Als wahlpolitische Alternative soll eine neue Linkspartei in 2 ½ Jahren bei den nächsten Bundestagswahlen den Sozialkahlschlag stoppen. Doch dann werden die sozialen Sicherungssysteme bereits ein einziger Trümmerhaufen sein. Eine "Linkspartei" hilft dann auch nichts mehr. Wäre sie überhaupt zu irgendetwas gut?
Die Agenda 2010 kann nur noch aufgehalten werden, wenn gewaltige Mobilisierungen öfters als einmal im Jahr das Land aufhorchen lassen, neue Aktionsformen von vielen Menschen eingesetzt werden und eine breite Bürgerbewegung ihre Loyalität gegenüber der Regierung aufkündigt und die neoliberale Ideologie radikal in Frage stellt.
Es gibt also genug zu tun. Im gewerkschaftlichen Bereich ganz besonders. Denn gerade hier wurde in den letzten Jahrzehnten, als es noch etwas zu verteilen gab, von den DGB-Gewerkschaften ein Anpassungskurs gefahren, der zur völligen Selbstaufgabe eigener Positionen geführt hat. Die meisten abhängig Beschäftigten haben nicht gelernt, sich effektiv zu wehren und zu kämpfen.
Der Ruf nach einer neuen „Linkspartei“ kam in den letzten Wochen besonders laut von der mittleren und unteren Funktionärsebene des DGB. Die SPD sei als parteipolitischer Bündnispartner faktisch abhanden gekommen, und nun müsse schnell Ersatz geschaffen werden. So einfach machen sich diese Gewerkschafter das: Ein Rad innerhalb des eingefahrenen Politikbetriebes gegen ein anderes austauschen und weiter wurschteln wie bisher. Die klassischen gewerkschaftlichen Kampfmittel wie Streiks und direkte Aktionen haben sie längst aus der Hand gegeben.
Machen wir uns nichts vor. Diese Unzufriedenen haben sich nicht grundsätzlich von sozialdemokratischen und sozialpartnerschaftlichen Politikkonzepten gelöst. Sie wollen nur ihre „alte“ SPD (oder PDS) in einer neuen „Linkspartei“ wiederhaben! Schon stehen mit Lafontaine und Gysi die ersten Prominenten bereit, die sich selbstverständlich völlig selbstlos und uneigennützig zur Verfügung stellen würden, wenn man sie nur rufen würde. Ziemlich bald könnte den einfachen „Linkspartei“-AktivistInnen das ihnen nicht ganz unbekannte Gefühl beschleichen, auch diesmal nur Handlanger für ein paar abgehalfterte Politstars zu sein. Die tatsächlich wichtige Arbeit, noch in diesem Jahr einen kräftigen Mobilisierungsschub der sozialen Bewegungen mit anzustoßen, würde hierbei auf der Strecke bleiben.
Noch nicht einmal das politische Einmaleins beherrschen die eifrigen Befürworter der neuen „Linkspartei“. Der historische Tiefstand in der Wählergunst bei der SPD würde selbst mit mehr als 5 Prozent bei jeweils einer „Linkspartei“ und PDS niemals zu einer Regierungsmehrheit gegenüber der jetzigen Opposition reichen. Und selbst wenn: Die SPD als Verfechterin des sozialen Kahlschlages wäre die „Linkspartei“ damit nicht los. Nach der Logik des kleineren Übels müssten sie wieder koalieren. Von denjenigen der „Linkspartei“, die als jahrzehntelange Mandatsträger die grausige SPD-Politik geschluckt und mitgetragen haben, ist aller Erfahrung nach zu erwarten, dass sie dies als Koalitionspartner der SPD wieder tun werden und keine emanzipatorische Politik von unten entwickeln. Wer glaubt, auf Regierungsebene „mitgestalten“ zu müssen, der wird so oder so nicht an der SPD vorbeikommen können.
In der Geschichte der SPD gab es von der USPD 1917 bis zu den „Demokratischen Sozialisten“ 1982 zahlreiche Versuche, eine eigenständige linkssozialistische Partei zu etablieren. Sie sind in Deutschland allesamt nach kurzer Zeit gescheitert.
Allerdings ist an dieser Stelle anzumerken, dass die historischen Versuche, in Deutschland linkssozialistische Parteien aufzubauen, zum größten Teil auf einen wie auch immer ausgestalteten Selbstverwaltungssozialismus hinorientierten, der zumindest in der Frage der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln eine eindeutige Zielvorstellung hatte.
Demgegenüber wagen die UnterstützerInnen einer „Linkspartei“ heute nicht mehr Forderungen mit einer eindeutigen antikapitalistischen Orientierung offensiv in die gesellschaftliche Auseinandersetzung einzubringen. Sie begnügen sich damit, ein paar Reste des Sozialstaates retten zu wollen. Zu den historisch ausgeformten Politikvorstellungen der Linkssozialisten gibt es nur noch wenige inhaltliche Verbindungen. Ihre einzigste oberflächliche Gemeinsamkeit mit den „alten“ Dissidenten wird nur noch diejenige sein, dass sie möglicherweise irgendwann die SPD verlassen werden.
Nun kann man sicher nicht alle Menschen, die heute händeringend nach linken Alternativen zur SPD suchen, über einen Kamm scheren. Die aktuelle Absetzbewegung bietet auch Chancen für positive neue Entwicklungen. Unsere Aufgabe ist es, aufzuzeigen und vorzumachen, dass es wirkungsvolle Alternativen zum parteiförmig eingeengten Widerstand gegen den Sozialkahlschlag gibt. Sozialforen und andere Basisbewegungen praktizieren bereits eigenständige Handlungsansätze, die zu räteähnlichen Strukturen ausgebaut und miteinander vernetzt werden können.
Die Unzufriedenheit der Gewerkschaftslinken innerhalb des DGB könnte dazu führen, dass andere Formen des gewerkschaftlichen Kampfes verstärkt als Möglichkeit wahrgenommen und praktiziert werden. Das sind große Herausforderungen, und wir sollten unsere eigene Arbeit in diesem Zusammenhang kritisch überprüfen, ob unsere bisherige Praxis und Organisationsform dazu geeignet ist, die auf uns zukommende Arbeit zu leisten. Die mit einer neuen „Linkspartei“ aufkommenden Illusionen zu analysieren, ist eine Sache. Die andere bedeutet, den Widerstand gegen den Sozialraub selbst besser und erfolgreicher zu organisieren. Darüber sollte in unseren Reihen meiner Meinung nach konzentrierter und intensiver diskutiert werden.