"Die Bundesrepublik Deutschland leistete von Anfang an energischsten Widerstand gegen intensive Inspektionsmaßnahmen, wie sie vor allem Washington durchsetzen wollte." Robert Jungk 1977 in seinem Buch "Der Atomstaat" über die Haltung der Bundesrepublik zum ab 1965 angestrebten Atomwaffensperrvertrag.
Nein, ich werde jetzt nicht damit anfangen, mich langatmig über jene Wissenschaftler auszulassen, die bereits zur Zeit des Faschismus an führender Stelle an der Atomenergie forschten, um in den 50er und 60er Jahren unter dem Atomminister Franz Josef Strauß weiterzumachen. Ich werde nicht näher auf den rechtskräftig verurteilten SS-Obersturmbannführer in Leiden (Holland), Alfred Boettcher, eingehen, der 1960 bis 1966 Direktor des Kernforschungszentrums Jülich wurde und für die Verbindungen nach Südafrika und Brasilien zuständig war. Auch nicht auf den NSDAP-Leiter Wilhelm Groth, der vor 1945 unter den Nazis an der Atombombe forschte, um nach dem Krieg in Jülich weiterzumachen.
Leukämie in Geesthacht
Letztendlich werde ich nur kurz bei Erich Bagge und Erich Diebner innehalten, die ebenfalls für das Dritte Reich Atomwaffenforschung betrieben, 1954 das Atomforschungszentrum Geesthacht gründeten und an der deutschen Atom- und Wasserstoffbombe weiterforschten.
Die jahrzehntelange zivil-militärische Forschung dieser Gesellschaft zur Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt (GKSS) direkt neben dem Atomkraftwerk Krümmel hat allerdings Auswirkungen bis heute. Durch geheim gehaltene „kerntechnische Sonderexperimente“ auf dem GKSS-Gelände ist es im September 1986 zu einem vertuschten Störfall gekommen, was nach vierjähriger Latenzzeit zu der weltweit einmaligen Häufung von Blutkrebs in dieser Region führte. Die Behörden und Forscher leugnen den Atomunfall und die Forschung an den Mini-Atomwaffen. Die seit 1992 bestehende Untersuchungskommission hat sich zerstritten, sechs der acht Wissenschaftler sind nach einem Eklat aus Protest gegen die Vertuschungsversuche der Landesregierung Schleswig-Holstein und der beteiligten Forschungszentren Jülich und Karlsruhe zurückgetreten. In der Umgebung von Geesthacht hatte man in Bodenproben mit dem Auge kaum sichtbare radioaktive PAC-Kleinstkügelchen gefunden. Genau jene, die in dem 1989 stillgelegten Thorium Hochtemperaturreaktor (THTR) Hamm-Uentrop für die Brennelemente benutzt und in den berüchtigten Hanauer Atombetrieben hergestellt wurden. Auch dort entdeckten Forscher nur wenige hundert Meter entfernt diese PAC-Kügelchen in der Gartenerde. Das ursprünglich faschistische Atombombenprojekt sorgt – weitergeführt im demokratischen Deutschland – auch heute noch für jede Menge Zündstoff und, was viel schlimmer ist, für Strahlentote!
Urangate bei Urenco und Jülich
Ebenfalls zur Zeit des Faschismus wurde in Deutschland mit der Entwicklung von Gaszentrifugen zur Urananreicherung begonnen. Durch die Hintereinanderschaltung mehrerer Zentrifugen sollte das Uran so stark angereichert werden, dass der Bau einer Atombombe möglich würde. Die Nazis kamen nicht mehr dazu, diese Bombe einzusetzen. Aber ihre Wissenschaftler arbeiteten in Deutschland und den Niederlanden nach dem Krieg weiter daran. Um die deutschen Ambitionen, eine eigene Atombombe zu bauen, unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig die wirtschaftliche Kooperation weiterzuentwickeln, wurde im „Vertrag von Almelo“ 1970 die deutsch-niederländisch-britische Zusammenarbeit für den Einsatz von Zentrifugeverfahren zur Urananreicherung beschlossen. Die Konzerne BNFL, UCN und Uranit gründeten hierzu den Konzern Urenco, der 1975 zunächst eine Gemeinschaftsanlage im niederländischen Almelo in Betrieb nahm. Hiergegen protestierten 1978 vierzigtausend Menschen. 1985 ging der Schwesterbetrieb im 40 km entfernten Gronau in Betrieb. An der Entwicklung der Gaszentrifuge war der bereits genannte ehemalige Nazi-Wissenschaftler Böttger beteiligt, der zum Leiter der Kernforschungsanlage Jülich aufstieg. Hier findet in Jülich bis heute die wissenschaftliche Grundlagenarbeit für Urenco im Uranit-Zweigwerk statt.
Der Khan schlägt zu
Die Entwicklung von Geräten zur Herstellung des Grundstoffes zum Atombombenbau zog mehrere ausländische Interessenten an, die auch sogleich bedient wurden. 1972 schloss Pakistan mit der Bundesrepublik das Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit ab. Nicht nur das Kernforschungszentrum Karlsruhe bildete pakistanische Atomforscher aus, sondern in der deutsch-niederländisch-britischen Gemeinschaftsanlage Urenco konnten sie sich einen umfassenden Einblick in Baupläne und Listen der Lieferfirmen verschaffen. Der spätere „Vater der pakistanischen Atombombe“ und gefeierte nationalistische „Volksheld“ Abdul Quadeer Khan besorgte sich hier zwischen 1972 und 1975 alle Informationen für die Herstellung nuklearen Materials, das in Zukunft die Welt unsicher machen sollte. Noch in den 80er Jahren arbeiteten in den Kernforschungsanlagen in Jülich und Karlsruhe 55 pakistanische Wissenschaftler, fand Gerhard Piper von BITS heraus. Khan selbst studierte in den sechziger Jahren in Berlin und im niederländischen Delft Metallurgie, bevor er dann bei Urenco einstieg. Aus dieser Zeit resultieren seine intimen Kenntnisse der ca. siebzig deutschen Rüstungsfirmen, die später UAA-Komponenten nach Pakistan lieferten. Die Gaszentrifugen der Urenco konnten auf diese Weise nachgebaut werden und legten damit den Grundstein für die pakistanische Atombombe.
Zwei Jahre nach dem Beginn der deutsch-pakistanischen Kooperation schlossen 1974 die Kernforschungszentren Jülich und Karlsruhe Kooperationsabkommen mit Indien ab. Die gleichzeitige Belieferung zweier rivalisierender, extrem verfeindeter Regionalmächte mit Atom-know-how und Atomtechnologie heizte die Spannungen zusätzlich an.
Der Urenco-Zögling Khan stieg in Pakistan zum Chef der Atomlaboratorien auf. Das dortige Atomzentrum wurde nach ihm benannt. In den 80er und 90er Jahren betrieb Khan einen „nuklearen Supermarkt“, der die Akten der westlichen Untersuchungskommissionen sprunghaft anschwellen ließ.
Khan selbst räumte ein, Iran, Nordkorea und Libyen mit Zeichnungen und Anlagen für den Atombombenbau versorgt zu haben. Irak und Südafrika wurden in diesem Zusammenhang ebenfalls genannt. Als gesichert gilt, dass Saudi-Arabien das Atomprogramm in Pakistan zu einem erheblichen Teil finanziert hat.
UAA-Gefahren – schwer zu begreifen?
Urenco als nukleare Keimzelle für die weltweite Atomwaffenproduktion will demnächst die Kapazitäten in Gronau von bisher 1.800 t auf 4.500 t Urantrennarbeit ausweiten. Dann könnten über Deutschland hinaus insgesamt etwa 35 Atomkraftwerke versorgt werden, und es käme zu Hunderten von Transporten mit hochangereichertem Uran jährlich – noch mehr als bisher schon. Während das nur 17 Kilometer von Gronau entfernte Brennelemente-Zwischenlager (BEZ) Ahaus zu einem der wichtigsten Kristallisationspunkte des Anti-Atom-Widerstandes wurde, wird die UAA im Bewusstsein vieler UmweltschützerInnen kaum wahrgenommen. In Zusammenhängen zu denken, fällt offensichtlich großen Teilen der Umweltbewegung sehr schwer. Vielleicht wird sich das erst dann ändern, wenn ein Urenco-Zentrifugenabkömmling als Atombombe tatsächlich zum Einsatz kommt. Erstaunt wird dann die öffentliche Meinung feststellen, dass der Ausgangspunkt der Katastrophe im holländisch-westfälischen Grenzgebiet liegt und dass der Bösewicht Bin Laden jetzt Abdul Qadeer Khan heißt. Denn die Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Das atomare Dreieck Deutschland, Südafrika und Pakistan
Nach der Wandlung Ghaddafis vom Paria zum Freund des Westens gab Libyen den Kontrolleuren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) teilweise sein Wissen preis, woher es in der Vergangenheit das Atombomben-know-how erhalten hatte. Die Spur führte nicht nur zuAbdul Qadeer Khan, sondern auch wieder nach Deutschland und Südafrika. Nach dem Ende des Apartheidregimes 1993 sahen sich die am südafrikanischen Atomprogramm beteiligten Wissenschaftler und Firmeninhaber nach neuen Wirkungsmöglichkeiten um und arbeiteten mit Khan zusammen, der mit einer Südafrikanerin verheiratet ist. Die Mitglieder des Atomschmuggelringes haben größtenteils die deutsche und schweizerische Staatsbürgerschaft und arbeiten mit Hunderten von Firmen in mehr als 20 Staaten zusammen.
Die seit Monaten ermittelnden Staatsanwälte in Deutschland, der Schweiz und in Südafrika sind vom Ausmaß des Skandals überrascht und haben bereits einige Ingenieure und Firmenmitarbeiter verhaften lassen. Ein Schlüsselprojekt ist die südafrikanische Urananreicherungsanlage Pelindaba, die nach deutschem Vorbild gebaut wurde.
Die IAEO ist alarmiert. Sie spricht von einem „veritablen Supermarkt“ für alle Arten von Nuklearwaffen und hält inzwischen Terroranschläge mit Atomwaffen für eine „echte und unmittelbare Bedrohung.
Nicht nur die Beziehungen Khans und des pakistanischen Militärs zu islamistischen Kreisen werden seit dem 11. 9. 2001 kritisch gesehen, auch die 200.000 südafrikanischen Muslime gerieten mittlerweile unter Generalverdacht. Nachdem zwei von ihnen Anschlagpläne auf südafrikanische Einrichtungen und Beziehungen zu Al Quaida zur Last gelegt wurden, überschlugen sich die Medien mit Berichten hierüber. Al Quaida-Aussteiger Jamal Ahmed al-Fadl gab vor US-Behörden zu, dass er beauftragt wurde, nukleares Material in Südafrika zu kaufen. Zur Zeit läuft in Kapstadt das Genehmigungsverfahren für den geplanten, mit Jülicher Hilfe entwickelten Hochtemperaturreaktor, der hier Pebble Bed Modular Reactor (PBMR) genannt wird. Diesen Prototyp will Südafrika speziell so entwickeln, dass er sich trotz hohem Proliferationsrisiko zum Export in Schwellenländer eignet. Da bisher in der Nachapartheid-Ära die Kontrollmechanismen im nuklearen Bereich versagt haben, ist auch bei dem geplanten Bau eines neuen Hochtemperaturreaktors (HTR) das Schlimmste zu befürchten.
Joschka Fischer, der sich bei jeder Gelegenheit in den Medien mit Äußerungen zum Atomprogramm des Bösewichts Iran profiliert, schweigt zur deutschen Beteiligung an dem internationalen Atomschmuggel. Die rotgrüne NRW-Landesregierung unternimmt nichts gegen die UAA in Gronau und damit nichts gegen die Fortsetzung einer verhängnisvollen Entwicklung, die vor vielen Jahrzehnten in Deutschland ihren Ausgangspunkt nahm. Im NRW-Landtagswahlkampf sollten wir in den nächsten Monaten darauf aufmerksam machen. Auch darauf, dass die radioaktiven PAC-Kügelchen inzwischen im Forschungszentrum Karlsruhe und in Frankreich wieder hergestellt werden. Und zwar in Zusammenarbeit mit dem Konzern AREVA, der den HTR nach Südafrika liefern soll.
Das alles ist das Gegenteil von Ausstieg.
Literatur
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Holger Strohm: Friedlich in die Katastrophe, Verlag Zweitausendeins, 1981
Robert Jungk: Der Atomstaat, Kindler, 1977
Bernd Moldenhauer: Die Atomindustrie in der BRD, Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/1975
Weitere Infos
Literaturhinweise und weitere Informationen:
www.thtr-a.de
www.graswurzel.net
Der Sonntagsspaziergang findet in Gronau jeden ersten Sonntag im Monat um 14 Uhr an der UAA statt. Infos: www.aku-gronau.de