Edgar Wolfrum: Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, 176 S., 27.80 DM
Die „Vergangenheitspolitik“ (Norbert Frei) ist in den letzten Jahren zunehmend ins Blickfeld der historischen Forschung gerückt. Dabei geht es um die Frage, wie Vergangenheit politisch nutzbar gemacht wird, welche gesellschaftlichen Funktionen Geschichtsbilder haben und wie historisches Erinnern in Denkmälern und Gedenkfeiern inszeniert wird.
„Geschichte als Waffe“, so hat der Münchener Historiker Edgar Wolfrum sein Buch überschrieben, in dem er einen Streifzug durch die deutsche Vergangenheitspolitik von der Reichsgründung 1871 bis zur Gegenwart unternimmt.
Das Kaiserreich lebte von den Mythen des deutschen Mittelalters: Reichsidee, Kyffhäuser-Legende und die Idee einer deutschen „Ostmission“ waren von zentraler Bedeutung. Die Nation wurde in den preußisch-protestantischen Sedanfeiern verherrlicht, die den Sieg über den „Erbfeind“ Frankreich verklärten. Wolfrum macht das „bellizistische Gedächtnis“ dieser Feier für die Herausbildung eines militanten deutschen Nationalmythos mitverantwortlich, der zu den „Ideen von 1914“ und in den ersten Weltkrieg führte.
Die Weimarer Republik stand vor den Trümmern dieser Geschichtsbilder und wurde durch einen „Bürgerkrieg der Erinnerung“ zerrissen. Dolchstoßlegende und Versailles-Trauma setzten sich schließlich gegen die zaghaften Versuche demokratischer Sinnstiftung duch.
Die historisch unterfütterten rassistischen Reichs-, Ordnungs- und Großraumfantasien des NS-Staates wurden unter Beteiligung williger Historiker und deren „Einmarschhistorie“ legitimiert – Wolfrum bietet hier einen ausgezeichneten Abriss der aktuellen Debatte um die Verantwortung der deutschen Geschichtswissenschaft im Dritten Reich.
Nach 1945 entstanden in den beiden Teilen Deutschlands entgegengesetzte, im Kalten Krieg aber gleichwohl aufeinander bezogene Geschichtsbilder. Im Westen pflegte man in den 50er Jahren den Rekurs auf das „christliche Abendland“, während die DDR sich als antifaschistischer Staat in der Tradition aller fortschrittlichen Kräfte der deutschen Geschichte sah. Weitere Schwerpunkte der doppeldeutschen Vergangenheitspolitik waren der unterschiedliche Umgang mit der NS-Vergangenheit und die Frage nach dem Fortbestehen der deutschen Nation.
Schließlich kommen noch die Veränderungen nach dem Ende der DDR in den Blick. Die 90er-Jahre brachten das Wiederaufleben der Totalitarismustheorie und die neokonservative Forderung nach einer „selbstbewussten Nation“, aber auch den Streit um das Holocaust-Mahnmal und die ZwangsarbeiterInnenentschädigungen.
Hervorzuheben sind die klugen Analysen zu linken Geschichtsbildern. Wolfrum beschreibt den Kult um den „Parteiheiligen“ Lassalle im Kaiserreich, erläutert die kommunistische Sozialfaschismusthese und die Komintern-Formel, die verheerende Folgen bei der Einschätzung des Nationalsozialismus hatten. Er lässt auch die befreiungsnationalistischen Anwandlungen einiger deutscher Linker in den 70er Jahren nicht unerwähnt.
Edgar Wolfrums Buch bietet einen knappen, aber prägnanten Überblick über mehr als einhundert Jahre deutsche Vergangenheitspolitik – und schärft den Blick auch für die kritische Wahrnehmung gegenwärtig herrschender Geschichtsbilder.