30 jahre graswurzelrevolution

Perspektiven libertärer Gegenöffentlichkeit

Basisdemokratisch organisierte Alternativmedien als Gegenpol zur massenmedialen Konsensfabrik

| Bernd Drücke

Am 2. Februar fand der bundesweite Medienkongress "Vom Fernsehbild zum Feindbild. Journalismus zwischen Kriegspropaganda und Friedenskultur" statt (siehe Kasten auf dieser Seite). An ihm beteiligten sich JournalistInnen, sowie AktivistInnen aus der Friedensbewegung. In dem von GWR-Redakteur Bernd Drücke und dem Journalisten Peter Wolter angebotenen Arbeitskreis ging es um "Alternative Medien als Gegenpol zur veröffentlichten Meinung? Chancen und Grenzen." Das folgende (überarbeitete) Diskussionspapier zu dieser AG kann zur Vorbereitung auf die im Rahmen des GWR-Kongresses am 22. Juni angebotene Veranstaltung "Geschichte(n) und Perspektiven libertärer Gegenöffentlichkeit" dienen, ebenso das Buch "Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht?" (1) (Red.)

Peter Wolter stellt in seinem Diskussionspapier „Thesen zum AK ‚Alternative Medien’ (AM)“ u.a. folgende These auf: „Die basisdemokratische Organisation der Entscheidungsabläufe in einer AM-Redaktion ist in der Regel kontraproduktiv.“ (2)

Diese These stelle ich in Frage.

Basisdemokratische Strukturen, wie es sie z.B. bei langlebigen Bewegungszeitungen wie graswurzelrevolution (GWR) (3), direkte aktion (da) (4), Schwarzer Faden (SF) (5)  und Contraste (6)  gibt, sind wichtig für das Funktionieren von Alternativmedien. Das zeigt auch das Beispiel der Berliner tageszeitung. Die professionell gemachte taz ist spätestens seit Einführung der Chefredaktion keine Alternativzeitung im ursprünglichen Sinne mehr. Die politische Nähe zur Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen prägt den Inhalt des einstmaligen Bewegungsorgans. Ihre Perspektive ist – anders als in der Gründungsphase der taz – nicht mehr basisdemokratisch, sondern, das hat auch ihre überwiegend bellizistische Ausrichtung während des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien 1999 gezeigt, herrschaftsnah und staatsfreundlich. Zwar berichtet die taz zur Zeit relativ kritisch über die Kriegspolitik der USA, aber wie sie beim Anfang 2003 zu erwartenden US-Angriffskrieg gegen den Irak reagieren wird, steht in den Sternen.

Wichtig ist für alternative Medien eine „Perspektive von unten“, eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart. Libertäre Alternativmedien schaffen eine zunächst kleine Gegenöffentlichkeit, sie veröffentlichen Informationen, die in den Massenmedien nicht oder nur in homöopathischen Dosen vorkommen. Ihre Chancen liegen auch in der Stärkung der außerparlamentarischen Bewegungen. Dabei ist die basisdemokratische Verfasstheit alternativer Redaktionen von Bedeutung. Alles immer basisdemokratisch abzustimmen ist schwierig, aber basisdemokratische Strukturen wie z.B. bei GWR und da  tragen auch dazu bei, dass diese Zeitungen immer noch an den sozialen Bewegungen anknüpfen. Sie bleiben Bewegungsblätter und können von den sozialen Bewegungen als Sprachrohre genutzt werden.

Vorteile alternativer Medien gegenüber Massenmedien

Im Gegensatz zu den alternativen Klein- und Kleinstpublikationen stellen Massenmedien für die Entwicklung und Verbreitung neuer Ideen ein Hindernis dar.

„Stellen wir uns eine Zeitung (…) vor, die alle zu einem bestimmten Zeitpunkt entstandenen neuen Ideen sammeln wollte. Wir haben (…) gesehen, dass es praktisch unmöglich wäre, in einer solchen Sammlung ein bestimmtes Thema zu finden. Es gibt nur ein Mittel, um dem Leser das in einer Zeitung (…) enthaltene Material zugänglich zu machen: Die Masse des Materials muss reduziert werden. Es muss also eine Auswahl getroffen werden, aber diese Auswahl kann nur schlecht sein, denn auch die Herausgeber oder Zensoren, die sie vornehmen, sind außerstande, eine solche Unmenge von Informationen zu lesen, um nur eine davon auszuwählen. Überdies würde diese Auswahl besonders schwierig sein im Falle neuer, ungewohnter Ideen, deren Terminologie noch nicht allgemein bekannt sein kann und die eine gewisse Zeit zum Nachdenken erfordern. Die Herausgeber oder Zensoren (…) werden daher automatisch das zweitrangige, aber bereits bekannte Material behalten und alle neuen Ideen ablehnen. Diese Tatsache können wir tagtäglich in unseren Zeitungen, auf den Fernsehbildschirmen etc. bestätigt finden.“ (7)

Die Massenmedien ersticken also neue Ideen. Anders als die libertären Periodika, setzen sie die Herrschaftsstrukturen im Zeitalter der kapitalistischen Globalisierung als unantastbar voraus und tragen so zu ihrer Zementierung bei. Nach Meinung des libertären Sozialwissenschaftlers Noam Chomsky handelt es sich hierbei weder um Zufall noch um eine besondere Bösartigkeit. Der „Manufacturing Consent“, von dem Chomsky spricht, geht von den kapitalistischen Unternehmern als unantastbarem Heiligtum aus. (8)  Chomsky sieht fünf „Filter“ am Werk, die das Funktionieren der Massenmedien steuern.

Der erste Filter: Die Medien sind im wachsenden Maße große Konzerne wie das Kirch-, Berlusconi- oder Bertelsmann-Imperium.

„Und würde vielleicht von Silvio Berlusconi oder auch Rudolf Augstein erwartet, dass sie das Prinzip der Profitmaximierung verurteilen und die Enteignung der Großkonzerne verlangen?“ (9)

Den zweiten Filter stellen Werbe- und AnzeigenkundInnen dar. Sie sind für Chomsky die eigentlichen KundInnen, auf deren Wünsche die Tätigkeit der bürgerlichen Medien ausgerichtet sein muss. Die KonsumentInnen sind, in der Sprache des Marktes, lediglich das „Produkt“, das aggressiv beworben wird.

Der dritte Filter wird durch die Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlich wichtigen Institutionen wie Unternehmen oder staatlichen Einrichtungen gebildet. Wem werden die Informationen gegeben und wem nicht? Welche Medien werden die neuesten Informationen erhalten, wem wird die Möglichkeit zu einem „informellen Gespräch“ eingeräumt? Den Medien, die zusammen mit UnternehmerInnen, CDU/CSU, FDP, SPD und den Bündnisgrünen die Sicherung des „Standorts Deutschlands“ verfechten, oder den Menschen die direkte Widerstandsaktionen gegen Militarisierung, Atompolitik, Umstrukturierung und rassistische PropagandistInnen und AkteurInnen leisten? Eine wohl eher rhetorische Frage.

Als vierten und fünften Filter zur Eliminierung kritischen Denkens aus den Medien nennt Chomsky systematische „Schmutzkampagnen gegen AbweichlerInnen“ und, vor allem auf die USA bezogen, „Antikommunismus als nationale Religion“. Das KPD-Verbot 1956, die Antiterrorismushysterie, die im „Deutschen Herbst“ 1977 einen Höhepunkt erreichte, die Berufsverbote und „Sicherheitsgesetze“ gegen Linke, die ehrabschneidende Bild-Zeitungskampagne gegen den tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert (10), der sich im Oktober 2001 kritisch zum Afghanistan-Krieg der USA geäußert hatte und die aktuelle Suspendierung von Lehrern, die sich seit dem 11. September 2001 gegen den US-Krieg in Afghanistan geäußert haben (11), belegen, dass diese Prozesse auch in der Bundesrepublik wirksam waren und sind.

Nach Chomsky beruht die Struktur moderner Medien auf einem herrschenden Konsens, der durch den Wiedererkennungswert bestimmter Meldungen ständig reproduziert wird. Die Meldung „Kommunisten unter Pol Pot begehen in Kambodscha Völkermord“ musste demnach in der US-Öffentlichkeit ab Mitte der siebziger Jahre nicht belegt oder ausführlich begründet werden, um geglaubt zu werden. Sie fußte auf dem herrschenden Konsens des medial geprägten Prokapitalismus und US-typischen Antikommunismus. Die Nachrichten: „USA begeht in Kambodscha Völkermord“ (dies war 1975 der Fall) und: „Von den USA unterstützte indonesische Interventionstruppen begehen in Ost-Timor Völkermord (dies war nach 1975 ein Fakt) hatten keine Chance auf Zustimmung, weil sie dem herrschenden Konsens widersprachen. Es hätten erst Beweise, Belege und Dokumente angeführt werden müssen, um glaubwürdig zu werden.

„Dies widerspricht jedoch dem vor allem in den Fernsehsendern vorherrschenden Diktum der Kürze einer Nachricht.“ (12)

Demnach fördern kurze Nachrichten den herrschenden Konsens. Abweichende oder den Konsens durchbrechende Nachrichten haben keine Chance, weil sie in der Kürze der Zeit nicht begründet werden können.

„Die Aktualität der von Chomsky geleisteten Kritik der Verkürzung von Nachrichten, zeigt sich heute zum Beispiel im Trendsetter Focus, dem der Spiegel als ‘Nachrichtenmagazin’ nacheifert. Die Nachrichtenartikel werden immer kürzer und nur noch selten ausführliche Hintergrundanalyse veröffentlicht. Diese Struktur reagiert auf und verschränkt sich mit Mechanismen der Gedächtniszerstörung durch die moderne Unterhaltungsindustrie: Musikvideos, Techno-Musik, visuelle Reizüberflutung durch Computeranimationen, aber auch das ‘Zappen’ durch unzählige Fernsehkanäle sind entsprechende Zeiterscheinungen. Die Fähigkeit zur motorischen Wahrnehmung von Zusammenhängen und komplexe Gedächtnisleistungen werden zerstört. Ein Ergebnis ist, dass KonsumentInnen lange Konzentrationsphasen, und somit auch lange Artikel oder ausführliche Analysen, ermüdend finden und unmerklich auf sie verzichten – zu ihrem eigenen Nachteil.“ (13)

Um grundlegende Kritik an der ungleichen Verteilung von Reichtum, Macht und Privilegien aus der Öffentlichkeit zu entfernen, reicht heute meist das freie Spiel unternehmerischer und staatlicher Macht. Es wirkt ganz von allein und ohne gewaltsamen Zwang. Es bewirkt, dass die öffentliche Meinung von dieser Macht beherrscht wird. Durch das Zusammenwirken der o.g. Faktoren tragen die Massenmedien dazu bei, aus der Demokratie eine ZuschauerInnendemokratie zu machen.

Während die Massenmedien Millionen Menschen erreichen, interessieren sich für die vielen alternativen „Minimedien“ nur einige tausend Personen, die aber – zumindest dem alternativen Anspruch nach – nicht KonsumentInnen, sondern zugleich HandlungsträgerInnen und AutorInnen sind. Sie stellen Kommunikation auf Dauer her, die sich der Definitionsmacht der etablierten Presse, ihrer Präferenz für dramatische bzw. „sensationelle“ Ereignisse, ihrer Fixierung auf zentralisierte und hierarchische Strukturen, Führer und Fraktionierungen zu entziehen vermag. Die alternativen Periodika können nicht alle neuen Ideen veröffentlichen, aber sie können jede Neuheit bringen, die irgendeine/r der wenigen LeserInnen vorschlägt, und diese Ideen sind dann allen LeserInnen zugänglich. Die Möglichkeiten, die ein solches Netz von vielfältigen „Minimedien“ haben könnte, skizzierte Yona Friedman folgendermaßen:

„Wenn wir (..) annehmen, jede Gemeinschaft von 5.000 bis 10.000 Mitgliedern könne eine eigene Zeitung haben, so dürfen wir gewiss sein, dass jede beliebige Idee veröffentlicht werden würde, auch wenn sie dann nicht notwendigerweise von allen Bewohnern des Erdballs gelesen wird. So einfach dieser Vorgang ist – er verhindert doch die Zurückweisung neuer Ideen und fördert die Vielfalt der Subkulturen. Ich will mit diesem imaginären Beispiel zeigen, dass die weltweite Kommunikation im Gegensatz zu den üblichen Anschauungen nicht der kulturellen Entwicklung oder der Vermehrung der Kenntnisse des Menschen dient, sondern, im Gegenteil, zu einer Verarmung führt.

Die wirksamste Kommunikation ist und bleibt offensichtlich die von Angesicht zu Angesicht.“ (14)

Die wirksamste Kommunikation ist und bleibt offensichtlich die von Angesicht zu Angesicht

Dezentralität, Selbstverwaltung und Selbstbestimmung sind inzwischen breit akzeptierte demokratische Grundwerte und dies ist zum großen Teil dem Einfluss der Alternativmedien im Kontext der außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen zuzuschreiben.

Die libertär-alternative Presse hatte und hat Einfluss auf alle linken, nach 1968 entstandenen neuen sozialen Bewegungen, z.B. die Friedens-, HausbesetzerInnen-, Frauen-, Lesben-, Schwulen-, Männer-, Volkszählungsboykott-, Anti-Startbahn West- und Anti-Atomkraft-Bewegung. Alternative Publikationen erreichen z.T. auch Menschen außerhalb der linksradikalen Bewegungen und tragen nicht unerheblich zur Mobilisierung z.B. gegen Atomtransporte und Militarisierung bei.

Die durch libertär-alternative Medien verbreiteten Ideen, Gesellschaftsentwürfe und Utopien sind diskussionswürdig und können als theoretische Basis für die Kritik an autoritären Sozialstrukturen dienen.

Wer aber die Geschichte der Bundesrepublik betrachtet, stellt fest, dass die Einflussnahme der Alternativmedien auf bestimmte soziale Komponenten seit mehr als einer Dekade rückläufig ist. So ist die Wirkung antimilitaristischer, libertärer, basisdemokratischer u.a. alternativer Ideen/Utopien auf die grüne Partei in den letzten Jahren stark zurückgegangen bzw. seit der grünen Regierungs- und Kriegsbeteiligung völlig marginalisiert. Dies muss im Zusammenhang mit der Etablierung der Grünen als staatstragende Partei, dem „Kleben an der Macht“, dem schwindenden Einfluss der sogenannten „Fundis“, den daraus folgenden Parteiaustritten gesehen werden.

Ausblick: Die Zukunft libertär-alternativer Bewegungsmedien

Die sich heute und verstärkt seit dem 11. September 2001 von den westlichen Demokratien aus global durchsetzenden Filtermechanismen dominanter Medien haben nach Chomsky einen entscheidenden Nachteil, an dem emanzipatorische Praxis und Gegenöffentlichkeit ansetzen können. (15)  Die globalisierten Medien basieren nicht prinzipiell auf der Unterdrückung von Informationen, sondern auf der oben beschriebenen manipulativen Filterung. Das heißt: Informationen, die sich gegen den herrschenden Konsens wenden sind grundsätzlich vorhanden. Sie können gesammelt, benutzt und zu Zwecken der Gesellschaftsveränderung in emanzipatorischem Sinne verwendet werden. Alternativen Medien kommt nach Chomsky die Funktion intellektueller Selbstbehauptung gegen die gedächtniszerstörenden Mechanismen der Massenmedien zu. (16)

Von der alternativen Nutzung der Computernetzwerke (Nadir, Indymedia u.a.) und der modernen Kommunikationstechnologien lässt sich ein Auftrieb für alternative Initiativen erhoffen, die auf diese Weise wichtige Informationen öffentlichkeitswirksam verbreiten und austauschen können. Dass auch das unabhängige, nicht kommerzielle und vom Anspruch her hierarchiefreie Internetprojekt Indymedia neben vielen begrüßenswerten Diskussionsbeiträgen und Gegeninformationen mehrfach auch antisemitische bzw. rassistische Positionspapiere sowie Falschmeldungen veröffentlicht hat (17), zeigt jedoch eine Schwäche offener, redaktionell kaum betreuter Internetprojekte.

Zwar zeichnet sich durch die verstärkte Nutzung des Internets ein Strukturwandel in der alternativen Medienlandschaft ab (18); wie in der Vergangenheit, werden die sozialen Bewegungen aber auch in Zukunft nicht zuletzt durch ihre Printmedien Sozialgeschichte machen.

Einige Projekte sind auf dem Weg, libertäre Positionen in breiteren Bevölkerungsschichten bekannt zu machen.

Als paradigmatisch könnte sich die von 1992 bis November 1997 monatlich mit Auflagen bis zu 40.000 als „Kölsches Blatt“ herausgekommene von unge (19)  erweisen, vorausgesetzt ihr Konzept als „linksradikale Bildzeitung“ bzw. „Trojanisches Pferd“ wird auch außerhalb Kölns bekannt und als „Kommunikationsguerillakonzept“ akzeptiert und adaptiert.

Die „Kommunikationsguerilla“ schafft z. B. durch Mittel der Spaßguerilla Verwirrung. Ihr Ziel ist es, das Funktionsprinzip der, auch durch diskursive Wege ausgeübten und legitimierten Macht zu stören und zu schädigen. Die Kommunikationsguerilla begreift ihre Mittel – z.B. Fake-Ausgaben der Westfälischen Nachrichten (20), der Frankfurter Rundschau und des Weserkurier – als einen Weg zur Störung dessen, was Foucault als „Ordnung des Diskurses“ (21)  bezeichnet und als wesentliches Element von Machtausübung identifiziert hat.

Übergreifend bleibt festzustellen, dass sich viele alternative bzw. libertäre Medien wie z.B. anti atom aktuell (22), Contraste und graswurzelrevolution bis heute bemühen, die Lösung der sozialen und ökologischen Probleme mit einer anti-etatistischen Perspektive zu verbinden. Ihre Propagierung war und ist aber bisher ohne Erfolg. Dass die konsequent-praktische Umsetzung libertärer Grundwerte autonom-gesellschaftliche Alternativen zur Voraussetzung haben, wird nur selten ernst genommen. Dabei hat die Entwicklung von Bündnis 90/Die Grünen gezeigt, dass die Vereinnahmung durch staatliche bzw. parlamentarische Konzeptionen zur Integration und Korrumpierung, also zur Entschärfung basisdemokratischer Opposition führt. (23)

Die Notwendigkeit und die Chancen der libertär-alternativen Presse liegen im Aufzeigen solcher Zusammenhänge und der Praktizierung und Propagierung einer dauerhaften Alternative. Verstärkt seit dem 11. September 2001 und der damit im Zusammenhang stehenden Militarisierung muss eine Priorität für die Libertären und ihre Medien die Organisierung einer antimilitaristischen Bewegung sein, gegen die Kriegspolitik der NATO, Russlands und anderer Staaten, gegen Waffenexporte, Rüstung und die Rache- bzw. Law and order-Ideologie.

Dass eine wachsende Friedensbewegung erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel der US-amerikanischen Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Diese anfangs kleine soziale Bewegung ist schnell gewachsen, auch weil es Alternativmedien gab, die eine größere Gegenöffentlichkeit gegen diesen Krieg hergestellt haben. Auch jetzt müssen wir versuchen, den Kampf gegen Kriegspoltik an der „Heimatfront“ zu gewinnen. Um eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft zu realisieren, brauchen wir einen langen Atem.

Dass die Libertären und ihre Presse zukünftig – trotz ihres derzeitigen sozialen Nischendaseins, ihrer Neigung zum Sektierertum, ihrer finanziellen, organisatorischen und anderer Probleme – in der Lage sein werden, auf gesellschaftliche Umbrüche effektiver zu reagieren und größere Akzeptanz und Unterstützung innerhalb einer sich wandelnden Gesellschaft zu gewinnen, ist nicht auszuschließen.

Nach dem Scheitern des etatistischen Sozialismus und der sich abzeichnenden Krise des globalisierten Kapitalismus werden im 21. Jahrhundert gesellschaftliche Ideen und Gegenkonzepte zu etatistischen als auch zu neoliberalen Ideologien an Bedeutung gewinnen.

Spätestens seit US-Präsident George W. Bush den „Krieg gegen den Terrorismus“, gegen „Die Achse des Bösen“ erklärt hat, droht das 21. Jahrhundert ähnlich blutig zu werden wie das vorangegangene. Die drastische Erhöhung des Kriegshaushalts der USA um 48 auf 379 Milliarden US-Dollar im Jahr 2002 und die Drohung der Supermacht „Mini-Nukes“ gegen „Schurkenstaaten“ einzusetzen, lassen wenig Hoffnung auf eine friedlichere, entmilitarisierte Welt. U.a. um die geplanten Rüstungssteigerungen auf 450 Milliarden US-Dollar zu rechtfertigen, um Bushs Sponsoren aus der Öl- und Rüstungsindustrie zu befriedigen und um innenpolitisch zu punkten, wird die US-Regierung Kriege führen.

Realistisch ist unter den heutigen Herrschaftsbedingungen des Neoliberalismus und nicht erst seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl der Atomtod, die Zerstörung und Vergiftung der Natur und des Menschen durch den Menschen.

Aber, so formulierte es der US-amerikanische Soziologe C. W. Mills schon 1959:

„Im Namen des Realismus werden die Menschen total verrückt, und genau das, was sie utopisch nennen, ist die Vorbedingung für den Fortbestand der Menschheit. Utopische Maßnahmen sind Maßnahmen, die uns vor dem Atomtod retten; realistische, gesunde, vernünftige, praktische Schritte sind heute die Aktionen der Verrückten und der Dummköpfe.“ (24)

(1) Bernd Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland, Ulm 1998, 640 Seiten. Für GWR-LeserInnen 12,50 Euro (plus Porto) statt 59.80 DM bei: Verlag Klemm & Oelschläger, Pappelauer Weg 15, D-89077 Ulm. Fax: 0731/9387924

(2) These 7, siehe Peter Wolters Thesenpapier. Die Referate und Podiumsbeiträge des Medienkongresses, die Thesenpapiere und Berichte aus den Arbeitsgruppen werden im Internet unter der Adresse www.dfg-vk.de/stiftung dokumentiert. Im Mai 2002 ist eine Druck-Version erschienen, die in der Bundesgeschäftsstelle der DFG-VK (Schwanenstr. 16, 42551 Velbert. Fax: 02051/4210) erhältlich ist. Außerdem gibt es eine Videodokumentation von tv Münster (240 Min., Format VHS, 15,- € plus 2 € Versandkosten) und Mitschnitte verschiedener Teile der Tagung auf CD. Rückfragen/Bestellungen bitte an:

Friedensladen
Augustastr. 36
48153 Münster
Tel.: 0251/9876457
www.friedensladen.d
info@friedensladen.de

Die ZivilCourage, das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK (Postf. 150354, 70076 Stuttgart), hat im März 2002 eine sehr lesenswerte Schwerpunktausgabe zum Medienkongress herausgebracht.

(3) Die graswurzelrevolution erscheint seit 1972 als "Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft". Bei der GWR gibt es derzeit einen Hauptamtlichen, der von einem HerausgeberInnenkreis gewählt wird. Unter den HerausgeberInnen sind Menschen aus ganz Deutschland und aus verschiedenen Gruppen, die zwischen 20 und 60 Jahren alt sind und ganz unterschiedliche politische Erfahrung mitbringen. In der Praxis gibt das zwar oft anstrengende Diskussionen, aber meist auch konstruktive Lösungen nach dem Konsensprinzip.

Siehe: www.graswurzel.net

(4) Die anarchosyndikalistische da erscheint seit 1977. Siehe: www.fau.org

(5) Der Schwarze Faden, Vierteljahresschrift für Lust und Freiheit, erscheint seit 1980. Siehe: www.trotzdem-verlag.de

(6) Contraste erscheint seit 1984 als "Zeitung für Selbstverwaltung". Siehe: www.contraste.org

(7) Yona Friedman: Machbare Utopien, Absage an geläufige Zukunftsmodelle, Mit einem Vorwort von Robert Jungk, S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1977, S. 63 f.

(8) Vgl. Noam Chomsky: Wege zur intellektuellen Selbstverteidigung. Medien, Demokratie und die Fabrikation von Konsens, Trotzdem-Verlag, Grafenau 1994

(9) Kapitalistischer Konsens. Noam Chomskys Medienkritik als Film und Buch, in: graswurzelrevolution Nr. 216, März 1997, S. 14

(10) Siehe: B. Drücke: "Zyklus der Dummheit". Angriff auf die Freiheit? Die Anschläge in den USA und die "Neue Weltordnung", in: graswurzelrevolution Nr. 266, Münster, Februar 2002, S. 12

(11) Siehe: B. Drücke: Maulkorb gegen Antimilitaristen. Der Lehrer Bernhard Nolz wurde wegen einer Anti-Kriegs-Rede vom Dienst suspendiert, in: graswurzelrevolution Nr. 265, Münster, Januar 2002, S. 1 und 3

(12) Globalisierte Medienmacht. Überfluß und ökonomische Zensur, in graswurzelrevolution Kalender 1998, Bremen 1997, S. 248 - 253, hier S. 252 f.

(13) Ebd, S. 253 f.

(14) Yona Friedman, a.a.O.

(15) Vgl Chomsky, a.a.O.

(16) Ebd.

(17) Siehe Torsten Schulz: Nachrichten von ganz tief unten, in: graswurzelrevolution Nr. 269, Mai 2002, S. 12

(18) Vgl. B. Drücke: Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht?, a.a.O.

(19) S. ebd.

(20) S. ebd.

(21) Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt/M. 1977

(22) Die anti-atom-aktuell erscheint seit 1989 als Zeitung für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen. Siehe: www.anti-atom-aktuell.de

(23) Vgl. Raasch, a.a.O.

(24) C. W. Mills, Die Konsequenz. Politik ohne Verantwortung. München 1959, S. 156. Hier zitie9rt nach Johann Bauer, Ganz unrealistische DogmatikerInnen?, in: graswurzelrevolution Nr. 171/72/73, a.a.O., S. 15.