transnationales / antimilitarismus

„Wir weigern uns, Besatzungssoldaten zu sein“

Israel: Vielfältige Ansätze zur Kriegsdienstverweigerung

| Rudi Friedrich

Fünf Kriegsdienstverweigerer wurden am 4. Januar 2004 zu je 12 Monaten Haft verurteilt: Haggai Matar, Matan Kaminer, Noam Bahat, Adam Maor und Shimri Tsamaret (vgl. GWR 286).

Sie gehören zu jenen mehreren hundert Schülerinnen und Schüler, die in den letzten beiden Jahren in Offenen Briefen an die israelische Regierung ihre Verweigerung erklärten und sich in einer Gruppe mit Namen „Shministim“ organisierten. „Wir weigern uns, Besatzungssoldaten zu sein!“ schrieben 210 Jugendliche am 17. September 2002 und antworteten damit auf die alltäglichen Aktionen des israelischen Militärs gegen die palästinensische Bevölkerung. Sie sehen die Besatzung als „unmoralisch“ an: „Sie ist auch schädlich für die Sicherheit Israel und seine Bewohner. Wahre Sicherheit lässt sich nur durch einen gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern erreichen.“ (1)

Wer aufmerksam liest, wird leicht feststellen: Diese Begründung für eine Verweigerung hat nur wenig mit der in Deutschland gängigen Vorstellung eines Kriegsdienstverweigerers zu tun. Es gibt in Israel sehr unterschiedliche Motive, den Dienst in der Armee zu verweigern. Ein Reservist hat erlebt, wie sein Freund und Kamerad daran zerbricht, dass er unabsichtlich eine schwangere Palästinenserin bei einer Demonstration erschossen hat. Ein anderer stellt fest, dass er nicht mehr bereit ist, widerrechtliche Befehle auszuführen, sogenannte „Schwarze Befehle“. Eine Wehrpflichtige lehnt den Dienst ab, da die Armee eine Waffe sei um zu morden, zu unterdrücken und zu zerstören. Und es gibt auch eine kleine Zahl von Verweigerinnen und Verweigerern“, die ihre Motivation pazifistisch begründen.

Alle jüdischen Frauen und Männer sind wehrpflichtig und werden mit 18 Jahren einberufen. Die Dauer des Militärdienstes beträgt für Männer drei Jahre, für Frauen 20 Monate. Nach Ablauf des regulären Militärdienstes leisten Männer bis zu ihrem 50. Lebensjahr mindestens einmal jährlich für ca. 30 Tage einen Reservedienst ab.

Nicht wehrpflichtig ist die palästinensische Bevölkerung mit israelischer Staatsbürgerschaft, immerhin 18% der israelischen Bevölkerung. Ausgenommen werden auch religiöse Schüler der orthodoxen jüdischen Bildungsanstalten. (2)

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung können praktisch nur Frauen in Anspruch nehmen. Sie müssen vor einem Gewissenskomitee ihre Gründe darlegen. Nach einer Anerkennung können sie einen zivilen Dienst ableisten, müssen es aber nicht.

Männer werden in der Regel vom Militär zu mehrmaligen 2 bis 4-wöchigen Arreststrafen verurteilt und schließlich ausgemustert. In wenigen Fällen hatten Männer beantragt, vom Gewissenskomitee aufgrund ihrer pazifistischen Motivation zur Kriegsdienstverweigerung anerkannt zu werden. Allerdings erhielten von 150 Antragstellern von 1995 bis 2002 nur sechs eine Anerkennung. (3)

Vielfältige Ansätze zur Verweigerung

Die unterschiedlichen Ansätze spiegeln sich auch bei den Gruppen und Organisationen wider, die sich in Israel organisiert haben. Insgesamt kann man von etwa 1.500 VerweigerInnen Verweigerinnen und Verweigerern seit dem Beginn der zweiten Intifada im September 2000 ausgehen. Bei einem Besuch im Januar 2004 hatten wir Gelegenheit, die verschiedenen Gruppen aufzusuchen, ihre Arbeit kennen zu lernen und ihre Positionen zu erfahren.

„Shministim“, was so viel bedeutet wie Highschool, Gymnasium, hatte sich im Zuge der Offenen Briefe von Schülerinnen und Schülern gegründet. Die im Januar verurteilten Verweigerer stammen aus dieser Gruppe. Allerdings haben die Aktionen der Gruppe erheblich nachgelassen. Einige der Frauen fühlten sich aus der Arbeit ausgegrenzt, weil es – auch bedingt durch den Fokus auf die Inhaftierten – ausschließlich um die Verweigerung der Männer ging. Andere Aktive zogen es vor, sich ausmustern zu lassen und keine Auseinandersetzung mit dem Militär zu führen. Zudem gelang es der Gruppe nur schwer eine Kontinuität über die Jahrgänge hinweg zu entwickeln. Immerhin gibt es jetzt wohl Ansätze neuer Verweigerer, die Gruppe wieder zu beleben.

Die älteste noch aktive Gruppe ist „Yesh Gvul“. Sie wurde 1982 als Antwort auf die israelische Invasion im Libanon gegründet, als eine steigende Zahl von Soldaten und Soldatinnen bemerkte, dass die Militäroperation eine sinnlose Aggression darstellte. Ging es ihnen zunächst um die Ablehnung im Libanon eingesetzt zu werden, erweiterte die Gruppe später ihre Aktivitäten auf die Verweigerung von illegalen Befehlen und des Einsatzes in den besetzten Gebieten. Basis für die Arbeit der Gruppe war ihr Name: „Es gibt eine Grenze“. Diese Definition wurde weder räumlich noch inhaltlich eingeschränkt. So konnten Verweigerer mit unterschiedlichen Motiven bei „Yesh Gvul“ aktiv werden. Inzwischen unterstützt die Gruppe auch Verweigerer und Verweigerinnen, die den Militärdienst grundsätzlich ablehnen.

Seit ihren Anfängen bietet die Gruppe Beratung an. Sie versucht zudem, Familien von inhaftierten Refuseniks finanziell zu unterstützen, da die Gefängnisstrafe für die Familien oft den Ausfall eines Monatsgehaltes bedeutet. Darüber hinaus beteiligt sie sich an der Organisation verschiedener Demonstrationen zur Unterstützung inhaftierter Verweigerer.

„New Profile“ ist eine feministische, basisdemokratisch organisierte Gruppe, in der auch Verweigererinnen und Verweigerer aktiv sind. Sie setzt sich für Kriegsdienstverweigerer und Verweigerinnen sowie die Anerkennung des betreffenden Menschenrechts ein. Derzeit versucht „New Profile“, einige Ansätze für Jugendgruppen in verschiedenen Städten in Israel zu unterstützen. So wurde auf einem Treffen über Straßenaktionen in Haifa berichtet, über Jugendseminare in Jerusalem, über eine neue Verweigerergruppe aus Tel Aviv.

Interessant ist dabei, dass angestrebt wird, andere Formen zu finden, um Jugendliche für die Kriegsdienstverweigerung zu motivieren. Als Beispiel dafür sei das sogenannte „listening-project“ genannt. Eine kleine Gruppe von Aktiven stellt sich in die Nähe von Schulen mit Plakaten, auf denen provokante Thesen z.B. zur Besatzung, zum Militär usw. stehen, und warten darauf, dass SchülerInnen kommen und mit ihnen diskutieren wollen. Statt zu diskutieren, versuchen die Mitglieder der Gruppe jedoch, die Diskutanten zum Reden zu bringen – und machen nichts anderes, als zuzuhören. Die Erfahrung zeigt, dass zunächst die häufig bekannten Schlagworte genannt werden, der allgemeine „mainstream“ wiederholt wird. Aber oft stellen sie dann fest, dass die Argumente bei den Diskutanten von selbst aufbrechen, sie sich selbst in Frage stellen. Über diese Aktionsform versucht die Gruppe, Interessierte zu finden und sie in ihrer Gruppe einzubinden.

Ziel von „New Profile“ ist, den verschiedenen Ansätzen der Arbeit mit jungen Erwachsenen einen gemeinsamen Rahmen zu geben. Das Treffen, an dem wir teilnahmen, war sehr konstruktiv, neue Ideen wurden diskutiert und praktische Vorschläge für die Umsetzung gemacht. Ein neues Flugblatt soll erstellt werden. Geplant sind auch weitere Aktivitäten an Schulen.

Neu zusammengefunden hat sich eine Gruppe von Verweigerinnen. Sie müssen sich mit dem Verfahren vor dem Gewissenskomitee auseinandersetzen. „Es war ein Zusammenstoß von fünf großen Männern mit einem kleinen, pazifistischen Mädchen.

Sie gaben mir zu verstehen, dass meine Entscheidung die Staatssicherheit zerstöre. Ich hatte wirklich Angst.“ (4) So beschreibt Inbal Kaplan die Anhörung vor dem Komitee. Sie erhielt die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin.

Jedes Jahr beantragen 120-180 junge Frauen die Anerkennung. Im Jahre 2002 wurden von 173 Frauen 118 in der ersten Anhörung anerkannt, 23 weitere in der zweiten Instanz. Die anderen wurden abgelehnt.

Die Frauen machten in ihrer gemeinsamen Arbeit in der „Shministim“-Gruppe eine Erfahrung: Die Arbeit und Handlung der Männer wurde als deutlich wichtiger eingeschätzt. Die fünf Verweigerer, die vor Gericht standen, wurden zu Helden der antimilitaristischen Arbeit, während die Frauen nur noch als Helferinnen ohne eigenes politisches Konzept wahrgenommen wurden. So spiegelte sich der gesellschaftliche Rang von Männern und Frauen auch in dieser Gruppe wider.

Die Frauengruppe beschloss daher, sich unabhängig von den Männern zu organisieren, um eigene politische Ansätze entwickeln und nach außen tragen zu können. Sie bedienen sich dabei einer von „New Profile“ erarbeiteten Ausstellung, in der die in Israel übliche untergeordnete Rolle von Frauen thematisiert wird. Sie gehen damit an Schulen, erörtern ihre Vorstellung von Feminismus und informieren über die Möglichkeiten der Kriegsdienstverweigerung.

Das „Forum der Eltern von Verweigerern“ hatte sich aus Anlass der Verfahren vor dem Militärgericht im Jahre 2003 gegründet. Es unterstützt die Anliegen der fünf Verweigerer, wie auch von Yonathan Ben Artzi, der aus pazifistischen Motiven heraus seine Verweigerung erklärt hatte und vor dem Militärgericht stand (vgl. GWR 284). Sein Fall wurde an das Gewissenskomitee zurück verwiesen, das über die Anträge zur Kriegsdienstverweigerung zu entscheiden hat.

Die Eltern, Großeltern, Freunde und Freundinnen, die sich in dieser Gruppe organisiert haben, begleiten die Verweigerer in den Strafverfahren, organisieren Demonstrationen, führen eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit durch und haben einige der Fälle sehr bekannt gemacht, gerade auch auf internationaler Ebene.

„Courage to Refuse“ trat das erste Mal mit einer gemeinsamen Erklärung von 52 Reservisten im Januar 2002 in die Öffentlichkeit. Inzwischen gehören der Gruppe etwa 600 Refuseniks an. Sie verweigern jährlich den in der Regel einmonatigen Dienst in den besetzten Gebieten.

Während unseres Aufenthaltes hatte die Gruppe eine Demonstration am Checkpoint zur jüdischen Siedlung Netzarim organisiert, die im besetzten Gaza-Streifen liegt. Etwa hundert Demonstrierende hatten sich zusammengefunden, relativ viel Presse. Bezeichnend für den politischen Hintergrund der Gruppe ist ihr gemeinsames Logo: ein Davidsstern, der in der Farbe der israelischen Flagge über dem Horizont aufgeht. Sie sehen sich als Zionisten, die sich mit ihrer Verweigerung, in den besetzten Gebieten zu dienen, für Israel einsetzen:“Refusing for Israel“. Ihr zentraler Slogan heißt: „Es wird nicht enden, wenn wir nicht verweigern!“

Auf der anderen Seite der Straße standen auch etwa 100 Personen: Gegendemonstranten, Schüler und Schülerinnen, die aus einem Internat aus Netzarim kamen. Sie konterten mit Slogans, wie „Verweigerung Nein, Zionismus Ja“ oder „Die Terroristen auf der anderen Seite des Zauns können Euch hören – schämt Euch!“

Die Refuseniks schämten sich nicht, sondern hatten vielmehr gute Anlagen mitgebracht, um ihre Slogans lautstark zu vertreten und Lieder anzustimmen.

Die Schüler hielten dagegen. Es war ein munterer Wettbewerb, der nach etwa einer Stunde sein friedliches Ende fand, als die SchülerInnen zurück ins Internat fuhren.

Auf einem Treffen betonte wenige Tage später Arik Diamant von „Courage to Refuse“ ihren begrenzten Ansatz zur Verweigerung. Es ginge ihnen nicht darum, das Militär in Frage zu stellen, sondern ausschließlich um die Frage der Besatzung. Wenn die Besatzung beendet wäre, würde sich die Gruppe auflösen, da sie damit ihr Ziel erreicht hätte. „Wir verfolgen diesen Ansatz ganz bewusst. In der israelischen Gesellschaft stehen Verweigerer ganz schnell außerhalb der politischen Agenda, da sie in aller Regel als linke Außenseiter wahrgenommen werden würden. Durch unseren begrenzten Ansatz hingegen können wir deutlich machen, dass wir als Zionisten im Interesse von Israel agieren.“

Das Medienecho bestätigt diese Einschätzung. Hunderte von Seiten umfasst die Presseauswertung allein eines Vierteljahres. Über die anderen Verweigerer wird deutlich seltener berichtet, da sie sich weit außerhalb des „mainstreams“ bewegen.

Das israelische Militär hatte in den 80er Jahren auf die große Zahl der Verweigerer, die den Einsatz im Libanon verweigerten, auf eigene Art reagiert. Es setzte seit 1985 ausschließlich Wehrpflichtige ein, so dass es von da an praktisch keine Verweigerer mehr gab. Ähnlich geht es mit der Frage der Refuseniks um. Abgesehen von größeren militärischen Aktionen und dem Einmarsch in die autonomen palästinensischen Städte im April 2002 setzt die israelische Armee fast ausschließlich Wehrpflichtige in den besetzten Gebieten ein. Damit umgeht es die Tatsache, dass wohl nur noch 10% der Reservisten den Reservedienst ableisten. Wie sich angesichts dessen „Courage to Refuse“ weiter entwickeln wird, ist offen.

Die Gruppe der Piloten vertritt eine noch begrenztere Form der Verweigerung. Sie trat im September 2003 an die Öffentlichkeit (vgl. GWR 283). Jonathan Shapira, Mitglied der Gruppe, machte deutlich, dass sich das Nein ausschließlich auf unmoralische Befehle beziehe, sie sich konkret weigern, den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen. Diese Entscheidung hätten sie bewusst getroffen, um als anerkannter Teil der israelischen Gesellschaft besonders wirksam agieren zu können. „Das Ergebnis gibt uns recht. Die Medien sind geradezu auf uns angesprungen.“

Die Piloten standen nach ihrer Veröffentlichung unter enormen Druck. Die noch im Reservedienst aktiven Piloten seien schließlich aus dem Militärdienst entlassen worden, sind allerdings weiter scharfen Angriffen der israelischen Öffentlichkeit ausgesetzt.

Adam Keller, Herausgeber der Zeitung „The Other Israel“, sieht eine zunehmende Akzeptanz der Verweigererbewegung. „Damit meine ich das ganze Spektrum, die Fünf, die Piloten, die Refuseniks – alle Ansätze unterstützen sich gegenseitig.“ (5) Aber gerade der Brief der Highschool-Absolventen habe die Armee besonders unter Druck gesetzt. Die Armee sei davon ausgegangen, dass Schüler und Schülerinnen kaum politisches Interesse hätten und den Befehlen nachkämen. Sie setzte daher möglichst nur noch die jungen Wehrpflichtigen in den besetzten Gebieten ein. Als plötzlich eine große Gruppe von Wehrpflichtigen auftrat, die ihre Verweigerung erklärten, sei klar geworden, dass die Armee sich auch nicht mehr auf diese Gruppe verlassen könnte. „Das war der entscheidende Grund, warum die fünf Verweigerer vor das Militärgericht gestellt wurden, obwohl dies auch bedeutete, der Sache wesentlich größere Öffentlichkeit zu verschaffen. Die Armee entschied, dass die jungen Verweigerer ein zu großes Risiko darstellen und sie nicht mit einer geringen Strafe davonkommen dürften. Eigentlich ist das ein Kompliment.“

(1) zit. nach Rundbrief "KDV im Krieg", Offenbach, Ausgabe November 2002 (www.connection-ev.de)

(2) Eine ausführlichere Darstellung findet sich bei Endy Hagen: Militär und Kriegsdienstverweigerung in Israel; in: Rudi Friedrich (Hg.): Gefangen zwischen Terror und Krieg? - Israel/Palästina: Stimmen für Frieden und Verständigung

(3) nach Lily Galili, Ha'aretz vom 21.01.2004

(4) ebenda

(5) Aus einem Interview mit Adam Keller vom 14. Januar 2004

Kontakt

New Profile
POB 48005
Israel - Tel Aviv 61480
ghiller@haogen.org.il
www.newprofile.org

Yesh Gvul
POB 6953
Israel - Jerusalem 91068
peretz@yesh-gvul.org
www.yesh-guvl.org

Shministim
POB 70094
Israel - Haifa 31700
shministim@hotmail.com
www.shministim.org

Forum der Eltern von Verweigerern
Adam Keller
POB 2542
Israel - Holon 58125
otherisr@actcom.co.il

Courage to Refuse
178 Ben Yehuda St.
Israel - Tel Aviv
arik@seruv.org.il
www.seruv.org

Gruppe der Verweigerinnen über New Profile

Piloten
jonathanisrael@yahoo.com

Weitere Infos

Connection e.V.
G erberstr. 5
D-63065 Offenbach
Tel.: 069-8237-5534
Fax: 8237-5535
office@connection-ev.de
www.connection-ev.de