Dieser Text gibt einen kurzen Überblick über einige grundlegende Ansätze der feministischen Naturwissenschaftskritik. Er ist aber mehr als Hinweis zum Weiterlesen, als Hinweis auf interessante Literatur, gedacht und ist keine detailierte Darstellung. Die hier genannte Literatur ist an vielen Stellen in die Texte dieser Zeitung eingeflossen. Und die Texte bildeten für uns den Ausgangspunkt und die Grundlage der Diskussion in den Arbeitskreisen aus denen dieses Zeitungsprojekt resultiert.
Die wichtigsten grundlegenden Ansätze, die in der feministischen Naturwissenschaftskritik zum Tragen kommen, lassen sich an Hand der Texte von fünf Autorinnen Carolyn Merchant, Luce Irigaray, Evelyn-Fox Keller, Elvira Scheich und Donna Haraway darstellen.
Carolyn Merchant zeigt in ‚Der Tod der Natur‘ anhand der sexuellen Metaphern, die in der Beschreibung der Natur und in den Naturwissenschaften zu finden sind, auf wie, die Natur mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaft und parallel zu anderen gesellschaftlichen Entwicklungen (Abwertung der Position von Frauen/ Frühkapitalismus / u.a.) die Reduktion der Natur zum Objekt der Naturwissenschaften betreibt, und wie, dies, aufgrund der Gleichsetzung von Frau und Natur, mit der Übertragung patriarchal geprägter männlicher Vorstellungen von Heterosexualität auf den Erkenntnisprozess zusammenhängt. Das Buch ist sehr Quellenreich und gleichzeitig leicht zu lesen.
Luce Irigaray ist eine feministische Theoretikerin und Psychoanlytikerin. Ihre Kritik wendet sich nicht primär auf die Naturwissenschaften sondern gegen die erkenntnistheoretischen Grundlagen unseres Denkens. Ausgehend von einer Platon-, Freud- und Lacan-Kritik führt sie in ihrem Buch ‚Speculum‘ und in der Textsammlung ‚Das Geschlecht das nicht eins ist‘ mit einer radikalisierten literarischen Praxis aus, welche impliziten geschlechtsspezifischen Setzungen dem Denken in der Moderne unbewußt zu Grunde liegen. Sie läßt dabei durch eine zugespitzte Zitierweise die Originaltexte (Platon, Lacan, Freud) selbst sprechen.
Evelyn-Fox Keller führt, mit dem psychoanalytischen Ansatz der Objektbeziehungstheorie, die assoziative Gleichsetzung der kognitiven Haltung der Objektivierung mit dem Männlichen, auf die frühkindliche Subjektentwicklung zurück. Die Subjektkonstitution des männlichen Kleinkindes erfolgt durch Ausgrenzung, durch die Reduktion von Frau und Natur auf Objekthaftigkeit. Sie zeigt auf wie, sich dies in die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert einschreibt und bis heute fortwirkt. Als Alternative fordert sie die klaren Grenzziehungen zwischen dem forschenden Subjekt und den Objekten aufzugeben. Einen Anknüpfungspunkt bietet für sie die alchemistische Naturwissenschaft. Dies alles beschreibt sie in ihren frühen Texten im Buch ‚Liebe, Macht und Erkenntnis‘, in neueren Texten ist sie leider in einen konvetionellen Wissenschaftsduktus zurückgefallen.
Elvira Scheich weist auf, wie die Struktur des Geschlechterverhältnisses, insbesondere der Trennung von Reproduktion und Produktion, in die Naturwissenschaften eingelassen ist, und zeigt in diesem Zusammenhang, wie Logiken von einem Bereich der Gesellschaft in andere übetragen werden (z.B. Warentauschlogiken in die Physik). Ausführlich dargestellt hat sie dies in ihrer Dissertation Naturbeherrschung und Weiblichkeit.
Donna Haraway geht von dem Verständnis aus, naturwissenschaftliche Texte als Erzählungen zu begreifen, die ebenso wie andere Erzählungen eine Wahrheit konstruieren. Auf der einen Seite geht es ihr darum, die in die Erzählung eingeflossenen patriarchalen oder sonstigen Stereotype aufzuzeigen, und auf der anderen Seite, will sie den Überschuß der ihrer Meinung nach in diesen Erzählungen steckt gegen die bestehenden strukturellen Machtverhältnisse wenden. Sie geht dabei als Marxistin davon aus, daß die Produktivkräfte (also in ihrem Fall die Naturwissenschaften, insbesondere die Genetik und Informationstechnologie) einen Überschuß enthalten, der letztendlich zum Sprengen der gesellschaftlichen Verhältnisse verwandt werden kann. Sie spricht sich deshalb für die Cyborgisierung der Gesellschaft aus, da sie hofft, daß die enstehenden Mischwesen, Monstren, Chimären das humanistische männliche Subjektkonzept unterminieren. Grundlegende Texte von ihr in diesem Sinn sind ‚Das Manifest für Cyborgs‘ und der Text ‚Anspruchsloser Zeuge@ Zweites Jahrtausend. FrauMannc trifft OncoMausä‘ .
Die hier genannten fünf Autorinnen ließen sich durch eine große Zahl weiterer Autorinnen ergänzen, die in vielen einzelnen Fachgebieten der Naturwissenschaften Detailkritiken formuliert haben. Falls Ihr hier weiteres wissen wollt empfehle ich als Einstieg zwei ältere Zeitschriftenveröffentlichungen zum Thema und zwar die beiträge zur feministischen theorie und praxis Band 12 ‚Alltag Technik Magie‚ und die Feministischen Studien 1/1985 Naturwissenschaftlerinnen Einmischung statt Ausgrenzung.
Aktuelle Informationen könnt Ihr immer in der Zeitschrift KORYPHÄE, in der Schriftenreihe von NUT (Frauen in Naturwissenschaft und Technik in Berlin) oder über die Sammelbände der Beiträge der jährlich stattfindenden Konferenzen für Frauen in Naturwissenschaft und Technik FINUT bekommen. Auch in der Zeitschrift Forum Wissenschaft des Bundes demokratischer WissenschaftlerInnen finden sich sporadisch interessante Hinweise und Artikel. In Deutschland hat auch Elvira Scheich eine Reihe interessanter Bücher mit Beiträgen unterschiedlicher AutorInnen publiziert.
Literatur
Carolyn Merchant - Der Tod der Natur - München 1987
Luce Irigaray - Das Geschlecht das nicht eins ist - Berlin 1979
Evelyn Fox Keller - Liebe Macht und Erkenntnis - Berlin 2001 (Neuauflage Argumentverlag)
Elvira Scheich - Naturbeherrschung und Weiblichkeit - Frankfurt 1989 - Dissertation
Donna Haraway - Anspruchsloser Zeuge@ Zweites Jahrtausend. FrauMannc trifft OncoMausTM - in: HG. Elvira Scheich - Vermittelte Weiblichkeit: Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie - Hamburg 1996
Weitere Literaturhinweise:
beiträge zur feministischen theorie und praxis Band 12 Alltag Technik Magie - Köln 1984
Feministische Studien 1/1985 Naturwissenschaftlerinnen Einmischung statt Ausgrenzung - HG. Christine Woesler de Panafieu - Weinheim 1985
HG. Barbara Orland/Elvira Scheich - Das Geschlecht der Natur - Frankfurt a.M. 1995
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