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Sisterhood is not something easy to find

Das diesjährige Europäische Sozialforum (ESF) aus feministischer Perspektive

| Sigrid Lehmann

Die Gleichheit von Mann und Frau zu fördern, ist ein zurzeit brandpopulärer Appell von PolitikerInnen und Parteien. Überall in Europa werden Artikel in Verfassungen aufgenommen, die diese Gleichheit sichern sollen. Von einer konkreten Umsetzung ist aber nichts zu spüren, im Gegenteil: Mit zunehmenden religiösem und marktwirtschaftlichem Fundamentalismus verschlechtert sich die Situation der Frauen weltweit um ein Vielfaches.

Es stellt sich die absurde Situation dar, dass Frauen aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Situation immer weniger rechtlich, dafür aber immer mehr praktisch benachteiligt werden.

Sie bilden die Mehrheit der am niedrigsten bezahlten Arbeitskräfte und sind somit besonders von der Ausweitung des Niedriglohnsektors und steigend unsicheren Arbeitsplätzen betroffen.

Zwei Drittel der Arbeiten auf der Welt werden von Frauen übernommen. Dazu zählt die meist unbezahlte und minder anerkannte Arbeit wie das Stillen der Babys, Kinderbetreuung, die Versorgung von Kranken, Alten und Behinderten sowie die Nahrungsversorgung für Familie, Gemeinden und Kontinente. Z.B. werden in Afrika 80% der Nahrungsmittel von Frauen angepflanzt, zubereitet und gekocht. Obwohl überall auf der Welt diese Arbeit die Basis für das Wohl und Überleben der Menschheit bildet, wird sie wenig anerkannt oder sogar ignoriert, dazu gar nicht oder kaum entlohnt: Nur 5% des weltweiten Reichtums geht an Frauen zurück, 1% des Kapitals ist in ihrer Hand. Der „Normalzustand“ ständiger Vergewaltigungen und sonstiger Gewalt gegen Mädchen und Frauen ließe sich eigentlich eher als Kriegszustand gegen die Hälfte der Menschheit definieren. Und in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten und Armut nimmt diese Gewalt sogar zu.

Von daher sind Frauenorganisationen und -netzwerke ein bedeutender Teil der globalen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit, wahrscheinlich sogar der bedeutendste! Christina Vega von next GENDERation: „Wir [Feministinnen, Anm. d. Autorin] stehen im Mittelpunkt, wir haben zu den wichtigsten Aspekten der globalisierungskritischen Bewegung mit unseren Ideen beigetragen.[…] Wer, wenn nicht die Feministinnen, haben als erstes mit den traditionellen Unterscheidungen von Öffentlichem und Privatem, von Arbeit und Nicht-Arbeit gebrochen? Und wer hat mehr über die Fragen von Autonomie, Horizontalität, usw. reflektiert als die feministische Bewegung?“

Grund genug zur Annahme, dass die Themen rund um Gender auf dem diesjährigen Europäischen Sozialforum (ESF) in London (vgl. GWR 292) stark vertreten gewesen wären. Wie sah es aber tatsächlich mit der Präsenz von Frauenorganisationen und der Integration derer Thematik aus? Die Antwort lautet: Traurig. „Ich habe an einem Workshop teilgenommen und selber ein Seminar über die WTO moderiert. In beiden Veranstaltungen habe ich betont, dass in Handelsabkommen die Position der EU ganz offensichtlich die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Frauen untergräbt. Wenigstens habe ich versucht, in diesen Mainstream-Events die Stimme der Frau hören zu lassen“, sagt Amanda Bach, die als Repräsentantin von WIDE aus Brüssel angereist ist. Die Organisation bedauert, dass trotz umfassenden Forschungen, welche beweisen, dass Frauen am meisten unter der Privatisierung von Dienstleistungen, der Liberalisierung der Landwirtschaft, usw. zu leiden haben, wenig Nachdruck auf dieses Thema auf dem diesjährigen ESF gelegt worden ist. Im Gegensatz zum letzten ESF in Paris gab es keine Europäische Versammlung für die Rechte der Frau, auch keine Großdemonstration für ihre Belange. Der „womens day“ bestand aus einem dreistündigem Frauenplenum in einem Raum, in dem höchstens 200 Frauen Platz finden konnten. Etwa 500 ZuhörerInnen kamen vorbei – bei 20.000 TeilnehmerInnen eine beschämende Bilanz! Viele feministische Seminare seien, so Aktivistinnen, bei den Vorbereitungstreffen blockiert worden mit der Begründung, dass Frauenfragen eben nicht gesondert, sondern in allen Reden und Veranstaltungen durchgängig mitberücksichtigt und thematisiert werden sollten. Doch auch dieser Vorsatz blieb eine leere Phrase: Die Rednerpulte der Großveranstaltungen glichen elitären Herrenveranstaltungen, in denen frauenspezifische Themen marginalisiert wurden. Das nahm sich dann auch nur tendenziell besser bei den kleineren Veranstaltungen und Seminaren aus. So ist es auch kein Wunder, dass in der Berichterstattung über das diesjährige ESF kaum etwas von der Frauenbewegung zu hören war – sie war kaum sichtbar vertreten. Eine Erklärung dafür liegt bestimmt darin, dass das ESF diesmal sehr stark von der trotzkistischen Socialist Workers Party und von Fraktionen der Labour Party dominiert wurde. Diese bevorzugen den Mainstream-Feminismus, welcher in der Forderung nach gleichen Löhnen und „ein bisschen Emanzipation“ stecken bleibt, ohne grundlegende Strukturen in Frage zu stellen. „Bei den Vorbereitungstreffen für dieses ESF musste man höllisch aufpassen, nicht einfach mal so eben aus der Planung herauszufallen, gerade wenn man unliebsame Positionen vertreten hat“, so Uta Schneiderbanger vom Kurdish Women’s Peace Office. Auf die Frage, ob ihre Organisation auf dem nächsten ESF in Athen 2005 wieder teilnehmen will, antwortet sie lachend: „Wahrscheinlich! Aber da müssen wir eine sehr durchsetzungsstarke Delegierte zu den Vorbereitungstreffen schicken!“

Das offizielle Frauenplenum auf dem „womens day“ präsentierte sich als rein theoretische Versammlung von weißen Rednerinnen aus recht etablierten Organisationen wie den Gewerkschaften, aus deren allgemein gehaltenen Ausführungen nichts Neues zu entnehmen war. Frauen von der Basis kamen nicht zu Wort, und kritische Analysen über Themen, wie Rassismus, Migration, Sexarbeit und Sexualität wurden weitgehend ausgegrenzt. Als sich gegen Ende des Plenums herausstellte, das kaum noch Zeit für eine öffentliche Diskussion eingeplant war, platzte dann doch einigen Frauen aus der Graswurzelbewegung der Kragen. Sie stürmten das Rednerpult und klagten die VeranstalterInnen an, dass ihre konkreten Problematiken endlich einmal auf die Tagesordnung kommen sollen.

Am Donnerstag, dem darauffolgenden Tag, fand dann der autonom geplante Frauentag, ausgehend von der Bewegung des „Globals Woman Strike“, statt. Außerhalb des offiziellen ESF-Programms trafen sich etwa 200 Frauen zu einem Frauen-„Festigress“ an der Kings Cross Methodist Church, um dort über zwei Stunden an offenen Mikrophonen zu diskutieren und den ganzen Tag über Filme, Straßentheater und Musik zu genießen. Die Atmosphäre war locker und von echter Wärme und Solidarität getragen. Einige Slogans lauteten: „Für wirkliche soziale Gleichheit zwischen den Geschlechtern!“, „Investiert in Fürsorge, nicht in Waffen!“ und „Haltet die Welt an und ändert sie!“