Die Wehrmachtsaustellung
„Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944“ ist der Titel der neu konzipierten Wehrmachtsausstellung. Vor ca. zwei Jahren hatte der Chef des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, die von ihm in Auftrag gegebene Ausstellung zurückgezogen und von einer Historikerkommission überprüfen lassen. Recherchen des deutsch-polnischen Historikers Bogdan Musil hatten gezeigt, dass auf einigen Fotos nicht wie in der Bildlegende beschrieben Opfer der Wehrmacht, sondern des sowjetischen Geheimdienstes NKWD zu sehen waren.
Die alte Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ zeigte anhand von zahlreichen Fotos, dass die Wehrmacht an der Planung und Durchführung eines Vernichtungskrieges gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung aktiv beteiligt war. Sie erschütterte das in der Bevölkerung noch immer weit verbreitete Bild der „sauberen Wehrmacht“. Die Ausstellung war in 33 deutschen und österreichischen Städten zu sehen und wurde von rund 900.000 Menschen besucht. Fast überall protestierten ehemalige Wehrmachtssoldaten, meist zusammen mit der rechtsextremen Partei NPD, die sich durch die Wehrmachtsaustellung verunglimpft sahen. Auch konservative Politiker kritisierten die Ausstellung hart.
Am 9. Juni 1996 wurden in Erfurt Tafeln der Ausstellung besprüht, am 9. März 1999 verübten Unbekannte in Saarbrücken sogar einen Sprengstoffanschlag. Zum Politikum war die Wehrmachsausstellung spätestens seit ihrer Präsentation im März 1997 im Münchner Rathaus geworden, wo sie von großem Protest und Widerstand von der CSU bis tief in das rechtsextreme Spektrum begleitet wurde. Der Münchner CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler wandte sich in einer an 300.000 Münchner Haushalte verschickten Postsendung mit harten Worten gegen die Ausstellung und ihren Initiator Jan Philipp Reemtsma. Am 1. März 1997 fand in der bayerischen Landeshauptstadt eine NPD-Demonstration mit 4.000 bis 5.000 TeilnehmerInnen statt.
Da nicht die Gesamtaussage der Ausstellung durch die Kontroversen über einzelne Fotos Schaden nehmen sollte, zog Reemtsma im November 1999 die Ausstellung zurück, um die Fotos und Texte von Historikern überprüfen zu lassen. Die Überarbeitung dauerte zwei Jahre, und nicht wie geplant drei Monate, und kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Ausstellung nicht um Manipulation und Fälschung handele. Allerdings seien in der Dokumentation sachliche Fehler und zu pauschale Argumentationen enthalten. Daher, so die Untersuchungskommission, solle die Ausstellung in einer gründlich überarbeiteten, gegebenenfalls neu zu gestaltenden Form weiter präsentiert werden.
Das neue Konzept
So entstand eine neue Ausstellung, die Ende November letzten Jahres unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in den Berliner „Kunst-Werken“ eröffnet wurde. Nicht nur der Titel hat sich geändert: Aus der schockierenden Bildersammlung ist eine ausführliche und fundierte Leseausstellung geworden.
Von den etwa 1.400 zum Großteil erschütternden Fotos sind noch knapp zehn Prozent in der Präsentation enthalten, die zumeist keine grausamen Szenen zeigen. Keine Texttafel wurde übernommen und auch das begehbare Eiserne Kreuz, das den Mittelpunkt der alten Ausstellung bildete, ist nicht mehr zu sehen. An seine Stelle rückte eine Dokumentation über Kriegs- und Völkerrecht im Jahre 1939. Mit fast 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist die Schau doppelt so groß wie die alte.
Akribisch werden die Verbrechen der Wehrmacht anhand von schriftlichen Befehlen, Berichten und Meldungen in Ergänzung mit Hör- und Filmbeispielen dokumentiert. Die Dimension des Vernichtungskrieges wird nicht mehr in nur drei thematischen Schwerpunkten behandelt, sondern in sechs: Völkermord an sowjetischen Juden, Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen, Ernährungskrieg, Deportation von ZwangsarbeiterInnen, PartisanInnenkrieg, Repressalien und Geiselerschießungen. Neu ist auch der Teil über Handlungsspielräume am Ende der Ausstellung, der zeigt, dass es auch für Wehrmachtssoldaten die Möglichkeit gab, sich den Verbrechen zu entziehen.
Von der alten Ausstellung wurde nur die These übernommen: Im Zweiten Weltkrieg war die Wehrmacht systematisch an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung und an der Ermordung der Juden in Ost- und Südosteuropa beteiligt.
Die Neuauflage der Ausstellung ist umfassender, differenzierter und analytischer als ihre Vorgängerin. Aufgrund der fehlenden Fotos von Leichenbergen und anderen Fürchterlichkeiten, werden die Besucher weniger mit der Grausamkeit des Verhaltens der Wehrmachtssoldaten konfrontiert, sondern vielmehr mit den von oben befohlenen „Dimensionen des Vernichtungskrieges“. Diese stellten in ihrer Art und Weise eine nicht gekannte Neuigkeit in den Unmenschlichkeiten des Krieges dar, wie eine einleitende Tafel der Ausstellung beschreibt: „Die politische Führung Deutschlands und das Oberkommando der Wehrmacht setzten für sich zentrale Bestandteile des damals geltenden Kriegs- und Völkerrechtes außer Kraft. Sie definierten damit den Charakter eines Rassen- und Vernichtungskrieges, wie es ihn zuvor noch nicht gegeben hatte. Der Krieg im Osten kennzeichnet den radikalen Bruch mit dem Verständnis zivilisatorischer Normen.“
Die NPD will an jeder Station der Ausstellung demonstrieren
Unter den Mottos „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ und „Unsere Väter waren keine Mörder“ hatte die NPD zusammen mit unabhängigen Kameradschaften für den 1. Dezember 2001 eine Demonstration in Berlin-Mitte angemeldet, um gegen die „Wanderausstellung des Volksverhetzers Jan Philip Reemtsma“, so die NPD, zu protestieren.
Die rechtsextreme Partei bezeichnet die Wehrmachtsaustellung als geschichtsfälschend und kündigte an, auf jeder ihrer Stationen gegen sie zu demonstrieren. Die Partei hofft, an ihren Erfolg des Jahres 1999, die Aussetzung der Ausstellung, anschließen zu können. Da die NPD keine verbotene Partei sei, teilte der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) mit, könne die Demonstration auch nicht verboten werden. Nicht erlaubt waren allerdings Fackeln, Trommeln, rot-weiß-schwarze Reichsfahnen und die Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“.
Für Empörung im Vorfeld der Demonstration sorgte die angekündigte Route des Naziaufmarsches. Am Sabbat wollte die NPD durch das Scheunenviertel, den traditionell jüdischen Teil Berlins, und an der Neuen Synagoge vorbeimarschieren. Rund um die Synagoge und die Oranienburger Straße lebten vor dem Zweiten Weltkrieg mehrere tausend Juden. Heute sind dort jüdische Geschäfte, der jüdische Kulturverein, das Anne Frank Zentrum, das Centrum Judaicum und eine Gedenktafel für einen 1943 von der Gestapo zerstörten jüdischen Friedhof zu finden. „Es ist unvorstellbar, wenn die an dem Tag zum Sabbat in der Synagoge versammelten Gläubigen beim Verlassen des Gebetsraumes Neonazis begegnen“, sagte der Sprecher der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Hendrik Kosche, gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.
Ebenso wie die jüdische Gemeinde, die ankündigte, sich vor der Neuen Synagoge auf die Straße zu setzen, um den Nazi-Aufmarsch zu stoppen, protestierten die Bundesregierung, prominente Persönlichkeiten, AnwohnerInnen, antifaschistische Gruppen und das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles gegen diese Provokation.
Erst in den Tagen nach der Demonstration wurde bekannt, dass von Polizei und Innenbehörde bereits am 6. November eine alternative Route mit der NPD vereinbart wurde, die weder an der Ausstellung und der Neuen Synagoge vorbei, noch durch das Scheunenviertel führen sollte. Diese Tatsache wurde von den Behörden allerdings geheim gehalten, um zu verhindern, dass AntifaschistInnen die Demonstration der Nazis blockieren konnten, wie es wenige Wochen vorher in Leipzig und ein Jahr zuvor auf dem Berliner Alexanderplatz geschehen war. Die NPD konnte sich so in den Tagen vor ihrem Aufmarsch großer Medienaufmerksamkeit erfreuen. Innensenator Körting bezeichnete seine Informationspolitik im Nachhinein als falsch: „Wir hätten von vorneherein klarstellen müssen, dass wir die NPD nicht durch das Scheunenviertel ziehen lassen.“
Beschützt von einem Großaufgebot der Polizei, es waren 4.000 Beamte im Einsatz, zogen die Nazis, angeführt von dem NPD-Vorsitzenden Udo Voigt und dem ehemaligen RAF-Anwalt Horst Mahler, durch die abgesperrte Innenstadt.
Mit 3.500 TeilnehmerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet war dies der größte Naziaufmarsch in Berlin seit 1945. Die Rechten trugen Schilder und Transparente mit den Aufschriften „Gott mit uns – alles für Deutschland“ oder „Deutsche Soldaten – Heldentaten“ und skandierten Parolen wie „Schützt unsere Väter – stoppt die Verräter“ und „Reemtsma, lass das Hetzen sein, pack die Koffer und fahr heim“. Auf einer Zwischenkundgebung sprach Roberto Fiure, Parteivorsitzender der rechtsextremen italienischen „Fuerza Nuova“.
Sein deutsches Pendant Udo Voigt sprach auf einer Abschlusskundgebung, die gegen die Auflagen der Polizei durchgesetzt wurde. Der NPD-Vorsitzende nannte die Bundesregierung „Vasallen fremder Mächte“ und Reemtsma einen „schwadronierenden Geldsack“. Auch die Vertreter der Jüdischen Gemeinde griff Voigt an: „Hier ist noch nicht Israel sondern Deutschland und wir werden uns von Euch niemals behandeln lassen, wie die Palästinenser in Israel!“ Am Schluss der Kundgebung skandierten die Nazis die verbotene Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ und sangen alle drei Strophen des Deutschlandliedes. Erlaubt ist nur das Singen der dritten Strophe. Derweil demonstrierten mehrere Tausend Menschen gegen den NPD-Aufmarsch. Die 4.000 TeilnehmerInnen einer von der Antifaschistischen Aktion Berlin angemeldeten Demonstration mit dem erklärten Ziel, die Route der Nazis zu blockieren, wurde von der Polizei auf der Oranienburger Straße in Höhe der Neuen Synagoge gestoppt. Als Demonstranten versuchten, die Polizeisperre zu durchbrechen, eskalierte die Situation: Steine und Flaschen flogen auf die Polizisten, diese antworteten mit dem Einsatz von Knüppeln, Tränengas und Wasserwerfern. Es kam zum Bau von Barrikaden und Polizeiautos wurden demoliert. Die Versuche von zahlreichen AntifaschistInnen, die Strecke des Naziaufmarsches zu blockieren, scheiterten, da die genaue Route nicht bekannt war und die Polizei weiträumig alles absperrte. Um gegen das Vorgehen der Polizei zu protestieren, setzten sich Mitglieder der Jüdischen Gemeinde vor der Polizei auf die Straße. Eberhard Schönberg, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP, kritisierte gegenüber der „Berliner Zeitung“ die Jüdische Gemeinde für dieses Verhalten, da diese nicht das Recht hätte, sich mit Steinewerfern und anderen Straftätern zu verbünden oder diesen Schutz zu gewähren. Eine Entschuldigung, sagte Schönberg, wäre das richtige Zeichen.
Der Polizeieinsatz vor der Synagoge wurde nicht nur von der Jüdischen Gemeinde, die den Beamten vorwarf keinerlei Respekt für den Raum vor der Synagoge gehabt zu haben, scharf kritisiert. Hans-Christian Ströbele, Rechtsexperte der Grünen, warf der Polizei vor, sie habe die Gewalt eskalieren lassen. PDS-Politiker Gregor Gysi kündigte an, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen.
Wie es weitergeht
Es bleibt abzuwarten, ob die NPD durch ihre Proteste die politische Defensive überwindet, in die sie durch die Diskussion um das drohende Verbot der Partei geriet, und ihre Position als die radikalste Vertreterin der extremen Rechten verteidigen kann. Die nächste Station der Wehrmachsausstellung ist Bielefeld, und die NPD erwartet für ihre dortige Demonstration die nicht realistische Anzahl von 10.000 Teilnehmern.
Unterstützung für ihre Kritik an der Ausstellung dürfen die Rechtsextremen auch wieder aus dem konservativen Lager erwarten. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Ramsauer bezeichnete die Wehrmachtsausstellung als „rot-grüne Geschichtsklitterung“, die unfair sei und dem Selbstbewusstsein einer gereiften, demokratischen Nation schade.
Dass eine „gereifte und demokratische Nation“ das Selbstbewusstsein haben muss, sich mit den unangenehmen Seiten der eigenen Geschichte gründlich auseinander zu setzen, sieht Ramsauer nicht. Ebenso sollte sie das Selbstbewusstsein haben, sich den Nazis entgegenzustellen. Denn wenn sie es nicht tut, schadet ihr das vielmehr als jede Ausstellung.
Der Journalist Gereon Asmuth weist in der „taz“ daraufhin, dass solche Aufmärsche verhindert werden können: „Wenn schon nicht durch Verbote, was laut Innenverwaltung angeblich nicht möglich ist, dann durch die viel propagierte Zivilgesellschaft, die ihnen entgegentritt. So wie am Alexanderplatz vor einem Jahr. Oder wie in Leipzig vor wenigen Wochen. Das erfordert Mut von den politisch Verantwortlichen und von der Polizeiführung.“ Und es fordert von der Bevölkerung, endlich mit dem „Aufstand der Anständigen“ zu beginnen.
Anmerkungen
Bis zum 13. Januar 2002 ist die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimension des Vernichtungskrieges 1941-1944" noch in den Kunst-Werken in Berlin-Mitte zu sehen. Vom 27. Januar bis zum 17. März kann die Wanderausstellung im Historischen Museum der Stadt Bielefeld besucht werden. Informationen gibt es im Internet auf den Seiten
www.verbrechen-der-wehrmacht.de
und speziell zu Bielefeld
www.wehrmachtsausstellung-bi.de