antimilitarismus

Was heißt das real?

Libertäre Anfragen zur pazifistischen Politikberatung

| William Wright

In der Graswurzelrevolution Nr. 272 (Oktober 2002, S. 1f.) hat Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen bei der pazifistischen Organisation „Versöhnungsbund“, eine Analyse zu den US-Interessen beim bevorstehenden Krieg gegen den Irak geliefert, denen ich weitgehend zustimmen kann. So scharfsichtig allerdings die Analyse, so problematisch finde ich einen Teil des von ihm vorgeschlagenen Lösungsweges, vor allem den Punkt 5 in seinem Artikel, „Möglichkeiten für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik“. So wenig ich übersehe, dass Ronnefeldt der Aufbau einer Antikriegsbewegung ebenso sehr am Herzen liegt, zeugt dieser Abschnitt doch vom Gegenteil, von einem tiefen Misstrauen darüber, dass eine solche Bewegung erstens möglich und zweitens effektiv wäre. Denn ohne dieses Misstrauen müsste sich Ronnefeldt nicht um „Schritte im Hinblick auf eine eigenständige Politik der Bundesregierung“ den Kopf zerbrechen. Wenn er wirklich auf die Kraft des Widerstandes setzen würde, wäre seine Politikberatung überflüssig. Sie würde sich als Reaktion des Staates auf eine Widerstandsbewegung ganz von selbst ergeben, und zwar ohne seine Anleitung von unten.

In den unterschiedlichen Positionen zu solch kurzfristigen Politikempfehlungen drückt sich der Unterschied zwischen libertär-gewaltfreien Strategien und einem pazifistischen Ansatz aus. Der Pazifismus meint, einen Krieg durch die Verhandlungen zwischen Staaten – durch Diplomatie – verhindern zu können und ruft angesichts der Kriegsgefahr auf zu einer Rückkehr der Politik (oder der Diplomatie). Wenn sich kein Gegenüber zu den USA finden lässt, kein politischer Akteur, kein Staat, mit Hilfe dessen die Diplomatie einen Krieg verhindern könnte, dann muss eben einer stark gemacht werden, im Falle Ronnefeldts ist das leider der deutsche Staat, der dann als „eigenständige“ Macht den Kriegsbestrebungen der USA entgegen treten soll. Der Anarchismus interpretiert demgegenüber den Krieg als Fortsetzung staatlich-diplomatischer Politik mit anderen Mitteln. Wer Krieg bekämpfen will, muss deshalb zunächst den Staat schwächen, jeden Staat, und ihn möglichst ganz abschaffen wollen. Es kommt den Libertären nicht in den Sinn, gegen die Kriegsdrohung eines Staates einen anderen Staat so stark machen zu wollen, dass er auf gleicher Augenhöhe ficht. Aus libertärer Sicht würde das die allgemeine Kriegsgefahr nur erhöhen. Aus libertärer Sicht sollte daher bei den Vorschlägen pazifistischer Politikberatung immer gefragt werden: was heißt das real?

So zum Beispiel bei Politikberatungspunkt c) in Ronnefeldts Strategievorschlag: da wird die Bundesregierung dazu aufgefordert, den USA die „Überflugsrechte durch den deutschen Luftraum für US-Angriffsflüge sowie jegliche Nutzung von Infrastruktur“ (S. 2, 3. Spalte) zu verweigern. Was heißt das real? Das heißt zunächst einmal, dass es eine akute Kriegsgefahr zwischen der BRD und den USA gäbe, nichts anderes! Gerade Ronnefeldt weiß doch, dass die US-Flughäfen und die militärische Infrastruktur der US-Armee in der BRD so entscheidend für die Kriegsführung der USA im Nahen Osten sind, dass ihre Nichtverfügbarkeit die USA kriegsführungsunfähig machen würde. Natürlich würde sich die USA im Ernstfall um die deutsche Verweigerung der Nutzungsrechte nicht scheren und trotzdem alle US-Einrichtungen nutzen. Wenn die BRD also ihr Verbot durchsetzen wollte – und um diese Effizienz geht es ja Ronnefeldt, nicht um ein folgenloses, symbolisches Nein -, dann müsste die BRD militärisch so stark sein, dass sie solch ein Verbot auch durchsetzen könnte. Was hier perspektivisch gefordert wird, ist daher eine Militärweltmacht BRD, die den USA gleichwertig gegenüber steht: in meinen Augen eine Horrorvision! Solch ein Vorschlag würde über Jahrzehnte hinweg jede Rüstungsanstrengung der BRD, jeden Rüstungshaushalt, den Ausbau der Geheimdienste, die Umwandlung der Bundeswehr in eine flexible Interventionsarmee usw. usf. rechtfertigen. Das heißt dieser Vorschlag real! Und das Ergebnis wäre nicht die Verringerung, sondern die Steigerung der Kriegsgefahr, und zwar dieser beiden hochgerüsteten Konkurrenten, und mit der Gefahr eines Weltkrieges, der von beiden Staaten herauf beschworen werden könnte.

Weiter schreibt Ronnefeldt: „Weil sich die US-Regierung selbst in eine Sackgasse manövriert hat, könnte Deutschland als stärkste europäische Macht im Rahmen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und in Abstimmung mit dem UN-Generalsekretär den Dialog zwischen Irak und den USA wieder in Gang setzen.“

Was heißt das real? Hier wird versucht, mit der Tatsache, dass die BRD die „stärkste europäische Macht“ ist, pazifistische Politik zu machen. Voraussetzung dieser Politik ist aber tatsächlich diese Stärke – und dass diese Stärke bestehen bleibt. Damit wird implizit die ökonomische Macht BRD genauso legitimiert wie dessen Anstrengung, endlich einen ihrer ökonomischen Macht entsprechenden militärischen Part spielen zu dürfen. Aus libertärer Sicht ginge es dagegen gerade darum, die BRD zu schwächen, auf ökonomischer, politischer und militärischer Ebene. Libertäre Aufgabe wäre es, darauf hinzuweisen, dass die BRD selbst ökonomische Interessen im Irak hat, die sie immer mehr bereit ist, auch in Konkurrenz zur USA wahrzunehmen.

Als Friedensbewegung ist es nicht unsere Aufgabe, mit staatlicher Politik, auf die wir sowieso keinen Einfluss haben, Weltmacht zu spielen. Es ist unsere Aufgabe, staatliche Politik zu schwächen, auf allen Seiten, wo wir nur können. Ein geschwächter Staat ist verminderte Kriegsgefahr. Ein starker Staat BRD vermindert vielleicht aus Konkurrenzgründen die akute Irak-Kriegsgefahr, beschwört aber gleichzeitig neue, noch schlimmere Kriegsgefahren herauf, an denen früher oder später auch dieser starke Staat BRD beteiligt sein wird. Es führt nichts daran vorbei, dass die einzig wirkliche Hoffnung auf Verhinderung von Krieg im Aufbau einer transnationalen Antikriegsbewegung liegt. Natürlich wäre es schön, wenn die USA ihre Flughäfen und ihre militärische Infrastruktur in der BRD nicht benutzen könnten. Dazu müssen wir sie aber schon selbst besetzen und nicht einen starken deutschen Staat damit beauftragen.

Strategisch müsste es einer US-amerikanischen Antikriegsbewegung in transnationalem Austausch mit einer bundesweiten Antikriegsbewegung gelingen, die militärische Infrastruktur auf beiden Seiten des Atlantiks zu behindern und durch Blockaden und Besetzungen von Flughäfen und Truppenaufmarschplätzen den aktuellen Krieg zu verunmöglichen. Natürlich ist das ein Traum – Ansätze dazu gab es allerdings 1991 vor und während des damaligen Golfkrieges. Als die US-Truppen damals zum Golf verlegt wurden, haben einige gewaltfreie Aktionsgruppen die Ausfahrt von US-Panzern zu Häfen und Flughäfen blockiert, mit dem Slogan: „Ami bleib hier!“ Damals waren wir eine kleine Minderheit, heute sind wir leider eine vielleicht noch kleinere Minderheit – aber die plötzliche Massenbewegung 1991 hat dazu geführt, dass die BRD damals ihre via Türkei vorgesehene Beteiligung an den Bombenflügen noch nicht umgesetzt hat. Was damals war, kann wieder werden – wenn wir nicht durch Politikberatung auf die deutsche Regierung vertrauen oder den starken deutschen Staat fordern! Unter diesem libertären Vorbehalt bin ich mit Ronnefeldts Vorschlag einer Selbstverpflichtungskampagne zum Widerstand wiederum völlig einverstanden.