Der Bildungsschock
Ende 2001 wurde die Bundesrepublik wieder einmal durch das Gespenst einer Bildungskatastrophe im Mark getroffen und führte zu heftigen Reaktionen in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen. Mit der Bildungsstudie PISA 2000 der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die am 4. Dezember 2001 in Berlin vorgestellt wurde, liegt der erste Teil der bislang umfassendsten internationalen Vergleichsstudie über die Schullandschaft und den Wissensstand von Schülern aus 32 Mitgliedsstaaten der OECD nach 1945 vor. Im Mittelpunkt dieser PISA 2000-Studie und den beiden noch folgenden (PISA 2003 und PISA 2006) steht jedoch nicht – wie in anderen Schulstudien davor – die Messung konkreter schulischer und curricularer Anforderungen und die Erfüllung von Lehrplanwissen, sondern Grundkompetenzen für den Berufsalltag und für das Leben außerhalb der Schule.
Warum diese Aufregung?
Im Mittelpunkt des öffentlichen und politischen Interesses stehen dabei vor allem die Ergebnisse der Ranglisten zu den drei Kompetenzbereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften, in denen Deutschland deutlich schlecht abschneidet. Deutschland liegt dabei insgesamt nicht nur in allen Bereichen unterhalb des Durchschnitts im unteren Drittel der vertikalen Rangskala, sondern schneidet auch bei den fünf horizontalen Leistungsgruppen (von I (niedrig) bis V (hoch)) , die das Kompetenz-Niveau messen, signifikant schlecht ab. So ist z.B. der Anteil derjenigen Schülerinnen und Schüler, die das unterste Kompetenzniveau beim Lesen erreichen bzw. sogar noch darunter liegen, wesentlich größer als bei vielen anderen OECD-Staaten. Deutschland liegt hier an fünftletzter Stelle. Bei sogenannten schwachen Schülern erreicht Deutschland nach PISA negative Spitzenwerte. Knapp 10% aller Schülerinnen und Schüler erreichen nicht das unterste Kompetenzniveau, also Stufe I. Im OECD-Durchschnitt sind dies jedoch nur ca. 6%.
An diesem Punk der Studie, der Rangliste, setzt nun die erregte öffentliche Diskussion ein und führt zu einer Fülle von Reformvorschlägen und Schulzuweisungen.
Zu beachten ist allerdings, dass PISA keine Handlungsanweisungen geben will und kann. Sie ist eine komplexe und mehrdimensionale empirische Studie, die Daten zur Leistungsbeurteilung von 15jährigen jungen Menschen bietet, die demnächst in ein Leben außerhalb der Schule eintreten.
Außerdem muss beachtet werden, dass vor allem die deutsche Teilstudie in besonderer Weise zusätzlich auf die Rahmenbedingungen von Schule eingeht, d.h. auf familiäre Lebensverhältnisse und auf Lebens- und Lernbedingungen von Jugendlichen. Hier zeigt PISA, dass in keinem anderen Industrieland die soziale Herkunft so entscheidend für den Schulerfolg ist wie in Deutschland: Das deutsche Bildungssystem schafft es seit Jahrzehnten nicht, Chancengleichheit herzustellen bzw. soziale Benachteiligung im Bildungsbereich aufzuheben.
PISA ist damit nicht nur ein empirischer Beleg für eine defizitäre Bildungspolitik und ein marodes Schulsystem, sondern vor allem auch für ein Gesellschaftssystem, dem es nicht gelingt, Ungerechtigkeit abzubauen und Chancengleichheit herzustellen. Am Beispiel Bildung kann dies PISA in aller Deutlichkeit und auch jenseits ideologischer Normativität empirisch nachweisen.
Zur Funktionalität von PISA
PISA muss und kann in diesem Sinne gesellschaftskritisch – und nicht nur bildungskritisch – gelesen werden und bietet bei genauer Betrachtung eine Fülle von Material und Argumenten für einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs.
Andererseits finden wir aber auch affirmative Elemente hinsichtlich real existierender Verhältnisse in postmodernen Industrienationen.
So zielt die Studie auf einen langfristig angelegten Qualitätsentwicklungs- und Sicherungsprozess der OECD Mitgliedsstaaten im Bereich der Bildung ab und ist Bestandteil eines Indikatorenprogramms der OECD, für das mit PISA Daten und Informationen über den nationalen und internationalen Stand von Bildungsressourcen an die Hand gegeben werden soll. Der Kern von PISA ist in diesem Sinne auch die oben erwähnte Rangliste von Staaten, in der bestimmte SchülerInnen-Leistungen gemessen und verglichen werden. Langfristig ist der Prozess deshalb, weil insgesamt drei PISA-Studien geplant und angelegt sind. Nach der jetzt veröffentlichten PISA 2000 folgt 2003 die zweite und 2006 die dritte Welle.
Im Unterschied zu anderen aktuellen internationalen Befragungen wie etwa der TIMSS-Studie (Third International Mathematics and Science Study) von 1997, geht es bei PISA um Basiskompetenzen und nicht um curricular vorgegebenes und abfragbares Fachwissen. Es geht um grundlegende fachliche und überfachliche Qualifikationen, die in Industriegesellschaften im beruflichen und privaten Alltag überlebensnotwendig erscheinen. Die Untersuchungsphilosophie von PISA „richtet sich also auf die Funktionalität der bis zum Ende der Pflichtschulzeit erworbenen Kompetenzen für die Lebensbewältigung im jungen Erwachsenenalter und deren Anschlussfähigkeit für kontinuierliches Weiterlernen in der Lebensspanne“ (PISA (Hg.) 2001, S. 16).
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Studie im Kern ein durch die Regierungen der OECD-Staaten initiiertes und konzipiertes Projekt ist, das (wirtschafts-)politisch motiviert ist und normativ gesellschaftliche Basiskompetenzen definiert. Hier ist es sinnvoll und notwendig, ideologiekritisch nach dem Weltbild und dem Politikverständnis der Studie zu fragen.
Es ist offensichtlich, dass hier ein Alltagsverständnis zu Grunde gelegt wird, das die Rationalität spätkapitalistischer Lebens- und Produktionsverhältnisse zum Maßstab hat und entsprechend eine Kompetenzkategorisierung vornimmt. Es wird gleichsam nach der Überlebensfähigkeit in real existierenden Verhältnissen der Industriestaaten gefragt und damit auch nach der Anpassungsfähigkeit. Wenn wir diese Argumentationslinie fortführen, heißt dies, dass mit PISA jenes Verhalten am positivsten bewertet wird, das am erfolgreichsten unter den bestehenden Verhältnissen ist. Die Studie bietet so gesehen eine Rangliste der Instrumentalisierungs- und Anpassungsleistung im Sinne wirtschaftlicher Entwicklungen von Industriestaaten. All diejenigen, die hier aus dem Standard herausfallen, zählen zu einer „Risikogruppe“.
Über die Fragwürdigkeit des Kompetenzbegriffes bei PISA
Ausgeklammert werden in diesem Kontext z. B. Aspekte eines globalen, interkulturellen oder politischen Lernens als basale Schlüsselqualifikationen. Eine kritische Diskussion der Schlüsselkompetenzen bzw. der „fächerübergreifenden Problemlösungskompetenzen“, wie sie in der PISA-Sprache heißen, findet nicht statt. Die Frage nach Kompetenzen zur Gesellschaftsveränderung wird nicht gestellt. Die ökonomische Verwertbarkeit humaner Ressourcen steht im Mittelpunkt. Die Kompetenzfrage wird in PISA damit verkürzt. Die zentrale Frage von PISA, die auch Oskar Negt bereits 1997 stellte, nämlich, „Über welche spezifischen Kompetenzen des gegenwärtigen Lernens also müssen Menschen verfügen, damit sie den Problemen einer hochindustrialisierten Zivilisation und der Erosionskrise gewachsen sind?“ (Negt 1997, S. 89), muss jedoch über die Kategorisierungsstruktur von PISA hinaus beantwortet werden. Negt nennt „sechs Kompetenzen zur Gesellschaftsveränderung“: Die Grundlagenkompetenz „Zusammenhang herstellen“, den Umgang mit bedrohter und gebrochener Identität lernen (Identitätskompetenz), die gesellschaftliche Wirkung von Technik begreifen (technologische Kompetenz), Sensibilität für Enteignungserfahrungen (Gerechtigkeitskompetenz), der pflegliche Umgang mit Menschen, Natur und Dingen (ökologische Kompetenz), Erinnerungs- und Utopiefähigkeit (historische Kompetenz) (Negt 1997).
Aus einer ideologiekritischen Position heraus ist die Definition der Kompetenzfrage in der PISA-Studie unbefriedigend und ein Ansatzpunkt der Kritik. Die Festlegung der notwendigen Lern- und Bildungskompetenzen und deren Skalierung und Bewertung ist eine hoch normative Entscheidung im Sinne des Gesellschaftsverständnisses der OECD. Es ist in diesem Sinne pointiert zu fragen, ob nicht gerade in jenen Staaten, in denen PISA schlechte Kompetenzwerte feststellt, ein besonders hohes Widerstandspotential im Sinne von Oskar Negt vorhanden ist. Dies ist natürlich spekulativ und eher rhetorisch zu verstehen. Die Frage bleibt jedoch – und scheint mir ein entscheidender und auch bislang vernachlässigter Punkt bei der Diskussion um PISA zu sein – , mit welchem Menschenbild und Politikverständnis PISA angetreten ist. In diesem Sinne sind das Rankingsystem und die Kompetenzkategorien Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften in Frage zu stellen
Über das nicht eingelöste Bildungsversprechen der Politik
Positiv an dieser Studie ist, dass mit ihr Zusammenhänge von Bildung und Gesellschaft wiedergespiegelt und bestätigt werden können, die bereits vor PISA immer wieder an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlichen Kontexten festgestellt wurden, jedoch keine weitere bildungspolitische Aufmerksamkeit erlebten. Mit PISA wird erstmals in einem internationalen Vergleich die Tragweite der deutschen Bildungskatastrophe deutlich, die sich gleichsam prozessartig seit den 60er Jahren durch die Geschichte der BRD zieht.
Aktuell lässt sich diese Situation an folgenden Realitäten festmachen:
- 1998 verließen ca. 83.000 Schülerinnen und Schüler ohne Abschluß die Schule (vgl. Statistisches Bundesamt (Hg.) 2000; Schreiber-Kittl 2000);
- ca. 70.000 Schülerinnen und Schüler gelten als Schulverweigerer bzw. als Schulschwänzer und bleiben der Schule über einen längeren Zeitraum sowie in Intervallen fern (vgl. Schwäbische Zeitung 1999);
- ca. 10 bis 15% aller Schülerinnen und Schüler werden als „schulmüde“ eingestuft und haben gleichsam eine „innere Kündigung“ vollzogen (Schreiber-Kittl 2000, S. 13);
- nach einer UNESCO-Schätzung können 500.000 bis 3 Millionen Menschen über 15 Jahren in der Bundesrepublik als funktionale Analphabeten bezeichnet werden, das sind 0,7 bis 3% der erwachsenen Bevölkerung (Döbert/Hubertus 2000, S. 27). Diese Schätzungen werden von PISA, ohne dass hier allerdings von Analphabetismus gesprochen wird, für den oberen Grenzbereich bestätigt;
- in einer vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Auftrag gegebenen Untersuchung wurde festgestellt, dass jährlich ca. 4,5 Milliarden DM für Nachhilfeunterricht in der BRD an finanziellem und zeitlichem Aufwand ausgegeben werden (Kramer/Werner 1998).
Diese Hinweise und Zahlen geben eine Bildungsrealität wieder, die es eigentlich so nicht geben dürfte, wenn wir die Versprechungen der Bildungspolitik und Länderverfassungen ernst nehmen. In der Landesverfassung von Baden-Württemberg heißt es wegweisend in Artikel 11: „(1) Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung. (2) Das öffentliche Schulwesen ist nach diesem Grundsatz zu gestalten.“
Bildungsreform bedeutet Gesellschaftsreform
Es wird also mit den oben erwähnten Defiziten nicht nur die desolate Verfasstheit der bundesrepublikanischen Bildungs- und Schulrealität beschrieben, sondern auch auf einen prägenden Zustand hingewiesen, der sich seit 1945 gleichsam wie ein „roter Faden“ durch die Geschichte der Republik zieht: Die Situation der Chancenungleichheit im Bildungswesen ist konstituierend für die Bildungsstruktur der BRD. Obgleich vor allem in den 60er Jahren die Bildungsreform mit dem Anspruch auf Herstellung von Chancengleichheit angetreten ist – Ralf Dahrendorf nannte dies 1965 programmatisch „Bildung ist Bürgerrecht“ (Dahrendorf 1965) – ist davon bis heute nur wenig realisiert worden. Der Grund für dieses Scheitern wurde früh erkannt, jedoch nicht weiter verfolgt, da dies Konsequenzen für das politische System der Bundesrepublik gehabt hätte: Bildungsreform muss immer auch Gesellschaftsreform sein, wenn sie erfolgreich sein will. Hier liegt ein entscheidendes Dilemma deutscher Bildungspolitik. Wenn eine grundlegende Bildungsreform Veränderungen herbeiführen soll, dann muss damit auch eine Gesellschaftsreform verbunden werden. Bildung als ein wesentlicher Teilaspekt gesellschaftlicher Realität der Neuzeit kann sich nur in dem Maße verändern, wie die Gesellschaft insgesamt bereit ist, sich zu verändern. Die Unfähigkeit zur Bildungsreform bedeutet in diesem Sinne vor allem eine Unfähigkeit zur Gesellschaftsreform.
Die Frage der Chancengleichheit und sozialen Gerechtigkeit wird hierbei zum zentralen Gradmesser für Erfolg und Misserfolg einer Bildungsreform. Solange die Chancengleichheit nicht auf gesamtgesellschaftlicher Ebene realisiert werden kann, solange kann sie auch nicht im Bildungssystem erwartet werden und solange wird es auch die Ergebnisse wie die von PISA geben.
In der Bund-Länder-Kommission Forum Bildung (www.forum-bildung.de), dem derzeit umfassendsten bildungspolitischen Zusammenschluss unterschiedlicher gesellschaftstragender Kräfte in der BRD, wurde im Juni 2000 ein Papier zur Chancenungleichheit in der Bildung verabschiedet. Statistisch exakt werden die Problembereiche einer Ungleichheit im Bildungswesen genannt: Jugendliche ohne Schulabschluss und Berufsausbildung, Kinder und Jugendliche aus Familien von Arbeitsemigranten, Erwachsene mit geringer Qualifikation, Menschen mit Behinderungen etc. Die Lösung des Problems liegt, so das Forum Bildung, z. B. in der Verbesserung von Schnittstellen beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule sowie von der Schule in die Ausbildung und ins Studium und in der frühen und besseren Förderung in der Grundschule. Dies ist auf den ersten Blick richtig und auch kompatibel mit den PISA-Ergebnissen. Letztendlich werden diese Maßnahmen bildungspolitisch jedoch nur bedingt nachhaltig sein: Ohne eine gesamtgesellschaftliche Veränderung wird sich auch das Bildungswesen und damit die Bildungsstruktur der BRD nur marginal verändern können.
Für Deutschland wird in der PISA-Studie festgestellt, dass die Sozialschichtzugehörigkeit nach wie vor einen zentralen Einfluss auf den Bildungserfolg hat.
PISA ist die erste international vergleichende Bildungsstudie, die den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Schulleistung ergründet. Unter dem Stichwort „Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb“ werden soziale Bedingungen von Schulleistungen untersucht und ein sozioökonomisches Profil von Schülerinnen und Schüler erstellt. Im Fazit zu diesem Untersuchungsteil von PISA stellen die Autoren fest: „Deutschland gehört zu den Staaten, in denen die potentielle Risikogruppe schwacher und extrem schwacher Leser relativ groß ist. Ihr Anteil an der Alterskohorte beträgt in Deutschland rund 23 Prozent. Als Risikofaktoren, die die Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe erhöhen, erweisen sich niedrige Sozialschicht, niedriges Bildungsniveau und Migrationshintergrund der Herkunftsfamilie sowie das männliche Geschlecht“ (PISA (Hg.) 2000, S. 401). So kann nachgewiesen werden, dass die Lesekompetenz unterer Sozialschichten signifikant geringer ausfällt als die anderer. Das bedeutet, dass in Deutschland die Schere zwischen den Kompetenzunterschieden besonders groß ist, d.h. der Abstand zwischen höheren und niedrigeren Sozialschichten. Der Zusammenhang von sozialer Schichtung und Bildungschancen ist in Deutschland in besonderer Weise feststellbar. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es der BRD seit den 60er Jahren nicht gelungen ist, soziale Ungleichheit gesamtgesellschaftlich abzubauen und schwächere Schüler stärker zu fördern. Hier hebt sich Deutschland deutlich von vergleichbaren Staaten negativ ab.
Die bildungspolitische Idee einer kompensatorischen Funktion von Schule zum Abbau von gesellschaftlicher Chancenungleichheit hat nicht gegriffen bzw. ist in einem Reformdschungel steckengeblieben – dies bestätigt PISA.
Die Frage nach der Ursache für dieses Drama der deutschen Bildungspolitik ist die Frage nach der Unfähigkeit zur Bildungsreform: „Unfähigkeit zur Bildungsreform ist also gleichbedeutend mit Unfähigkeit zur Gesellschaftsreform und damit zur Fortentwicklung der freiheitlich-demokratischen Ordnung“ (Hamm-Brücher 1972, S. 38). Der entscheidende Hebel zur Veränderung der Bildungskultur ist die Bereitschaft zum gesellschaftlich-politischen Wandel. Erst wenn Werte wie soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Freiheit gesamtgesellschaftlich umgesetzt und realisiert werden können, wird eine umfassende Bildungsreform möglich werden. Vorher bleibt alles Bemühen Makulatur und dient dem Bestehenden: Neue Maßstäbe braucht die Schule, nicht neue Maßnahmen! (Paulig 1997).
Was kommt nach PISA 2000 – wie geht es weiter?
Im Herbst 2002 erscheint als deutsche Ergänzung zu PISA 2000 eine vergleichende Länderuntersuchung; 2003 wird die zweite Welle von PISA-Ergebnissen mit dem Schwerpunkt auf Mathematik veröffentlicht (die Federführung liegt dabei beim Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN), Kiel unter Leitung von Manfred Prenzel (www.ipn.uni-kiel.de) und last but not least hat das Bundesbildungsministerium eine „Stiftung Bildungsstudien“ eingerichtet, die die Stiftung Warentest mit weiteren Bildungsstudien vor allem im Weiterbildungsbereich beauftragt.
Wir können also in den nächsten Jahren mit einer Flut von (vergleichenden) Bildungsuntersuchungen rechnen, die um eine lückenlose Erfassung der Bildungslandschaft bemüht ist. Ob dies weiterhilft bei einer Reform der Bildungskultur, ist – wenn wir die Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte betrachten – zweifelhaft. Es wird jedoch nun möglich sein, sich über Zahlen und Studien zu streiten, über das Forschungsdesign und über die Stichproben, über deren Validität und Varianz. Wir können Rankinglisten aufstellen und Risikogruppen definieren – und wir können damit auch den konkreten Veränderungsdruck verdrängen und verschieben. Die Studien könnten damit genau jenen Zweck erfüllen, den der Volksmund treffen mit der Bauernregel beschreibt: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann verändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist!“.
Literatur
Dahrendorf, R.: Bildung ist Bürgerrecht. Hamburg 1965
Döbert, M./Hubertus, P.: Ihr Kreuz ist die Schrift. Analphabetismus und Alphabetisierung in Deutschland. Münster/Stuttgart 2000
Hamm-Brücher, H.: Unfähig zur Reform? München 1972
Kramer, W./Werner, D.: Familiäre Nachhilfe und bezahlter Nachhilfeunterricht. Köln 1998
Negt, O.: Gesellschaftliche Schlüsselqualifikationen. Sechs Kompetenzen zur Gesellschaftsveränderung. In: Widerspruch, 17. Jg., H.33/Juli 1997, S. 89-102
Paulig, P.: Neue Maßstäbe, nicht neue Maßnahmen braucht die Schule. Donauwörth 1997
Deutsches PISA-Konsortium (Hg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen 2001
Schreiber-Kittl, M.: Alles Versager? Schulverweigerung im Urteil von Experten. München 2000
Schwäbische Zeitung, Mittwoch, 24. November 1999, S. 1
Statistisches Bundesamt (Hg.): Datenreport 1999. Bonn 2000