrenzen der „Drittstaaten“; sowie durch Restriktionen gegenüber Fluggesellschaften, die Asylsuchende ohne legale Papiere befördern, soll so weit wie möglich verhindert werden, dass Flüchtlinge die Länder der EU überhaupt erst betreten. Asylanträge aus einem dieser Drittstaaten werden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.
Als Legitimation für die Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl gebrauchen bundesdeutsche PolitikerInnen auch das anvisierte Ziel einer einheitlichen Asylpolitik Europas gegenüber Flüchtlingen.
„Pro Asyl“ stufte in einem Gutachten die Praxis der „Drittstaatenregelung“ als verfassungswidrig ein. „Nicht einmal der Zugang zu einem juristischen Verfahren im jeweiligen Drittland, in das abgeschoben wird, sei gewährleistet.“ (9) Abkommen dafür gebe es bisher nur mit Polen und Österreich, aber selbst dort sei der uneingeschränkte Zugang zu Justizverfahren für die Abgeschobenen nicht festgeschrieben.
Der zweite gravierende Einschnitt der Grundgesetzänderung (Paragraph 16a, Abs. 3 GG) resultiert aus der Regelung, dass Staaten bestimmt werden, die als „verfolgungsfrei“ gelten. Es handelt sich dabei um eine zusammengestellte Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“: Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakei, Ungarn, Ghana, Senegal. Formell sind dies Ausreiseländer, „bei denen aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint“ (§ 16a, Abs. 3 GG), dass dort keine politische Verfolgung stattfindet. Asylanträge von MigrantInnen, die aus einem als sicher geltenden Herkunftsstaat einreisen, werden ebenfalls als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Verfassungsrechtlich untragbar ist sowohl der Tatbestand sowie die Auswahl dieser Länderlisten. Das beweist schon das Faktum, dass es politisch Verfolgte aus diesen Staaten gab, die auch in der BRD anerkannt worden sind. Der letztgültige Maßstab dafür, ob ein Herkunftsstaat „verfolgungsfrei“ gilt, sind die in der BRD niedrigen Anerkennungsquoten dieser Länder. (10) Auffälligerweise stellte sich heraus, dass genau solche Länder auf die Liste gesetzt wurden, aus denen in den letzten Jahren vergleichsweise viele Asylsuchende kamen.Türkei, Liberia, Zaire wurden im Februar 1993 in einem Entwurf des Innenministeriums aufgewiesen, aufgrund von Protesten wurden sie später wieder von der Liste gestrichen. (11)
Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass die ListenerstellerInnen im Bundesinnenministerium daran interessiert waren, keine Herkunftsländer zu bestimmen, aus denen politische Verfolgung eindeutig nachweisbar ist, um das Einreise- und Aufnahmerecht der Verfolgten zu verhindern.
Massenabschiebungen
Die Handhabungen der Massenabschiebungen sind die einschneidendste und schwerwiegendste Konsequenz der strukturell verfestigten staatlichen Gewalt gegenüber Flüchtlingen. Mittlerweile sind nur noch die wenigsten MigrantInnen vor Abschiebungen geschützt. Gemäß eines Berichtes des Niedersächsischen Flüchtlingsrates wurden nach 1993 immer mehr Flüchtlinge abgeschoben, ohne dass ihre Asylanträge inhaltlich überprüft wurden.
Beispielsweise wurden 1994 allein über den Frankfurter Flughafen 11183 ausländische Menschen abgeschoben (nach Geschlecht liegen keine Angaben vor). Und von November 1993 bis Mai 1994 wurden weit über 20.000 Menschen über die Flughäfen Berlin, München, Frankfurt abgeschoben. Die meisten in diesen Jahren Abgeschobenen waren rumänische StaatsbürgerInnen. Nach Schätzungen handelte es sich dabei um „über 90 Prozent Roma, deren Existenz in Rumänien unter der immens gestiegenen Zahl rechtsextremistischer Gruppen und Parteien sehr gefährdet ist.“ (12)
Mit der Regelung der „sicheren Drittstaaten“ ist zusätzlich die Gefahr der „Kettenabschiebungen“ verbunden, an deren Ende die abgeschobenen Menschen wieder im Verfolgerstaat landen. Denn bei einer Abschiebung in einen sogenannten sicheren Drittstaat ist nicht gewährleistet, dass die Flüchtlinge dort Aufnahme und Zugänge zum Justizverfahren erhalten. Eine weitere Auswirkung dieser Regelung ist das „Hin- und Herschieben“ von Flüchtlingen.
Die mit dem Asylgesetz von 1993 eingeführten sogenannten Asyl-Schnellverfahren führten dazu, dass vermehrt Menschen aus formalen Gründen abgelehnt und abgeschoben wurden. Die Betroffenen erhielten keine Chance, ihre Anträge zu revidieren.
Bedingt durch die im Asylverfahrensgesetz drastisch gekürzten Fristen für die Anträge sowie Anhörungen ist es inzwischen oft so, dass eine Abschiebung in die Wege geleitet oder eine Abschiebehaft verhängt wird, bevor die Betroffenen Kontakt mit AnwältInnen haben und sich beraten lassen können. In sehr vielen Fällen erfahren es nicht einmal mehr die zuständigen AnwältInnen, wenn Asylsuchende verhaftet und abgeschoben werden.
Verantwortliche PolitikerInnen freuen sich darüber, dass es kaum noch Chancen auf Asyl gibt. Der ehemalige Bundesinnenminister Kanther nannte dies „einen Erfolg an Menschlichkeit, denn da sind 17.000 und 20.000 weniger von Verbrechern nach Deutschland verschleppt worden, nur um kurzfristig wieder abgeschoben zu werden.“ (13)
An der Ostgrenze werden mit Nachtsichtgeräten, Spähhubschraubern und einem gewaltigen Aufgebot an BundesgrenzschützerInnen sich auf der Flucht befindende Menschen systematisch überwacht und verfolgt. Um die Grenze zu überwinden, nehmen Asylsuchende auf den Landwegen (90 % aller Flüchtlinge) oft lebensgefährliche Fluchtwege auf sich. Nicht wenige sind dabei umgekommen. Auch hier erfährt die Öffentlichkeit nur einen Bruchteil dessen, was wirklich passiert.
Eindeutig zeigt sich dabei eine Tendenz zur Kriminalisierung von Flüchtlingen. Dies beweisen nicht nur die Aussagen bestimmter PolitikerInnen, sondern das erweist sich auch in den gesetzlichen Erfassungs- und Vertreibungsmaßnahmen. Tatsächlich wurde zusätzlich zu den eingerichteten Abschiebegefängnissen eine „bundesdeutsche Fahndungsdatei“ speziell für Flüchtlinge eingerichtet. (14) Die vom Ausländerzentralregister erfassten Daten ermöglichen den deutschen Behörden schnelle Abschiebungen.
Mit den gesetzlich verankerten Legitimationen von Menschenrechtsverletzungen zeigen und zeigten die Regierenden und die ausführenden deutschen Behörden ihr rigides und kalt-berechnendes Profil. Die Fahndungs- und Verfolgungsspirale funktioniert perfekt.
Im Prinzip befördert diese staatliche Abschiebepolitik zugleich die Gewaltbereitschaft rechtsextremer Gruppen aus der Bevölkerung. Es ist zu befürchten, dass die deutsche Flüchtlingspolitik ihre „Tiefpunkte“ immer noch nicht erreicht hat. Die seit September 1998 angetretene rot-grüne Regierung führte und führt die politische Linie der Abwehr, Abschreckung und Ausgrenzung von Flüchtlingen weitgehend fort. Die politische Debatte um Einwanderung, um „Green Cards“ für SpezialistInnen, die sogenannten Fachkräfte für die Informationstechnologie-Branche zur Sicherung der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands sind nur ein modernisierter Ausdruck davon. Gegen Flüchtlinge und Menschen ohne Papiere, gegen die Gefangenen in den Abschiebegefängnissen und Flüchtlingsheimen wird weiterhin eine rigide Vertreibungspolitik betrieben. Gegen diese Politik sind viele Formen eines breit angelegten gewaltfreien Widerstands und zivilen Ungehorsams nötig.
(1) Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre Folgen. Dokumentation (1993-2000), zusammengestellt von der Antirassistischen Initiative Berlin, 8. Aufl., Berlin 2000, zu bestellen: Yorckstr. 50, 10965 Berlin.
(2) ebenda, S. 2.
(3) Judith Rosner: Asylsuchende Frauen, neues Asylrecht und Lagerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Verlag für Akademische Schriften, Frankfurt/M. 1996, S. 116.
(4) vgl. dazu auch: Rosner, S. 28.
(5) ausgeführt bei Andrea Kothen: "Es sagt ja keiner, dass wir keine Ausländer annehmen". Zugangsbarrieren für Flüchtlinge und MigrantInnen im System der sozialen Regeldienste, Verlag für akademische Schriften, Frankfurt/M. 2000, S. 18.
(6) vgl. Rosner, S. 30.
(7) vgl. Rosner, S. 31.
(8) vgl. Kothen, S. 21.
(9) Frankfurter Rundschau, 1.10.1993, zit. nach Rosner, S. 33.
(10) vgl. bei Rosner, S. 33f.
(11) ebena.
(12) Niedersächsischer Flüchtlingsrat, Dokumentation des Medienbüros Oldenburg, 1994, S. 39.
(13) Kanther im Febr. 1994, zit. nach Rosner, S. 45.
(14) Angabe des hessischen Datenschutzbeauftragten Winfried Hassemar, in: Frankfurter Rundschau, 3.3.1994, zit. nach Rosner, S. 42.