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Deutsches Kapital am Kap

| Horst Blume

Birgit Morgenrath/Gottfried Wellmer: "Deutsches Kapital am Kap. Kollaboration mit dem Apartheidregime" Edition Nautilus, Hamburg, Oktober 2003, 160 Seiten, 12,90 Euro

Robben Island, die ehemalige Gefängnisinsel des Apartheidstaates, ist heute Kapstadts größte Touristenattraktion. Da, wo jahrzehntelang Menschen in Gefängniszellen eingesperrt wurden, finden heute Comedy-Shows und Festessen für zahlende Prominente statt, die dann als Höhepunkt in den Gefängniswärterhäuschen übernachten.

Diese Form des „Gedenkens“ an die Zeit der Apartheid ist kaum besser als das Vergessen.

Als ich im Ruhrgebiet einige Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen auf ihrer Rundreise zu alternativen Energiestandorten begleitete, kam uns einmal ein Spaziergänger mit einem gleichgültig dahintrottenden Hund entgegen, was einem schwarzen Teilnehmer die Bemerkung entlockte, dass deutsche Hunde offensichtlich friedlicher als südafrikanische seien. Die Schatten der Vergangenheit sind immer noch da.

Das deutsche Kapital strich jahrzehntelang Maximalprofite aus der Ausbeutung und Unterdrückung der Schwarzen ein. Auch hier in Deutschland gab es eine breite Anti-Apartheidbewegung, die gegen die Verletzung der Menschenrechte protestierte. Doch nachdem vor zehn Jahren die Apartheid abgeschafft und in eine formale westliche Demokratie umgewandelt wurde, sind die Zustände in Südafrika kein Thema mehr, das großes Aufsehen erregt.

Mit dem Buch von Morgenrath und Wellmer wird diesem Mangel durch eine fundierte Darstellung und Analyse der deutsch-südafrikanischen Geschäftsbeziehungen abgeholfen und in erschütternden Berichten gezeigt, wie schlecht es der großen Mehrheit der Bevölkerung Südafrikas damals wie heute geht und auf welch ignorante Weise jetzt immer noch deutsche Konzerne ihre Hände in Unschuld waschen.

Dieses Buch erscheint auch im Kontext der Anklage vor einem US-amerikanischen Gericht, indem 91 südafrikanische Opfer 22 internationale Firmen schwerer Menschenrechtsverletzungen beschuldigen. Die Khulumani Support Group vertritt als Selbsthilfeorganisation 32.000 Apartheidopfer und argumentiert mit dem Rechtsprinzip der „sekundären Mitverantwortung“, das durch die Nürnberger Prozesse in die internationale Rechtssprechung eingeführt wurde. Demnach tragen Helfershelfer eines Regimes indirekt eine Mitverantwortung für begangene Verbrechen. Verklagt werden folgende deutsche Firmen: Rheinmetall, Commerzbank, Deutsche Bank, Dresdner Bank, DaimlerChrysler und AEG. In Deutschland selbst können diese Firmen nicht belangt werden.

„Apartheid bedeutete: keine Gewerkschaften, niedrige Steuern, billige Arbeitskräfte, hohe Profite – und ein schönes Leben in einem wunderschönen Land mit überaus billigem Dienstpersonal.“ Fünfzig Jahre lang wurden „unproduktive“ Eingeborene wie Alte, Kinder und Frauen in meist unfruchtbare Gebiete zwangsumgesiedelt, während kräftige junge Männer als Lohnsklaven in die Städte ziehen durften. Auf diese Weise wurden 70 Prozent der Bevölkerung in sogenannte Homelands eingepfercht, die nur 13 Prozent der Fläche Südafrikas ausmachten.

Um sich vor Wirtschaftssanktionen des Auslands zu schützen, zentralisierte das Regime die Wirtschaft in Staatskonzernen. Deutschland gab ab 1980 weltweit die meisten Darlehen an diese Institutionen der Apartheidregierung und versorgte damit die Lebensadern dieser ungerechten Gesellschaftsordnung mit den nötigen Finanzmitteln.

Einer der wichtigsten Staatskonzerne war das Energieversorgungsunternehmen ESKOM, über das einer seiner Manager vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission 1997 aussagte: „Es ist wahr, dass ESKOM effektiv als Institution der Apartheid operierte und dabei hauptsächlich weißen Interessen gedient hat.“ ESKOM betrieb 14 Kohlekraftwerke und zwei Atomkraftwerksblöcke in Koeberg bei Kapstadt. „Die Deutsche, die Dresdner, die Commerz-, die Westdeutsche Landes- und die Bayrische Vereinsbank gaben 30 – 70 % ihrer Kredite an ESKOM.“ Der Riesenanteil des Stroms ging in den Kohle- und Goldbergbau und nicht etwa an die schwarze Bevölkerung.

Im Rahmen eines Kulturaustausches (!) kam es zu regen gegenseitigen Besuchen von Nuklear-Wissenschaftlern zwischen der BRD und Südafrika. Insbesondere Experten der Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe und der teilstaatlichen Essener Steinkohle-Elektrizitäts AG (STEAG) fielen hierbei auf und am Ende der Entwicklung war Südafrika im Besitz mehrerer Atombomben!

Hermes-Bürgschaften für deutsche Exporte wurden in den vergangenen Jahrzehnten von jeder deutschen Regierung gerne gegeben und ein Großteil der Kredite ging wieder an ESKOM. Auch der Außenminister der Großen Koalition in den 60er Jahren, Willy Brandt, reagierte auf Menschenrechtsverletzungen nach Angaben der beiden Buchautoren „mit taktvoller Zurückhaltung auf der politischen Ebene und eindeutiger Zustimmung auf wirtschaftlichem Gebiet.“ Das die guten alten Verbindungen der Atomindustrie und seiner Wissenschaftler heute immer noch hervorragend sind zeigt die Tatsache, dass mehr als 30 Jahre nach Brandt unter dem grünen Außenminister Fischer die nuklearen Kooperationen mit dem Nach-Apartheidstaat ihre Fortsetzung finden: Unter seiner Federführung wurde das deutsche Hochtemperaturreaktor-Know-How für den geplanten Pebble Bed Modular Reactor (PBMR) bei Kapstadt an eine ESKOM-Gesellschaft verscherbelt.

In mehreren gesonderten Kapiteln zeigen die beiden Autoren, wie die Firmen Siemens, die Düsseldorfer Waffenfabrik Rheinmetall und Mercedes trotz der 1977 verabschiedeten UNO-Resolution 418 für ein obligatorisches Rüstungsembargo den südafrikanischen Herrschaftsapparat an maßgeblicher Stelle mit militärischem Gerät ausgestattet haben. Im Fall von Mercedes beteiligten sich diese Konzerne sogar unmittelbar an der Repression: „Diese Mercedes-Manager trugen tagsüber schöne Anzüge mit Krawatte und nachts zogen sie Tarnanzüge an und schossen auf unbewaffnete Jugendliche, auf alte Leute, ja sogar auf kleine Kinder, und töten sie. Sie machten Razzien von Tür zu Tür.“

In ihrer detaillierten Studie weisen die beiden Autoren Punkt für Punkt nach, dass die 400 deutschen Firmen mit ihren Filialen in Südafrika dem Regime nicht nur „behilflich“, sondern Teil des Systems waren. Die Behauptung der Konzerne, in ihren Betrieben hätte es keine Diskriminierungen gegeben, werden als plumpe Lügen entlarvt.

In den Jahren 1983/84 wurden rund 40 Prozent des Gesamthaushaltes für die Aufrüstung der Sicherheitskräfte und des Repressionsapparates ausgegeben. Die Staatskassen leerten sich. In den 80er Jahren nahm „die Generation der jungen Löwen“ den Kampf in den Fabriken auf und forderten mit unglaublicher Kraft und Furchtlosigkeit ihr Menschenrecht auf Gleichberechtigung und Würde. Die Schilderungen über den Krieg in den Fabriken gehören für mich zu den beeindruckendsten des Buches. Auffällig ist auch hier, dass noch 1990 und 1991, als die Befreiungsbewegungen wieder zugelassen wurden, bei der Firma Hoechst Repression und Entlassungen am schlimmsten waren, weil der Konzern vor dem endgültigen Ende der Apartheid noch schnell kostengünstig rationalisieren wollte.

Es folgte die Ernüchterung, als die neue demokratische Regierung die durch die Apartheid geschaffenen ungerechten Gesellschaftsstrukturen nicht korrigierte, sondern seit 1996 mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik noch weiter verschärfte. Den internationalen Konzernen wurde wieder der rote Teppich ausgerollt. Deutschland entwickelte sich schnell zum Handelspartner Nummer eins für Südafrika. Allerdings hat kein einziges deutsches Unternehmen vor der Wahrheitskommission, in der die Vergangenheit aufgearbeitet werden sollte, ausgesagt. Zehntausende von Misshandelten und Gefolterten sowie die Angehörigen der Ermordeten hatten auf eine finanzielle Entschädigung gehofft. Denn für viele Menschen geht es angesichts der extremen sozialen Ungleichheit immer noch um das Überleben. Doch hierfür ist kein Geld mehr da; es wird für den Schuldendienst benötigt.

Die Selbsthilfeorganisation Khulumani fordert zusammen mit 4000 anderen Initiativen, dass sich die Banken und Konzerne zu dem von ihnen begangenen Unrecht bekennen, und verlangt individuelle und kollektive Entschädigungen. Sie fordern den Erlass der verabscheuungswürdigen Schulden, denn es war das Apartheidregime, das die Staatsfinanzen ruiniert hatte. „Der Ruf nach internationalen Reparationen ist ein Ruf nach wirtschaftlicher Umverteilung, politischem Wandel und der Wiederherstellung von Gleichheit unter den Nationen.“

Der Koordinierungskreis der Kampagne für Entschuldung und Entschädigung hat den Dialog mit den Apartheidfinanziers gesucht und demonstriert, Firmenhauptversammlungen besucht, Reden gehalten und Briefe geschrieben. Die Helfer der Apartheid wiegelten ab und verweigern sogar die Öffnung der Firmenarchive, die das ganze Ausmaß ihres verwerflichen Tuns offenbaren würde. Die Gegnerinnen und Gegner der heutigen sozialen Apartheid werden weiterkämpfen und hoffen auf unsere Solidarität. Dieses anregend geschriebene und aufrüttelnde Buch zeigt sehr deutlich, dass die südafrikanische Vergangenheit auch unsere Geschichte ist.