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A las Barricadas

Das Leben des Anarchosyndikalisten Helmut Kirschey

| Bernd Drücke

Helmut Kirschey: A las Barricadas. Erinnerungen und Einsichten eines Antifaschisten. Aufgeschrieben von Richard Jändel. Herausgegeben, eingeleitet und bearbeitet von Andreas G. Graf und Dieter Nelles. Aus dem Schwedischen von Dagmar Lendt. (Verfolgung und Widerstand im Wuppertal; Bd. 3), Bocholt; Bredevoort, Achterland Verlagscompagnie, November 2000, ISBN 3-933377-52-8, 230 S., 32 DM

Selten ist eine Autobiographie so bewegend wie „Helmut Kirschey: A las Barricadas. Erinnerungen und Einsichten eines Antifaschisten“.

1913 in Elberfeld geboren, aufgewachsen in proletarischen Verhältnissen in Wuppertal, engagierte sich Helmut Kirschey früh in kommunistischen Zusammenhängen, löste sich aber 1931 unter dem Eindruck der „Hexenprozesse“ in der Sowjetunion vom kommunistischen Jugendverband und trat der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) bei.

„Der Grund dafür, dass ich die kommunistische Bewegung verließ, war (…) der Zentralismus und wie Stalin seine Macht missbrauchte. Wir waren es auch müde, ständig zu hören ‚Stalin ist das Licht, Stalin ist die Sonne‘ und all dieses Geschwafel. Außerdem war die Partei zentralistisch, und man durfte Kritik nicht einmal andeutungsweise äußern. Es hieß einfach: ‚Die Partei hat es so beschlossen.'“ (S. 44)

Die von AnarchistInnen vertretenen Ansichten über die Machtverteilung zwischen unten und oben und der dezentrale Organisationsaufbau der FAUD zogen ihn an.

„Die anarchosyndikalistische Bewegung in Deutschland war eine gewisse Zeitlang eine Massenbewegung mit Hunderttausenden von Mitgliedern gewesen, aber als ich eintrat, bestand sie nur noch aus etwa 4000 Personen und war auf wenige Städte konzentriert. Trotzdem war die Organisation aktiv.“ (S. 45)

Die antifaschistischen Aktivitäten der Wuppertaler AnarchistInnen, an denen sich Kirschey beteiligte, hatten Folgen. 1933, nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, wurde Kirschey verhaftet. Nach acht Monaten Haft im KZ Dinslaken floh er in die Niederlande und engagierte sich dort als Aktivist der Deutschen Anarchosyndikalisten (DAS). Als Exil-Organisation produzierte die DAS Zeitschriften wie Die Internationale, die getarnt als Deutschtum im Ausland ins Reichsgebiet geschmuggelt und dort konspirativ von anarchistischen Untergrundgruppen verbreitet wurden.

Als sich im Sommer 1936 eine anarchosyndikalistische Massenbewegung erfolgreich gegen den Franco-Faschismus wehrte und eine soziale Revolution erlebte, entschlossen sich Kirschey und andere Mitglieder der DAS die libertäre CNT-FAI in Spanien zu unterstützen. Nach einer gefährlichen Reise gelang es Kirschey „aus der tiefsten Illegalität in Holland nach Port Bou zu kommen, wo es nur so wimmelte von Symbolen der CNT-FAI: Auf Armbinden, Mützen, Halstüchern und Fahrzeugen. Wir waren so überglücklich, dass wir weinen mussten.“ (S. 96)

In Barcelona produzierte die DAS z.B. die deutschsprachige Zeitung Soziale Revolution (die heute als gut erhaltenes Original in der Geschichtswerkstatt Dortmund zu finden ist und auf einen Reprint wartet), sowie Radiosendungen, die über Kurzwelle nach Deutschland ausgestrahlt wurden.

„Außerdem fungierten wir als eine Art Anlaufstelle für ausländische Journalisten, Anarchisten und Syndikalisten, die nach Barcelona kamen, um sich über die Ereignisse zu informieren. Die international bekannteste Anarchistin, Emma Goldman, kam im Oktober 1936 nach Spanien. (…) Emma Goldman war eine phantastische Frau, und wir führten lange Gespräche mit ihr. Sie stand der CNT sehr kritisch gegenüber, weil die Organisation sich darauf eingelassen hatte, die Funktion des Staatsapparates zu übernehmen. Sie fand, es sei nicht passend für eine anarchistische Bewegung, sich mit so etwas zu beschäftigen. Wir erklärten ihr, dass wir keine Wahl gehabt hatten und dass es vielmehr darum ging, zu retten was zu retten war. Wir kämpften gegen eine ganze Welt: Deutschland, Italien und Portugal gaben Franco ihre ganze Unterstützung.“ (S. 101)

Anfang 1937 ging Kirschey als Milizionär der Kolonne Durruti an die Front. Im Mai 1937 wurde er Zeuge der Straßenkämpfe zwischen CNT-FAI und Kommunisten.

Kurz darauf wurde er gemeinsam mit anderen deutschen Anarchosyndikalisten von sowjetischen Geheimagenten verhaftet und sieben Monate lang in ein Gefängnis bei Valencia gesperrt und verhört. Im April 1938 wurde er freigelassen. Mittlerweile hatten die von Moskau unterstützten Stalinisten die libertäre Revolution erstickt, die CNT-FAI hatte ihre herausragende Rolle verloren. Der Sieg des Faschismus rückte näher und zudem wurden antiautoritäre SozialistInnen von Stalins Schergen bedroht. Kirschey floh deshalb über Paris nach Amsterdam und schließlich nach Schweden. Dort wurde er für einige Jahre Mitglied der syndikalistischen Sveriges Arbetares Centralorganisation (SAC). Trotz der Gefahr als „unerwünschter Ausländer“ ins nationalsozialistische Deutschland abgeschoben zu werden, schmuggelte er mit schwedischen Eisenbahnern Flugblätter in die Züge, in denen Soldaten der Wehrmacht durchs „neutrale“ Schweden transportiert wurden.

1943 erhielt er seine erste Arbeitserlaubnis und 1955 wurde er schwedischer Staatsbürger.

Heute, als 88-Jähriger, reist Helmut Kirschey durch die Bundesrepublik, hält Vorträge in Libertären Zentren, Universitäten und Schulen. „Wenn ich erzähle, versuche ich, der Zeit zwischen 1914 und 1945 ein Gesicht zu geben, und die Reaktionen darauf sind immer sehr positiv. Viele Male habe ich Sätze gehört wie: ‚Die Lehrer haben davon erzählt, und wir haben nicht alles verstanden, aber wenn sie darüber sprechen, ist es etwas ganz anderes.‘ Das freut mich zu hören, dabei habe ich nur das erste Jahr der Hitlerzeit mitgemacht, das Allermeiste blieb mir erspart.“ (S. 214)

Natürlich finden sich Wiederholungen und viele historische Informationen aus „A las barricadas“ sind in AnarchismusforscherInnenkreisen bekannt. Natürlich bleiben Fragen offen, z.B. warum Kirschey den Genossen Augustin Souchy nicht leiden konnte. Natürlich ist nicht allen „Einsichten“ Kirscheys zuzustimmen. Na und. „A las barricadas“ ist ein wichtiges Buch. Es spiegelt das gelebte Leben eines sympathischen Anarchosyndikalisten wider.

Anmerkungen

Lesungen mit Helmut Kirschey:

8.10., 20 Uhr, ESG, Breul 43, Münster
9.10., 19.30 Uhr, Bürgerwache, Rolandstr. 16, Bielefeld
10.10. Frankfurt - Exzess
11.10. Erfurt, Offene Arbeit, Allerheiligenstr. 9
13.10. Köln