Gudrun-Axeli Knapp und Angelika Wetterer (Hg.): Soziale Verortung der Geschlechter. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik, Münster 2001 (Verlag Westfälisches Dampfboot), 340 S., 23,- €
Bisher gab es feministische Geschlechterforschung und eine allgemeine soziologische Gesellschaftstheorie. Dem ehrgeizigen Ziel, dieses Nebeneinander zu beenden und beide aufeinander zu beziehen, haben sich nun zwölf namhafte Soziologinnen gewidmet. In Soziale Verortung der Geschlechter tun sie dies auf zweierlei Arten: Während die einen das Potenzial für Gesellschaftskritik unter verschiedenen Schwerpunkten filtern (wie z.B. Modernisierung und Globalisierung), nehmen die anderen sich die einflussreichen Großtheorien (von Marx, Arendt, Adorno, Elias, Foucault, Luhmann und Bourdieu) im Hinblick auf ihre Erklärungskraft für Geschlecht vor.
Zentrales Anliegen des Bandes ist es, die deutsche Frauen- und Geschlechterforschung endlich aus ihrem Bindestrich-Dasein in der Soziologie zu befreien und sozusagen von einer Außenseiter- zu einer Mainstream-Soziologie zu machen. Denn Geschlecht als „zentrales Differenzierungs-, Strukturierungs-, Stratifikations- und Herrschaftsprinzip“ könne in einer Gesellschaftstheorie nicht länger unberücksichtigt bleiben oder als ein bereits veralteter feministischer Anspruch gelten. Seit der Infragestellung des feministischen Subjektes „die Frau“ durch die US-amerikanische Philosophin Judith Butler zu Beginn der 1990er Jahre ist ein solcher Anspruch selten formuliert worden. Mit der Diskussion um poststrukturalistische Ansätze und dekonstruktivistische Theorie, aber auch durch die Berücksichtigung linguistischer und philosophischer Standpunkte vollführt die Geschlechterforschung seitdem einen permanenten Spagat: Zwischen normativ-politischer Kritik und selbstkritischer Reflexivität.
Dass das – im Sinne einer vital gebliebenen feministischen Kritik – auch gut so ist, kann z.B. Gudrun-Axeli Knapp zeigen. Sie vertritt die These, dass in der postfeministischen Pluralisisierung „kein Abschied vom Geschlecht“ stattfände, sondern vielmehr eine Verschiebung und neue Problematisierung beobachtbar sei. Nach einer überfälligen begrifflichen und inhaltsanalytischen Klärung diskutiert sie drei grundlegende Linien der aktuellen Debatte der Geschlechterforschung: die Individualisierungsdiskussion, die poststrukturalistisch dekonstruktivistischen Ansätze und die „Achsen der Differenz“. Brigitte Aulenbacher greift die Frage auf, ob sich Modernisierungstheorie und feministische Theorie notwendigerweise ausschließen? Die Mehrdimensionalität von Geschlechterverhältnissen ist auch zentrales Thema in Helga Krügers Auseinandersetzung mit dem Institutionenansatz, sowie für Maria Mies. Eher im Jargon des klassischen Feminismus thematisiert Mies den von ihr in den 1970er Jahren mit entwickelten Subsistenzansatz in Verbindung mit dem alten Thema „Hausfrauenarbeit“ und dem aktuellen Phänomen „Globalisierung“. Dabei beleuchtet sie v.a. den Zusammenhang der Ausbeutung von Hausarbeit, ökonomischen Kolonien (Asien, Afrika, Südamerika) und Naturressourcen in den Industrieländern. Die Perspektive liegt für Mies in einer nicht-wachstumsorientierten, nicht-kolonialen, nicht-patriarchalen, nicht-ausbeuterischen Wirtschaft und Gesellschaft und ihrem Prinzip der Subsistenz, d.h. einer Wiedererlangung der Kontrolle über Land, Wälder, Ressourcen, Wasser, Arbeitskraft, Kultur und Wissen.
Nach diesen auf Sozialstruktur, Modernisierung und globale Ausbeutung fokussierten Texten, erweisen sich ebenfalls die Auseinandersetzungen mit den jeweiligen BezugsautorInnen als spannend. Zwar fällt Ulrike Teubners Untersuchung der sozialen Ungleichbehandlung der Geschlechter im Rahmen der Systemtheorie Niklas Luhmanns skeptisch aus, da dieser bereits die Unterschiede zwischen Frauen und Männern als ungeeignet für eine wissenschaftliche Reflexion deklariert.
Ergiebiger hingegen ist Regina Becker-Schmidts Auseinandersetzung mit Adorno. Sie streicht den bei Adorno zentralen Zusammenhang von Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie heraus. Ihr geht es bei der Frage nach sozialer Ungleichheit darum, die Verschränkung der Prozesse der Desintegration zu erklären. Denn diese Prozesse drückten sich in Form mangelnder kultureller Anerkennung und in sozial ungerechter Umverteilung aus. Der Rekurs auf Historie einerseits und gesellschaftliche Verhältnisse andererseits ermögliche es, „Anerkennung“ und „Umverteilung“ in sozialen Benachteiligungen zu gewichten. Um soziale Ungleichheit zu analysieren, braucht es also eine historische und räumliche Verortung sowie einen Gesellschaftsbegriff. Die Wichtigkeit der historischen Perspektive heben – neben dem Entsprechungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft – auch Gabriele Klein und Katharina Liebsch anhand der Arbeiten von Norbert Elias hervor. Machtveränderungen in der Gesellschaft hätten, so Elias, Auswirkungen auf das Verhalten und die Affekte der Menschen und somit auf die Machtbalance der Geschlechter. Mit dem Problem der Macht beschäftigt sich auch Hannelore Bublitz, und zwar in Anlehnung an Michel Foucault. In ihrer historischen Rekonstruktion macht sie deutlich, wie verschiedene gesellschaftliche Regulierungsprozesse verbunden werden und zugleich „vermassende und individualisierende“ Effekte besitzen. Mit Bezug auf Foucaults Machtbegriff und über seine Beschreibung des Sexualitätsdispositivs hinaus stellt sie die These eines Geschlechterdispositivs auf. Geschlecht wird demnach „als Effekt eines Geschlechtswissens“ hervorgebracht.
Dass sich die Mainstream-Soziologie der Machtthematik in Bezug auf Geschlecht bislang nur unzureichend genähert hat, und damit die genannte wissenschaftliche Selbstreflexion vermissen ließ, zeigt auch Beate Krais´ Text zur Theorie Pierre Bourdieus. Die Hinweise auf die alltägliche interaktive Herstellung („doing gender“), so wie auf die machtvolle strukturelle und institutionelle Einlagerung von Geschlecht, wendet sich gegen die in der deutschen Soziologie immer noch verbreitete Vorstellung quasi-natürlicher Geschlechterrollen.
Die Stärke des Buches liegt vor allem in der Vielfalt der nebeneinander gestellten Ansätze. Dadurch allein ist es für EinsteigerInnen wie für Fortgeschrittene der gender-studies zu empfehlen. Eine Empfehlung, die durch die Rezeptionsgeschichte der jeweiligen TheoretikerIn zu Beginn jedes Beitrages nur bekräftigt werden kann. Allerdings bleibt die Vielfalt leider unkommentiert und auf eine abschließende, zusammenführende Positionierung sowie auf eine inhaltliche Ergänzung bzw. Herausarbeitung der Widersprüchlichkeit der einzelnen Zugänge wird verzichtet. Letztere zeigen sich z.B. in Mies´ Betonung der Autonomie im Gegensatz zu Becker-Schmidts historischen Aufdeckung der Ideologie „Autonomie“ als Produkt des aufgeklärten Bürgertums.
Offen bleibt auch, ob es sich im Rahmen einer soziologischen Gesellschaftstheorie nicht auch lohnen würde, über den deutsch-europäischen oder nordamerikanischen Tellerrand hinauszublicken und z.B. postcultural Überlegungen sowie queer-politics in theoretische Betrachtungen mit ein zu beziehen? Auf diesem Weg hätten über die traditionell diskutierte Verbindung des soziologischen Themas „Arbeit und Geschlecht“ auch familiäre Beziehungen, Sexualität, Alter, Kultur, Körper noch stärker in den Blick genommen werden können.