nachruf

Kein zufälliger Mord

| Ute Finkeldei / Jörg Djuren

U: Da ist wieder eine gestorben.
V: Er hat sie mit vielen Messerstichen ermordet und mit dem Hammer auf sie eingeschlagen.
U: Ja, ein tragisches Unglück.
V: Er hat ihr das Handgelenk und die Finger gebrochen und Haare ausgerissen.
U: Er muss sie sehr geliebt haben.
V: -
S: Ja man kennt das ja, manchmal fallen die Frauen wie Vögel von der Stange.

Am Donnerstag, den 14.6.2001, wurde Brankica Becejac in Berlin ermordet. Viele Menschen trauern um sie. Sie war als Jugendliche aktiv in der SAG und später über Jahre im Autonomen Frauen/Lesben-Kollektiv der Universität Hannover. Sie hat in Hannover Germanistik und Sozialpsychologie studiert und ist im April 1999 nach Berlin umgezogen.

Sie war eine radikalfeministische Schriftstellerin, und hat in ihrem Leben sowohl Frauen als auch Männer geliebt. Sie wurde von ihrem langjährigem Geliebten erstochen und erschlagen, der sich danach selbst erhängt hat.

Ist eine solche Tat nicht äußerst privat? Nein, ein solcher Tod ist hochpolitisch.

Denn Frauen und erst recht Ausländerinnen, die von der Norm abweichen, als Intellektuelle, als Lesbierinnen, als feministisch und linksradikal engagierte, oder auch nur als Frauen, die sich gegen sexistische Beziehungsnormen wehren, werden nicht zufällig von Männern erschlagen.

Brankica kam aus einer jugoslawischen MigrantInnenfamilie, Mutter und Vater arbeiteten in der Fabrik. Sie hat in ihrem Leben das ihr zugedachte normative Schicksal verweigert und sich eine Möglichkeit erkämpft, als Schriftstellerin zu arbeiten. Sie hatte gerade ihre ersten Erfolge; ein Literaturstipendium und Verlage, die an ihren Schriften Interesse zeigten.

Sie hat gegen die deutsche Norm des normalen Lebens eines GastarbeiterInnenkindes vielfältig verstoßen. Als Frau, als sogenannte ‚Ausländerin‘ und als ArbeiterInnenkind hat sie sich ‚unangemessen‘ intellektuell interessiert und engagiert. Sie hat Frauen geliebt und eine radikalfeministische Politik vertreten, indem sie sich ständig mit anderen Menschen auseinander setzte und den alltäglichen Sexismus und Faschismus mit Wort und Tat bekämpfte. Und sie hat ‚zu gut‘ deutsch gesprochen, die Sprache besser beherrscht als die meisten Deutschen; auch dies für viele RassistInnen eine Provokation. Ihre Erfahrungen auf dem Ausländeramt waren entsprechend einschlägig. Brankica hat die Gewaltverhältnisse, die sie erfahren hat, als Schriftstellerin und Journalistin (vor allem im Freitag) skandalisiert.

Sie hat sich geweigert, in einer Kleinfamilie zu verenden oder als lonesome Yuppie die weitere Asozialierung zu befördern, und hat bewußt andere Beziehungsformen gesucht.

Geheiratet hat sie ihren langjährigen Geliebten lediglich deshalb, weil sie nur so in diesem rassistischen Land auf eine unproblematische Einbürgerung hoffen konnte. Beide haben nach eigenem Bekunden Heirat als etwas absurdes empfunden.

Und doch hat er sie ermordet, als sie ihre Lebensverhältnisse ändern wollte. Sie wollte aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen, um sich mit ihm auf neue Art wieder begegnen zu können und um selbst zum Schreiben zu kommen. Sie hat gehofft, ihn, der im Alkohol- und Fernsehkonsum versunken war, wieder aufwecken und einen Neuanfang mit ihm machen zu können.

Dessen ungeachtet stand entgegen jeglicher Realität auch in diesem Fall in der Zeitung, daß sie aus Eifersucht erstochen worden sei, und die NormalbürgerIn schwätzt von weiblicher Schuld.

Beim Ausräumen der Wohnung – L: „Das muß ja ne heiße Nacht gewesen sein.“
Beim Ausräumen der Wohnung – F: „Die muß ihn ganz schön gereizt haben.“
Eine Bekannte – D: „Sie hat immer schon gesagt, daß sie nicht alt werden würde.“
Im Hinterhof – G: „Und in der Wohnung haben sich kürzlich drei gegenseitig umgebracht.“
Eine, die es gut mit ihm meint – K: „Sie hat ihn in den Tod getrieben.“
Zwei im Gespräch – S: „Seine Mutter ist gestorben, als er noch ganz klein war.“ – T: „Dann wundert es einen ja nicht.“
Nach der Zeitungslektüre – N: „Da hat wieder ein Ausländer seine Frau umgebracht.“
Nach der Zeitungslektüre – H: „Er hat sie mit ihrem Liebhaber erwischt und ist ausgerastet.“

Aber auch wenn es Eifersucht gewesen wäre, was würde das ausmachen? Aus welchem anderen Grund, als um Verständnis für einen sexistischen Mord zu wecken, schreiben Zeitungen von Eifersucht? Denn im Alltagsverständnis dieser Republik scheint es ja akzeptabel zu sein, wenn ein Mann ’seine‘ Frau ermordet, weil sie ihn verlassen wollte. Er hat das Klischee bedient, daß Männer ihre Familien auslöschen.

Aber wenn Du dies aussprichst, bezeichnet mann dich als totalitär. Denn der Mord an Frauen in seiner gesellschaftlichen Funktion hat immer noch als verschwiegener vor sich zu gehen.

Bei der Ermordung von Frauen geht es nicht um irgendeine archaische Männlichkeit, es geht um die Vollstreckung der sexistisch-rassistischen Norm einer nach wie vor frauenverachtenden Gesellschaft; ein Grund für seine Tat lässt sich im Nachhinein immer finden, so daß sie auf jeden Fall die Schuldige ist.

Dann heißt es: „Sie war untreu.“ – „Sie hat ihn zu sehr an sich gebunden.“ – „Er musste ihr immer treu sein.“ – „Sie ist nicht genügend auf ihn eingegangen.“

Ein solcher Tod ist öffentlich, die alltäglichen Morde an Frauen sind nicht privat. Unabhängig von allen persönlichen Motiven der Täter sind sie auch immer Teil eines sexistischen Normierungssystems. Brankicas Geliebter wußte dies. Man kann davon ausgehen, daß er sich zu einem gewissen Teil bewußt für die sexistische kleinbürgerliche Norm entschieden hat, denn die Ermordung einer Frau, die nicht ihren Mann umsorgt, sondern eigene Wege geht, ihn gar noch auffordert, sich zu verändern, liegt allemal innerhalb dieser Norm.

Oft genug hat er im Alltag zu hören bekommen, daß ein Mann sich durchsetzen müsse, wenn nötig mit Gewalt. Oft genug wurde er mit dem Hass gegen Brankica konfrontiert, mit Rassismus und Sexismus. Er hat dieselben frauenverachtenden Klischees in einem Teil seiner philosophischen Lektüre wiedergefunden, bei Nietzsche, bei Platon und vielen anderen. Er hat auch in Hannover Germanistik und Philosophie studiert.

Mit den genannten Klischees der Philosophen ist nicht gemeint; „Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!“, sondern die grundsätzlichen Ausschlüsse und Aggression gegen ‚das Weibliche‘, die diese Theorien durchziehen, und die z.B. von Luce Irigaray benannt werden. Eine Kritik, die ihm bekannt war. Wir haben gedacht, er hätte die feministische Kritik nicht nur begriffen, sondern auch verinnerlicht. Niemand hat erwartet, daß er diese Klischees in die Realität umsetzen würde. Darin haben wir uns getäuscht. Es ist ein Fehler, die Macht des alltäglichen Sexismus‘ und Rassismus‘ zu unterschätzen, diese Art der Rede ist niemals harmlos.

Die Schuldigen sitzen dort, wo wieder einmal gegen Frauen, gegen AusländerInnen, gegen Feministinnen, gegen Lesben, gegen Intellektuelle gehetzt wird, und der nächste Täter sich zum Vollstrecker der Moral berufen fühlt. Und die Leute applaudieren, reden, ratschen: „Die Frau hat es zu weit getrieben.“

Weit davon entfernt, eine solche Problematik aufzugreifen, berichtet die Presse nicht einmal sachlich, im Gegenteil hieß es im Berliner Tagesspiegel: „Jugoslawischer Mann ersticht seine deutsche Frau.“ Dabei war er Deutscher und sie Jugoslawin.

Nicht umsonst werden Männer als Täter nach wie vor häufig milde beurteilt, als wären sie die Opfer, da sie ja aus ‚Liebe‘ bzw. ‚Leidenschaft‘ getötet hätten. Es ist schon absurd, wenn die besondere Hinterhältigkeit und Feigheit solcher Morde, in denen Männer das Vertrauen, die Liebe und die Zuwendung ihrer Frauen mißbrauchen, um sie ohne eigene Gefahr abschlachten zu können, auch noch als Strafmilderungsgrund wirkt. Dem entgegen riskieren Frauen, die sich gegen ihre Vergewaltiger und männlichen Schlächter wehren, und dies aus eindeutigen Gründen nicht in direkter Konfrontation tun können, nach wie vor eine lange Haftstrafe. Allen, die das nicht wahrhaben wollen, empfehlen wir den aktuellen Dokumentarfilm Gotteszell über ein Frauengefängnis. Patriarchat und Sexismus werden immer noch auch mit brachialer Gewalt durchgesetzt.

Denn wenn eine Frau nach Jahren erlittener Gewalt ihren Mann tötet heißt es; „Lies mal, hier steht, daß sie ihren Mann im Schlaf mit der Axt erschlagen hat.“ – „Das ist doch wirklich abgefeimt, auch noch zu feige, ihm dabei ins Gesicht zu sehen.“

Dies bedeutet nicht, daß es einen Krieg zwischen den Geschlechtern gäbe. Nein, es gibt keinen Krieg, denn dazu fehlen die männlichen Toten. Außerdem gibt es sehr viele Frauen, die mitmachen, die nur allzu gerne ihren Töchtern oder Freundinnen in den Rücken fallen. Und wagt eine Frau Kritik an männlichem Gehabe, so fühlt sie sich häufig bemüßigt, ein „ich bin aber keine Feministin“ hinterher zu schieben. ‚Schlagt mich nicht, ich bin nicht böse‘. Kritisiert wird dies selten. Würde ein Mann jedes mal, wenn er faschistische Gewalt kritisiert, ein „ich bin aber kein Antifaschist“ folgen lassen, würde dies zumindest Irritationen hervorrufen.

Und altbackene Identitätspolitik betreiben vor allem die Männer, die sich nach wie vor gegen quotierte Redelisten und andere Instrumente wenden. Sie wissen sehr wohl ihre männliche Bevorzugung zu verteidigen. Wenn es um die eigene Männerbündelei geht, vergessen sie die dekonstruktive Kritik nur allzu willig. Wo sind die linken Männer, die die Dekonstruktion der Männlichkeit als politische Praxis umzusetzen versuchen?

Wenn ein deutscher, junger, weißer linker Mann aus politischen Gründen, z.B. bei einem Polizeieinsatz, getötet wird, klirren in der Republik die Scheiben. Wenn ein Farbiger ermordet wird, gibt es Proteste und immerhin noch eine Liste der Opfer. Über ermordete Frauen wird nicht einmal mehr Buch geführt – zumindest nicht innerhalb der einschlägigen linken und linksliberalen Zeitungen und Zeitschriften.

Wieso gibt es keine solche Liste der Morde an Frauen? Wieso gibt es keine Skandalisierung?

Offensichtlich haben sowohl Frauen als auch Männer Angst, bzw. kein Interesse, die Tatsachen zu benennen: daß ganz normale Männer Frauen ermorden und sich selbst dabei zum Opfer stilisieren. Schließlich sind sie ja gefühlsmäßig so arm und defizitär als Männer. Das legitimiert dann auch schon mal einen Mord. Denn sie, die eben noch Heilige war, und jetzt Hure und nicht mal Mutter ist, hat es ja nicht besser verdient.

Geschlechtsklischees greifen alltäglich nach wie vor nicht nur in der Werbung und im Film. Diejenige, die dies kritisiert, riskiert damit, sich selbst auszugrenzen, als dogmatisch oder political correct, oder gar feministisch zu gelten.

Wie aber soll frau mit Männern im Bewußtsein dieser Gewaltverhältnisse leben – vor allem dann, wenn sich mann nicht klar dagegen positioniert? Wie im Alltag bestehen, ohne dies alles zu verdrängen?

Brankica Beèejac ging es in ihrer Literatur darum, die Gewalt aufzudecken, diese Verdrängung zu durchbrechen. Für sie war damit die Hoffnung verknüpft, daß Menschen sich und ihre Handlungsweise ändern – auch in einem politischen Sinn.

Anmerkungen

Von Brankica Becejac bisher erschienen: "Die Prüfung", Internationalismus Verlag Hannover 2000, ISBN 3-922218-71-7 (Vgl. GWR 255, Januar 2001)