Forum 2004 – Ein Bericht
Multikulti ist in. Spektakuläre Architektur lockt TouristInnen. Und Protest ist Image.
Besonders für Barcelona, das in ewiger Konkurrenz zu Madrid den Makel der politischen Zweitrangigkeit wettzumachen sucht.
Der neue Coup heißt Forum der Kulturen 2004. Mit dem fünf Monate währenden Spektakel, das unlängst am 9. Mai eröffnet wurde, soll sich Barcelona seinen Platz unter den Metropolen der Welt sichern: „Barcelona wird zum Referenzpunkt für Frieden, Zusammenleben und Dialog … Ein Weltereignis, das nicht Staaten, sondern Bürger zusammenruft … 141 Tage, in denen Festivität und Reflexion vereint werden.“
Die Zahl der Angebote ist schier endlos; Tausende von Konzerten, Theater- und Zirkusaufführungen, Ausstellungen und Performances finden auf dem eigens direkt am Meer neu geschaffenen, über 30 Hektar großen Gelände statt. Architektonisches Aushängeschild ist das blaue, gleichseitige Dreieck von 180 Meter Länge, das ein teilweise subterranes Auditorium für 3.200 HörerInnen beherbergt. „Der Schwamm“ wurde es kurzerhand vom Volksmund seiner porösen Oberflächenstruktur wegen getauft.
Nebenan, in die von Baukränen bestimmte neue Skyline von Barcelona, ragt das noch immer nicht fertiggestellte Konferenzzentrum für mehr als 15.000 BesucherInnen. Übrigens das zweitgrößte in Europa oder das „größte Südeuropas“, wie der Werbetext informiert. Hier sollen 47 sogenannte „Dialoge“, themenzentrierte Konferenzen, „die drängendsten Fragen des 21. Jahrhunderts beantworten.“ Dank der mittlerweile abgewählten Partido Popular Aznars gehören weder der Palästinakonflikt noch der Irakkrieg dazu.
Die interessierten BürgerInnen erfahren aber erst bei der obligatorischen Registrierung per Internet, daß „maximale Partizipation“ teuer ist: Zwischen 80 und 450 Euro kostet die Teilnahme an einem „Dialog“. Der sonst 21 Euro pro Tag betragende Eintritt für die Veranstaltungen auf dem Gelände ist selbstverständlich im Preis inbegriffen.
Das Forum beschränkt sich aber nicht nur auf das Gelände. Die ganze Stadt wird kurzerhand zur Bühne erklärt. Kaum ein Kulturereignis, das nicht mit dem Forum-Label versehen wird. Soviel steht fest: Gigantisch soll es sein. „Barcelona: Hauptstadt des Planeten“ titelt die Tageszeitung El Pais am Sonntag eine Woche vor der Eröffnung. Barcelona will wenigstens einmal nicht die ewig Zweite sein.
„Die drei Leitthemen Frieden, Nachhaltigkeit und kulturelle Diversität sollen der Vielzahl unterschiedlichster Veranstaltungen Struktur und Kohärenz verleihen.“ Die MacherInnen des Forums wissen nur zu gut, wie schwer das ist.
Denn am Anfang war der Plan. Und der Plan ist ein urbanistischer. Nach der Olympiade 1992 stand für die Regierenden fest, daß ein weiteres imageförderndes Großereignis her muß, um das damals begonnene Stadtentwicklungsprojekt zu Ende zu führen. Die simple Metapher, mit der das Hochziehen eines neuen Viertels, der Vila Olimpica, der Ausbau des Hafens samt Freizeitkonsumtempel und die Schaffung der noblen Flaniermeile Passeig Maritim begründet wurde, war die „Öffnung zum Meer“. Die andere Hälfte des städtischen Küstenstreifens aber blieb der vergessene Hinterhof Barcelonas. Jetzt verläuft der Passeig Maritim durchgängig bis zur Mündung des Flusses Besos, wo einst die politischen Gefangenen des faschistischen Franco-Regimes erschossen wurden. Die Gedenktafel mußte den Bauarbeiten des Forums weichen.
Neben dem Forum-Gebäude und dem Konferenzzentrum, das zukünftig Wirtschaftsmotor der Gegend sein soll, umfaßt das Gelände ein Freiluftauditorium, einen Segelsporthafen, ein gigantisches Photovoltaiksegel und die Plaza Forum. Kein Baum spendet Schatten in der Weite dieses nach dem Platz des Himmlischen Friedens zweitgrößten Platzes der Welt. Der Beton dominiert. Auch die 60 Meter lange Designerbadeinsel im Meer besteht aus Betonklötzen. „Backsteinpolitik“ nennen die KatalanInnen noch immer die politische Begünstigung des Baugeschäfts. Auch wenn der Baustoff heute ein anderer ist.
Im Schatten des Forums wird gewaltig umstrukturiert.
Insgesamt ist eine Fläche von gut 250 Hektar betroffen, die fünffache Größe der 1992 geschaffenen Vila Olimpica. Die Hauptaktivitäten finden im strukturschwachen Poblenou statt, ehemaliges Zuhause vieler kleiner und mittlerer Betriebe. Derzeit bestimmen Abrißtrümmer und Baukräne die Szenerie. Auf den unzähligen freien Flächen und in den leerstehenden Industriehallen richten sich Sinti und Roma mit ihren Wagen ein. Bis zur nächsten Räumung. Deren Frequenz hat in der ganzen Stadt seit dem letzten Jahr auffällig zugenommen. Auch die alteingesessenen BewohnerInnen des Viertels müssen dem Fortschritt Platz machen. „Jeden Tag haben wir das vor Augen“, sagt die alte Frau und zeigt dabei auf die ihrem Haus gegenüber liegenden Häusertrümmer. Sie ist seit mehr als 40 Jahren Anwohnerin der kleinen Pasatge Cusidò. Ihre weißgetünchte, mehr als hundert Jahre alte Finca wird wie die gesamte Passage dem Erdboden gleichgemacht werden. „Wenn die Häuser nebenan abgerissen werden, wird auch meine Finca einstürzen. Ich gehe, weil ich Angst habe“, erklärt sie.
Für die real existierenden DurchschnittsbewohnerInnen Barcelonas wird das Leben immer prekärer. Vor allem mangelt es an bezahlbarem Wohnraum. Im letzten Jahr sind die Wohnungspreise bis zu 34 % gestiegen, in den Vierteln rund um das Forum am stärksten, und ein licht- und luftloses Zimmer von 8 m² kostet um die 250 Euro. Viele junge Menschen werden so zu Nesthockern und leben noch mit 30 bei den Eltern. Obwohl nach offiziellen Angaben 13,7 % der Wohnungen leer stehen.
Wie auch vor den olympischen Spielen werden seit dem vergangenen Jahr schon seit Jahren tolerierte besetzte Häuser und soziale Zentren, wie z.B. les Naus, im Handstreich geräumt. Die Casa de la Muntanya, ältestes und bekanntestes besetztes Haus Barcelonas, ist gerettet, aber viele andere wie la Hamsa oder Can Masdeu befinden sich in Räumungsgefahr. Die jahrelang von MigrantInnen besetzten Kasernen von Sant Andreu sind ebenfalls pünktlich geräumt worden.
Einige bereits fertiggestellte Wolkenkratzer lassen das neue Gesicht des zukünftigen Technologieparks 22@ erkennen.
Für die kleinen Läden und Werkstätten ist dann kein Platz mehr. Die BesitzerInnen verkaufen unter Druck zu einem Drittel des tatsächlichen Wertes und verlieren damit ihre Unterhaltsquelle. „Wir bewegen uns mit all unseren Operationen im Rahmen des Gesetzes“, kommentiert dazu ein Immobilienmanager.
Die Umwidmung von Industrie- zu Baugrundstücken und der Ausverkauf städtischen Bodens infolge des Plans 22@ machen es möglich. Das Projekt 22@ soll den Standort Barcelona für Kapital multinationaler Unternehmen attraktiv machen, so geschehen bei General Electric, US-Konzern mit dem weltweit höchsten Börsenwert, der hier seine europäische Verwaltungszentrale einrichtet. „Die Marke Barcelona verkauft sich gut in Europa – und zunehmend in Asien“, weiß der Manager des Plans 22@. Teil der Marke ist das sogenannte Humankapital, der kreative, digitalisierte und partizipationsfreudige Bürger, der ideale Arbeitnehmer und Konsument.
Vom Forum abgeschnitten durch eine Einfallstraße liegt das gegen Ende der Franco-Diktatur hochgezogene Viertel La Mina. Unter dem Einfluß des Opus Dei wurde Anfang der 70er eine wilde Barackensiedlung am Rande der Stadt durch zehnstöckige Betonblocks ersetzt. Noch heute ist es die marginalisierteste Gegend Barcelonas. Drogen, Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und der Mangel an Schulen, Gesundheitsversorgung und sozialen Zentren sind die Probleme des bevölkerungsreichen Viertels. Geplant ist eine neue Rambla durch den Abriß einiger Wohnblocks, welche dem Viertel „Luft verschaffen“ soll.
Die Sanierungsmaßnahmen hier, derer sich die Stadt rühmt, dürften unter „ferner liefen“ verbucht werden. Insgesamt stehen dafür 72 Millionen zur Verfügung, genausoviel wie „der Schwamm“ gekostet hat. Die Baumaßnahmen des Forums haben 2300 Millionen Euro verschlungen, während für das Programm des Forums 340 Millionen ausgegeben wurden.
Barcelona, das zwischen Bergen und Meer nicht mehr expandieren kann, erlebt eine „Manhattanisierung“; der neue Turm Agbar überragt als erstes Gebäude die Sagrada Familia, Hotels und Luxus-Appartementtürme schießen in die Höhe. Diese grenzen mit der dazugehörigen Shopping-Mall „Diagonal Mar“ direkt an das Forum und sind Werk des US-Immobilienkonzerns Hines, der damit seinen seit den 1990ern geplanten Eintritt in den europäischen Markt verwirklicht. Die Luxusappartements bieten einen exklusiven Ausblick aufs Meer und einen weniger exklusiven auf den sozialen Brennpunkt La Mina. Zu der störenden Aussicht auf der meerabgewandten Seite kommentiert der Manager von Hines kühl: „Das verschwindet über kurz oder lang.“
Dem in den 90er Jahren regierenden Bürgermeister, Maragall, der nach den Wahlen am 16. November 2003 zum Regierungschef Kataloniens aufgestiegen ist, schwebte eine dritte Weltausstellung in Barcelona vor. Aber sowohl die Expo, als auch der Titel der europäischen Kulturhauptstadt für das Jahr 2004 waren bereits vergeben. Für Maragall kein Hindernis: „Das macht nichts. Irgendwas erfinden wir uns schon.“ Und macht sich selbst damit zum Vorbild der Kreativität und Dynamik, mit der die Marke Barcelona in der Welt verkauft werden soll. „Die größte Attraktion Barcelonas besteht nicht im architektonischen Erbe, sondern in ihrer dynamischen, sich ständig in Veränderung befindlichen Natur.“ Die nie zu Ende gebaute Sagrada de Familia des Modernisten Antonio Gaudí, traditionelles Wahrzeichen der Stadt, verkörpert beides. Barcelona, die ewige Baustelle.
Ein „Konzept Forum“ für die Inhalte gab es zu keinem Zeitpunkt.
1996 wurde das Projekt erstmals publik, ein Jahr später waren die Baupläne abnahmefertig. Noch 1999 verlautete der Bürgermeister, daß es sich beim Forum um „etwas ganz anderes handelt, weil es etwas Einzigartiges ist, was es noch zu definieren gilt.“ Doch die Sponsorenverträge sind bereits unterschrieben. Zu den Sponsoren gehören u. a. Toyota, Nestle, IBM, Coca-Cola und Indra (Produzent militärischer Informationstechnologie).
Das mit der Konzeption betraute Gremium von Intellektuellen löste sich 2002 angesichts dieser Tatsachen selbst auf, bevor es der ideologischen Legitimierung dienen konnte. An seine Stelle traten ManagerInnen. Diese erkennen die Zeichen der Zeit. Seattle, Prag, Genua, Porto Alegre. Und lernen ein paar neue Vokabeln: Frieden, Nachhaltigkeit und kulturelle Vielfalt. Schließlich ist Barcelona immer ein bißchen sub. Subkulturell und subversiv. Aber nicht zu sehr. Light ist nun mal besser für die Figur. Globalisierung light, Kritik light und Coca-Cola light. Der Brausegroßkonzern wirbt als Sponsor des Forums auf seinen Dosen für das „Movimiento Coca-Cola“.
Bis Anfang 2004 brauchte das Management, um ein konkretes Programm zu präsentieren. Als Zugpferde werden Namen wie Jose Saramago, Michail Gorbatschow, Joseph Stieglitz oder Susan George [hier stattdessen besser: Garcon?] ganz groß geschrieben. Die Einbindung von NGOs, lokalen AktivistInnen und vom globalen Medienzirkus gemachten „Stars“ fällt schwer. Viele verweigern sich der diskursiven Vereinnahmung und wollen nicht auf der politischen Bühne des multikulturellen Themenparks auftreten. So wie Jose Bove, Susan Sonntag oder Naomi Klein. Susan George wird kommen. Attac aber hält sich fern. Greenpeace fordert den sofortigen Baustop, und die für die Mobilisierung zu den europaweit bekannt gewordenen Antikriegsdemos verantwortliche „Plattform gegen den Krieg“ lehnt wie so viele andere lokale Gruppierungen die präformierte Partizipation ab. Eine Gruppe namens „Resistencies“ bildet sich, und seit Anfang des Jahres informiert ein alternativer Stadtplan darüber, „worum es beim Forum wirklich geht“.
„Über Demokratie und Frieden zu sprechen inmitten der Logos von multinationalen Konzernen, die die Demokratie aushöhlen und den Krieg unterstützen, erscheint mir grauenvoll.“ So die mit ihrem Bestseller „No Logo“ berühmt gewordene Naomi Klein bei der Europapremiere des gemeinsam mit Avi Lewis produzierten Films „The Take“, der von Fabrikaneignungen in Argentinien berichtet.
Noch im Sommer 2003 flehte Jaume Pages, Hauptverantwortlicher des Forums, die zur Teilnahme Aufgerufenen noch einmal an, ihm zu vertrauen und ins kalte Wasser zu springen, weil man schließlich nicht ewig nachdenken könne.
Viele können selbst jetzt, nach der Eröffnung, nicht genau sagen, was das Forum eigentlich ist. Den BesucherInnen, die am Tag der offenen Tür die Gelegenheit nutzen, das Forum-Gelände zu besichtigen, steht die Skepsis ins Gesicht geschrieben. Auf die Frage, was das Forum sei, gibt es oft ein Achselzucken und eine abwinkende Handbewegung. „Immobilienspekulation. Weiter nix.“ „Ganz klar eine Inszenierung des Kapitals“, meint ein dezent gekleideter Herr mittleren Alters, dessen Erscheinungsbild nicht im entferntesten mit dem Stereotyp des „Linksradikalen“ koinzidiert.
Die für ihre Protestfreude werbewirksam hochgelobten BarcelonierInnen werden ihrem Ruf gerecht. „Ich bin nicht Forum“, antworten sie dissonant, anstatt unisono in Maragalls „Wir alle sind Forum“ einzustimmen. Der Mythos des rebellischen Barcelona ist nicht nur Produkt von PR-ManagerInnen.
Am Tag der pompösen Eröffnung in Anwesenheit des spanischen Königs wird vor dem Forum mit Topf und Löffel Krach geschlagen, und am nächsten Tag wird der alternative Stadtplan an die eintröpfelnden ersten BesucherInnen des Forums verteilt. Clos, der Bürgermeister, und Maragall finden es „phantastisch“, daß protestiert wird, schließlich ist das „ein Zeichen funktionierender Demokratie.“ Die Begeisterung ist nicht immer so groß.
Ein geplantes Anti-Forum-Straßenfest zwei Wochen vor der Eröffnung wurde mit massiver Polizeigewalt verhindert. Dabei kann es so einfach sein, die Vorsilbe anti durch prä zu ersetzen, wie der Teilnehmer einer Anti-Forum-Veranstaltung berichtet: „Da taucht ein Typ auf, packt ein Riesen-Forumplakat aus, macht ein Foto von den Teilnehmern vor dem Plakat und trägt die Teilnehmerzahl in eine Karteikarte ein.“ Die Anstecker mit der Aufschrift „Am Forum nehme ich nicht teil“ werden auf dem Bild wohl kaum zu erkennen sein.
Weitere Informationen
Joseph Steinbeiß: "Ich kauf' mir eine bess're Welt". Das Forum Barcelona 2004 oder: Anti-Globalisierung als Marketingstrategie, in: GWR 285, Januar 2004, S. 7
Barbara: Chronik einer Überraschung. Spanien nach den Terroranschlägen, in: GWR 288, April 2004, S. 1 f.
Joseph Steinbeiß: "No más bombas, no más muertos". Terroranschläge in Madrid, in: GWR 288, S. 2
Josep de la Muntanya: Die Schattenseiten einer Hochglanzmetropole, in: GWR 288, S. 9
Sektion zum Forum auf Indymedia Barcelona mit einem Text auf Deutsch (mäßige Übersetzung): Esperando la lluvia.
http://barcelona.indymedia.org/ ?category=forum_2004
Guerillerowrk: Kopie der Forum-Homepage auf Katalan und Spanisch, viel Bildmaterial (unter anderem das BCNPoly-Bild)
www.fotut2004.org/ct/index.php
Fotos von der Räumung des Anti-Forum Festes
http://barcelona.indymedia.org/ newswire/ display/ 83767/ index.php