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Bewegung braucht Raum

| Ulrike Laubenthal

Wir wissen nicht, welche Farben im November die Parteibücher des Bundeskanzlers, des Innenministers und des Umweltministers haben werden. Aber dass die neue Regierung alles tun wird, um im November einen weiteren Castor-Transport nach Gorleben durchzubringen, davon können wir schon mal ausgehen. Und so wird jetzt vielerorts heftig überlegt: Wie muss der Widerstand gegen den nächsten Castor-Transport ins Wendland aussehen, damit er zum Erfolg für die Bewegung wird – das heißt: damit er uns der Stilllegung aller Atomanlagen einen Schritt näher bringt?

Angesichts von Demonstrationsverboten, Campverboten, Platzverweisen und massiven körperlichen Verletzungen fragen sich viele, was überhaupt noch möglich ist. Unser Raum ist immer mehr eingeschränkt worden. Wir können versuchen, den verbleibenden Raum optimal zu nutzen mit immer pfiffigeren, immer kreativeren, immer mutigeren Aktionen; aber mir scheint, wir müssen den Raum auch erweitern. Erfolgreich können wir nur werden, wenn auch die vielen, die nicht das Risiko von Festnahme oder Verletzung eingehen wollen, Möglichkeiten zum Protest und Widerstand finden. Was uns vor immer massiveren Repressionen schützen kann, das ist eine Erhöhung des politischen Preises, den die Herrschenden für diese Repressionen zahlen müssten. Das würde den Handlungsspielraum der Polizei in den Castortagen einschränken und damit unseren eigenen Handlungsspielraum vergrößern. Dazu müsste unser Widerstand in breiten Teilen der Bevölkerung verankert sein. Viel hängt von den Menschen ab, die in den Castor-Tagen nicht auf der Transportstrecke sitzen, sondern zu Hause ihren eigene Angelegenheiten nachgehen. Nehmen sie von allem, was im Wendland vorgeht, nur das wahr, was sie zufällig über die Massenmedien erfahren? Oder schauen sie stündlich bei Indymedia nach, was es Neues gibt? Warten sie bangend auf einen Anruf aus Neu-Tramm, haben sie schon die Faxnummer des Innenministers und des Einsatzleiters der Polizei bereitgelegt, um sich zu beschweren, falls es zu Schlagstockeinsätzen kommt?

Meine Vision für den November: jede Bezugsgruppe hält telefonisch direkten Kontakt zu einer Unterstützungsgruppe zu Hause. Bundesweit übernehmen Initiativen und Organisationen Patenschaften für jeweils eine der Castor-Gruppen im Wendland. Jedes Dorf entlang der Transportstrecke hat ein Unterstützungsnetz aus auswärtigen Verwandten, Bekannten, Ex-UrlauberInnen, die sich regelmäßig erkundigen, ob auch alles in Ordnung ist. Unabhängige BeobachterInnen stellen ihre Berichte stündlich ins Internet. Jeder Übergriff der Polizei führt sofort zu einer Welle von Faxen, Anrufen und Protestaktionen im ganzen Land. Mit einem solchen lebendigen Unterstützungsnetzwerk bekämen unsere Aktionen vor Ort mehr Raum und eine neue Qualität – und trotzdem könnten wir weiter all die schönen Sachen machen, die wir bisher immer gemacht haben, denn die waren ja schon ganz gut. Nicht schneller, weiter, höher heißt die Devise – sondern tiefer in die Gesellschaft hinein. Das schöne an dieser Perspektive: sie schafft nicht nur mehr Raum für unseren Widerstand gegen Atomtransporte, sondern sie erhöht auch enorm die politischen Kosten für den Weiterbetrieb der Atomanlagen. Denn eine Bevölkerung, die die Ereignisse im Wendland genau verfolgt, wird sich auch mit den Argumenten und Forderungen der Anti-Atomkraft-Bewegung auseinandersetzen. Der Aufbau einer Unterstützungsstruktur für die Anti-Castor-Aktionen könnte Hand in Hand gehen mit der Bewusstseinsarbeit, die an anderen Stellen gerade geleistet wird (Urankampagne, Trainstopping-Kampagne, Aktionen gegen Schacht Konrad, Standortinitiativen,…). Gut passt dazu auch die auf dem letzten X-tausendmal-quer-Treffen entwickelte Idee einer Kampagne, die unmittelbar von den Stromkonzernen den Ausstieg fordert – diese Kampagne könnte den vielen dann für die Thematik sensibilisierten Leuten Wege aufzeigen, wie sie für den Ausstieg aktiv werden können.

Kontakt

"Wir können auch anders!" - Trainings für gewaltfreies Handeln.

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