Als der große, billige Koffer gepackt war, den zwei Kollegen/innen der „Teilfamilie“ nachbringen werden, wenn sie sie denn erreichen….., liegt obenauf eine Fanmütze von Borussia Dortmund. Uns, die wir beim Kofferpacken geholfen haben, führt diese Mütze noch einmal unmissverständlich vor Augen: Auch ein kleiner Fußballfan ist vor Abschiebung nicht sicher. Was war passiert? Ausländerrechtlich ein so genannter Normalfall:
Vor wenigen Tagen
Eine binationale Familie, die Mutter aus Serbien, der Vater aus Mazedonien stammend, zwei Töchter und der elfjährige – in Deutschland geborene – Junge sind, wie es im Amtsdeutsch heißt: ausreisepflichtig. Der zuständigen Ausländerbehörde liegen Passersatzpapiere für die zwangsweise Abschiebung von Frau und Kindern nach Serbien vor. Für den Familienvater hat die Ausländerbehörde lediglich den lapidaren Hinweis parat, dass er mit seiner Familie Deutschland verlassen könne. Wohin, das sagt die Behörde wohlweislich nicht, denn: Die Mazedonische Botschaft hat dem Mann schriftlich bestätigt, dass er die Mazedonische Staatsangehörigkeit nicht besitzt; ein Mazedonischer Pass ist somit für ihn nicht zu bekommen. Ob er die jugoslawische Staatsangehörigkeit besitzt oder dort zumindest ein Aufenthaltsrecht erhalten könnte, ist unklar. Auf diese Möglichkeit ist er von der Ausländerbehörde weder hingewiesen worden, noch hat sie ihn mit den dafür notwendigen Papieren ausgestattet. Ohne Pass ist aber nicht einmal eine „freiwillige Ausreise“ möglich. Eine Frist von nur einer Woche wird von der Behörde eingeräumt, um die gemeinsame Abschiebung zu ermöglichen. Die Familie habe ja bereits seit Jahren gewusst, dass sie nicht in Deutschland bleiben könne, betonen Ausländerbehörde und Innenministerium NRW unisono. „Sie hätten sich halt kümmern müssen!“ so die gleichgültige Erklärung. Ausländerrechtlich ist das Alltag im Bundesgebiet. Daran wird auch das zu Unrecht gepriesene Zuwanderungsgesetz nichts ändern.
Vorgestern
Der Vater steht abwesend daneben, als der Koffer für seine Frau und seine drei Kinder gepackt wird, um ihnen wenigstens warme Kleidung, Shampoo, Seife und Schokolade nachschicken zu können. Wir können den Mann nicht trösten, der hier in einer nordrhein-westfälischen Stadt in einer Flüchtlingsberatungsstelle steht und sich um seine Familie sorgt. Diese ist ohne ihn vor wenigen Tagen nach Belgrad abgeschoben worden.
Im bevorstehenden Winter, eine Frau allein mit drei minderjährigen Kindern und Belgrad ist noch über vierhundert Kilometer entfernt von ihrem Herkunftsort in Südserbien. Werden sie ihn erreichen? Die besorgte Beraterin bittet das Innenministerium telefonisch um Hilfe.
Die dortige Auskunft gehört in Grimms Märchenbuch: Selbstverständlich würden die Serben in Belgrad sich um die Frau und die drei Kinder kümmern, das sei im Rückübernahmeabkommen so festgelegt. Unabhängige Berichte zeigen eine andere Realität: Es ist schon glimpflich für die Zurückkehrenden abgelaufen, wenn sie nicht Schikanen, Verhören oder ähnlichem ausgesetzt waren. Hilfe gibt es in keinem Fall.
Aus Sorge um die Sicherheit der Teilfamilie und um diesen Skandal zu dokumentieren bereiten die Beraterin und ein Vorstandsmitglied der Flüchtlingsorganisation in aller Eile die Fahrt nach Serbien vor. Währenddessen findet ein paar Städte weiter ein Lehrstück für den Umgang des Ordnungsrechtes zur Disziplinierung von Flüchtlingen statt. Auch hier sind es Roma, deren Rechte massiv beschnitten werden. Die seit April diesen Jahres bundesweit für ein Bleiberecht demonstrierende Romakarawane will den Parteitag der Grünen in Bremen zum Anlass nehmen, ihrer Bleiberechtsforderung Nachdruck zu verleihen. Seit Wochen kampieren und demonstrieren über 500 Roma deshalb in Düsseldorf. Ihr Demonstrationsweg führte sie von Essen über Bremen nach Berlin und über Münster und Köln nach Düsseldorf. Die erneute Demonstration in Bremen ist nun plötzlich nicht möglich: Eine Verletzung der Residenzpflicht drohe und deshalb darf die Demonstration zunächst die bereits organisierten Busse nicht benutzen, später darf sie mit den Bussen nicht weiter als bis Essen fahren, der Grenze des Regierungsbezirks Düsseldorf. Die Polizei legitimiert die Unterdrückung und Verletzung des Demonstrationsrechtes durch die „Verhinderung einer Straftat“. Bei der Straftat handelt es sich um eine Verletzung der Residenzpflicht. Diese Residenzpflicht ist eine in der EU einmalige Vorschrift für Flüchtlinge; ohne Erlaubnis darf ein festgelegter Bezirk nicht verlassen werden (zum Thema „Residenzpflicht“ siehe auch: GWR 271). Dieser kann das Stadtgebiet, der Regierungsbezirk oder das Bundesland sein. Zuwiderhandlungen, so das Amtsdeutsch, werden beim ersten Mal als Ordnungswidrigkeit und im Wiederholungsfall tatsächlich als Straftat gewertet!
Heute
Die Roma sind nicht bis Bremen gekommen, ihre Proteste in Düsseldorf gehen weiter – ein Bleiberecht ist nach wie vor in weiter Ferne. Innenministerium, Staatskanzlei – allen voran Staatssekretär Riotte betonen: Die Roma werden in ganz Osteuropa zwar diskriminiert, aber sie werden nicht verfolgt und müssen daher zurückkehren. So noch am 19.10. um 12:20 Uhr im WDR 5 „Hallo Ü-Wagen“. Und da diese Meinung auch durch das rot/grüne Landesparlament nicht korrigiert wird, sind unsere beiden Kolleg/innen jetzt in Belgrad und werden sich „vor Ort“ – wie viele andere Nichtregierungsorganisationen auch – einen deprimierenden Eindruck über die Lebensbedingungen der dort wohnenden Roma verschaffen. Später werden sie sich in den Süden Serbiens aufmachen, um die abgeschobene „Romateilfamilie“ in Bujanovac zu besuchen. Dort werden sie, wenn es gelingt, die wenigen Habseligkeiten in zwei Koffern, ja und auch die Borussenfankappe übergeben.
Nächste Woche
Die beiden Kolleg/innen aus der Flüchtlingsorganisation sind – hoffentlich wohlbehalten – zurückgekehrt. Der „Teilfamilie“ geht es ebenso schlecht wie dem bekümmerten Vater in Deutschland. Um dies zu wissen, müssen wir keine Propheten sein – ebenso wenig um vorauszusagen, dass die Situationsschilderung weder die Ausländerbehörde noch das Innenministerium NRW dazu veranlassen wird, der Rückreise und Wiedervereinigung der Familie nach Deutschland zuzustimmen. Vielmehr wird nichts unversucht bleiben, um auch den Vater und Ehemann endlich loszuwerden.
Das Volk der Roma braucht ein Europäisches Bleiberecht und keine nationale Abschiebungspolitik. Die auseinander gerissene Familie rettet das Warten darauf allerdings nicht. Doch vielleicht kann ein gemeinsames Eintreten für die Bleiberechtsregelung, wie sie PRO ASYL in diesem Monat der Öffentlichkeit vorgestellt hat, helfen. Für diese Familie ist sie eine kleine Chance, denn auch die Reformruine Zuwanderungsgesetz wird sie ihnen nicht geben.
Nachsatz
Roma sind zu Hunderttausenden Opfer des Holocaust geworden – der Versuch einer Wiedergutmachung d.h. politische Konsequenzen für die Nachkommen hat es für sie niemals gegeben.
Stellen wir uns einen Moment vor, es handele sich bei der Familie um Juden aus Osteuropa. Gleichgültig und ohne Gnade nach dem deutschen Ausländerrecht behandelt, werden sie in ein Land abgeschoben, das sie diskriminiert und ihnen elementare Grundrechte vorenthält. Zu Recht undenkbar!
Aber hier trifft es „nur“ Roma. „Zigeuner“, die in keinem Staat Europas wohl gelitten sind. Kaum jemand empört sich, wenn in diesen Tagen Tausende Roma vor der Abschiebung stehen. Politik und Verwaltung sind sich einig, dass diese Menschen nach Ex-Jugoslawien zurückzukehren haben. Und dass bei „unserer“ Romafamilie noch zusätzlich der grundgesetzlich im Artikel sechs garantierte Schutz von Ehe und Familie verletzt wird, ist vor diesem Hintergrund nicht einmal mehr erstaunlich.