Die Ausgangsbedingungen für den wendländischen Widerstand gegen den Castor sind nicht einfach. Umso erstaunlicher, wie die Menschen in der Region, unterstützt von FreundInnen aus Nah und Fern, den Kampf gegen den wachsenden Atommüllberg weiterführen. Wenn ab dem 9. November die heiße Phase des Widerstandes mit der Auftaktdemo in Gorleben beginnt, wird es im Wendland auf jede und jeden ankommen. Auch auf die LeserInnen der Graswurzelrevolution.
Es ist nicht neu, dass das Atommüllproblem ungelöst ist. Es ist nicht neu, dass der Atomkonsens keinen Ausstieg bringt. Es ist nicht neu, das der Castor-Transport nach Gorleben ein Symbol für den Streit um die Atomkraft ist. Und es ist nicht neu, dass der Widerstand im Wendland weiter notwendig ist. All dies ist altbekannt, in Zeiten, in denen nicht nur bei Konsumgütern nur noch Neuigkeiten zählen, sondern auch in Protestbewegungen Stetigkeit und langer Atem nicht zu den Haupttugenden zählen, hat es die Anti-Atom-Bewegung nicht leicht, an die Erfolge vom Ende der 90er Jahre anzuknüpfen.
Umso erstaunlicher, was im März 2001 gelang: Zum ersten Mal musste ein Castor-Transport auf der Strecke zwischen Lüneburg und Dannenberg den Rückwärtsgang einlegen. Die „Fünf von Süschendorf“ waren erst nach 16 Stunden aus dem Betonblock zu lösen, Und auch am Rest der Strecke war eine Menge los: Große Blockadeaktionen bei Wendisch Evern, 12.000 Menschen in Dannenberg kurz vor dem Verladekran, große und kleine Aktionen in der ganzen Region (vgl. GWR 258, April 01; und GWR 259, Mai 01).
Dann kam der 11. September und beim nächsten Transport im November 2001 war alles ungleich schwieriger: Das Medieninteresse erlahmte, viele demonstrierten in der Zeit gegen den Afghanistan-Krieg und für einige gut geplante Aktionen fehlte des letzte Quäntchen Glück. Die Umsetzung scheiterte. Trotzdem waren wieder Tausende im Wendland aktiv, in Hitzacker blockierten 1.000 Leute die Schienen, der Straßentransport wurde durch eine zwölfstündige Blockade bei Laase an der Abfahrt gehindert (vgl. GWR 264, Dez. 2001). Viele waren unterwegs und kamen nicht bis zur Strecke, weil die Polizei im Schatten der weltpolitischen Ereignisse härter durchgreifen konnte.
Inzwischen ist ein Jahr vergangen und jetzt geht es wieder los: In der Woche ab dem 11. November soll der nächste Castor-Transport aus der französischen Plutoniumfabrik La Hague nach Gorleben rollen. Diesmal die gigantische Zahl von zwölf (!) Behältern, also mehr als doppelt so viel radioaktives Inventar, wie in Tschernobyl freigesetzt wurde. Bundes- und Landesregierung denken wohl, im Dutzend sei der Castor billiger, aber das sehen viele Menschen, nicht nur im Wendland, deutlich anders.
Trotz oder wegen weiterer vier Jahre rot-grün: Der Atomausstieg kommt nicht voran. Das Fiasko rund um die Kanzlerzusage zum Weiterbetrieb des Methusalem-Reaktors in Obrigheim machte dies nur mal wieder einer breiteren Öffentlichkeit deutlich. Nach den ersten vier Jahren sogenannter Atomausstiegspolitik sind noch alle AKWs am Netz, nach acht Jahren werden es noch immer 94% der Atomstromkapazitäten sein. Lediglich die beiden kleinsten Reaktoren in Obrigheim(wenn es denn wahr wird) und Stade gehen vom Netz, letzteres auch nur deshalb, weil er sich im liberalisierten Strommarkt nicht mehr rechnet.
Die schweren Störfälle in Philippsburg und Brunsbüttel haben daran erinnert: Der GAU kann jeden Tag passieren. Und der Atommüllberg wächst ins Unermessliche. Weiterhin werden hochradioaktive Abfälle quer durch die Ballungsräume Mitteleuropas gekarrt. Nicht erst daas Zugunglück von Bad Münder hat gezeigt, wie unvorbereitet und hilflos Bahn und Feuerwehren bei Unfällen mit Gefahrgut sind.
Dabei wird immer deutlicher, dass die Castoren nicht so unfallsicher sind, wie behauptet wird. Falsche Berechnungen, ausbleibende Falltests und fehlende Stoßdämpfer lassen das Vertrauen in diese Technologie nicht wachsen. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat jetzt die Auflage erteilt, dass Castoren im Zwischenlager nur noch 25 Zentimeter angehoben werden dürfen, weil ein Sturz aus größerer Höhe die Behälter zerstören könnte.
Die Aufprallgeschwindigkeit bei 25 cm beträgt etwa 4 km/h, die Züge mit den Castor-Behältern fahren aber weiter mit Tempo 100 durch die Gegend. Vielleicht sollte mensch es entlang der Strecken so machen wie in der Gorlebener Castor-Halle. Wenn dort ein Behälter höher als 25 cm angehoben werden muss, dann werden Holzstoßdämpfer drunter gelegt. Ähnliches könnte doch auch rechts und links der möglichen Castor-Routen geschehen. Passiert aber nicht, weil weiter nach dem Motto verfahren wird: „Es wird schon gut gehen.“
Es gäbe also genug Gründe, auf den Castor-Zwölferpack im November zu verzichten. Doch die Bundesregierung will das durchziehen, vor allem weil der Weiterbetrieb einer ganzen Reihe von AKWs immer noch davon abhängt, große Mengen Atommülls nach Frankreich und Großbritannien zu schaffen. Alleine in diesem Jahr sind 150 Transporte nach La Hague und Sellafield geplant. Ohne diesen Müllexport wären die Lagerkapazitäten an den Reaktoren schnell erschöpft. Der eine Transport nach Gorleben ist der Preis, den die Bundesregierung für dieses verantwortungslose Atommüllgeschäft zahlt.
Doch der Preis eines Castor-Transports ist höher. Denn er rollt auf Kosten der Bevölkerung an den Transportstrecken und im Wendland, ja selbst auf Kosten der eingesetzten PolizeibeamtInnen und auf Kosten der demokratischen Rechte in diesem Land.
Von Transport zu Transport wird ein immer breiterer Korridor längs der Castor-Strecke zum Ausnahmezustands-Gebiet.
Grundrechte gelten nicht mehr. Auch dies ist ein wichtiger Grund, warum wieder viele Menschen gegen den Transport demonstrieren werden: Der radioaktive Zerfall der Grundrechte muss gestoppt werden.
Denn selbst wer sich darüber bewusst ist, dass die „Rechtsordnung“ in diesem Land viele Mängel hat und oft nur dazu dient, Herrschaft zu ermöglichen, sollte darum kämpfen, noch vorhandene Freiheiten zu erhalten.
Viele, die schon einmal im Wendland waren, wissen, dass es durch die rigiden Polizeimaßnahmen nicht einfacher geworden ist, überhaupt noch Protest öffentlich äußern zu können. Für manche war die Erfahrung frustrierend. Andere haben es mit pfiffigen Aktionen immer wieder geschafft, Sand im Getriebe zu sein und die wichtigen Anliegen deutlich zu machen.
Letztendlich ist der Hauptgrund Widerstand zu leisten nicht, wie lange z.B. der Castor-Transport aufgehalten wird, auch wenn sich natürlich viele über jeden gelungenen Protest freuen.
Wichtiger ist: Die Menschen im Wendland und ihre FreundInnen aus Nah und Fern demonstrieren und blockieren gerade deshalb immer aufs Neue, weil sich an der verantwortungslosen Atompolitik eben nichts geändert hat. Noch immer gibt es kein Endlager für den Atommüll, noch immer sind weder das Zwischenlager in Gorleben noch die Castor-Behälter sicher. Noch immer dient das Hin- und Herkutschieren von Atommüll als Blankoscheck zum Weiterbetrieb gemeingefährlicher Reaktoren.
Ein Zitat aus dem Mitgliederrundbrief der BI Lüchow-Dannenberg
„Als wir Anfang des Jahres 25 Jahre Gorleben-Widerstand gefeiert haben, ist vor allem aufgefallen, wie ungebrochen groß – trotz aller Rückschläge – die Bereitschaft in der Region ist, sich auch zukünftig zur Wehr zu setzen. Die Motivation vieler rührt eben nicht in erster Linie von der Möglichkeit kurzfristigen Erfolges, sondern daher, dass uns angesichts der Gefahren und der organisierten Verantwortungslosigkeit bei Atomindustrie und staatlicher Atompolitik gar nichts anderes übrig bleibt, als weiter zu kämpfen, wollen wir nicht vor uns selbst und unseren Kindern das Gesicht verlieren. In den 25 Jahren Streit um Gorleben gab es oftmals ein heimliches Motto, das zwar nicht auf Plakate und Transparente geschrieben wurde, trotzdem aber Ausdruck der Stimmung in der Region war: Wir haben keine Chance – also nutzen wir sie!
Das Schöne daran: Wir haben oft genug erfahren, dass wir gerade dann die erstaunlichsten Erfolge erzielen konnten, wenn wir selbst in aussichtloser Situation drangeblieben sind. Was uns nämlich keiner nehmen kann und was vielleicht am Ende als die entscheidende Stärke des wendländischen Widertandes gelten wird, das ist der lange Atem. Schon öfter in den letzten 25 Jahren – so auch im letzten November – wurde von den Medien eine ‚bröckelnde Bewegung‘ beschrieben. Umso größer ist dann bei den gleichen JournalistInnen die Überraschung, wenn sie einige Zeit später feststellen: ‚Die sind ja immer noch da.‘
Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft für den Herbst: Wir sind noch immer da, wir geben nicht klein bei. Dass die Mächtigen versuchen, auf unserem Rücken ihre Pläne durchzusetzen, ist nichts, was uns wundert oder zur Resignation treibt. Wir haben es leider schon lange zur Kenntnis nehmen müssen. Aber es geht in Gorleben um mehr: Wir können die Gefahren nicht verdrängen. Dazu leben wir einfach zu dicht dran. Deshalb haben wir unseren eigenen Maßstab für Erfolg und Misserfolg: Jeden Tag, an dem die unbeschreibbare Katastrophe nicht geschehen ist, haben wir noch die Möglichkeit, sie abzuwenden. So lange wir noch Kraft zum Kämpfen haben und so lange junge Leute nachwachsen, die mit ihrer großen Lebenslust den Widerstand bereichern, gibt es keinen einzigen Grund, sich zur Ruhe zu setzen. Laut und deutlich immer wieder NEIN zu sagen, in Worten und Taten, das ist das Mindeste, was wir für die kommenden Generationen tun können.“ Zitat Ende.
Das ist auch meiner Ansicht nach das Besondere und vor allem auch das Unterstützenswerte am wendländischen Widerstand: Dort, wo alle anderen längst resigniert hätten, kämpfen diese Menschen weiter, ohne Unterstützung aus Parteien, Justiz, Massenmedien und vielen relevanten gesellschaftlichen Gruppen. Und das ist mein Appell an die Leserinnen und Leser der Graswurzelrevolution: Wenn Ihr es irgend einrichten könnt, dann macht Euch auf den weg ins Wendland, zur großen Demonstration am 9.11. und/oder zu den Aktionen, die am Tag nach der Demo beginnen.
Widerstands-Zeitplan
Donnerstag, 7. November
17 Uhr: Camp-Eröffnung in Rehbeck
Freitag, 8. November
9.30 Uhr: "Wir tanzen uns warm" SchülerInnen-Demo ab Schule Lüchow zur Polizeikaserne
20 Uhr: Warm-up-Party "Möhringhof" Groß Gusborn mit der Musikgruppe "Meiselgeier"
Samstag 9. November
12 Uhr: Treffpunkte für die Auftaktdemo in Gedelitz und Gorleben
13 Uhr: "Castor im 12er-Pack! Jetzt schlägts 13!" Auftaktkundgebung an der Endlagerbaustelle Gorleben
Sonntag, 10. November
9 Uhr: Camp Rehbeck: Treffpunkt zur Vorbereitung der "X-tausendmal quer"-Demonstration für Demonstrationsfreiheit, die am Mittag von Siemen nach Klein Gusborn auf der Transportstrecke führen soll
12 Uhr: Eröffnung "Das Wendland wird ver-rückt!" Dörferneugründungen entlang der Transportstrecke
Montag, 11. November
13.13 Uhr: "Castor Alaaf und Helau - De Zoch kütt?" Umzug vom Marktplatz Dannenberg zum Castor-Verladebahnhof
Alle Menschen sind unter dem Motto "WiderSetzen" zum Kaffeetrinken bei BürgerInnen in Hitzacker eingeladen, sobald der Castor-Zug Lüneburg erreicht hat.
18 Uhr: Kundgebung zum Stand der Dinge, Marktplatz Dannenberg
20 Uhr: Kundgebung zum Stand der Dinge, Hitzacker, Freiherr-von-dem-Bussche-Platz
Dienstag 12.11. und Mittwoch 13.11.
Jeweils 18 Uhr: Kundgebung zum Stand der Dinge, Marktplatz Dannenberg
Am Tag des Straßentransports:
"X-tausendmal quer"-Blockade auf der Straßenstrecke
Übernachtungsmöglichkeiten:
Lüneburg Clamartpark
Göhrde "Region Aktiv": Tür und Tor offen für den Widerstand. Anmeldung unter 05862-985991
Hitzacker
Rehbeck (nördl. von Lüchow): großes Camp von BI und "X-tausendmal quer"
Infos im Internet
www.castor.de
www.bi-luechow-dannenberg.de
www.x1000malquer.de
www.baeuerliche-notgemeinschaft.de
www.indymedia.de
Wichtig: Tragt Euch auf der Internetseite von X-tausendmal quer oder der BI in die SMS-Verteiler ein, wenn Ihr immer aktuell informiert werden wollt.
Infotelefone
"X-tausendmal quer"
0431-2108821
BI Lüchow-Dannenberg
0511-900-1250666
Göhrde
05862-985991
Ermittlungsausschuss (EA)
05841-979430
Aktionen im Raum Lüneburg
Lüneburg wird diesmal ein Aktionsschwerpunkt sein. Infos dazu beim Infotelefon 04131-48599 und unter www.ligatomanlagen.de
Aktionen im Süden
Im Süden gibt es diesmal ein dezentrales Streckenkonzept. Näheres beim Info-Telefon: 07141 / 90 33 63 und unter www.i-st.net/~buendnis/
Auch wer nicht ins Wendland fahren kann, hat die Möglichkeit, sich von zu Hause aus an verschiedenen Aktivitäten zu beteiligen, z.B. am Alarmnetz Grund- und Menschenrechte, mit dem wir den Protest gegen schwerwiegende Grundrechtsverletzungen im Wendland organisieren wollen. Konkrete Infos dazu www.x1000malquer.de oder www.castor.de
Spenden
Eine wichtige Form der Unterstützung ist die Finanzielle. Gerade jetzt im Vorfeld der Aktionen fallen immense Kosten für die Öffentlichkeitsarbeit und Vorbereitung an.
X-tausendmal quer
Kontonr. 24 422 803
Volksbank Clenze
BLZ 258 619 90
BI Lüchow-Dannenberg
Kontonr. 2060 721
Kreissparkasse Lüchow
BLZ 258 513 35