GWR: In der Erklärung zur Auflösung des ISKD (siehe Kasten auf dieser Seite) heißt es, die Bedingungen in der Türkei lassen eine Arbeit als Verein nicht mehr zu. Kannst Du das konkret beschreiben?
Ferda Ülker: Die Repression richtet sich vor allem gegen die Organisationen, die sich an den Plattformen gegen den Krieg in Afghanistan und gegen die Isolationshaft beteiligen. Im vergangenen Jahr begann der Staat, gegen die Vorstände dieser Organisationen hohe Geldstrafen zu verhängen. Die Strafen wurden stetig höher und die Zahl der Anklagen nahm zu. Das führte bei uns und auch bei vielen anderen Organisationen zu finanziellen Schwierigkeiten.
Kannst Du ein Beispiel schildern, wie der Druck aufgebaut wird?
Die Linke in der Türkei hat sich schon seit langem in sogenannten Plattformen organisiert. Im türkischen Recht gibt es für diese Organisationsform, in der VertreterInnen vieler Gruppen zu einem Ziel zusammen arbeiten, keine Regelung. Bisher wurden die Plattformen allerdings geduldet. Jetzt werden die Vorstände aller beteiligten Organisationen angeklagt, dass sie sich in einer verbotenen Organisationsform zusammen schließen. Wir hatten eine Geldbuße von ca. 150 EURO für ein Vorstandsmitglied zu bezahlen. Bei der Anhörung sagte der Staatsanwalt, sollten wir vor Gericht gehen wollen, dann können wir mit der doppelten Strafe für alle fünf Vorstandsmitglieder rechnen. Das sind 1.500 EURO, eine Summe, die ein Viertel unseres Jahresbudget ausmacht. Wir haben die erste Geldstrafe dann bezahlt.
Was glaubst Du sind die Gründe dafür, dass der Staat die Repression so anzieht?
Die Diskussion um das Mini-Demokratie-Paket (1) hat gezeigt, dass es mit der MHP (2) starke Kräfte in der türkischen Regierung gibt, die eigentlich kein Interesse haben, in die EU aufgenommen zu werden. Sie nutzen z.B. die Diskussion um die Todesstrafe, um sich innenpolitisch zu profilieren und eine Aufnahme in die EU zu blockieren. Sie spekulieren auf den Konkurrenzkampf, den die USA und die EU in der Türkei austragen und die der Türkei auf der einen Seite Einfluß und auf der anderen Seite Unabhängigkeit gewährt. Ich denke, dass u.a. diese Kräfte auch verantwortlich für diese Repressionswelle sind.
Die anderen Regierungsparteien betonen zwar immer wieder, dass sie in die EU aufgenommen werden wollen, sie wissen aber auch, dass die EU-feindlichen Kräfte für eine andere Stimmung sorgen.
Richtet sich die verstärkte Repression denn ausschließlich gegen die zwei von Dir genannten Bewegungen?
In Izmir erleben wir auch bei Aktionen der unabhängigen Fraueninitiative eine Polizeipräsenz, wie sie bisher unüblich gewesen ist. Bei einem öffentlichen Vortrag waren statt der üblichen zwei oder drei Zivilpolizisten acht im Raum und draußen vor der Tür waren mehrere Züge uniformierter Polizei. Wir haben aber unser Programm gemacht, wie es geplant war.
In Eurer Auflösungserklärung schreibt Ihr von einem Motivationsverlust in der Linken. Welche Gründe vermutet Ihr dafür?
Mit der ÖDP (3) erleben wir, wie ein interessantes Projekt an Widersprüchen zwischen den gründenden Organisationen auseinander bricht. Es gibt in der Linken keine integrierende Kraft oder Organisation. Wie gesagt, die Repression nimmt zu und es kommen kaum junge Leute in die Organisationen. In der Gesellschaft setzt sich ein Trend durch, auf sich und die Familie zu gucken und sich nicht im geringsten um Politik kümmern.
Ihr habt Euch zu einem Zeitpunkt aufgelöst, als die Antikriegsplattformen aktiv waren. Wie reagieren befreundete Organisationen?
Mit einigen von ihnen haben wir uns beraten und Aktive im IHD haben viel Verständnis gezeigt und meinten, eigentlich müßte der IHD sich aus gleichen Gründen auflösen. Natürlich wird die Auflösung von vielen Seiten bedauert. Diejenigen, die nicht so eng mit uns zusammen arbeiten und die inneren Verhältnisse nicht so gut kennen, können unsere Entscheidung nicht nachvollziehen. Schließlich kommt die Auflösung zu einem Zeitpunkt, in dem sich die USA und ihre Verbündeten in den sogenannten Krieg gegen den Terror gestürzt haben.
Unsere persönlichen Kräfte haben erheblich abgenommen. Nicht nur, dass wir wenige Aktive geworden sind. Wir wenigen sind durch die langjährigen Auseinandersetzungen mit dem Staat auch ermüdet. Insbesondere die Auseinandersetzungen um das Thema Kriegsdienstverweigerung und die Solidarität mit Osman (Ossi) Murat Ülke haben uns erschöpft. Im Laufe der Zeit bekam ich zunehmend das Gefühl „Wir müssen Ossi rauskriegen“ und das drängte die politische Perspektive in den Hintergrund. Zu Beginn der Auseinandersetzung hatten wir ja gehofft, es würden sich eine Reihe weiterer Verweigerer anschließen. Das ist leider nicht geschehen. Als Ossi dann endlich draußen war, da erhielt der nächste Verweigerer aus unserer Gruppe seine Einberufung. Und das zu einem Einsatzort in den kurdischen Gebieten, den wir als besonders hart und repressiv kannten. Wir mußten eine Entscheidung treffen und bei mir überwog die Angst, einen guten Freund in eine ungewisse Situation zu schicken. Einige von uns haben ähnliche Gefühle durchlebt. Wir müssen uns unsere Schwäche eingestehen. Mit unseren Kräften können wir diesen Kampf nicht fortsetzen.
Ihr wollt Eure Arbeit unter dem Namen IAMI fortsetzen. Welche Aufgaben habt Ihr Euch gesetzt?
Seit 1994 arbeiten wir mit den Techniken des gewaltfreien Trainings. Wir sehen das zunehmend als eine Möglichkeit, eine neue politische Basis auf zu bauen und wollen daran weiter arbeiten. Verbunden damit arbeiten wir an einem Handbuch zu gewaltfreiem Handeln, dass wir über das Internet zugänglich machen wollen.
Wir beobachten verschiedene Entwicklungen in der türkischen Armee, die wir ebenfalls über das Internet zugänglich machen wollen.
Aus dem Thema Kriegsdienstverweigerung haben wir uns ziemlich zurückgezogen. Wir wollen aber weiter mit unserem Wissen beratend zur Verfügung stehen.
Du hast gesagt, Trainingsarbeit sei ein Ziel? Daran arbeitet ihr seit einigen Jahren, welche Entwicklung in der türkischen Linken kannst Du dazu feststellen?
Wir sind in all den Jahren in Izmir immer wieder auf Organisationen zugegangen und haben unsere Methoden angeboten, haben Reklame für Trainings gemacht und versucht, die Leute zu überzeugen. Viele sind dem gegenüber skeptisch gewesen und bis zu dem Ratstreffen der WRI in Sigacik kamen keine Anfragen an uns. In Sigacik haben die Leute aber positive Erfahrungen mit unserer Arbeitsweise gemacht. Es war spürbar, dass eine andere Atmosphäre entsteht. Das hat sich rumgesprochen. Jetzt haben wir das erste Mal Anfragen und echtes Interesse. Das ist eine Situation, die mir viel Mut macht, ein erster Durchbruch.
Das Interesse an unserer Arbeit kommt vor allem von Frauengruppen. Diese Frauen suchen schon lange nach neuen Wege und erleben in ihren Organisationen eine permanente Diskriminierung. Zur Zeit bieten aber im wesentlichen nur Frauen aktiv die Trainingsarbeit an und mit den antimilitaristischen Feministinnen machen wir uns gerade einen Namen als eine innovative, kreative Frauengruppe.
Was wollt ihr mit den Trainings erreichen? Wie schafft ihr den Schritt vom Training zur Aktion?
Ich glaube nicht, dass wir dieses Jahr schon dazu kommen, eine größere gemeinsame Aktion zu initiieren. Wir schaffen in diesen Monaten zunächst eine Grundlage und bilden TrainerInnen aus, die die Idee dann multiplizieren. Wir sind immer noch in einem sehr frühen Stadium was Gewaltfreiheit anbelangt. Wir stellen gerade erst ein Interesse her auf das wir aufzubauen hoffen.
Wie wollt Ihr Eure Erfahrungen zum Thema KDV in Zukunft weitergeben?
Vor wenigen Wochen war ein Vertreter des ISKD in Diyabakir und sprach dort über unsere Erfahrungen. Wenn auch wenig, so kommen doch immer wieder Anfragen an uns, die wir beantworten. Wir zehren da von dem guten Ruf, den wir uns über die Jahre erarbeitet haben. Aber wir haben auch kein Wissensmonopol und so kommen nicht alle, die den Kriegsdienst verweigern wollen erst zu uns.
Wir haben z.B. keinen engen Kontakt zu den beiden Kriegsdienstverweigerern, die sich im Oktober 2001 als Reaktion auf die türkische Beteiligung an dem Krieg in Afghanistan öffentlich in Ankara verweigert haben.
Wer unternimmt zu Kriegsdienstverweigerung im Moment noch Anstrengungen?
Es gibt zur Zeit keine Organisation, die sich des Themas wirklich annimmt. Die letzten beiden Verweigerer kamen von KAOS GL, dem schwul-lesbischen Kulturzentrum in Ankara (vgl. Otkökü 3/GWR 261) und aus der anarchistischen Szene, die keine legale Organisation gebildet hat. Unter dem Titel Oldsletter erscheint ein Fanzine, dass einen antimilitaristischen Schwerpunkt hat. Dahinter stehen aber wenige Einzelpersonen und keine Organisation. Der IHD hat sich solidarisch erklärt, das Thema aber immer noch nicht aktiv aufgenommen.
Wie verhalten sich die Kriegsdienstverweigerer, die sich im Laufe der Jahre erklärt haben?
Seit einigen Jahren reagiert der Staat nicht auf die öffentlichen Kriegsdienstverweigerungen und die Presse ist vom Militär zu einer Selbstzensur veranlaßt. Das Thema wird schlicht tot geschwiegen. Da wir kaum Zugang zu den Medien haben und wenige geblieben sind, gelingt es uns auch nicht, einen Druck auf den Staat auf zu bauen.
Von den 35 Kriegsdienstverweigerern die sich öffentlich erklärt haben, steht noch ungefähr die Hälfte zu ihrer Verweigerung. Zu den meisten anderen haben wir den Kontakt verloren. In Einzelfällen hörten wir davon, dass sie ihren Dienst in der Armee dann doch abgeleistet haben. Kürzlich gerieten zwei Verweigerer zufällig in Polizeikontrollen und es wurde festgestellt, dass sie zur Armee müssen. Dem üblichen Verfahren folgend konnten sie aber erst mal nach Hause gehen, bevor weitere Schritte folgen. Sie haben beide ihren Wohnort gewechselt. Früher war es unsere Strategie, solche Einberufungen offensiv anzugehen. Jetzt gilt es, die Auseinandersetzung zu vermeiden. Sollten die Kriegsdienstverweigerer zwangsweise zur Kaserne gebracht werden, dann werden diejenigen, die wir gut kennen auch zu ihrer KDV stehen. Als Aktive in der antimilitaristischen Initiative werden wir alles tun, was in unseren Kräften steht.
In Deutschland ist der Verweigerer Osman Murat Ülke bekannt geworden. Was ist seine Situation?
Er ist offiziell fahnenflüchtig und hat aus einem Verfahren eine Reststrafe von wenigen Tagen abzusitzen. Anscheinend wird er aber von Militär und Polizei nicht aktiv gesucht. Er versteckt sich nicht, meidet aber Risiken, d.h. er nimmt nicht an Aktionen oder Demonstrationen teil. Seine aktive Arbeit im ISKD hat er im Sommer eingestellt.
(1) Mini-Demokratie-Paket werden die Gesetzesänderungen genannt, die im Zuge der Aufnahmeverhandlungen zur EU beschlossen und umgesetzt werden. Während die Verfassungsänderungen Verbesserungen erwarten ließen, hat die Änderung der ausführenden Gesetze nur und zum Teil erhebliche Verschlechterungen ergeben.
(2) Milli Hareket Partisi. Faschistische Nationale Bewegungspartei des inzwischen verstorbenen Arpaslan Türkes, jetzt unter der Leitung von Devlet Bahceli.
(3) Özgürlük ve Dayanisma Partisi, Freiheits- und Solidaritätspartei, die 1994 gegründet wurde.