In dreißig Jahren wird es uns immer noch geben«, sagt Bernd Drücke überzeugt und lacht wissend. Drücke ist Redakteur der »Graswurzelrevolution«. Die Monatszeitung ist ein Sprachrohr der deutschen Friedens- und Antiatombewegung und feiert dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen.
1972 in Augsburg gegründet wurde die »Graswurzelrevolution« besonders im Handverkauf auf Demonstrationen unter die Leute gebracht. Wie die Friedensbewegung hatte die Zeitung ihre Hochzeit in den achtziger Jahren. Die Auflage betrug damals bis zu 20000 Exemplare; heute liegt sie bei höchstens 6000. Im letzten Jahr musste der Preis erhöht werden und die vierteljährlich erscheinende deutsch-türkische Beilage »Ötkökü« (türkisch Graswurzel) steht aus finanziellen Gründen vor dem Aus. Doch um die Zukunft macht sich Drücke keine großen Sorgen: »Unter den kleinen linken Zeitungen sind wir immer noch eine der größten. Und in Zeiten des ausgerufenen globalen Krieges können und müssen unsere Ideen, Gewaltfreiheit, Pazifismus und Antimilitarismus an Bedeutung gewinnen. Die Friedensbewegung wächst wieder – es kehren nicht nur alte Aktivisten auf die Straße zurück, es kommen auch junge hinzu.« Drücke ist überzeugter Kriegsgegner. Als er während des Kosovokrieges zu Verweigerung und Desertion aufrief, ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen ihn, stellte das Verfahren aber schließlich ein.
Die »Graswurzelrevolution« ist Mitglied in der seit 1921 bestehenden Internationale der Kriegsgegner, der »War Resisters International«, die 90 Gruppen aus 45 Ländern vereint. In der Vernetzung sieht Drücke eine Stärke der Zeitung: »Wir tauschen Artikel mit unseren Schwesterzeitungen, etwa der ›Peace News‹ aus London oder dem ›Nonviolent Activist‹ aus New York. Bewegungen, die in den Massenmedien nicht zu Wort kommen, finden sich bei uns wieder.« Die Zeitung mit dem Untertitel »Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft« versteht sich als libertär-anarchistisch und ist die langlebigste deutsche Publikation dieser Ausrichtung nach 1945. Die Herausgeber berufen sich auf die Ideen zum Beispiel Mahatma Gandhis und Leo Tolstois. Besonderes Merkmal der »Graswurzelrevolution«: Es gibt keine Chefredaktion, sondern einen Herausgeberkreis. »Menschen aus ganz Deutschland im Alter von 20 bis 60 treffen alle Entscheidungen im Konsens«, erzählt Drücke. »Dieses basisdemokratische Gremium wählt den einzigen hauptamtlichen Redakteur.« Wird die Stelle neu besetzt, wechselt die Redaktion die Stadt.Derzeit wird die »Graswurzelrevolution« in Münster produziert.
Dort sitzt Drücke in einem kleinen Büro und organisiert. Denn gefeiert wird das Jubiläum vom 21. bis 23. Juni mit einem Kongress in Münster unter dem Motto »Trau einer über 30«. Neben dem bunten Kulturprogramm mit Kabarett und Livemusik wird es in insgesamt 48 Veranstaltungen auch um linke Politik gehen. Eingeladene Referenten sind unter anderen der Berliner Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr, der Militärexperte Tobias Pflüger und der Sozialforscher Alfred Schobert. Drücke betont: »Da die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit und die Unterstützung einer antimilitaristischen Bewegung gerade in einer Zeit der Remilitarisierung immer wichtiger werden, ist unsere Kritik an den bestehenden Verhältnissen unverzichtbar.«
Jan Dörner
Aus: Neues Deutschland, 21.6.2002