Kaum ein Thema polarisiert die Diskussion in der 'deutschen Linken' so sehr wie Israel/Palästina nach Beginn der zweiten Intifada, verschärft nach dem 11. September 2001 und sich weiter verschärfend im Vorfeld des angekündigten Krieges gegen den Irak.
Wer will, kann darin eine Bestätigung für Carl Schmitts Bestimmung des Politischen sehen: die Scheidung zwischen Freund und Feind. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass mancher, der in der Diskussion in der ‚deutschen Linken‘ mit großer Intensität Feinderklärungen ausspricht, seinen Carl Schmitt drauf hat. Dass dies bisweilen im Aussprechen einer Fatwa ‚von links‘ gipfelt, markiert die doppelte Tücke des Objekts: Man gleicht sich so im Politikstil denen an, die als internationaler Hauptfeind angesehen werden (die Internationale der Feinde der Israels). Die Logik des Politischen, die der Erzkatholik Schmitt entwickelte, und zwar in ausdrücklicher Abgrenzung von der islamischen Welt, deckt sich vortrefflich mit der des Islamismus (und der seiner erklärten Feinde). Alles in allem eine terroristische Binärlogik, die nur ein entweder-oder zwischen Freund und Feind kennt und keine Alternative zum Terrorkrieg auch nur zu denken erlaubt.
Den flotten Erklärungen eines „Kampfes gegen die Antisemiten“, und zwar „in Deutschland, in den autonomen Palästinensergebieten, in Afghanistan wie auch im Irak“ (1), die es ermöglichen, sich als Teil einer (freilich sehr späten) antifaschistischen Kriegskoalition unter Führung der USA zu halluzinieren, kommen gewisse Aktivitäten und Kniffe der extremen Rechten in Deutschland entgegen. Die linken Bellizisten hätten Arundhati Roys Fehler, der Wochenzeitung Junge Freiheit ein Interview zu gewähren, nicht besser erfinden können. Immanuel Wallersteins ebenso bedauerliches Interview zum bevorstehenden Krieg gegen den Irak in dieser rechtsextremen Postille ist ihnen m.W. bisher entgangen. Das zweiteilige „Interview mit dem jüdischen Philosophen Noam Chomsky“, das die National Zeitung (NaZe) publizierte, wurde den linken Bellizisten übrigens erst zum Thema, nachdem es in der antimilitaristischen (Teil)Öffentlichkeit längst kritisiert worden war, nämlich gleich nach Erscheinen auf dem Münsteraner Kongress zum 30. Geburtstag der Graswurzelrevolution (vgl. auch GWR 271, S. 3).
Die Liste der Interviews deutet bereits darauf hin, dass die Publizistik der extremen Rechten gezielt linke Kritiker der Hypermacht USA und des Terrorkrieges für ihre Zwecke einspannt. Die völlig konträren Motive und Ziele, die den Kritiken Roys oder Wallersteins auf der einen, der Jungen Freiheit auf der anderen Seite zu Grunde liegen, bleiben dabei seitens der rechten Jungmannen diskurstaktisch bewusst weitgehend ausgespart (die linken Bellizisten, die sich in ihrem Furor gegen Roy dafür blind machten, arbeiten ungewollt dieser Diskurstaktik zu). Zunächst einmal geht es darum, politische Frontlinien (man verzeihe die militärische Metapher) zu verwischen und für die eigene Position grundsätzliche Legitimität zu erlangen, also überhaupt in der Diskussion mitzumischen, um dann, einmal akzeptiert, deutlicher völkisch-nationalistisch Flagge zeigen zu können.
Besonders leicht funktioniert dies beim noch stärker aufgeladenen Thema Israel/Palästina. Dies hat vier Gründe:
1. Im Kontext der völkisch-nationalistischen Publizistik arbeitet jede Kritik an der israelischen Besatzungspolitik, und sei sie noch so rational formuliert, der programmatischen Grundausrichtung des jeweiligen Blattes zu, da sie der entsprechend antisemitisch eingestellten Stamm-Leserschaft nur die neuesten ‚Belege‘ für das bietet, was diese ‚immer schon gewusst‘ hat über Israel und ‚die Juden‘.
2. Die antisemitisch grundierte Israel-Thematisierung der völkisch-nationalistischen Publizistik ist gut eingebettet in die Prozesse der „Normalisierung“ des neuen Deutschlands im hegemonialen Diskurs, die auch in der Berichterstattung der Mainstream-Medien über Israel und den Nahost-Konflikt negative Effekte zeitigen. (2)
3. Die deutsche Palästina-Solidaritäts-Szene ist zu weiten Teilen kaum sensibel für die antisemitische Erblast, die in ihrem seit Ende der 60er Jahre tradierten Antizionismus steckt. Antizionismus geht, das liegt in der Logik des Begriffes, weit über Zionismus-Kritik hinaus, und als die erklärte Verneinung („Anti-„) der jüdischen Nationalbewegung (Zionismus) stellt er die Grundlage des Staates Israel, sein Existenzrecht, in Frage.
(Wer Nationalismus und den Nationalstaat kritisieren will, findet dafür Objekte in dreistelliger Zahl, eines davon übrigens gleich vor der Haustür, und insofern ist die immense Energie, die in Deutschland diesbezüglich auf Israel und zumeist allein auf Israel gerichtet wird, sehr verdächtig.)
4. Passend dazu – und entgegen der offiziellen Anerkennung des Staates Israel durch die PLO – verschwimmen oder verschwinden gar bei Aktionen der hiesigen Palästina-Solidarität deutscher Linker und hier lebender Menschen aus dem arabischen bzw. muslimischen Raum die Unterschiede zu einschlägigen Parolen oder Aktionen der extremen Rechten. Dies zeigte sich insbesondere bei der Berliner Demonstration am 23. April 2002.
Auch die NaZe des DVU-Anführers Gerhard Frey, deren Machart keineswegs so verschnarcht ist wie gewöhnlich angenommen wird, macht sich dieses ideologische Durcheinander geschickt zunutze. Das jüngste (und wie man nur hoffen kann: letzte) Objekt und Opfer ihrer Interview-Strategie ist Rachel Giora. Giora ist Professorin für Linguistik an der Universität Tel Aviv, Mitherausgeberin der feministischen Zeitschrift Noga. A Feminist Magazine und aktiv in der israelischen Friedensbewegung. (3) Die NaZe kam auf Giora, da sie den Ende September im Guardian erschienenen Appell Urgent Warning: The Israeli Government May be Contem-plating Crimes Against Humanity“ unterzeichnete (siehe Dokumentation auf dieser Seite).
Im Internet kursieren zwei leicht voneinander abweichende Übersetzungen des Titels. Die treffendere und häufigere lautet: „Dringende Warnung: Die israelische Regierung könnte Verbrechen gegen die Menschheit erwägen“; in der abweichenden Übersetzung ist von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ die Rede. Im hegemonialen Diskurs hat sich als Übersetzung für jenen mit den Nürnberger Prozessen eingeführten neuen Straftatbestand crimes against humanity die eher verharmlosende Übersetzung „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ durchgesetzt; um so erstaunlicher, dass sich nun in den meisten deutschen Fassungen des israel-kritischen Appells die härtere findet.
Gerade jener Begriff des internationalen Rechts, der in Reaktion auf die Verbrechen der Nazis institutionalisiert wurde, begründet vermutlich die Attraktivität des Appells für die NaZe: Im Text des Appells bezeichnet der Begriff die Berufung der UnterzeichnerInnen auf einen Standard des Völkerrechts (und bezieht sich auf warnende Anzeichen, was die israelische Regierung zu tun versucht sein könnte). In der deutschen Öffentlichkeit und insbesondere in der NaZe wird dieser Verweis auf das internationale Recht überlagert von der Suggestion, dass nun Israel das tue (oder sich zu tun anschicke), wofür den Nazis in Nürnberg der Prozess gemacht wurde, was zudem in der NaZe und anderswo häufig als „Siegerjustiz“ (und damit Unrecht) interpretiert wird; für solche Projektionen deutscher Vergangenheit auf israelische Gegenwart gab es in den letzten Monaten etliche Beispiele.
In Gioras Interview in der NaZe fällt an zwei Stellen ein dazu passender und seit den Debatten um den Krieg gegen Jugoslawien einschlägiger Begriff, den die deutschen Übersetzungen des Appells umschifft haben.
„Ethnic cleansing“ wird dort nicht mit „ethnischer Säuberung“ übersetzt; in den entsprechenden Interviewpassagen der NaZe wird Giora wie folgt übersetzt: „Scharon beschreibt seinen gegenwärtigen Krieg gegen die Palästinenser als ‚die zweite Hälfte von 1948‘. […] Inzwischen kann kaum ein Zweifel mehr daran bestehen, was mit dieser Analogie gemeint ist: Dass die Arbeit der ethnischen Säuberung 1948 nur halb vollendet wurde“. Und: „Eingehüllt in den Nebel des Krieges, können ethnische Säuberung und Transfer leicht durchgeführt werden, während die Welt in die andere Richtung schauen wird.“
Auf den Charakter der NaZe aufmerksam gemacht, äußerte sich Giora entsetzt und wandte sich „an die Herausgeber“: „Ich schreibe Ihnen, um mitzuteilen, dass ich es bedauere, der National-Zeitung ein Interview gegeben zu haben. Ich war mir nicht bewusst, dass sie einer rassistischen Ideologie das Wort redet, die ich – als Linke -zutiefst verabscheue und, wo ich nur kann, bekämpfe. Meine Kooperation mit dieser Zeitung beruhte auf Unkenntnis des Charakters der Zeitung.“
Nun Giora wegen des Interviews zu zürnen, wäre arg billig – im übrigen ärgert sie selbst sich wohl am meisten über ihren faux pas. Zu hoffen bleibt, dass diese Interview-Panne den Friedensbewegten in Israel eine Mahnung ist, bei ihrem Umgang mit deutschen Medien künftig mehr Vorsicht walten zu lassen. Darüber hinaus wäre ihrerseits vielleicht auch grundsätzlich zu überdenken, wie sie, die grundsätzlich auch auf internationale Öffentlichkeit angewiesen sind und internationale Resonanz herbei sehnen und suchen, ihre deutsche Resonanz einschätzen sollten. Gerade einige israelische Friedensaktivisten finden in Deutschland viel Gehör, wenn sie betonen, dass auch in Deutschland (die gemäßigte Variante des Arguments) oder (dies die stramme Variante) gerade in Deutschland die israelische Besatzungspolitik kritisiert werden müsse. Die freudige Zustimmung, auf die sie dabei treffen, ist allzu oft vergiftet – die NaZe ist nur ein krasses Beispiel.
Und – dies sei ohne „vielleicht“ gesagt – all jene, insbesondere auch in der hiesigen Friedensbewegung, die sich enthusiast-isch auf jene israelischen Stimmen berufen, sollten begreifen lernen, dass ihr ‚Eins-zu-eins‘-Transfer der Kritik von Israelis an israelischer Regierungspolitik nach Deutschland einen Klumpfuß hat. Genau genommen (und um dies zu begreifen, muss man nicht sonderlich intensiv in moderne Texttheorien einsteigen), handelt es sich gar nicht um eine ‚Eins-zu-eins‘-Übertragung: Da Bedeutung immer an Kontext gebunden ist und es kein ‚Außerhalb-von-Kontext‘ gibt, zieht der Transfer in einen anderen Kontext unausweichlich eine Bedeutungsverschiebung nach sich. Daher bedürfte es, statt der naiven Vorstellung, man übernehme doch nur eine kritische israelische Position, der aktiven Kontextualisierung, also Kontext-Transformation – letzteres ist übrigens, entgegen verbreiteten (und häufig genug interessierten) Missverständnissen, eine Operation, die sich nicht allein in Texten (im herkömmlichen Sinne) abspielt.
Nachtrag (16.10.2002): Die Hoffnung, Giora könnte das letzte Opfer der Interview-Strategie der NaZe sein, wurde bereits von der Realität eingeholt: Gerhard Frey jr. interviewte bald darauf Abraham B. Jehoschua. Der Schriftsteller und Vertraute des Bürgermeisters von Haifa und soeben gewählter Spitzenkandidat der Arbeitspartei, Amram Mitzna, begründete in der NaZe den Vorschlag der „unilateralen Trennung“. (4) Auf die Leserschaft zugeschnitten, lockte ihn der Junior-Anführer zum Thema Multikulturalismus und kam auf seine Kosten: „[NaZe:] Ist das Konzept der unilateralen Trennung auch eine Absage an den ‚Multikulturalismus‘, den Sie kritisieren?
Jehoschua: Es geht um zwei verschiedene Völker, die seit 120 Jahren miteinander kämpfen. Um zwei Völker, von denen jedes seine Unabhängigkeit will, vor allem die Palästinenser, die keine Unabhängigkeit besitzen. Man kann das nicht romantisch sehen: ‚Multikulturalismus‘.
Hier geht es nicht um Kultur, hier geht es um Blut. Die politische Linke spricht im Allgemeinen von Vielfalt und davon, dass Araber und Juden zusammenleben können. Aber das ist nicht die Frage. Wir sind verschiedene Völker und jedes Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung. Wir haben jetzt unsere Selbstbestimmung, aber die Palästinenser haben ihre nicht. Und sie werden sie haben, wenn wir aus ihren Gebieten herausgehen.“
(1) Vgl. Kerstin Eschrich: Kampf den Antisemiten. In: Jungle World 38/2002, S. 5.
(2) Dies zeigt die Studie "Die Nahost-Berichterstattung zur Zweiten Intifada in deutschen Printmedien, unter besonderer Berücksichtigung des Israel-Bildes", die am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) im Auftrag des American Jewish Committee angefertigt wurde; die Kurzfassung ist abrufbar auf der Homepage des DISS: www.uni-duisburg.de/DISS; die komplette Fassung erscheint in Kürze im Lit-Verlag (Münster). Zur Aufnahme der Studie vgl. Andreas Disselnkötter: Nahost in der Zeitung. Zum Anteil der Medien am neuen Feindbild 'Israel'. In: Tribüne H. 163, S. 10-16 u. Jobst Paul: Medien und Diskursanalyse - eine heftige Begegnung. Die DISS-Studie trifft auf Kritik, auf Interesse - und auf Breitseiten. In: kultuRRevolution - Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie H. 44, S. 47-50.
(3) Aus ihrem wissenschaftlichen Werk liegt leider nur ein Text in deutscher Übersetzung vor : Selbstmord und Mord in der Frauen-Protestliteratur. In: Petra Henschel/Uta Klein (Hg.): Hexenjagd. Weibliche Kriminalität in den Medien. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1997, 178-195; ein Verzeichnis ihrer zahlreichen Publikationen (viele auch in englischer Übersetzung) findet sich auf ihrer Homepage: www.tau.ac.il/~giorar
(4) Vgl. zur - m.E. durch die historische Analogie und die Binäropposition 'Jude = grenzenlos', 'Israeli = souverän in territorialen Grenzen' hochgradig problematischen - 'zionistischen' Herleitung des Vorschlags Abraham B. Jehoschua: Rückzug! Es ist schlecht für die Juden, wenn sie unter anderen Völkern leben. Das gilt auch für die von Israel besetzten Gebiete. In: Die Welt 3.8.2002 (Literarische Welt).