transnationales

Neue Strategien

Die Repression beim G-8-Gipfeltreffen in Genua

| Johannes von Hösel

I.

„Es war ganz ruhig. Plötzlich brach die Hölle aus. Einige Leute haben noch versucht, die Tür zuzuhalten. Die Polizei hat gegen die Tür getreten und die Scheiben eingeschlagen. Wir haben noch schnell versucht, uns anzuziehen. Wir haben unsere Hände hochgehalten und gewartet. Nach zwei, drei Tritten hatten sie die Tür eingetreten und sind reingestürmt. Sie haben uns angespuckt und als Hurensöhne beschimpft. Wir standen da und konnten nichts machen. Sie haben sofort angefangen zu prügeln, bis von den Leuten überhaupt keine Bewegung mehr kam“ (M.D., junge welt, 27.07.2001).

„Sie haben uns dann auf den Boden geschmissen und einen Knüppel unters Kinn gehalten. So mussten wir auf dem Boden vor ihnen rumrobben, die Hände auf den Rücken. Das hat nicht so gut geklappt, wir waren ja auch verletzt. Wenn jemand nicht mehr konnte, haben sie mit dem Knüppel gegen das Kinn geschlagen. Dabei haben sie gelacht“. (L.J., junge welt, 27.07.2001).

„Ich selbst hielt meinen Presseausweis den prügelnden Einheiten entgegen. Sie lachten und schrien mich an: ‚Black block‘ und ‚Wo ist Giuliani‘ (Todesopfer in Genua)? Mit voller Härte schlugen sie auf mich ein. Nach einigen Schlägen fiel meine Pressekarte zu Boden: Schläge auf den Kopf, die Brust, die Beine, die Schulter – der ganze Körper schmerzte. Bäng, ein Schlag auf Ohr, und beinahe besinnungslos winselte ich um Gnade…. Um mich herum ein Bild des Schreckens. Blut und Weinen überall“ (J.H., Neues Deutschland, 28./29.07.2001).

„Überall liegen verstreute Habseligkeiten herum: Schlafsäcke, durchwühlte Rucksäcke, Unterhosen, Bücher, zertretene Brillen, einzelne Turnschuhe, zerrissene Ausweise und Filmrollen. Dazwischen breiten sich dunkelrote Blutlachen auf dem Steinfußboden aus. Blutspuren kleben auch an den Wänden, Heizkörpern und in den Waschräumen“ (N.N., Berliner Zeitung, 27.07.2001).

II.

Die Armando-Diaz-Schule, Genua, in der Nacht zum Sonntag, den 22.Juli 2001. Spuren werden nicht verwischt, sondern offen zur Schau gestellt. Waffen werden nicht gefunden, dafür Fotoapparate und Thermoskannen als solche ausgegeben. Bei der Pressekonferenz nach der Räumung sind Fragen zum Vorgehen und den Funden nicht erlaubt. „Hier sollte Rache genommen werden“, urteilte ein Mitarbeiter des Genua Sozial Forums (GSF) über den Angriff der so genannten Gefängnispolizei, ein auf die Niederschlagung von Gefängnisrevolten spezialisiertes Sondereinsatzkommando. „Rache für drei Tage sinnlose Gewalt und Gegengewalt“ erläuterte die taz (23.07.2001). Ob Urteil und Erläuterung aber einleuchten, ist fraglich. Plausibel scheint viel mehr, dass wir es mit einer Strategie zu tun haben, in der Gewalt und Gegengewalt nur eine Taktik sind. Wir, das ist in diesem Fall einerseits die Antiglobalisierungsbewegung selbst. Zum anderen sind „wir“ aber auch die westlichen Gesellschaften im allgemeinen. So bringt die Globalisierung uns die Verhältnisse anderer Kontinente und die Differenzen dazu nahe: „Chilenische Nacht“ nannte Massimo d’Alema, ehemaliger Ministerpräsident Italiens, die Übergriffe. An lateinamerikanische Situationen aus der Zeit der Militärdiktaturen erinnerte die brutale Behandlung nichtsahnender DemonstrantInnen durch Gefängnispolizei und im Anschluß an die Verhaftung durch Carabinieri in der Tat. Allerdings waren in Chile und Argentinien in der Regel mehr Tote zu beklagen (mindestens 3000 bzw. 30000 insgesamt), und die Linksparteien waren eindeutig den Opfern zuzurechnen, während D’Alemas Olivenbaumkoalition den G-8-Gipfel vor Berlusconis Amtsantritt immerhin vorbereitet hatte. Offiziell wurden bei den Protesten in Genua 561 Menschen verletzt – mehrere Menschen lagen im Koma -, über 280 festgenommen, ein Sachschaden von geschätzten hundert Millionen Mark angerichtet und ein Mensch getötet. Dass die tödlichen Schüsse auf Carlo Giuliani in Notwehr gefallen sind, ist nach der Vorlage neuer Fotos (www.sherwood.it) und Zeugenberichte immer unwahrscheinlicher (vgl. Jungle World Nr.33, 08.08.2001).

III.

Während eine Demonstration für die Rechte der MigrantInnen am Donnerstag, den 19.07.2001 noch friedlich verlief, waren die beiden großen Demonstrationen am Freitag und am Samstag von massiven Ausschreitungen begleitet. Über 700 Gruppen hatten zu den Protesten mobilisiert, 100000 TeilnehmerInnen aus den verschiedensten linken Spektren waren auch am Samstag gekommen. Nach der Erschießung von Carlo Giuliani durch einen Carabiniere am Freitag rief kaum noch jemand „Genova Libera“ (Freies Genua). Gedrückte Stimmung und „Assassini“ (Mörder!) – Rufe dominierten die Situation. AugenzeugInnen bestätigen die Berichte verschiedener Zeitungen, dass die Polizei vermummte RandaliererInnen gewähren ließ, abwartete, um dann die gesamte Demo anzugreifen. Mehrmals wurden die Protestierenden von verschiedenen Seiten aus mit Tränengas unter Beschuß genommen. „Als einige Mannschaftswagen der Polizei auf ein Uferplateau vorpreschen, versuchen mehrere Hundert dort Stehende, sich ans Meeresufer zu flüchten. Meterhohe Metallzäune, die das Areal säumen, werden erklommen, die Verriegelung eines Gatters zerbricht unter dem Druck der panisch Flüchtenden. Ein Hubschrauber wirft Tränengas ab – in einer Situation, die für viele tödlich hätte enden können“ (Jungle World Nr.31, 25.07.2001).

Die Vermummten werden anschließend schnell etikettiert: Der Schwarze Block. Ein Mitarbeiter des Neuen Deutschland berichtet, er sei in der Woche nach Genua von einer italienischen Kollegin von La Stampa angerufen worden, die sich nach der Adresse des Schwarzen Blocks erkundigte, da dieser ja in Berlin ansässig zu sein schiene. Aber kein Anschluß unter Anarcho e.V. oder Die Autonomen GmbH. Zur gleichen Zeit distanzieren sich auf indymedia verschiedene anarchistische Gruppen aus Italien von der dem Schwarzen Block zugeschriebenen Politik. Die militanten Gruppen, vornehmlich aus Mailand, Barcelona und Berlin, zu deren Strategie die Riots gehörten, geraten in Erklärungsnot.

Ein Imperativ greift um sich, der von der rechten Presse in Deutschland bis zu Mitgliedern der globalisierungsgegnerischen Gruppe Attac vertreten wird: Die Gewalt und ihre TäterInnen sollen isoliert werden. Verantwortlich für die Gewalt sei einerseits die Polizei, die die „Anarchos“ nicht früh genug bzw. überhaupt nicht vom Rest der Demo separiert habe, und andererseits die Demonstrierenden, die sich derselben Unterlassung schuldig gemacht hätten. Der Wochenend-Leitartikel der Süddeutschen Zeitung vom 28./29.07.2001 argumentiert so, obwohl im Laufe der Woche klar geworden war, dass nicht bloß Autonome Autos in Brand gesetzt und Scheiben zerschlagen haben. Schon Wochen vor dem Gipfel wußte die italienische Polizei, dass die drei faschistischen Gruppen „Forza Nuova“, „Fronte Nazionale“ und „Comunita politica di avanguardia“ die Demonstrationen infiltrieren und aus ihr heraus die Polizei attackieren wollten. Ziel der Attacke war es, die „antagonistische Linke zu diskreditieren“, zitiert die Genueser Zeitung Il Secolo XIX aus dem der Polizei vorliegenden Dokument (vgl. Berliner Zeitung 27.07.2001). Die Polizisten in der Polizeikaserne in Bolzaneto jedenfalls dürften wenig beunruhigt gewesen sein, empfingen sie die zuvor geschundenen Gefangenen am frühen Sonntag morgen doch mit dem Hitler-Gruß.

Die gezielten Angriffe auf die Demonstrationszüge, der Terror in der Diaz-Schule und in der Kaserne in Bolzaneto, in der die Gefangenen physisch und psychisch gequält wurden, und die bekannte Infiltration der Demo durch organisierte Neonazis führt die Rede vom „Versagen der Polizei“ ad absurdum. Die Polizei hat nicht versagt, sondern eine Strategie durchgesetzt. Bei der Räumung der Diaz-Schule forderte ein Polizeioffizier zusätzliche Einheiten mit den Worten an: „Jetzt massakrieren wir sie“. Um einer „autoritären Lösung“ der Arbeitskämpfe und sozialen Konflikte Akzeptanz zu verschaffen, hatten faschistische Gruppen Ende der 70er Jahre Sprengstoffanschläge verübt, die der radikalen Linken angelastet wurden. „Strategie der Spannung“ nannte sich dieses von führenden Politikern gestützte Vorgehen. Daran beteiligt war – unter anderem Namen – auch die jetzt wieder in Erscheinung getretene „Forza Nuova“.

IV.

Aus der Sicht der G8-Strategen konnte es keinen besseren Austragungsort für den Gipfel geben als Italien mit seiner frisch legitimierten Rechtsregierung. Mit dem Vorgehen der so genannten Sicherheitskräfte wurden neue Maßstäbe gesetzt, mit denen sich soziale Bewegungen in Zukunft konfrontiert sehen werden. Der Staat zeigt hier aber nicht sein wahres fratzenhaftes Gesicht, sondern fuchtelt mit dem bewaffneten Arm und spricht mit gespaltener Zunge. Zum einen ist eine in Europa lange nicht gekannte staatlich legitimierte Willkür und äußerste Brutalität vorgeführt worden, zu denen die Schüsse von Göteborg nur das Startsignal waren und mit deren Wiederholung jeder und jede Globalisierungsgeg-nerIn rechnen muß. Zum anderen wurde mit den Exzessen von Genua staatliche Definitionsmacht sozusagen in Maßstab der Globalisierung eingeklagt und restatuiert. Dass das staatliche Gewaltmonopol festlegt, was Gewalt und was daran zu ächten ist, machte am besten der rechte Regierungschef Berlusconi selbst klar, indem er erklärte, „es dürfe keine Verwechslung zwischen denen geben, die sich über das Gesetz hinweggesetzt hätten und denen, die das Gesetz verteidigt hätten“ (Süddeutsche Zeitung, 28./29.07.2001). Die deutsche Rechte sekundiert: Günther Beckstein, Innenminister Bayerns, nennt den Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele einen „geistigen Mittäter“ der Ausschreitungen. Im Gegensatz zu seinen ParteigenossInnen in den Staatsämtern hatte dieser die Räumung der Diaz-Schule als „Massaker-ähnlichen Übergriff“ kritisiert und mit wenig Aussicht auf Erfolg die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission gefordert. Mit weitaus höherer Wahrscheinlichkeit als zu diesem Gremiun wird es zu der von Bundesinnenminister Otto Schily vorgeschlagenen „europäischen Gewalttäterdatei“ kommen. Aus Anlaß des Gipfeltreffens war zum zweiten Mal nach Göteborg das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt worden, um Grenzkontrollen durchführen zu können. In Deutschland wurden erstmalig nach dem Fall der Berliner Mauer wieder Ausreiseverbote verhängt. Ohne zuvor straffällig geworden zu sein, mußten 81 potentielle Genua-Reisende, vornehmlich aus Berlin und Brandenburg, sich in den Tagen des Gipfels täglich bei der örtlichen Polizei melden. Andere wurden an den Grenzübergängen in die Schweiz festgehalten und an der Ausreise gehindert. Während Anfang August selbst italienische Staatsanwälte von „systematischer Folter“ an den Festgenommenen in der Polizeikaserne Bolzaneto sprechen, setzen sich die Innenminister Deutschlands und Italiens, Schily und Scajola, nach einem gemeinsamen Treffen in der ersten August-Woche für die Schaffung einer „europäischen Anti-Krawall-Polizei“ ein.

V.

An die Repression angeschlossen ist wie immer das Integrationsangebot.

Während erstere die Sache der rechten Regierungen ist, nehmen die gemäßigten die Eingliederungsaufgabe vor. Ludger Volmer, grüner Staatsminister im Auswärtigen Amt, sagt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau (vom 28.07.2001): „Ich finde, die ernstzunehmenden Nichtregierungsorganisationen sollten stets einen deutlichen Grenzstrich ziehen, wie sie es nach Genua getan haben“. Nicht zu den Regierungen etwa, sondern zu der von ihnen ausgemachten Gewalt. Denn, so Volmer weiter: „Mancher Krawall hätte vielleicht vermieden werden können, wenn die Nichtregierungsorganisationen frühzeitig in die Inszenierung von Gipfeltreffen einbezogen worden wären“. Nur dass das Thema Globalisierung es dann weder in die Abendnachrichten, noch auf den Spiegel-Titel (23.07.2001) geschafft hätte, wie Eberhard Seidel in der taz vom gleichen Tag zu Recht anmerkt. Können eingeschlagene Scheiben und brennende Barrikaden also sinnvoll sein? Sie transportieren Themen und mobilisieren Leute. Aber sie treffen auch auf einen undifferenzierten Gewaltbegriff im öffentlichen Diskurs, der Gewalt nur bei den Streetfightern und nicht bei der öffentlichen Ordnung ausmacht, in dem die Taktik regelmäßig außer Kontrolle gerät und in dem letztlich die Inhalte immer zu kurz kommen. Die Gewaltdebatte braucht dennoch alles andere als Distanzierungen, sie braucht Strategien. Zu überdenken ist solche Straßenmilitanz wie in Genua („die Schlachten der Anarchisten“, Süddeutsche Zeitung, 28./29.07.2001), weil erstens Faschisten sie im links besetzten Kontext aufgreifen – wenn nicht gar anzetteln – können, und weil damit zweitens direkt der Strategie des Staates entsprochen wird. Das taktisch gewaltlose, auf kontrollierte Eskalation setzende Konzept der Tute Bianche wurde letztlich durch den Krawall ausgehebelt. Wenn überhaupt, verläuft die Grenze innerhalb der GlobalisierungsgegnerInnen nicht zwischen Militanten und Gewaltfreien, sondern zwischen staatstragenden Gruppen und solchen, die das Gewaltmonopol des Staates nicht anerkennen.