Dario Azzellini und Boris Kanzleiter (Hg.): Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der Neuen Kriegsordnung, Verlag Assoziation A, Berlin/ Hamburg/ Göttingen 2003, 216 S., 14,- €, ISBN 3-935936-17-6.
Seit einiger Zeit ist eine diskursive Wucherung auszumachen, die den Krieg zum Gegenstand hat: Nicht nur, dass sich im Februar diesen Jahres die größte Antikriegsbewegung aller Zeiten gegen den Irak-Krieg formierte.
Die Kunstwelt widmet dem Thema große Ausstellung, so in Graz, der gegenwärtigen „Kulturhauptstadt Europas“ („M_ARS“), oder in der Wiener Kunsthalle „(Attack!“), die Popkritik beschreibt den „Krieg als Massenkultur“ (Holert/ Terkessidis), und in den Sozialwissenschaften macht der Terminus der „Neuen Kriege“ (Mary Kaldor, Herfried Münkler) die Runde. Es stellt sich also die Frage: Was ist los im Kriegswesen? Haben wir es hier mit einer historischen Veränderung wie im 17. Jahrhundert zu tun, als die Armeen in ihren Strukturen wie in ihren Kampfformen nach rationalen und humanistischen Kriterien umstrukturiert wurden? Oder sind die so genannten Stellvertreterkriege des Kalten Krieges einfach von einer noch größeren Reihe von heißen Kriegen abgelöst worden, ohne dass sich am Krieg selbst etwas geändert hätte?
Entgegen der gängigen These von irrationalen Gewaltausbrüchen und einer zunehmenden Anzahl ethnischer Ursachen für kriegerische Konflikten gehen die Herausgeber von „Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der Neuen Kriegsordnung“ davon aus, es mit einer „Neuen Kriegsordnung“ zu tun zu haben. In dieser Ordnung sind nicht Staatszerfall und „schwache Staaten“ die Ursachen für die Eskalation der Gewalt, sondern in ihr werden „private militärische Akteure von Staaten und Eliten gezielt eingesetzt, um Herrschaft zu sichern“ (8). Nicht nur die Allgegenwart einer kriegerischen Symbolik, wie noch bei Holert/Terkessidis, bringt die Herausgeber zu der Aussage, die Grenzen von Krieg und Frieden würden zunehmend zerfließen. Der wirtschaftliche Aufschwung von Privatarmeen, die enorme Zunahme militärischer Ausstatter und die alte und neue Verquickung von Staat und Paramilitärs bzw. Mafia sind die handfesten Beispiele, die Azzellini und Kanzleiter von einer Ausweitung des Krieges sprechen lassen. Aber nicht als die zufällige Erweiterung kriegerischer Aktivitäten sei die Neue Kriegsordnung zu verstehen, sondern als „ein Ausdruck gegenwärtiger Entwicklungstendenzen des Kapitalismus“ (12). Indem sie die Neue Kriegsordnung in den Kontext der neoliberalen Umstrukturierungen von Ökonomie, Politik und Sozialem stellen, heben sie sich auch von den anderen SozialwissenschaftlerInnen wie Kaldor und Münkler ab. Auf verschiedene Weisen gehen die versammelten Aufsätze auf die Zusammenhänge von Krieg und Ökonomie ein, ohne dass damit eine homogene Entwicklung suggeriert werden könnte oder sollte.
Vor allem in den Beiträgen zu Lateinamerika stellt sich z.B. der Paramilitarismus als eine dominante Entwicklung der Privatisierung von Kriegsführung dar. Die Ausbildung und Finanzierung von paramilitärischen Einheiten erweist sich dabei als eine politisch und ökonomisch lohnenswerte Strategie, Herrschaft zu sichern. Paramilitärs zielen zum einen, wie in Kolumbien, auf die „physische Vernichtung jeglicher Opposition“ (Azzellini) (40), und darüber hinaus zum anderen auf eine „Reorganisierung des Raumes und des Gedächtnisses“ (87), wie Matilde Gonzales und Stefanie Kron am Beispiel Guatemala auf eindringliche Weise zeigen. Während der Paramilitarismus innenpolitisch als eine Art und Weise der „sozialen Organisierung“ (Azzellini) (71) fungiert, zu deren Standardprogramm wohl nicht nur in Guatemala auch sexuelle Gewalt und geschlechtsspezifische Repression gehören, weist er ebenso eine außenpolitische Funktion auf. Der Staat stellt sich dabei in der Öffentlichkeit in (neo-)kolonialer Manier als Schlichter vorgeblicher Stammesfehden dar. Am erfolgreichsten funktioniert dieses Modell in letzter Zeit vermutlich in Mexiko, wo nach der Abwahl der langjährigen Regierungspartei PRI alle Zeichen auf Demokratisierung zu stehen scheinen, die Strategie der „Aufstandsbekämpfung“, wie Azzellini belegt (76), mit Hilfe von Paramilitärs im Süden aber fortbesteht. Diese außenpolitische Funktion hat die Paramilitarisierung mit der in anderen Weltgegenden geläufigeren Auslagerung einzelner Bereiche der staatlichen Kriegsführung an private Militärunternehmen gemein. Durch den Einsatz so genannter „Private Military Companies“ (PMC) wird mit den Aufträgen für Logistik über das Training bis hin zur Kampfhandlung auch die politische Verantwortung abgegeben. Kanzleiter analysiert das vermehrte Auftreten der PMCs auf den regionalen Schlachtfeldern der Welt als eine Vermarktwirtschaftlichung des Krieges, die letztlich nur eine konsequente Einlösung des neoliberalen Imperativs der Privatisierung sei (176). In verschiedenen Kriegsgebieten sind so Kriegsökonomien entstanden die die Gefechte selbst überdauern und deren Existenz – ob im Kosovo oder im Kongo – in der öffentlichen Wahrnehmung von ethnifizierenden Diskursen überlagert ist. Dass im Kongo mittlerweile das Kriegführen zum Selbstzweck geworden ist, wie Björn Aust schildert, ist letztlich nur auf der Grundlage einer Analyse zu verstehen, die die lokalen Kriegswirtschaften als eingebunden in die Waren- und Kapitalströme der Weltwirtschaft (146) ausmacht. Umgekehrt lässt sich allerdings keiner der Beiträge zu einem deterministischen Modell verleiten, das in jeder Privatisierung schon den künftigen Krieg sieht. Dennoch erscheint die Forderung nach einem Paradigmenwechsel plausibel, die kriegerischen Phänomene der Gegenwart nicht mehr als partielle Ausnahmen eines eigentlichen Gesamtfriedens zu betrachten. Sie ordnen sich vielmehr ein in eine „Ökonomie des sozialen Krieges“ (Thomas Seibert) (20). Diese führt unter Mitwirkung und nicht, wie oft angenommen, unter dem Zusammenbruch des Nationalstaates zu systematischen Ausschließungen von „Überschussbevölkerungen“. Die dann entstehenden Formen sozialer Organisierung sind natürlich zu differenzieren. Die Unterschiede zwischen metropolitanem Bandenwesen und Mafia, Paramilitärs oder Privatarmeen sind den AutorInnen des Sammelbandes allerdings keineswegs entgangen. Wie nah sie bei Zeiten bei einander liegen, ist jedoch selten so detailreich demonstriert worden. Diese Einzelheiten wiederum sind es, die der These von der grundlegenden Transformation des Krieges Plausibilität verleihen. Dass die Darstellung konkreter Auswirkungen neoliberaler Politiken auch die Regulationsfunktion des Staates und die Rolle suprastaatlicher Institutionen nicht ausklammert, sondern zu einem zentralen Thema macht, ist dem Band hoch anzurechnen. Entstanden ist dabei ein kleines Horrorkonvolut: eine Ansammlung geschilderter Gräueltaten und systematischer Grausamkeiten, widerlicher Geschäftemacherei und mörderischer Korruption, dass es kaum auszuhalten ist. Ein gutes Buch also.