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Wer schweigt, stimmt zu

Der Bundestag will ein Gesetz, das Kriege zur Nebensache erklärt

| Frank Brendle

Y-Reisen sollen einfacher werden: Sämtliche Bundestagsfraktionen sind entschlossen, der Bundeswehr den Weg ins Ausland so unproblematisch wie möglich zu machen.

Bislang muss der Bundestag über jeden einzelnen Bundeswehreinsatz sowie dessen Ausweitung und Verlängerung abstimmen. Schon seit Jahren fordern PolitikerInnen aus (fast) allen Parteien, damit Schluss zu machen. Weil die interfraktionellen Verhandlungen nicht recht voran kamen, ist die Regierung nun vorgeprescht. Ende November stellten SPD und Grüne ihren Entwurf eines „Parlamentsbeteiligungsgesetzes“ vor.

Wichtige und unwichtige Kriege

Der Entwurf sieht eine Aufteilung von Militäreinsätzen in drei Kategorien vor: Wichtige Einsätze, unwichtige Einsätze sowie Einsätze, die gar keine sind. Vom Parlament sollen nur noch die „wichtigen“ Einsätze beschlossen werden, und auch die nur ein einziges Mal, dem Bundestag soll die Zuständigkeit für bestimmte Einsätze komplett entzogen werden.

In § 2 des Entwurfs wird ausgeführt, um einen Militäreinsatz im Sinne des Gesetzes handle es sich nur, wenn die Bundeswehr „in bewaffnete Unternehmen einbezogen“ ist oder dies „zu erwarten“ steht.

Mit diesem Passus sollen angeblich Hilfseinsätze bei Naturkatastrophen erleichtert werden.

Erleichtert wird aber auch jede andere Art von Einsätzen: Da die Bundesregierung die Definitionsmacht darüber hat, wann feindlicher Beschuss „zu erwarten“ ist, kann sie die Bundeswehr schicken, wohin sie will, sie muss nur behaupten, es sei gar nicht gefährlich.

„Vorbereitende Maßnahmen und Planungen“ sollen ebenfalls keines Parlamentsbeschlusses mehr bedürfen. Dabei wird nicht definiert, was denn alles vorbereitet werden kann, es könnte sich also auch um Vorbereitungen für Militärschläge handeln.

Auch bei den „zustimmungsfreien“ Einsätzen sollen die Bundeswehrsoldaten bewaffnet sein – natürlich „lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung“.

Diese Einsätze sollen der Zuständigkeit des Bundestages per Gesetz entzogen sein, das Parlament also keine Möglichkeit haben, sie zu beenden und die Soldaten zurückzuholen.

Vereinfachtes Kriegsrecht

Die zweite Kategorie nennt „Einsätze von geringer Bedeutung“. Bei diesen soll die Zustimmung des Bundestages in einem „vereinfachten Verfahren“ vor sich gehen. Für eher unwichtig erklärt Rot-Grün etwa Erkundungskommandos (wobei Waffen wiederum zwecks „Selbstverteidigung“ mitgeführt werden können), die Abordnung einzelner Soldaten zu verbündeten Streitkräften und zu multilateralen Einsätzen.

Die Bedeutung eines Einsatzes wird damit ausschließlich von seinem zahlenmäßigen Umfang abhängig gemacht. Dass auch wenige Soldaten große Wirkungen entfalten und zwei Offiziere im Führungsstab unter Umständen mehr anrichten können als 100 Soldaten, daran soll man lieber nicht denken. Die Beschränkung des Waffeneinsatzes auf Fälle der „Selbstverteidigung“ stellt einen faktischen Freibrief zum Schießen dar, was den LeserInnen dieser Zeitschrift sicherlich nicht erklärt werden muss…

Unter dem „vereinfachten Zustimmungsverfahren“ stellen sich die RegierungspolitikerInnen folgendes Vorgehen vor: Allen Bundestagsabgeordneten geht der Antrag auf einen Bundeswehreinsatz zu. Wenn innerhalb von sieben Tagen nicht mindestens fünf Prozent von ihnen eine Abstimmung verlangen, gilt der Antrag als angenommen. Wer schweigt, stimmt zu.

Einsätze, welche die Regierung weder als gefahrlos noch als unbedeutend bezeichnen will, sollen auch in Zukunft vom Bundestag abgestimmt werden. Allerdings nur ein einziges Mal. Ist ein Einsatz mit einer Frist verbunden, soll die Verlängerung im „vereinfachten Verfahren“ erfolgen.

Abgestimmt wird hinterher

Die im Entwurf festgehaltene „Gefahr-im-Verzug“-Regelung erlaubt explizit den Einsatz der Bundeswehr ohne vorherige Abstimmung. Dabei wird auf jegliche Definition verzichtet, wann „Gefahr im Verzug“ gegeben ist. Der Bundestag soll „unverzüglich“ befragt werden.

Politische AktivistInnen wissen meist aus eigener Erfahrung, dass die Polizei mit dem Konstrukt der im Verzug befindlichen Gefahr sehr schnell zur Hand sein kann. In seltenen Fällen wird das polizeiliche Vorgehen hinterher für illegal erklärt – was an den geschaffenen Fakten nichts mehr ändert. Für ähnlich wirkungsvoll darf man das Recht des Bundestages halten, die Zustimmung zu einem „Gefahr-im-Verzug“-Einsatz nachträglich zu verweigern.

Eine juristische Notwendigkeit für das Gesetz gibt es nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 1994, in dem es der Bundeswehr den Weg out of area freigegeben hat, eine gesetzliche Regelung zwar angeregt, aber nicht gefordert. „Sachzwänge“ sind kaum zu erkennen. Verteidigungsminister Struck meint, „die Arbeit der Bundeswehr soll erleichtert werden“, andere wollen dem Bundestag unnötige Arbeit abnehmen. Der Grüne Volker Beck will „den veränderten politischen Rahmenbedingungen Rechnung“ tragen – weniger nebulös hat das Angela Merkel schon vor knapp drei Jahren auf der Münchner Nato-Konferenz gefordert: Die „sehr weitgehenden Restriktionen, denen die Bundesregierung bei der Planung und Durchführung von Auslandseinsätzen unterliegt (nämlich im Bundestag eine Mehrheit zu finden, F. B.), können sich … zu einem Hindernis für reibungslose und schnelle Reaktionen auf sicherheitspolitische Herausforderungen entwickeln. Dies gilt auch für die europäische Eingreiftruppe, für die die Bundeswehr 18.000 Soldaten bereitstellen soll“.

Noch deutlicher hat im Oktober 2003 der Berliner Tagesspiegel das Problem formuliert: „Die Nato bildet eine Schnelle Eingreiftruppe mit Marschbereitschaft binnen fünf Tagen – soll die warten, bis die Deutschen mit dem Abstimmen fertig sind?“

Nun dürfte zwar der Einsatz einer Schnellen Eingreiftruppe vorläufig noch dem Bundestag zur Abstimmung vorlegt werden – wenn nicht gerade Gefahr im Verzug ist. Aber ist das Gesetz erst einmal beschlossen, lassen sich die Details später ja noch verändern.

Kriege unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Im Vordergrund des Herrschaftskalküls dürfte kaum die Sorge stehen, der Bundestag könne einen Kriegseinsatz tatsächlich verhindern. Es geht eher um die öffentliche Aufmerksamkeit, die Bundestagsabstimmungen mitunter auf sich ziehen, und die Friedensgruppen die Chance bieten, ihren Protest gegenüber einem aufmerksamen Publikum zu äußern. Wenn künftig der Großteil der Kriege am Parlament vorbei, d. h. ohne institutionalisierte Debatte, beschlossen wird, haben die Zeitungen keinen Anlass, zu schreiben, und die Bevölkerung keinen Anlass, zu demonstrieren – ob diese Rechnung aufgeht, dürfte auch an der Friedensbewegung liegen.

So passt erst einmal alles zusammen: Die im Mai vorgestellten Verteidigungspolitischen Richtlinien schreiben fest, dass die Bundeswehr als „Armee im Einsatz“ Verteidigung jetzt „ohne geographische Begrenzung“ betreibt. Die derzeit laufende Bundeswehrreform soll die Zahl der für einen Auslandseinsatz bereitstehenden Soldaten von rund 9000 auf 35000 nahezu vervierfachen. Deutsche Soldaten sollen in Schnellen Eingreiftruppen der Nato und der EU jederzeit Gewehr bei Fuß stehen. Da ist es verständlich, dass all die neuen Kriege durch ein neues Gesetz erleichtert werden sollen.

Anmerkungen

Der Autor ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)