transnationales / antimilitarismus

Viel Bewegung, doch wenig Frieden

(Keine) Friedensbewegung in Großbritannien

| Andreas Speck

Am 28. September 2002 demonstrierten 400.000 Menschen in London gegen den Irak-Krieg, und für Freiheit für Palästina (1). Eine krude Mischung von DemonstrantInnen sorgte für die größte "Friedens"demonstration in Großbritannien, mindestens seit den 80er Jahren. Es ist deutlich, dass Blair's Kriegspolitik auf Protest trifft - doch ist das schon eine Friedensbewegung? Eine kritische Betrachtung von WRI-Mitarbeiter Andreas Speck. (GWR-Red.)

Motor der großen öffentlich wahrgenommenen Demonstrationen ist die Stop the War Coalition (2), die am 21. September 2001 in London auf Initiative der Socialist Workers Party (SWP) (3) gegründet wurde, und von ihr dominiert wird. Die Stop the War Coalition ist straff organisiert, und kann sich auf die Parteiorganisation der SWP stützen – was ihr erhebliche Mobilisierungen ermöglicht. Die Politik ist jedoch altbekannt: das Thema Frieden wird benutzt, um Unterstützung für die SWP zu mobilisieren, und Mitglieder zu rekrutieren. Auch die Methoden sind bekannt: die Bewegung soll im wesentlichen in die Breite gehen, inhaltliche Konsistenz spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Und als Aktionsform bietet sich im wesentlichen die Massendemonstration an.

Nach der letzten Großdemonstration Ende September schien die Stop the War Coalition jedoch kurzzeitig einen Anfall von Courage bekommen zu haben: für den 31. Oktober (Halloween) wurde zu einem „day of direct action“ aufgerufen. Leider nur kurz, denn nur wenig später änderten die ParteistrategInnen die Sprachregelung und riefen nur noch zu einem „day of action“ auf. Erfreulicherweise liessen sich die Geister, die gerufen wurden, davon nicht abschrecken, und an vielen Orten in Großbritannien fanden direkte Aktionen statt (4).

Die traditionelle Friedensbewegung ist an all dem wenig beteiligt. Während die altehrwürdige Campaign for Nuclear Disarmament (CND) (5), die in den 50/60er Jahren und erneut in den 80er Jahren die Friedensbewegung angeführt hat, die Aktionen der Stop the War Coalition offiziell unterstützt, glänzen die pazifistischen Organisationen – die Mitgliedsorganisationen der War Resisters‘ International – im wesentlichen durch Abwesenheit.

Das Network for Peace (6), die Koordinationsstelle der britischen Friedensbewegung, koordiniert Internes, doch gehen von ihm keine Initiativen für Aktionen oder eine größere Sichtbarkeit der Friedensbewegung aus (7). Es gibt noch nicht einmal so etwas wie eine Zeitschrift der Friedensbewegung.

Direkte gewaltfreie Aktionen

Dennoch ist die Situation nicht ganz so schlecht, wie sie auf den ersten Blick aussieht.

Während in der BRD direkte gewaltfreie Aktionen gegen den Krieg nur langsam anlaufen (8), gibt es in Großbritannien doch zahlreiche Gruppen, die seit vielen Jahren antimilitaristische gewaltfreie Aktionen organisieren. Das Spektrum ist auch hier breit und reicht von explizit gewaltfreien Gruppen bis zu undogmatischen spontanen Zusammenschlüssen.

Erfreulicherweise nehmen Aktionen an US- und UK-Militärbasen, die bei einem Angriff auf den Irak eine Rolle spielen würden, zu. Bereits am 6. Oktober 2002 fand eine Blockade des US-Airbase Lakenheath in Suffolk statt, an der sich 160 Menschen beteiligten (9). Eine weitere Blockade ist für den 3. Februar 2003 geplant.

Lakenheath ist formal eine Luftwaffenbasis der Royal Air Force, doch praktisch eine Einrichtung der US Air Force. RAF Lakenheath, 30km nordöstlich von Cambridge gelegen, ist nur drei Kilometer vom Dorf Lakenheath entfernt. Die Basis war schon immer die wichtigste Basis für taktische Nuklearwaffen in Europa. In den 90er Jahren waren dort F-111 Langstreckenbomber stationiert, und heute ist es die F-15E Strike Eagle. Die Weapon Storage and Security System (WS3) Bunker in Lakenheath wurden am 19. November 1994 eingeweiht. 33 sind derzeit einsatzbereit. Jeder Bunker kann bis zu zwei taktische Nuklearbomben vom Typ B-61 beherbergen, mit einer Sprengkraft von 0,4 bis 80 Kilotonnen (10).

Fairford ist eine weitere US-Basis; bei einem Angriff auf Irak wohl die bedeutendste.

USAF Fairford ist eine von nur drei Aussenposten (ausserhalb der USA) für B-2 Bomber. Die anderen Basen sind Guam und Diego Garcia. Bomber, die in Fairford stationiert waren, warfen 48% aller Bomben während des Jugoslawien-Krieges, und seitdem wurde die Basis intensive modernisiert. In 2002 wurden Modernisierungsmassnahmen im Wert von mehr als 150 Millionen Euro abgeschlossen. Das ist die größte Einzelmassnahme der NATO seit dem Ende des Kalten Krieges. Jetzt können in Fairford B-2 Stealth-Bomber stationiert werden, sowie die älteren B-1 und B-52, wodurch die Kampfkraft gegenüber dem Jugoslawien-Krieg mehr als verdoppelt wird (11).

Bereits am 31. Oktober – während des landesweiten Aktionstages – versuchten die Gloucestershire Weapons Inspectors eine zivile Inspektion in Fairford, doch es wurde ihnen der Zutritt zur Basis verweigert (12). Am 14. Dezember fand eine größere Aktion mit 500 Beteiligten statt (13).

Menwith Hill ist eine bedeutende – vielleicht die bedeutendste – US-Spionagebasis in Europa, und spielt sowohl beim US-Raketenabwehrprogramm eine wichtige Rolle, als auch bei einem Angriff auf den Irak (14).

Auch dort fanden bereits Aktionen statt – und am Heiligen Abend 2002 wurden zwei AktivistInnen vor dem Tor der Basis festgenommen, und nur mit der Auflage, sich nicht in einem Umkreis von 100m um die Basis aufzuhalten, wieder freigelassen (15) Glücklicherweise wurden diese Auflagen wenige Tage später vom Gericht wieder aufgehoben.

Von Einzelaktionen zu koordiniertem Widerstand?

Auch wenn die bisherigen direkten gewaltfreien Aktionen erfreulich sind – und die TeilnehmerInnenzahl gegenüber den Vorjahren zugenommen hat – so finden diese Aktionen bisher jedoch im wesentlichen unkoordiniert statt. Es fehlt eine Strategie, bereits vor dem Beginn eines Angriffs auf den Irak so viel Druck auf die britische Regierung auszuüben, dass das politische Kalkül des für und wieder vielleicht zu einem anderen Ergebnis führen könnte.

Ein Versuch, bereits vorab mit gewaltfreien Aktionen und der Ankündigung von gewaltfreiem Widerstand Druck auszuüben – ähnlich der deutschen Resist-Kampagne – ist die Pledge of Resistance, organisiert von ARROW (16). Ähnlich der deutschen Version, kann auch hier eine Selbstverpflichtung zur Teilnahme an gewaltfreien Aktionen im Falle eines Angriffs auf den Irak unterzeichnet werden, oder eine Solidaritätserklärung. Mitte Januar 2003 gab es bereits mehr als 3.000 UnterzeichnerInnen.

Problematisch ist jedoch bisher die (Selbst-)Organisierung der UnterzeichnerInnen. Die InitiatorInnen – ARROW, Justice Not Vengeance und Voices in the Wilderness UK (drei eng miteinander verwobene Gruppen) streben daher die Organisation beispielhafter Aktionen an, um so weitere Aktionen sowie die Bildung von Bezugsgruppen anzuregen. Zusätzlich werden gewaltfreie Trainings angeboten.

Als erste größere Aktion im Rahmen der Pledge of Resistance fand am 2. Dezember die Aktion War Zone Whitehall statt. Mehr als 250 Menschen beteiligten sich an einem die-in in Whitehall, vor Downing Street, dem Amtssitz von Premierminister Tony Blair. 35 AktivistInnen wurden vorübergehend festgenommen (17). Eine weitere Aktion – diesmal an der britischen Kommandozentrale Northwood vor den Toren Londons – ist für das Wochenende 18./19. Januar geplant (18).

All dies sind nur Anfänge – allerdings durchaus wahrnehmbar. Die Vorbereitung auf diese Aktionen führt bereits jetzt zu neuen Kontakten, und zur Organisierung lokaler Gruppen von „Pledgers“ – UnterzeichnerInnen der Selbstverpflichtung oder Solidaritätserklärung. Hierauf kann später aufgebaut werden.

Perspektiven?

In einem Artikel im Guardian vom 7. Januar 2003 beklagt George Monbiot, dass die Friedensbewegung nicht aktiv genug ist, dass die derzeitigen Aktionen nicht ausreichen. Er schreibt: „Es gab bisher viele gut organisierte und überzeugende Proteste, und viele weitere sind für die nächsten sechs Wochen geplant. Am 18. Januar werden DemonstrantInnen versuchen das gemeinsame Hauptquartier der Streitkräfte in Northwood, Nord-London, zu blockieren.

Drei Tage später wird es ein Massenlobbying des Parlamentes geben; um 18 Uhr des Tages, an dem der Krieg angekündigt wird, werden DemonstrantInnen sich in nahezu allen Stadtzentren in Großbritannien versammeln.

Am 15. Februar wird es eine massive Großdemonstration in London geben. Diese Aktionen sind ungeheuer wichtig, da sie den Level der öffentlichen Opposition demonstrieren. Doch es ist unwahrscheinlich, dass sie, aus sich selbst heraus, einen der berühmten Schweissausbrüche Blairs provozieren können. Wir müssen die Temperatur erhöhen.“ (19)

George Monbiot schlägt dann massiven zivilen Ungehorsam vor – auch wenn er von einem Generalstreik eher abrät, so schreibt er doch: „Das ist die Größe, in der wir denken müssen“.

So richtig es ist, dass die derzeitigen Aktivitäten wohl nicht genug Druck ausüben können, um einen Angriff auf den Irak zu verhindern, und so richtig die Forderung nach vermehrtem Zivilen Ungehorsam auch ist – und Monbiot ist sich bewusst, dass dies bedeutet, dass Menschen ins Gefängnis gehen werden – so weltfremd ist jedoch dieser Aufruf von jemandem, der der Stop the War Coalition nahesteht. Monbiot übersieht, dass die großen Organisationen nicht willens und in der Lage sind, massenhaften Zivilen Ungehorsam zu organisieren, und vor allem die Menschen darauf vorzubereiten – dies aus einem einfachen Grund: Die Vorbereitung auf Zivilen Ungehorsam erfordert die Förderung von Selbstorganisation – Empowerment – etwas, was den ParteistrategInnen der SWP durchaus nicht in den Kram passt. Sie wollen ebenso die gehorsame Masse wie Tony Blair – gehorsam eben gegenüber den Vorgaben der Führungsriege der SWP. Dies ist mit der Vorbereitung auf direkte gewaltfreie Aktionen nicht vereinbar.

Es ist zu hoffen, dass die öffentlichen Aufrufe zu Zivilem Ungehorsam von Persönlichkeiten wie George Monbiot Menschen offen machen für die Aktionen, die von den kleinen gewaltfreien Gruppen organisiert werden. Auch wenn dies nicht zu dem von Monbiot angedachten Generalstreik – oder Aktionen in dieser Größe – führen wird, so kann doch der Zivile Ungehorsam von Tausenden – selbstorganisiert an vielen verschiedenen Orten – den Druck auf Tony Blair durchaus erhöhen, und vielleicht auch einen Schweissausbruch hervorrufen. Ob das genug sein wird, um einen Krieg zu verhindern, dass wage ich nicht zu prophezeien. Doch es ist zu hoffen, dass es in Großbritannien einen sichtbaren und fühlbaren Widerstand geben wird. Die Saat ist gesät.

(1) Rebecca Allison: Anti-war marchers evoke spirit of CND, The Guardian, 30.09.02; siehe auch: IMC UK: Opposition To War Increases. Full report of the Anti-War demo in London, uk.indymedia.org/ front.php3 ?article_id=43390 &group=webcast

(2) Siehe www.stopwar.org.uk

(3) Siehe www.swp.org.uk

(4) IMC UK: Don't Attack Iraq Actions Across Country, uk.indymedia.org/ index.php3 ?resist=reports &stance=antiwar02

(5) Siehe www.cnduk.org

(6) Siehe www.networkforpeace.org.uk

(7) Eine detaillierte Kritik findet sich in: Andreas Speck: Against which war? And which movement? In: Nonviolent Action Nr. 38, Dezember 2002, siehe auch people.freenet.de/ ask/ e_peacemovement.html

(8) Eine bedeutende Kampagne ist hierbei Resist, vgl. www.resistthewar.de (siehe auch resist!-Beilage in GWR 274)

(9) Siehe www.lakenheathaction.org/ news.php3 #07-10-02

(10) Siehe www.lakenheathaction.org/ usmil.php3

(11) Siehe www.cynatech.co.uk/ gwi/ Fairford.htm

(12) Siehe www.cynatech.co.uk/ gwi/ actions.htm

(13) Siehe www.cynatech.co.uk/ gwi /14-dec-Fairford.htm

(14) Siehe cndyorks.gn.apc.org/ caab/ index.htm

(15) Siehe cndyorks.gn.apc.org/ caab/ spress/ mhillarrest1202.htm. Dies ist eine in Großbritannien durchaus übliche Massnahme, und es ist damit zu rechnen, dass bei weiteren Protesten an anderen Militärbasen ähnliche Auflagen erfolgen werden.

(16) Siehe www.j-n-v.org/ pledge_menu.htm

(17) Siehe www.j-n-v.org/ ARCHIVE/ warzonewhitehall.htm

(18) Siehe www.j-n-v.org/ northwood.htm

(19) Siehe: George Monbiot: Act now against war, The Guardian, 7. Januar 2003, www.guardian.co.uk/ comment/ story/ 0,3604,869807,00.html

Kontakte

Kontakt zum Autor: andreas@wri-irg.org

ARROW/Justice Not Vengence/Voices in the Wilderness UK
5 Caledonian Road
London N1 9DX
Großbritannien
Tel.: +44-845-4582564
voices@viwuk.freeserve.co.uk
www.voicesuk.org

D10
c/o Box 666
5 Caledonian Rd
London N1 9DX
Großbritannien
d10northwood@gmx.net
www.northwood.cjb.net

Campaign for the Accountability of American Bases (CAAB)
8 Park Row
Otley, West Yorkshire, LS21 1HQ
England
Tel.: +44 01943 466405 oder +44 01482 702033
Fax: +44 01482 702033
anniandlindis@caab.org.uk oder caab@btclick.com
www.cndyorks.gn.apc.org/caab/index.htm

Gloucestershire Weapons Inspectors
info@gwi.org.uk
www.cynatech.co.uk/gwi/

Lakenheath Action Group
Forge Bungalow, The Street
Shotesham, Norwich, NR15 1YL
England
Tel.: +44-1508 550446
info@lakenheathaction.org
www.lakenheathaction.org/lahome.php3