Am 11. Mai haben in Tel Aviv 60.000 Menschen demonstriert, um ein Ende der Besatzung der West-Bank und des Gaza-Streifens durch das israelische Militär zu fordern. Damit war es die größte Demonstration der israelischen Friedenskräfte seit Beginn der „Al-Aqsa Intifada“ im Jahr 2000. Auch gibt es inzwischen mehrere Hundert Wehrpflichtige, ReservistInnen und SoldatInnen, die den Einsatz in den besetzten Gebieten selektiv verweigern oder sich zu einer grundsätzlicheren Kriegsdienstverweigerung entschlossen haben. Einige Dutzend Verweigerer sind derzeit in Haft.
Dennoch erscheint der Konflikt in den Medien ausschließlich als ein Schlagabtausch palästinensischer Gruppen, deren Mitglieder vor allem durch selbstmörderische Bombenanschläge zahlreiche ZivilistInnen in Israel töten und der israelischen Regierung, die versucht durch den Einsatz des Militärs die Palästinenser zu zwingen, sich mit den gegenwärtigen Verhältnissen abzufinden. Aus dieser immer wieder erneut eskalierenden Fehde scheinen die Akteure aus eigener Kraft keinen Ausweg zu finden und auch die Versuche von Sonderemissären, Außenministern und anderen Diplomaten, vermittelnd einzugreifen, scheinen zum Scheitern verurteilt zu sein.
Veranstaltungsreihe zu Israel
Ein Bericht
Dem lähmenden Eindruck der Aussichtslosigkeit wollten Connection e.V. und die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) entgegentreten und luden deshalb AktivistInnen der israelischen Plattform New Profile, die sich seit drei Jahren gegen die israelische Besatzungs- und Militärpolitik wendet, im April nach Deutschland ein (vgl. GWR 268). Wir verbanden damit das Ziel, aus einer antimilitaristischen Sicht heraus Informationen über die Ursachen und Hintergründe des israelisch-palästinensischen Konfliktes, zur Kriegsdienstverweigerung, zu den Aktivitäten der israelischen Friedenskräfte und zu Initiativen für die israelisch-palästinensische Verständigung aus Sicht der Aktiven in Israel darstellen zu lassen und in Deutschland in die Diskussion und Öffentlichkeit einzubringen. Es ging uns darüber hinaus aber auch darum, ihre Position zu stärken und Ansatzpunkte für eine stärkere internationale Zusammenarbeit zu schaffen.
Das Angebot stieß auf großes Interesse, und es fanden sich zahlreiche Gruppen, die ihrerseits bereit waren, Abendveranstaltungen, Schulbesuche und anderes mehr mit den AktivistInnen durchzuführen. Letztlich konnten 26 Veranstaltungsorte realisiert werden, weitere wären durchaus möglich gewesen.
Wer von den ReferentInnen eine umfassende Analyse erwartet hatte, sah sich bei den Veranstaltungen durchaus enttäuscht. Vielmehr vermittelten Ronit Marian Kadishay, Keren Assaf und Lotahn Raz ein Stimmungsbild der israelischen Gesellschaft, ein Bild, das von der durch die Selbstmordanschläge immer wieder gestärkten Angst der israelischen Bevölkerung, der Ausgrenzung alles Palästinensischen aus der eigenen Gesellschaft, einer umfassenden Militarisierung und einer letztlich marginalisierten Gruppe von Friedenskräften geprägt ist, die sich gegen die Fortsetzung der Besetzung wenden. Und sie vertraten sehr deutlich die Forderung, dass sich die israelische Armee aus den besetzten Gebieten zurück ziehen müsse, die Siedlungen (gegen Entschädigung) abzubauen seien und der nächste Schritt die Zweistaatlichkeit von Israel und Palästina sein müsse. So z.B. Lotahn Raz: „Um zu einem Frieden zu kommen, muss sich Israel auf die Grenzen von 1967 zurückziehen. Das heißt, dass auch die Siedler zurück nach Hause gebracht werden müssen. Die israelische Regierung wird die Siedler entschädigen müssen, damit sie ihr Leben wieder aufbauen können. Ich halte dies für möglich und gehe davon aus, dass es auch passieren wird, selbst wenn es einige Zeit dauert.“
Die wachsende Zahl der (selektiven) Kriegsdienstverweigerer und die stetig größer werdenden Demonstrationen zeigen aber auch an, dass die israelischen Friedenskräfte möglicherweise aus ihrer marginalisierten Rolle heraus treten und politische Kraft gewinnen könnten. Besondere Aufmerksamkeit hatte ein Aufruf von Reservisten und Soldaten, in aller Regel Offiziere aus den kämpfenden Einheiten, erhalten, die sich dem Einsatz in den besetzten Gebieten verweigerten. Gerade aufgrund ihres hohen Ansehens als Offiziere der israelischen Armee hat ihre gemeinsame Erklärung großes Aufsehen erregt. Sie haben damit die Legitimität der Besatzung und Siedlungspolitik in Frage gestellt.
Lotahn Raz und mit ihm New Profile möchte hingegen die Kriegsdienstverweigerung in einem weiteren Sinne verstanden wissen. Er hatte daher eine gemeinsame Aktion von SchülerInnen angeregt, die bereits im Herbst des letzten Jahres ihre Verweigerung erklärten. Einige von ihnen wollen den Armeedienst überhaupt verweigern, aber insbesondere wenden sie sich gemeinsam gegen die Politik des israelischen Staates gegenüber der palästinensischen Bevölkerung. Dabei sind sie nicht blind gegenüber der Korruptheit der palästinensischen Autonomiebehörde und den innerpalästinensischen Missständen in West-Bank und Gaza. Allerdings betonen sie Israels Status als Besatzungsmacht. Damit bewegen sie sich jedoch weit außerhalb des israelischen Konsens’. New Profile ruft daher auch zur internationalen Unterstützung der Kriegsdienstverweigerer auf.
New Profile vertritt keineswegs eine pazifistische Position in dem Sinne, dass alle Aktiven das Militär grundsätzlich ablehnen. In einer Gesellschaft, die aufgrund des Traumas des Holocausts Militär als wesentliches Mittel ansieht, um nie wieder in die Rolle der Opfer zu kommen, und die zudem durch innere und äußere Gewalt geprägt ist, sieht die Referentin Ronit Marian Kadishay es „aus historischen Gründen als wichtig an, zu wissen, dass Israel eine Verteidigungsarmee hat.“ „Die Armee ist aber eine Besatzungsarmee“, so fährt sie fort. „Wir müssen diesen Militarismus, diese Benutzung der Macht kritisieren. Aber es erscheint mir zu radikal zu sein, in Israel derzeit über Pazifismus zu reden. Der Pazifismus erscheint mir eher wie ein Licht in der Dunkelheit, das uns den richtigen Weg weist.“
Bei den von bis zu zweihundert Personen besuchten Veranstaltungen waren vor allem zwei Eindrücke vorherrschend: Zum einen war ein großer Teil der BesucherInnen in höchsten Maße daran interessiert, durch eine alternative Darstellung der Situation in Israel/Palästina, die außerhalb des durch die Medien vermittelten Diskurses liegt, eine eigene Position definieren zu können und Möglichkeiten zu finden, wie sich Friedensgruppen in Deutschland positionieren und auf wen sie sich beziehen können.
Zum anderen waren die Veranstaltungen von einer großen Emotionalität geprägt. VertreterInnen jüdischer Gemeinden, PalästinenserInnen und auch Deutsche griffen die ReferentInnen teilweise harsch an.
Häufig war zum Beispiel der Vorwurf zu hören, Kritik an der israelischen Regierungs- und Militärpolitik, zumal auf öffentlichen Veranstaltungen in Deutschland, schüre den latent vorhandenen Antisemitismus. Allein die Diskussion um einem möglichen Boykott von israelischen Waren erinnert natürlich sofort an die Kampagne der Nationalsozialisten, nicht bei Juden einzukaufen. Nun forderten die ReferentInnen einen solchen Boykott nicht ein, wohl aber die Einstellung der Waffenlieferungen. Der auch geäußerte Verdacht, dass zu den Veranstaltungen aus antisemitischen Motiven geladen wurde, ließ sich angesichts der ReferentInnen nicht aufrechterhalten, So verwies Keren Assaf zu Beginn ihres Beitrags immer wieder darauf, dass ihre Ansichten gerade auf Kenntnis des Antisemitismus beruhe. Ihre Großeltern waren Überlebende des nationalsozialistischen Versuchs die europäischen Juden auszurotten. Ein großer Teil der eigenen Familie wurde damals getötet und die Überlebenden traumatisiert. Sie kritisierte den Umgang in Israel mit diesem Trauma. Der Holocaust werde den Kindern als etwas nicht Hinterfragbares und Ehrwürdiges, quasi Heiliges, vermittelt. Dies habe furchtbare Folgen für die israelische Politik, da die Israelis sich selber ausschließlich als verfolgte Gruppe sehen würden. Sie würden dabei nicht wahrnehmen, dass auch sie rassistische Anteile in ihrem Denken haben könnten und blendeten dies oft als Mitursache für ihr Weltbild, ihre Ängste und ihr Misstrauen aus. Wer für Sicherheit und Frieden Israels eintrete, dürfe nicht unbesehen die herrschende israelische Politik unterstützen, sondern muss sie kritisieren.
Alle ReferentInnen stellten klar fest: Gerade der Abzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten ist im Interesse der israelischen Bevölkerung. Terroranschläge ließen sich eben nicht durch den militärischen Einsatz beenden, sondern dieser provoziere gerade die Eskalation der Gewalt. Und für alle drei war klar, dass sie sich für die Interessen von Israel einsetzen wollen, eben auch für ihr eigenes Leben in diesem Land.
Anmerkungen
Nähere Informationen und eine aktuelle Broschüre zum Thema "Nahostkonflikt ohne Ende? - Antikriegsarbeit in Israel" (2,50 Euro zzgl. Versandkosten) sind zu beziehen über:
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Informationen über New Profile sind via Internet erhältlich über www.newprofile.org. Hier finden sich auch aktuelle Informationen zu inhaftierten Kriegsdienstverweigerern.