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Ham Dekhenge, Ham Dekhenge

Das 4. Weltsozialforum in Mumbai. Ein Bericht aus Indien

| Sabine Wagenfeld Indien/Berlin

(GWR-Red.) Sabine Wagenfeld nahm im Januar 2004 als Mitglied des pazifistischen Versöhnungsbundes (Kommission "Indischer Subkontinent") am Weltsozialforum im indischen Mumbai teil. Für die GWR-LeserInnen beschreibt sie ihre Erlebnisse:

„Ham dekhenge Ham dekhenge:
Wir werden sehen, wie eure Unterdrückung funktioniert,
und es wird für die Unterdrücker eine Herausforderung sein,
wenn wir uns alle zusammenschließen, werden sie alle davonfliegen.
Alle Kronen werden fallen, es wird möglich sein, dass wir beobachten, dass alle Unterdrückung keinen Fortbestand haben wird.“ (Faiz Ali Faiz)

Eindrücklich verwandelte die berühmte indische Sängerin klassischer Musik, Shuba Mugdal, auf der Abschlussveranstaltung des 4. Weltsozialforums (WSF) in Mumbai/ Bombay die Worte des pakistanischen Schriftstellers Faiz Ali Faiz in Ragas, die unter die Haut gingen und den Lebenswillen der Protestbewegungen aus der ganzen Welt ausdrückten. Worte, die als Protest gegen ein unterdrückerisches Regime geschrieben waren, gegen Folter und Ausweglosigkeit, klangen nun gegen internationale Unterdrückungsmechanismen mit den Namen „IWF“, „Weltbank“, „Gatt“, „Bush-Administration“, „Patriarchate“, „Fundamentalismus“ und bekamen den Beifall und die Tränen vieler tausend Menschen. Nachdem vor einem Jahr das Asiatische Sozialforum mit breiter Beteiligung in Hyderabad erfolgreich gewesen war, entschied man sich für den Standort Indien, um mehr Menschen aus Afrika und Asien die Teilnahme zu ermöglichen.

Als Gegenbewegung gegen das „World Economic Forum“ in den Jahren 2000 bis 2002 im brasilianischen Porto Alegre entstanden, trug das WSF auch diesmal wieder das Motto: Eine andere Welt ist möglich.

120.000 Menschen aus 130 Ländern, dazu täglich noch einmal 50.000, trafen sich vom 16. bis 21. Januar auf einem riesigen Ausstellungsgelände, den Nesco Grounds im Stadtteil Goregaon in Bombay. Über 1.000 Veranstaltungen wurden von verschiedenen Gruppen organisiert.

Zentrale Themen des WSF waren: Irakkrieg, Unterdrückung von Dalits und indigenen Völkern, Rassismus, Rechte von ArbeiterInnen, Fundamentalismus, Frauen und Globalisierung, Gewalt gegen Frauen, Kinderrechte, WTO, WSF und Demokratisierung, Aids und Armut, Zugang zu Wasser als Menschenrecht, Landrechte, sexuelle Minderheiten und Transsexuelle.

Allein 20 Veranstaltungen der „National Alliance of Peoples Movement“ waren höchst spannend, u.a. „People over Profit“, „Water for Livelihood“, „Peoples Forum against Coca Cola“ und ein „World Dignity Forum“.

Dank der hervorragenden Organisation gab es auf dem Gelände ausreichend sanitäre Anlagen, Essenstände an zentralen Stellen und eine große Esshalle versorgten die Menschen mit indischen Gerichten (Thalis).

Beeindruckend waren auch die Ruhe und die Vermeidung von Engpässen. Die Menschen begegneten sich in gegenseitiger Achtung und mit Neugierde.

Hauptsächlich indische Gruppen, Dalit-Organisationen (Organisierte aus den unteren Kasten, Kastenlose), Tribals, die indigenen EinwohnerInnen, ArbeiterInnenorganisationen etc., wohnten in großen Zelt-Dörfern in verschiedenen Stadtteilen der 15 Millionen-Stadt. Für 50 Rupien am Tag wurden 2 warme Mahlzeiten und Tee angeboten und der Transport zum Veranstaltungsgelände in Bussen.

50 Rupien sind für viele DorfbewohnerInnen viel Geld, oft 1 – 2 Tageslöhne, so ist die Teilnahme von diesen Gruppen ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich.

Die Umweltaktionsgruppe PSS, die in der Tradition Gandhis in Dörfern mit den Menschen für Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und für Selbstversorgung arbeiten, mobilisierte aus 30 Dörfern 280 Tribals aus Gujarat. Da bei Englisch und Hindi als Hauptsprachen nicht in regionale Sprachen übersetzt wurde, erfuhr die Verständigung eine Einschränkung. Aber die Sprache des Widerstandes in Form von Demos, Tänzen und kulturellen Darbietungen ist universal, und so brachten sie ihre Stimmen ein. Auch viele UreinwohnerInnen aus dem Narmada-Tal waren anwesend; die AktivistInnen übersetzten.

Another World is possible

Schon im Eingangsbereich hingen zahlreiche Transparente wie z.B.:

Der Norden hat beim Süden historische, soziale und ökologische Schulden
Liebe zwischen Gleichen (Transparent der Homosexuellen und Lesben)
Flüchtlinge aus Bhutan (hinduistische Minderheit)
Kampagne gegen Sklavenarbeit von Kindern
Menschenhandel und Frauenhandel ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte
Dalits Widerstand gegen Globalisierung

Eine „Strasse“ war ganz den Kinderrechtsorganisationen gewidmet. Mit Ständen und selbstgemalten Transparenten, die auf Kinder-Sklavenarbeit und Kinderhandel aufmerksam machten und zwischen den Bäumen hingen, stellten sie ihre Anliegen aus. Ebenso kamen mir häufig Kinder entgegen, die Postkarten oder CDs von ihrem Musical gegen Kinderarbeit verkauften. Sie waren also da, diejenigen, über die immer gesprochen wird. Sie bekamen Sympathie und Unterstützung.

Eröffnungsveranstaltung

Mit Gesängen, Slogans und Trommelschlägen strömten Tausende TeilnehmerInnen auf das Gelände der Eröffnungsveranstaltung, am auffälligsten wohl die 200 SüdkoreanerInnen, die für Revolution und Sozialismus eintraten.

Das eindrucksvolle Podium, u.a. Ahmed Ben Bella (Algerien), Abdul Amir al Rekay (Irak), Arundhati Roy (Indien), Chico Whitaker (Brasilien), Jeremy Corbyn (England), Shabana Azmi, eine der bekanntesten Schauspielerinnen Indiens und Mustafa Barghouti (Palästina), fasste in Worte, weswegen so viele gekommen waren. Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, Anwältin aus Iran, erklärte:

„Wir sind hier, um auf der Würde des Menschen zu bestehen, um unser Engagement für die Menschenwürde zu konstatieren. Wir sind hier, um überall bekannt zu geben, dass ein Mensch, der in Hunger lebt und am Krieg leidet, nicht in Würde leben kann.“

Besonderer Wert wurde auf das kulturelle Programm gelegt, um Zeichen der Verbundenheit zwischen angeblichen Feinden und zwischen den Kontinenten zu setzen.

Bereits vor Beginn des Weltsozialforums wurde Widerstand gegen die Politik der US-Administration angekündigt: „Bush muss gestoppt werden. Die Politik seines Landes verursacht in der ganzen Welt Verwüstung, militärisch wie auch ökonomisch!“, so Chico Whitaker, der die ersten drei Sozialforen in Porto Allegre leitete. Er wollte auf der diesjährigen Tagung insbesondere den Irak-Krieg und die Handelspolitik der US-Regierung an den Pranger stellen.

„Women and Water“

Diese Veranstaltung wurde von „Diverse Women for Diversity“ organisiert. Dr. Maria Mies (BRD) und Dr. Ursula Oswald Spring (“ via campesina“, Mexiko) gaben Beispiele für die Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung durch transnationale Konzerne („cross border leasing“) und die damit im Zusammenhang stehende Korruption in ihren jeweiligen Ländern und wie Frauenorganisationen an diesem Thema arbeiten bzw. welche spezifischen Probleme Frauen mit der (oft mangelnden) Verfügbarkeit von Wasser haben.

Andere Sprecherinnen waren u.a. Theresa Wolfwood, Amarajeet Kaur und Illina Sen (Indien). Es wurden weitere Beispiele der Verarmung von Frauen im Zuge der Privatisierung der Wasserverteilung aus Kanada und Syrien dargestellt. Im Vorfeld des WSF hatte ein Treffen stattgefunden, bei dem das „People’s World Water Forum“ gegründet wurde, als Gegenpol zur vermeintlichen UN-Organisation „World Water Council“, die faktisch als Werkzeug der transnationalen Konzerne der Wasserwirtschaft fungiert.

Die Kernforderung des „People’s World Water Forum“ ist die Herausnahme des Themas Wasser aus den GATT-Verträgen, da Zugang zu Wasser ein Grundrecht aller ist. Legale Schritte zur Sicherung der Grundbedürfnisse sind sonst kaum mehr möglich. Indien hat „Wasser“ leider an die Spitze der Liste für GATT gesetzt, darüber wird in Verhandlungen in 2005 entschieden.

Eine indische Frauengruppe hat den Fall der Coca-Cola Company in Kerala vor das Oberste Gericht gebracht. Coca Cola schröpfte Unmengen von Wasser in einem von Dürre bedrohten Gebiet. Hoffnungsschimmer: Das Verfahren wurde gewonnen, seit dem 16.1.04 darf Coca Cola dort kein Wasser mehr entnehmen. Der Konzern geht dagegen vor.

Ein Aktionsvorschlag war, Lobbyarbeit für die UN-Berichte zum Thema „wirtschaftliche und soziale Rechte“ zu betreiben, zu denen jede Regierung verpflichtet ist.

Unterlässt sie dieses, können auch Berichte von NGOs akzeptiert werden, in Deutschland z.B. von „Brot für die Welt“.

Gruppen im weltweiten Organisationskomitee bemühten sich, Fragen der Strategie und der Bündnisse auf die Agenda zu setzen. So lautete eine wichtige Veranstaltung „Building bridges“ – zwischen den verschiedenen Bewegungen: ArbeiterInnenbewegung, feministische Bewegung, Anti-Kriegsbewegung, Ökologiebewegung und Dalit-Organisationen. Hierfür hatte sich die Feministische Lobby stark gemacht und auch das Podium zur Hälfte besetzt.

Die Gruppe „Feminist Dialogues“ hatte in den Jahren zuvor die Themen Frauen und Globalisierung, Gewalt gegen Frauen, Strategien, Recht auf Nahrungsmittel und Biopiraterie vorbereitet sowie Lobbyarbeit im internationalen, als auch im indischen Komitee betrieben.

Tag 1

Der rote Faden zog sich durch das Thema „Land, Landverteilung, Landrechte, Wasser und Autonomie über Nahrung und Nahrungsmittel“ („Food Sovereignity“) und die erste Podiumsdiskussion u. a. mit Mehda Patkar, der führenden Widerstandskämpferin gegen die Narmada-Staudämme.

Als eines der nächsten Themen wurde „Globalisierung und Frauen“ bearbeitet, mitorganisiert vom „National Network of Autonomous Womens Groups in India“.

Die Vertreterinnen der verschiedenen Länder schilderten eindringlich, dass die Globalisierung der Märkte besonders für Frauen die Globalisierung von Armut, Ungleichheit, Unterernährung und Arbeitslosigkeit bedeute. In Indien hatte die Öffnung der Märkte in den letzten 13 Jahren enorme Preissteigerungen bei Mitteln des täglichen Bedarfs zur Folge, das öffentliche Verteilungssystem von Reis, Kerosin sowie Speisungen in Schulen wird immer mehr abgebaut. Die Preise von Weizen und Reis, die es auf Karten in sogenannten „ration shops“, von der Regierung subventioniert, gibt, sind um 200% gestiegen. War Arbeitsmigration bisher eine Männerdomäne, ist mittlerweile gerade in Asien, speziell Pakistan, Nepal, Burma und Thailand, der Anteil der Frauen daran inzwischen höher als der von Männern. Oft verbergen sich hinter Angeboten für Hausangestellte („Domestic Labour“) Frauenhandel und Prostitution.

Armutsbekämpfung und die Förderung nachhaltiger Entwicklung spielen im Welthandel bisher keine Rolle. Deshalb haben mehrere entwicklungspolitische Organisationen im November 2003 die Welthandelskampagne „Gerechtigkeit jetzt!“ ins Leben gerufen.

Tag 2

Ein Schwerpunkt war: die Rolle der Medien, Kultur und Wissen, u.a. mit N. Ram, Chefredakteur der laizistischen Oppositionszeitung „The Hindu“ (Madras), Richard Stallman (USA), Gründer von GNU und Verfechter der „freien Software“, Bernard Cassen (Frankreich), der sich zum Thema „Macht der Medien“ äußerte.

Richard Stallman wurde von der „Free Software Foundation India“ (FSF) eingeladen. GNU ist ein Synonym für ein großes Paket freier Software, schon entwickelt, lange bevor es das „open source“-Betriebssystem Linux gab, von dem GNU heute einen der größten Brocken stellt. Stallman lehnt jede Form von Copyright für Medien (Software, Audio, Video, etc.) ab und meint weiterhin, dass der Begriff der Piraterie auf Medien schon deshalb nicht anwendbar ist, als durch unautorisierte Weitergabe ja keinem etwas weggenommen werde. Er erfand das Symbol „Copyleft“.

Auf dem Podium von „War’s against Women – Women against Wars“ waren versammelt: Arundhati Roy, Nawal El Saddawi aus Ägypten, Pledad Cordoba aus Kolumbien und Irene Khan aus Bangladesh. Die Frauen legten Zeugnis ab über Arten der Gewalt gegen Frauen und den weltweiten Aktionen dagegen.

Nawal El Saddawi betonte, dass die Probleme von Frauen im Zusammenhang mit den sozialen, politischen Problemen der Bevölkerung gesehen werden müssen. Interessanterweise wurde von Irene Khan das „Make-Up“, fester Bestandteil des Lebens der „modernen“ Frau, als eine Art moderner Schleier bewertet. Ein guter Beitrag zu der im Westen geführten „Kopftuchdebatte“

Arundathi Roy (1) bezog sich auf die Brutalität der Verbrechen gegen Frauen, wie z.B. in Gujarat (Indien). Frauen wurden nach grausamsten Gewalttaten während der Pogrome gegen die moslemische Bevölkerung die Grundrechte grundlegend verweigert und die Verantwortlichen nicht bestraft. Kritisch beurteilte sie die Vergabe der Landrechte von Frauen auf Männer, nachdem diese Menschen umgesiedelt worden waren (z.B. für Staudammprojekte).

Saba Saher führte aus, dass der Krieg gegen Afghanistan ja angeblich für die Verbesserung der Situation der Frauen geführt worden wäre. Sie stellte fest, dass ironischerweise die neue afghanische Regierung Frauen nicht als gleichberechtigt behandelte, die Situation der Frauen nach wie vor miserabel wäre, und wir sollten uns nicht täuschen lassen von der Darstellung der Frauen in Afghanistan in den Medien. Die Vertreterin von Amnesty International brachte die Faktenaufzählung bis an die Grenze des Unerträglichen für die ZuhörerInnen, z.B. in Bezug auf Frauen im Kongo, die Massenvergewaltigungen ausgesetzt waren und jetzt mit Kindern und der Furcht vor Aids leben müssen. Sie kündigte an, dass Amnesty International den Kampf für neue Gesetze in Bezug auf Kriegsverbrechen gegen Frauen vorantreiben wird.

Immer noch ist das Einkommen von Frauen weltweit auf niedrigem Niveau. Sie produzieren 50% der Nahrungsmittel, aber der Anteil am Einkommen beträgt nur 1%, sie besitzen weniger als 1% des Wohlstandes in der Welt. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob es gerechtfertigt ist, so allgemein von Frauen zu sprechen. „Feminist Dialogues“ plädierte dafür, genau zu unterscheiden, ob es sich um Frauen aus südlichen Ländern oder Dalit women etc. handelt.

Tag 3

In Halle 1 beinhaltete das Thema „Globalisierung, Ökonomie und soziale Sicherheit“ den Abbau der sozialen Sicherungssysteme. Einer der Redner war der ehemalige Vizepräsident der Weltbank und Präsidentenberater von Clinton, Joseph Stiglitz. Er setzte sich seinerseits kritisch mit der Politik von Weltbank und Internationalem Währungsfont (IWF) auseinander und trat schließlich zurück. Stiglitz und andere Redner unterstrichen die verheerende Wirkung der Globalisierung auf die soziale Sicherheit. Ein Beispiel dafür ist der Umstand, dass insbesondere transnationale Unternehmen einen häufig wechselnden Bedarf an Arbeitskräften haben und die Betroffenen daher regelmäßig mit dem Problem konfrontiert sind, eine neue Arbeit zu finden. Andere Beispiele sind die Schwächung der Gewerkschaften und die fortschreitende Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme in vielen Ländern, was z.B. zur Folge hat, dass die Gesellschaft gespalten wird in solche, die sich soziale Sicherheit finanziell leisten können, und solche, die das nicht mehr können. Diese Prozesse werden in den Entwicklungsländern vom IWF gefördert. Andere Redner sprachen darüber, wie globale Märkte im Rahmen des US-Imperialismus operieren.

Auch das Thema „Racism and Casteism“, d.h. Rassismus und Unterdrückung durch das Kastensystem, war auf der Hauptagenda. In Ländern wie Nepal, Bangladesh, Sri Lanka und Indien stellt Unterdrückung durch das Kastensystem ein zentrales Problem dar, ähnlich der Apartheid in Südafrika. Die Vortragenden waren Martin Madwan (Indien), Bhagwan Das (Indien), Blanca Chancoso (Equador), Durga Sob (Nepal), Eugenia Poma (Bolivien), Vikor Dike (Nigeria) und Tagawa Masato (Japan). Martin Madwan sprach über die Situation der etwa 200 Millionen Dalits in Indien (240 Millionen in Südasien). Die Diskriminierung beginnt in der Kindheit, das Erziehungssystem sorgt für eine Trennung der sogenannten „Unberührbaren“ von anderen, die Kinder von Dalits bekommen oft keine oder nur wenig Schulbildung. Dalits leben in der Regel in abgetrennten Bezirken. Sie dürfen keine Dorfbrunnen benutzen und bekommen nur den Mindestlohn. Alle Bemühungen, die Situation der Betroffenen zu verbessern, kommen von sozialen Bewegungen.

„Diversity“ – Vielfalt

Das WSF, das war eine permanente kulturelle Vielfalt, Angebote von kulturellen Beiträgen, Straßentheatern und Tänzen und eine Dauerdemonstration verschiedener Gruppen, laute Trommeln und andere Instrumente ertönten. Ebenso gab es „Solidarity tents“ und einen Ort für „world wide plenaries“.

Um uns nicht unbeschäftigt zu lassen, präsentierten Hunderte von Organisationen in 2 Ausstellungshallen ihre Anliegen, sammelten Unterschriften, und Bücherstände sorgten für Information. Außerdem gab es beeindruckende Ausstellungen zum Thema Krieg in den Medien, eine sehr gute Ausstellung zu Gujarat, seiner Geschichte und den aktuellen Ereignissen, wie das Erdbeben im Jahr 2000 und die Pogrome und der Genozid an der moslemischen Bevölkerung.

Nicht nur auf Plakaten, sondern auch in der inhaltlichen Debatte fanden sich Vergleiche zwischen der Organisation der Regierenden Partei BJP (Hindu-Fundamentalisten) mit ihren „paramilitärischen Verbänden“ RSS sowie dem religiösen Flügel „Vishwa Hindu Parishad“ (VHP) und dem deutschen Faschismus und seiner Entstehungsgeschichte.

Von den selbstorganisierten Veranstaltungen verdient das Seminar von Männern zum Thema

„Männergewalt“ besondere Aufmerksamkeit. Die Veranstaltung „Male Involvement in Gender Issues“ drehte sich um Programme von Männergruppen in Asien zum Thema Gewalt gegen Frauen. Unter anderem wurde das Projekt „Mava“ (www.mavaindia.org) vorgestellt. Mava steht für „Men against violence & abuse“. Eine andere Initiative ist „Masvaw“ (Men’s Action for Stopping Violence Against Women), die überwiegend im indischen Bundesstaat Uttar Pra-desh (UP) arbeitet. UP ist mit 170 Millionen Einwohnern der größte Bundesstaat Indiens, das sechstgrößte Land der Welt und steht laut „Masvaw“ in Indien auf Platz 1 in Bezug auf Gewalt gegen Frauen (50% aller in Indien erfassten Gewalttaten gegen Frauen). Die Arbeit der Männerorganisationen betrifft vor allem sexuelle Aufklärung von Männern und die Aufdeckung und den Abbau von patriarchalischen Strukturen in Gesellschaft und Familie.

Abschließend ist zu berichten, dass die Pakistanische Gruppe „Prism-Prisma“ und eine indische Organisation die Veranstaltung „Fundamentalismus, Nationalismus und Sexualität“ angeboten haben, für mich eines der herausragendsten Seminare. Sunila Abhyasekaraya, die bekannte Frauenrechtlerin aus Sri Lanka, referierte über Ehen zwischen Partnern verschiedener Religionsgemeinschaften, Kasten etc., den langen Kampf der Frauen seit den achtziger Jahren, Sexualität, Vergewaltigung in der Ehe, und sie forderte, die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen auf die Tagesordnung zu setzen, um somit Veränderungen zu erreichen. Sie sprach sich wiederholt dafür aus, die Kämpfe von Frauen in unterschiedlichen Ländern und Kulturen genau zu unterscheiden, nicht Modelle aus dem Westen zu kopieren.

Das Ziel verfolgte auch der Vertreter des „Gay Rights Movement“ aus Mumbai. Die Vorurteile gegen Homosexuelle müssten im Kontext der indischen Kultur und Gesetze bearbeitet werden. Das Gesetz über „unnatürlichen Sex“ wird neuerdings auch im kommunalistischen Zusammenhang gegen moslemische Männer mit angeblich mehreren Frauen angewandt. Schockierend waren die Schilderungen eines transsexuellen Sozialarbeiters, der von der Gewalt z.B. auf Polizeirevieren und in der Gesellschaft gegen Kotas (Transsexuelle) berichtete. Er konstatierte: „Es gibt ein Menschenrecht, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, wie du bist.“ Auch wurde auf die Propaganda der Fundamentalisten in Bezug auf Aids hingewiesen. Folterungen von Lesben in Australien und Suizid von Lesben in Kerala wurden als Spitze der Grausamkeiten erwähnt.

Die Abschlussworte der pakistanischen Vertreterin von Prisma waren aufbauend, mehr Zusammenarbeit wie diese und die gegenseitige Stärkung haben alle TeilnehmerInnen sich gewünscht.

Szenenwechsel: Das Weltsozialforum nähert sich dem Ende

Die Abschlussdemonstration durch Mumbai mit ca. 100.000 Menschen ist ein Erfolg, die Schlussveranstaltung macht die Realität der „anderen Welt“ deutlich!

Zur gleichen Zeit: Medha Patkar sitzt seit 2 Tagen zusammen mit 100 Tribals aus dem Narmada-Tal vor dem Büro der Ministerin von Maharashtra (Congress Partei), im Herzen Bombays. Internationale VertreterInnen vom WSF bekunden ihre Solidarität. Die Ministerin sichert am nächsten Tag Gespräche zu. Das reicht Medha nicht, sie beginnt ein Fasten.

Medha Patkar ist die Führungsfigur von einer der größten sozialen Bewegungen Indiens namens NBA („Narmada Bachao Andolan – Bewegung zur Rettung der Narmada“), die gegen die Narmada-Staudämme kämpft. Für viele ist sie die beeindruckendste Persönlichkeit in den indischen ökologisch-sozialen Bewegungen der Gegenwart.

(1) Siehe auch Arundhati Roys WSF-Rede und Alfred Schoberts Kommentar dazu in: GWR 286, Februar 2004

Anmerkungen

Die Netzwerkerin Sabine Wagenfeld leistet interkulturelle Anti-Gewalt-Arbeit mit Frauen in Berlin bei ZUFF e.V. Sie arbeitet mit UmweltaktivistInnen in Gujarat, mehrere längere Aufenthalte in Indien.

Kontakt

Infos gibt's im Netz unter:

www.cokewatch.org
via.campesina für Mexiko
www.canadians.org
World Commission on Dams
International Rivers Network
www.gerechtigkeit-jetzt.de
Diverse Women for Diversity
Peoples Forum against Coca Cola
www.narmada.org
International People's Health Forum

masvaw@sahayogindia.org

Und die Homepage des WSF!