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Die UnMöglichkeit in Israel den Kriegsdienst zu verweigern

| Jonas Laehnemann

Jonathan Ben-Artzi ist überzeugter Pazifist – er sieht Gewalt nicht als Möglichkeit Konflikte zu lösen und ist nicht bereit in einer Armee zu dienen. Über Jahre hat sich diese Überzeugung bei dem 19-jährigen entwickelt und gefestigt. Im Moment ist er für seine Ansichten inhaftiert – im Militärgefängnis. Doch nicht etwa in einem Staat mit totalitärem Regime, sondern in Israel, einem Land das immer wieder seine Stellung als einzige Demokratie im Nahen Osten betont.

Junge Männer in Israel müssen 3 Jahre Grundwehrdienst leisten und später jährlich einen Monat zur Reserve – die Möglichkeit wie in Deutschland den Militärdienst aus Gewissensgründen zu verweigern gibt es nicht. Ein Ersatzdienst, der der Zeit beim Militär rechtlich gleichgestellt ist, ist nur für Frauen vorgesehen.

Im Frühjahr 2000 als Jonathan die Schule beendete sollte er einberufen werden, doch als er dem Militär sein Anliegen der Verweigerung vortrug kam er vor eine Gewissenskommission des Militärs und er bekam ein Jahr Zeit um sich die Sache zu überlegen. Er blieb bei seiner Überzeugung und als er wieder vor der von höheren Offizieren besetzen Kommission erschien nahm man sein Gesuch nicht ernst und lehnte ab. Daraufhin klagte er im Sommer 2001 vor dem obersten Gerichtshof Israels und es wurde ihm gestattet mit einem Anwalt und Gutachten über seinen Pazifismus, erstellt von angesehenen Geschichts- und Philosophieprofessoren, erneut vor die Gewissenskommission zu treten, die ihn wiederum ablehnte. Eine weitere Klage vor dem Obersten Gericht blieb ohne Erfolg.

Zum 8. August wurde er eingezogen – er erschien, jedoch weigerte er sich die Uniform anzulegen und wurde von einem Offizier zu 28 Tagen Haft verurteilt.

Direkt nach seiner Entlassung wurde er wieder eingezogen und inzwischen sitzt er seine zweite Haftstrafe ab. Dies wird sich noch ein bis zwei mal wiederholen, ehe er auf eine Freistellung vom Militärdienst hoffen kann.

Gegenüber der israelischen Armee hat er erklärt: „Aufgrund meiner Überzeugung, wird mein eigenes Land mich inhaftieren – unter Missachtung internationaler Gesetze, grundlegender Moralvorstellungen und fundamentaler Menschenrechte. Ich werde Stolz in das Gefängnis gehen, überzeugt, dass dies das Geringste ist was ich tun kann um mein Land und das Anliegen des Pazifismus zu verbessern.“

In der israelischen Gesellschaft hat der Militärdienst aus der Geschichte des Landes heraus einen hohen Stellenwert. Verweigerung ist damit auch gesellschaftlich nicht anerkannt und auf jemand der keinen Militärdienst gemacht hat, egal ob als Verweigerer oder aus anderen Gründen, warten im späteren Leben Benachteiligungen, z.B. bei der Jobsuche. Nichtsdestotrotz gab es immer wieder pazifistische Verweigerer, deren Zahl aber immer gering war – im Moment schlagen jährlich eine Handvoll junge Männer diesen Weg ein (vgl. GWR 264, GWR 270).

Der Umgang mit Ihnen ist etwa gleich geblieben, trotz der Schaffung der Gewissenskommission vor einigen Jahren. Der Staat versucht dieses Syndrom zu unterdrücken und im geheimen zu halten. Doch immer wieder haben Verweigerer versucht dies an die Öffentlichkeit zu bringen und Verbesserungen herbeizuführen.

Neben den pazifistischen Verweigerern, wie Jonathan, gibt es in Israel auch Männer die den Wehrdienst aus anderen, vor allem politischen Gründen ablehnen. Diese für Israel spezifische Form der Verweigerung gibt es seit dem Libanonkrieg, als erstmals Israelis einen von ihrem Staat geführten Krieg in Frage stellten und auch die ersten Friedensbewegungen entstanden.

Sie wären bereit ihr Land jederzeit bei Bedrohung zu verteidigen, doch sehen sie die Besetzung und Unterdrückung der Palästinenser nicht als Landesverteidigung an und es so als ihre Pflicht sich diesem zu widersetzen und den in ihrer Sicht illegalen Befehl zu verweigern. Die meisten, oft auch Reservisten, beschränken sich dabei auf die Ablehnung eines Einsatzes in den besetzten Gebieten (selektive Verweigerung) – einige wenige gehen den gleichen Weg wie Pazifisten, da sie das gesamte Militärsystem in Zusammenhang mit der Besatzung setzen. Gerade die sogenannte selektive Verweigerung hat während der laufenden Intifada wieder großen Zulauf erfahren. Inzwischen haben sich den verschiedenen Gruppen über 1000 Reservisten, viele davon Offiziere, angeschlossen. Außerdem haben im letzten Jahr über 100 Schüler der Abschlussklassen ihre Absicht erklärt den Militärdienst zu verweigern. Allen von ihnen droht eine Haftstrafe beim nächsten Reserve- oder dem Grundwehrdienst.

Dabei gibt es in der israelischen Gesellschaft einige Gruppen die nicht oder nur teilweise zum Militär müssen. Wichtigster Faktor dabei sind Ultraorthodoxe Juden. Sie wurden bisher pauschal für Thora-Studien von der Armee freigestellt, ein für viele nicht akzeptabler Verstoß gegen das Prinzip der Gleichberechtigung. Inzwischen gibt es Regelungen, dass sie symbolisch einen kleinen Teil der Verpflichtung erfüllen müssen – die oft kritisierte Praxis wurde somit nach Beanstandung durch Gerichte vom Parlament in Gesetzen festgesetzt. Eine andere Möglichkeit den Militärdienst zu umgehen ist Ausmusterung aufgrund psychischer Krankheit – dies wird geduldeter weise von einigen Rekruten ausgenutzt, indem sie sich zum Beispiel eine Selbstmordgefährdung durch den Wehrdienst bescheinigen lassen. Von der arabischen Minderheit (20% der Bevölkerung) muss nur die kleine Gruppe der Drusen einen Wehrdienst leisten; Beduinen haben die Möglichkeit freiwillig zu dienen, doch andere arabische Israelis will man in der Armee gar nicht erst. Nimmt man Personen hinzu die aus gesundheitlichen Gründen den Wehrdienst nicht vollständig absolvieren, so leisten fast 50 Prozent der israelischen Männer keinen oder zumindest nicht den vollen dreijährigen Militärdienst (Haaretz vom 1.7.2001). Trotzdem werden Gewissensgründe nicht akzeptiert. Dies ist auch ein Verstoß gegen Internationales Recht, wie Teile des 1993 von Israel ratifizierten „International Covenant on Civil and Political Rights“. Wichtig ist dabei auch der Punkt, dass die israelischen Gewissensverweigerer ohne ein Gerichtsverfahren durch Offiziere verurteilt und daraufhin inhaftiert werden.

Jonathan Ben-Artzi hat versucht vor Gerichten und in der Öffentlichkeit auf sein Anliegen aufmerksam zu machen und dabei Haftstrafen in Kauf genommen. „Er wollte einen Dialog in der Gesellschaft provozieren, doch beim Militär stieß er auf geschlossene Türen und taube Ohren,“ erklärte seine Schwester. „Gerade in Zeiten wie dieser, in denen Israel mit schweren politischen und militärischen Entscheidungen konfrontiert ist, ist es wichtig für Bürger von Israel und Unterstützer von Außen die Debatte zu fördern, Politik in Frage zu stellen und Pluralismus zu fördern. Dies sind die Bausteine einer Gesellschaft in der wir alle leben wollen: Nicht einer die blind Befehlen folgt, nie Machthaber und Gesetze in Frage stellt; sondern einer die sich entwickeln kann und Selbstkritik auszuüben weis.“ Einen kleinen Erfolg hatte Jonathan hierbei, denn mehrere israelische Zeitungen haben über seinen Fall berichtet.

Anmerkungen

Der Autor hat bis vor kurzem anstelle eines Zivildienstes 18 Monate in Jerusalem mit Behinderten und Shoah-Überlebenden gearbeitet.

http://www.laehnemann.de/israel