Originaltitel: Power and Terror: Noam Chomsky In Our Times, Japan 2003, 98 Min., Regie: John Junkerman - Darsteller: Noam Chomsky.
Allein die Tatsache, dass dieser Film, der fast ausschließlich aus Interview-Ausschnitten und Vorträgen des inzwischen 75jährigen Anarchisten Noam Chomsky besteht, in den Kinos läuft, obwohl er weder „Handlung“ hat, noch wirklich ein „Dokumentarfilm“ ist, macht ihn als Projekt auffällig. Ein Vergleich mit dem Anspruch und der analytischen Schärfe von „Manufacturing Consent. Noam Chomsky und die Medien“ (USA 1994) wäre von vorneherein unfair, dazu sind die beiden Filme über Chomsky zu verschieden angelegt. Die Aufnahmen stammen größtenteils aus dem Jahr 2002.
„Power And Terror“, den der in Tokio arbeitende amerikanische Filmemacher John Junkerman in Japan produzierte, wird im Vorspann zwar als zweiteiliger Film („vor“ und „nach“ dem Irakkrieg) angekündigt, tatsächlich aber beschränkt sich der zweite Teil auf ein knapp zehnminütiges Interview.
„Noam Chomsky – sold out“ („ausverkauft“) steht auf einem Pappschild gleich in der ersten Einstellung des Films. Ein selbstironischer Kommentar zu den lose eingestreuten Aufnahmen, die einen amüsierten bis sympathisch genervten Chomsky beim Autogrammschreiben und albernen Fototerminen mit den Fans zeigen. Tatsächlich haben diese Szenen aus dem Leben des „Noam Chomsky Superstar“ etwas Absurdes.
Um so mehr überrascht die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der Chomsky in seinen „Talks“ die Macht und die Mächtigen herausfordert: „Der Kapitalismus sei eine gute Idee gewesen“, aber die Menschen hätten ja auch mal den Feudalismus für ein gutes System gehalten. Der Kapitalismus sei also nichts Besonderes, man könnte ja mal etwas „anderes probieren“.
Die Begriffe „power and terror“ durchziehen alle Interviews, weil Chomsky den Begriff „Terror“ anders benutzt als die Mainstream-Medien: Er unterscheidet nicht zwischen den Verbrechen Einzelner oder denen von Regierungen, nur weil letztere das eine „Terror“, das andere „legitime Politik“ nennen.
Dem 11. September schreibt Chomsky tatsächlich eine historische Bedeutung zu: nicht wegen des Ausmaßes der Anschläge, sondern weil „die Opfer die waren, die sie waren“. Für die Menschen im Süden dagegen ist „Terror“, also Verbrechen, z.B. durch die USA (oder andere Staaten) begangen, alltägliche Realität. Wie immer belegt Chomsky dies durch eine Unzahl von historischen oder aktuellen politischen Beispielen. Es ist dieses scheinbar unerschöpfliche Wissen, das seinen Thesen Glaubwürdigkeit verleiht.
Überraschend vor diesem Hintergrund ist Chomskys allgegenwärtiger Optimismus: So hebt er auf die Frage, was 9/11 verändert habe, nicht zuerst die wachsende Repression hervor, sondern das dadurch ausgelöste kritische Nachdenken über die Weltpolitik. Diesen Optimismus, dem wohl auch der Film überhaupt seine Existenz verdankt, mag man nicht immer teilen, Erstaunen ruft er allemal hervor.
Nicht weniger ironisch als der Auftakt werden Zitate über Chomsky aus den Mainstream-Medien eingestreut, die ihm mal einen platten Anti-Amerikanismus, mal Schwarz-Weiß Denken vorwerfen.
Den ersten Vorwurf kontert Chomsky mit einem simplen „die USA sind nicht besonders böse“: Sie begehen die größeren Verbrechen, weil sie die größte Macht und deshalb die Möglichkeit dazu haben.
Die Macht ist das Problem. Nicht die Akteure, sondern dass überhaupt jemand Macht besitzt. Diesen „Mächtigen die Wahrheit zu sagen“ und so den Hofnarren zu spielen (was Chomsky den meisten Intellektuellen vorwirft), erscheint ihm als Zeitverschwendung. Seine Absicht ist, den „Menschen die Wahrheit zu sagen, damit sie die Macht stürzen.“ So knapp kann man in einem Nebensatz die Revolution denken.
Dementsprechend versucht Chomsky, eine einfache Sprache zu sprechen, einfache Vergleiche zu ziehen, die den Intellektuellen suspekt sind. Wie Chomsky selbst setzt der Film auf Diskussion und Gespräch, auf die unerschütterliche Überzeugung, durch Argumentieren und Solidarität die Welt zu verändern. Deshalb verzichtet Junkerman – anders als z.B. Michael Moore – völlig konsequent auf Bildeffekte und konzentriert sich auf die Wirkung der Sprache.
Dass sich „Power And Terror“ in den Kinos zwischen Action und Spezialeffekten die Zeit für ein paar eigentlich recht simple Gedanken über die Welt und darüber, wie man sie verändern kann, nimmt, macht ihn als Film wertvoll genug. Und greift damit eine zentrale Aussage Chomskys aus „Manufacturing Consent“ auf: Das größte Problem ist, das die Menschen überhaupt keine Zeit zum Nachdenken haben.
Anmerkungen
Seit dem 3. Juni 2004 ist der Film in Deutschland in den Kinos zu sehen.
Infos: www.neuevisionen.de unter Filmübersicht: POWER AND TERROR